29 März 2013
Gut gegen Nordwind
Alles scheint hier ein bisschen
extremer zu sein. Das Essen schmeckt süßer, das Wetter ist unberechenbarer und
die Menschen sind gelassener. Das meiste davon gefällt mir. Und alles davon
mache ich mit. Es hat nur ein paar Momente gedauert, bis ich Schokolade mit 50%
Kakaoanteil als Bitterschokolade akzeptiert habe, bis ich mit einem tiefen
Grinsen sowohl Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 40 als auch einen dicken Pulli
in den Rucksack gepackt habe und bis ich entschieden habe, dass es auch hier
ein Fahrrad sein muss. Auch wenn es sehr schwierig war, an ein Fahrrad zu
kommen, liebe ich es nun durch Sandstürme, an Buschfeuern vorbei oder an der
Küste mit Sicht auf springende Delfinen zur Uni zu fahren und dabei so gut wie
immer den Geruch von kaltem, salzigen Wasser in der Nase zu haben. Natürlich,
die Menschen möchten einen gerne anfassen, weil man eine Rarität ist. Nicht
wegen der Hautfarbe, sondern wegen des pinken Rades unterm Hintern. So was
schafft man sich nur an, wenn man Extremsportler oder Lebensmüder ist. In der
Regel sehe ich keinem von beiden ähnlich. Dem Lebensmüden nicht, weil ich mich
mit Vorsicht lieber auf Fußwegen fortbewege, anstatt von plötzlich endendem zu
plötzlich endenden Radwegen zu wechseln oder, Gott bewahre, mich auf die Straße
traue. Den Extremsportler nimmt man mir auch nicht ab. Zum einen habe ich das der
tiefen Zweifelsfalte auf der Stirn des Verkäufers entnommen, als ich versuchte
zu erklären, dass ich die schicken Rennräder zwar prima finde, ich aber eher
etwas Praktisches suche. Zum anderen konnte ich das der Bemerkung meines
Surflehrers entnehmen, der mich liebevoll Couch-Potato genannt habe, als ich
erzählt habe, dass ich auch ab und an Rad fahre. Dennoch gebe ich mein Bestes,
das Rad und mich zu quälen, um so viel wie möglich mitzunehmen, von allem, was
diese Ecke der Erde bietet. Denn so wie sich dieser bisher präsentiert hat,
muss man in ihn Herz schließen und nicht mehr hergeben wollen. Wo sonst hat man
ein Büro mit Blick auf Seen an denen Zebras grasen? Wo sonst sieht der Strand
alle zehn Meter völlig neu aus? Wo sonst geht im ganzen Viertel das Licht aus,
wenn sich ein Gewitter über das Meer in die Stadt unterwegs macht? Und wo sonst
stellt sich dann ein kleines Mädchen an mein Bein, während ich mit der Kamera
Blitze jage, und fragt völlig selbstverständlich: „What are you doing? I`m
afraid!“ Wo sonst, stellt man sich wie der letzte Vollidiot an, wenn man sich
dann doch mal in ein Auto setzt und registriert, das links fahren schwierig
ist. Vor allem, weil man den Scheibenwischer und den Blinker ständig
verwechselt und so für ein heiteres Vergnügen für zehn Kinder auf dem Truck vor
einem sorgt? Wo sonst findet man Muscheln, die nicht in die Hosentasche passen?
Ich weiß es nicht. Und momentan freue ich mich nur, auf die Monate die noch
bleiben.
Der Titel ist gemopst bei Daniel
Glattauer
25 März 2013
16 März 2013
Der fliegende Koffer
Ich dachte ich werde
nervös, wenn ich beim Arzt sitze und mir eine Impfung nach der nächsten in den
Arm jagen lasse. Eine gegen Leberschnupfen, eine gegen Hepatitis B, eine gegen
Zeckenbisse. Stattdessen bekomme ich unerwartet ein paar Tage frei, da mein
Immunsystem mit der vollen Ladung überfordert ist und die Führung auf die Couch
übernimmt. Das nimmt mir ein paar Tage ab, an denen ich mich fragen könnte, ob
das eigentlich alles gut überlegt war, als ich entschieden habe, den
Arbeitsplatz zu verlegen. Oder ob aus einer Schnapsidee langsam eine Realität
wird, die irgendwie unpassend erscheint. Unpassend, weil ich Flugangst habe,
enge Räume eher weniger mag und kurzzeitig katatonisch werde, wenn ich jemandem
auf Englisch erklären soll, wie der Colaautomat funktioniert. Aber gegen
Flugangst kann man sich behandeln lassen, in engen Räumen kann man sich Platz
verschaffen und die englische Sprache – nun ja, man kann sie improven.
Ich dachte ich werde
nervös, wenn ich ein halbes Leben in einen Koffer stopfen muss, den ich dann
auch selber tragen können soll. Stattdessen bestelle ich den Sperrmüll und
sortier aus. Warum kleckern, wenn man glotzen kann. Ganze Schränke und Tische
kommen raus. Damit es aufgeräumter ist, wenn ich wieder nach Hause komme. Und
was wichtig ist und mit muss, ist eigentlich sowieso klar. Die liebsten Kameras,
das standfesteste Stativ und die flutschigsten Stricknadeln.
Ich dachte ich werde
nervös, wenn ich meinen Büroschlüssel abgebe und Instruktionen zum Blumengießen
gebe. Stattdessen freue ich mich über eine sinnvolle Untervermietung meines
Wasserkochers und einen Arbeitsplatz mit Sicht auf den Indischen Ozean. Der
digitale Aktenordner wird gepackt und in die Hosentasche gesteckt sowie Blumensamen
mit hohem Kraftaufwand im noch gefrorenen Erdboden versengt.
Ich dachte ich werde
nervös, wenn ich im Flugzeug sitze und mich von Luftlöchern durchschütteln lasse.
Stattdessen wäge ich ab, welche Umstiegserfahrung skurriler war: die Nutzung
eines Zuges, um möglichst zügig von Gate zu Gate zu kommen oder das Rennen mit
25 Kilo auf dem Rücken zunächst zum Gepäckband und dann zur Sicherheitskontrolle,
damit ich dann, ohne Schuhe an den Füßen und mit dem Gürtel noch in der Hand,
mit rutschender Hose zum letzten Flugaufruf komme.
Ich dachte, ich werde
nervös, wenn ich merke, dass ich in der ersten Nacht vergessen habe, die
Wohnungstür zu zumachen. Stattdessen schlafe ich wie ein Stein und wache am
nächsten Morgen mit dem Meeresrauschen vor der Tür auf, trinke Kaffee bei 25
Grad auf dem Balkon und beobachte Grashüpfer von der Größe meiner Faust. Alles
ist in Ordnung. Ich bin zufrieden. Ich bin da. Südafrika.
Titel ist gemopst bei
Hans Christian Andersen