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24 Oktober 2010

Zeit-Raum Fortschritt

Alles ist erleuchtet


Ich habe nichts geschrieben, weil es nichts zu erzählen gab. Seit Wochen kann ich nur erzählen, wie die Holzmaserung auf dem Schreibtisch ausschaut, der nicht einmal aus Holz besteht. Oder davon, dass ich Paragraphen wälze, vor und zurück und dann meistens nochmal vor. Oder dass ich in den Pausen aus dem Fenster starre und dem Nachbarn beim Windeln wickeln beobachte und dabei, wie er jemanden gegenüber beobachtet, der über roten Backsteinbüchern hockt und sich Kaffee und Schokolade hineinkippt. Oder davon, dass ich am Wochenende aufstehe, wenn die Sonne noch nicht aufgegangen ist, nach Hause kommen, wenn die Sonne schon lang untergegangen ist und ich in der Zwischenzeit in einem kleinen Kämmerchen sitze, mit 12 anderen Referendaren, die sich voller Panik nochmal alles im Schnelldurchlauf einhämmern lassen wollen. So sehen meine Tage derzeit aus. Alles andere als erzählenswert. Auch wenn ich‘s dennoch mache jetzt, das Erzählen. Denn im Prinzip bekomme ich nichts mehr mit, von der Welt da draußen. Nichts vom Jahreszeitenwechsel oder Tunnelbahnhöfen. Aber die Familie liest Zeitung und berichtet über alles für mich Wissenswerte – wo gibt es günstigen Ökoschnittlauch, welche Ernährung ist gut für perfekte Gehirnarbeit und wo kann ich mich bewerben. Nicht für einen Job. Sondern dafür kostenlos Bilder zu machen. Wo ich als Gegenleistung nochmal in die Location überhaupt reindarf. Dazu muss man wissen: bei dem Rückzug in die Heimatstadt und einer der ersten Spaziergänge durch die Stadt, stand sie immer noch da. Eine Druckerei, seit zwanzig Jahren geschlossen und sich selbst überlassen. Beim langsamen Vorübergehen öffnete sich die sonst mit Eisenschrauben verrammelte Tür und hat mich leise hineingebeten. In eine sechstausend Quadratmeter Industrieruine, die ausschaut, als hätte man sie in aller Eile verlassen. Alles ist noch da – die Buchhaltung, die Druckmaschinen, die Bücher. Über allem nur der ruhende Staub. Und ich bin ohne Kamera unterwegs. Das passiert mir nie wieder. Denn ich möchte nicht noch einmal bald jeden Tag vorbeischauen müssen, ob die Türen noch einmal offen sind. Denn das waren sie nie. Als wäre die Ruine ein eifersüchtiges Weibsstück, dass mir sagt, ich hätte meine Chance vertan. Verständlich, dass ich alle Bücher und Schemata von mir geworfen hab, als ich von der Ausschreibung erfuhr. Und da Juristen und solche die es werden wollen, sowie Politikwissenschaftler gut im Reden sind, zaubert man eine formschöne Bewerbung in 964 Zeichen hin und wird genommen. Yeah. Da freut man sich. Und ist aufgeregt. Jetzt darf man zusammen mit neun anderen Fotografen, gestellten Lichtanlagen und Models drauflos fotografieren. Super. Auch für Verpflegung ist gesorgt, wobei Mettbrötchen und Hanuta für einen laktoseintoleranten Vegetarier eher unpraktisch sind, aber wir sind ja auch nicht zum Essen da. Sondern, um gemeinsam schicke Bilder entstehen zu lassen. Denkt man. Aber ich bin geläutert. Fotografen sind auch keine besseren Menschen – wie ich das vorher gern mal glorifiziert habe. Eher noch schlimmere Egoisten mit noch dickeren Ellenbogen. Da werden Models gehandelt als wären sie kleine Thaimädchen und Uhren in etwa so berücksichtigt, als befände man sich in einem Wunderland, in dem die Zeit stillstünde. Das kleine lockige Mädchen wird müde belächelt, denn es ist vermutlich nur aufgrund des Alterbonus da (Zweiundzwanzig? Nicht ganz, aber danke für die Schätzung!). Und was es hier veranstaltet sieht auch sehr merkwürdig aus. Wer legt sich schon auf den Boden, in dem sich der Dreck der letzten zwanzig Jahre befindet und robbt hin und her, bis die richtige Perspektive gefunden ist. Richtige Fotografen machen sich nicht schmutzig. Außerdem ist es irritierend, dass sie von dem vorhandenen Licht nichts wissen will und die Mädchen stets nur auf und ab hüpfen lässt. Was soll denn da schon rauskommen. Richtige Fotografen machen immer wieder dieselben Porträtaufnahmen. Oder denken sich richtig was aus. Was mit Format und Stil. Zum Beispiel, wenn sie ein Graffiti eines Riesenbabys an der Wand sehen, dann wissen sie sofort was zu tun ist: „Hey Mädchen, ich will dass du jetzt hier für mich mit dem Baby an der Wand schmust!“ Mensch, mal ganz im Ernst, das hat genauso viel Stil wie Bilder mit ner Banane im Mund oder Milchtüten in der Hand.

Titel: Alles ist erleuchtet
Autor: Jonathan Safran Foer

10 Oktober 2010

Let's make clouds!

Zitat


„Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was sagt dann ein leerer Schreibtisch über den Menschen, der ihn benutzt aus?“