24 August 2010
Das Papierhaus
„Alleine schlafen ist doof!“ Das lese ich bei vielen der Mädels, die stolz Ihre Gruppenzugehörigkeit zeigen, um wenigstens irgendwo nicht allein zu sein. Sei es auch nur virtuell irgendwo in den endlichen Weiten des Webs. So gern ich darüber schmunzeln würde, muss ich doch zustimmen. Allein zu schlafen ist nicht unbedingt das Dollste. Mittlerweile aber wünsche ich mir, ich könnte es. Das ist kein Wünschen im Sinne von „Ich brauch meine Ruhe, also mach dich raus hier!“ sondern wirklich so gemeint wie ichs schreibe: ich wünschte ich könnte es. Können im Sinne von: dazu in der Lage sein, die Fähigkeit zu haben der inneren Uhr die Batterie rauszunehmen. Bekomm ich nicht hin. Ich stell mich so an, wie ich mir den letzten Menschen vorstelle, beim Versuch mit seinem Echo ein Gespräch zu führen. Total dämlich und im Wissen das es sinnlos ist. Dennoch probier ich es weiter um zu verhindern, dass ich durchdrehe. Klappt aber nicht. In Gedanken rede ich erst beruhigend auf mich ein, wie auf einen Hund, dem man beibringen will „Platz“ zu machen: „Komm schon, schlaf jetzt ein, na schlaf schon. Mach nur die Augen zu. Fein. Prima machst du das. Und jetzt nur noch einschlafen. Ist ganz einfach!“ Aber ich bin störrisch. Wo kämen wir denn hin, wenn ich darauf höre. Nö. Ich häng mit meinen Gedanken lieber dem letzten Urlaub hinterher. Oder ich überlege, wie viele Kombinationsmöglichkeiten es bei sechsundzwanzig Buchstaben gibt. Wie viele Wörter man damit bilden kann, wie viele Texte, ohne dass sich irgendwann alles wiederholt und jede Sprache erfunden ist. Und ob es, wenn es denn dann soweit ist, still wird. Ob das Eszett irgendwann noch groß wird? Oder ich überlege warum, wenn ich die letzten Eier, die ich im Kühlschrank auf der Suche nach dem strengen Geruch noch gefunden hab (und die den Geruch nicht verursacht haben), koche, sich kleine Luftblasen bilden und es ausschaut als ob Regen nach oben fällt. Alles mach ich. Nicht einschlafen. Auch nicht, wenn ich mittlerweile militärischer auf mich einschreie: „Los verdammt! Es sind nur noch fünf Stunden und 36 Minuten. Schlaf jetzt. Was soll denn das werden, wenn du morgen nicht ausgeschlafen bist und völlig unkonzentriert vorm PC hängst! Soll man dich dafür bezahlen?! Schlaf verdammt, SCHLAF!“ Keine Chance. Der Grund ist banal. Ich bin ein Angsthase. Schon immer hatte ich Angst vorm Monster unter dem Bett. Dem schwarzen Mann am Fenster. Den schwarzen Vögeln die kommen, um mich mitzunehmen. Seit ich denken kann, schlaf ich immer in der Ecke, weit weg von Tür und Fenstern. In mir die Frage, was ich mache, wenn ein Mörder aus Lust und Laune heut zu mir kommt. Mich wimmernd unter dem Bett verkriechen kann ich nicht. Da sind die Monster. Auf den Balkon und dann nach unten flüchten kann ich nicht. Da ist der schwarze Mann. Schlaf wäre wirklich erlösend. Ich geb mir große Mühe damit. Wenn ich pünktlich ins Bett gehe wälz ich mich aber nur von einer Seite zur anderen. Geh ich drei Tage so zu Bett, dass ich exakt fünf Stunden Schlaf hätte und nach dem dritten Tag eigentlich wie ein Stein umfallen müsste, wälz ich mich wieder. Rooibostee: wälzen. Schäfchen zählen: wälzen. Es macht mich wahnsinnig! Und es ist nicht so, dass es allein dabei bleibt. Im Winter hab ich dabei wenigstens meine Ruhe. Im Sommer nicht. Da werde ich zu allem Überfluss von Nachbars Balkon aus unterhalten. Wenn ich meine Neugier abschalten könnte, würde ich einfach nicht hinhören und vielleicht irgendwann aus Langeweile die Augen schließen. Aber Neugier ist ein Zwang. Ich muss meine Vorurteile den Menschen mit den rasierten Köpfen gegenüber erneut bestätigen. Und heut ist der Stiefvater da. Der kommt einmal im Monat und ist dabei jedes Mal voll wie das Maß. Und jedes Mal hat er andere Probleme die er vom Balkon rufen muss. Heute ist es folgendes:
