07 Januar 2013
02 Januar 2013
Eine unbeliebte Frau
In meinem Auge muss gerade eine Ader geplatzt sein. Ich weiß das. Das
passiert immer, wenn ich meinen Ärger unterdrücke und in mich rein presse. Eine
ganze Weile geht das gut. Wie bei einem Kürbis, den man zu Halloween vor die
Tür stellt und dann bis Weihnachten vergisst. Der sieht auch noch eine ganze
Weile schick aus, platzt aber irgendwann doch auf, weil er das ganze Wasser
nicht mehr halten kann. Ich wurde aber nicht vor der Tür vergessen. Ich stehe
in einem, sagen wir etwas edlerem Laden, mit zwei-Euro-Flip Flops, zerbeulter
Leinenhose und ausgewaschenem T-Shirt bekleidet an der Kasse und fühle mich fehl
am Platz. Die Kassiererin denkt das auch, habe ich so das Gefühl. Denn vor zehn
Minuten stand ich schon mal hier. Da hatte sie mich weggeschickt. Aber ich habe
eine Mission. Und die muss ich erfüllen. Sie lautet: „Schatz, kannst du bitte
meinen Anzug abholen?“ Klar kann ich das. Reingehen, Bestellzettel abgeben, bezahlen,
Anzug mitnehmen, rausgehen. Sollte doch drin sein. Reingehen ging auch prima.
Da hatte ich keine Probleme, hat alles gut geklappt. Die Tür ging auf, ich bin
ohne Stolpern durchgegangen und stand dann drin. Beim Bestellzettel aber wurde
es bereits schwierig. Für die Kassiererin. „Das geht so nicht, das können se
nicht bei mir abholen. Da müssen sie erst in die Schneiderei. In der dritten
Etage. Ich kann ihnen da nicht weiterhelfen.“ hat sie gesagt. Gut, das hab ich
dann auch gemacht. Ich bin mit meinem Bestellzettel in die dritte Etage, hab
mich dort in die Schlange gestellt und der netten Schneiderin nach zehn Minuten
warten gesagt, dass ich gern den Anzug gegen den Bestellzettel hätte. Sie nimmt
mir den Bestelltzettel immerhin kurz ab und reicht ihn mir nach einem Blick
darauf zurück. „Das können se hier nicht abholen. Da müssen se erst zur Kasse
in der ersten Etage und den Anzug bezahlen.“ Aha. Das ist ja toll. Und wie
erklär ich der Kassierin, dass ich was bezahlen will, was mir keiner geben
kann? Kein Problem, sie schickt mir den Anzug mit der Hauspost runter, sagt die
Schneiderin. Na gut. Dann lauf ich wieder runter und stell mich wieder in die
Schlange von der hilfreichen Kassiererin. Warum eigentlich hast du das gemacht,
fragt mich mein pochendes Auge jetzt? Das hätteste doch alles vermeiden können,
hättest du dich nebenan angestellt, wirft es mir vor. Recht hats ja, nützt mir
jetzt aber auch nichts mehr. Nun hab ich mir folgendes Gespräch schon
aufgeladen:
„Hallo ich würde es gern noch mal probieren, diesen Anzug abzuholen,
der hier auf dem Abholschein steht.“
„Ich hab Ihnen doch aber eben schon erklärt, dass sie das bei mir
nicht können. Gehen Sie bitte noch mal in die Schneiderei und holen ihn dort
ab!“
„Nee nee, die in der Schneiderei haben mich hergeschickt, damit ich
den Anzug erstmal bezahle.“
„Ach so. Na das hätte ich Ihnen auch gleich sagen können, dass Sie den
Anzug erst bezahlen müssen, bevor sie den mitnehmen können.“
„Aha. Schön. Und warum haben Sie das nicht getan?“
„Na ich hab das auf Ihrem Zettel schon gesehen, dass der noch nicht
bezahlt ist. Da war mir gleich klar, dass Sie den nicht bekommen.“
„Ja toll. Da hatten Sie ja jetzt einen schönen Spaß. Kann ich den
Anzug dann jetzt bitte bezahlen, mitnehmen und gehen?“
„Ja könnten Sie. Wenn auf ihrem Bestellzettel ein Preis stehen würde.
Tut es aber nicht. Sie müssen mir den anderen Zettel geben.“
„Welchen anderen Zettel?“
Jetzt kommt eine nützliche Antwort: „Na den anderen Zettel!“
„Ich hab keinen anderen Zettel!“
„Müssen Sie aber!“
„Hab ich aber nicht bekommen!“
Jetzt kommt eine höfliche Antwort: „Also junge Dame, wenn Sie das
nächste mal für Ihre Mutti einen Anzug bei uns abholen, müssen Sie sich von Ihr
ALLE Zettel geben lassen, die sie von uns bekommen hat!“ sagt sie und schaut
mich noch mal von oben bis unten und wieder zurück an, um mir zu verdeutlichen,
wie wenig ich hier rein passe.
„Ähm… was.. Wie Bitte?“ stammel ich, von soviel Unerschrockenheit
überrumpelt.
„Alle Zettel. Haben Sie das nicht verstanden?“
„Zettel, ja doch, ich weiß was ein Zettel ist. Klein, weiß, meistens
aus Papier und ab und an steht da auch was drauf. Praktische Dinger. Und als
ich hier den Anzug ausgesucht habe, gabs nur einen davon. Also sind sie wohl
jetzt ganz auf sich gestellt und müssen rausfinden, was der Anzug kostet.“
„Ja herrlich! Jetzt muss ich zum Computer laufen und die Nummer
eingeben. Und das, wo so viele hinter Ihnen warten, die auch an die Reihe
kommen wollen!“ Ja tatsächlich, da hat sich mittlerweile eine kleine
Menschentraube angesammelt. Frauen und Männer um die vierzig mit Marco Polo
Shirts, oder was man sonst so heute zum Golfen trägt. Alle starren mich an. Am
liebsten möchte ich ihnen erklären, das weder ich noch meine Mutti was dafür
können, dass diese Frau hier gerade ihre Nerven verliert. Das Kopfschütteln und
„tsstss“ der Damen und Herren, werde ich damit aber kaum übertönen können. Is
ja gleich vorbei, die Frau hämmert die Nummer schon in ihren PC. Gleich bin ich
weg. Und prompt kommt die Kassiererin und hat eine super Frage parat:
„So, ich hab den Preis jetzt gefunden. Ganz schön teuer der Anzug, hat
Ihnen Ihre Mutti das gesagt? Haben Sie soviel Geld überhaupt dabei?“
„Ich glaub mein Schwein pfeift! Was bitte? Ob ich soviel Geld dabei
habe?“ frag ich, leg ihr den weißen Umschlag auf den Tisch und überlege, ob ich
ihn nicht hätte werfen sollen. Da kommt die Schneiderin mit dem Anzug, da die
Hauspost heute nich funktioniert, erkennt sofort die Lage und legt mir ihre
Hand auf die Schulter: „Nehmen Sie das hier nicht zu Ernst, das ist unsere Art
Spaß zu machen!“ Super denk ich, brummel noch weiter Flüche in mich hinein, als
ich mit einem 1m x70cm großen Einkaufsbeutel davon trotte und bis nach Hause
Werbung für diesen Laden laufe. Dort angekommen seh ich im Internet, dass sogar
online ein Formular zur Verfügung gestellt wurde, mit dem man sich über die
Behandlung beschweren kann. Immerhin was. Aber das rauskommen aus dem Laden,
das ging dann wieder gut, wollte ich noch sagen. Tür ging auf und so.
Der Titel ist gemopst bei Nele Neuhaus