Bald
ist Halbzeit. Und ich kann immer noch nicht glauben, dass ich am anderen Ende
der Welt sitze. Vielmehr suche ich nach den Holzstützen hinter der
vermeintlichen Kulisse. Es ist unfassbar, wie mich dieses Land aus der Bahn
wirft. Morgens wache ich auf, weil mich die bereits jetzt rot glühende Sonne an
der Nase kitzelt, und das Erste was ich sehe ist der Ozean. Ein gut riechender,
salzig schmeckender und funkelnd glitzender Ozean, den ich nicht mehr hergeben
will. Der mir freigiebig seine größten Schätze zeigt und mich mit kunstvollen
Küsten lockt, mich aber auch gewalttätig in die Tiefe drückt und dabei gefühlte
Minuten lang atemlos macht. Der Freiheit verspricht und doch immer wieder zurück
kommt. Zu diesem Land voll von verrückten, bunten, liebenswerten, offenen
Menschen. Voll verrückter, bunter, fremdartiger, neugieriger Tiere. Voll von schwindelerregenden
Bergen, schwindelerregenden Brücken und schwindelerregenden Dünen. Frei von
TÜV, Pudelmützen und Elektronikfachgeschäften. Ich weiß nicht, ob ich sagen
kann, dass ich auch zurückkommen möchte, da ich momentan noch nicht daran
denken mag, überhaupt gehen zu müssen. Auch wenn natürlich nicht alles perfekt
ist. Die Sicherheitsbedenken lassen sich nicht von der Hand weisen. Im Dunkeln
zu Hause sein zu müssen, trifft mich nicht allzu hart. Nicht ordentlich Fahrrad
fahren zu können hingegen schon. Der Verschleiß an Fahrrädern und deren
Zusatzteilen ist sehr hoch. Von drei Fahrrädern und vier Schlössern wurden
bereits zwei Schlösser und ein Rad geklaut, was einen sehr langen und temporeichen
Fußmarsch in der Abenddämmerung zur Folge hatte. Beim zweiten Rad konnte man
den ersten, zweiten und dritten Platten noch verkraften, aussetzende Bremsen am
Berg hingegen nicht. Das dritte Rad leidet darunter regelmäßig die Pedale zu
verlieren, da es an passenden Muttern zur Befestigung mangelt. Ich könnte es in
Betracht ziehen zu Fuß zu gehen, was aber an zu großen Distanzen und daran
scheitert, als deutsche Juristin und damit als mögliches Raubziel sofort
erkannt zu werden. Ich kann es nicht mehr an meinen Fingern abzählen, wir oft
ich diesbezüglich schon identifiziert wurde. Und vor allem wie schnell. Im
Durchschnitt liegt die Quote unter einer Minute. Das hat irgendwie was Deprimierendes,
weil ich mir bisher immer erfolgreich eingeredet habe eben kein Stereotyp zu
sein. Die Möglichkeit sich den ersten eigenen Wagen anzuschaffen scheitert am
Geld, was ich mittlerweile ja allen, das heißt eigentlich dem einen, Fahrradhändler
vor Ort in den Rachen geworfen habe. Und so radel ich vorerst weiter mit einem
Pedal durch die Stadt und werde meinem Ruf als „crazy bicycle lady“ gerecht.
Der andere anzusprechende, nicht so perfekte Punkt ist eigentlich selbst
verschuldet und betrifft das Essen. Als auf Milchprodukte allergisch
reagierende Vegetarierin hat man es nicht leicht. Denn die Menschen hier lieben
zwei Sachen: Fleisch und Milch. So sehr, dass am Quängelregal der Kassen neben
Snickers und Zuckerbonbons auch ein umfangreiches Sortiment an Trockenfleisch
hängt. So sehr, dass man beim Bäcker scharf darauf achten muss keine mit
Nierchen gefüllten Teilchen zu erwischen. So sehr, dass sich vorm Besuch eines
Restaurants die Frage lohnt, ob überhaupt eine Speise ohne Tier auf dem Plan
steht. So sehr, dass es hier mehr KFCs als Tankstellen gibt. Aber dem
Fleischwahn kann man noch entgehen. Mit der Milch, da wird’s schon schwieriger.
Da fällt der morgendliche Kaffee weg, es sei denn, man steigt endlich mal auf
die Männervariante um und trinkt schwarz. Ebenso hat man auf Butter, Käse, Joghurt,
Quark, Brötchen und vor allem Schokolade zu verzichten, von denen man zu Hause
prima Ersatzprodukte gewöhnt war. Ehrliche, unverarbeitete Lebensmittel gibt es
kaum. Selbst Reis, Couscous und Frühstücksflocken gibt es nur in verarbeiteter
Form und natürlich mit extra Laktose zugesetzt. Ist man jetzt noch pingelig,
was das extrem süße Essen angeht, umfasst der Verzicht auch Fruchtsäfte,
Ketchup und Marmeladen. Da bleibt nicht allzu viel für den Küchentisch. Mein
Speiseplan besteht daher aus gekochten Haferflocken, einer Unmenge an Eiern und
Senf, Nudeln, Roibuschtee, Knäckebrot, roten Bohnen, weißen Bohnen, grünen Bohnen
sowie dem Obst und Gemüse, was es gerade gibt. Wobei man sich auch daran
gewöhnen muss, dass „was es gerade gibt“ auch so gemeint ist. Jeden Tag das
gleiche Angebot wie bei uns ist halt nicht drin. Aber ehrlich gesagt, dieser
Ozean, dieses Land, das wiegt das alles mit links wieder auf.
Der
Titel ist gemopst bei Daniel Glattauer