„Du Arschloch! Ich hab dich als meinen Sohn gesehen, als guten Nazi (ungelogen, das hat er gesagt) und du hättest alles von mir haben können. Ich weiß nicht ob du das begreifst, was alles ist! Nämlich ALLES! Aber du, du blödes Arschloch hast mir wehgetan. Im Herzen. Und in der Seele. Verstehst du? In der Seele. Die hast du zerstört. RAUSGEBRANNT. Du Arschloch!“
Dann geht das wieder von vorn los. Drei Stunden in Endlosschleife. Kleiner Schmankerl sind lediglich die kurzen Unterbrechungen durch schepperndes Glas, einem Pochen auf den (ich vermute es) Tisch, das meine Wand vibrieren lässt und einem Geräusch, das sich so anhört, als würde jemand auf eine Kuh treten. Wie ein Schmerzenslaut der irgendwie gemuht wird. Und man könnte schon denken: Yeah, einer weniger! und auf das Geheul von Sirenen warten. Aber eh die sich gegenseitig was antun (außer Herzen brechen und Seelen raus brennen) besinnen sie sich und gehen an die frische Luft: Parolen schreien.Und ich hab Angst vorm Schwarzen Mann, dabei ist es doch der Braune, der vorm Balkon steht.
Titel: Das Papierhaus
Autor: Carlos Maria Dominquez
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Brennen muss Salem
Frankfurt am Main. Tja. Ich hatte mir vorgenommen, etwas Positives sagen zu können. Allein, weil ich gern dagegen bin. Wenn mir alle sagen, dass es eine furchtbar hässliche Stadt ist, kann ich das nicht glauben. Schlimmer als Berlin geht’s nimmer, denk ich. Also muss doch was Nettes dran sein. Ich fahr hin. Und erlebe eigentlich gleich da den ersten Reinfall. Nicht der Stadt zu verdanken, sonder mir, weswegen das als Minuspunkt nicht zählt. Ich hab keine Umweltplakette. Was ich erst am Umweltzonenschild merke. Da wo es keine Wendemöglichkeit mehr gibt. Das ist ein Minuspunkt. Drauf geschissen könnt ich denken und jetzt weiter fahren, wo eh alles verloren ist. Aber mach ich nicht. Will der Gefahr des Angehaltenwerdens soweit wie möglich aus dem Weg gehen und fahre ins erstbeste Parkhaus. Welches gut gepfefferte Preise hat. Zwei Euro neunzig die Stunde. Ab der Sechsten dann aber schon den Tagessatz von neunundzwanzig Euro. Mensch, das is doll. Der zweite Minuspunkt. Den Dritten gibt es gleich, als ich auf die Straße getreten bin, weil ich eigentlich die zwei Stunden Fahrt in den (trotz Umweltzone dreckigen) Wind schlagen möchte und nur zurück will. Weil es ist laut, beklemmend und beklemmend. Ich merk, ich bin ein Kleinstadtmensch. Und einer der keine hochstehenden Kragen mag, keine Bonzenkarren, keine spiegelnden Fenster. Egal. Musst du durch. Wenigstens auf den MainTower hoch. Und durch die Sicherheitskontrolle durch.
„Sie haben da eine Flasche im Rucksack!“ Tatsache. Fast vergessen.
„Japp!“
„Was is da drin?“
„Wasser.“ „Aha!“
„Soll ichs hier lassen?“
„Nee nee is schon okay. “ Sicherheit geht hier vor. Die Aussage reicht völlig und das Taschenmesser daneben wird einfach missachtet. Wenn das stets so ist: noch ein Minuspunkt. Die Aussicht ist okay. Nicht schön. Aber faszinierend hässlich. Alles Grau. Wenn das die Momo sehen könnte! Aber ich muss auch noch an einen ganz anderen Film denken, wenn ich hier stehe. Ich hab endlich das Ende von Fight Club voll erfasst. Ein Nullpunkt für diese Stadt, das wär‘s. Von daher, für die Erkenntnis, ein Pluspunkt.
Am Ende bin ich aber froh, dass ich wieder zu Haus bin. Wo man in zehn Minuten auf dem Rad im Grünen ist. Und wo man an Orten vorbeiradelt, an denen es nicht nach Auspuff riecht, sondern nach Kindheit: Pommes und Chlor.
Titel: Brennen muss Salem
Autor: Stephen King
Verlag: Heyne
Preis: € 8,95