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10 August 2011

english summer rain



Veronika versucht zu sterben


Wie das so ist, wenn man das erste Mal in eine eigene Wohnung zieht: Man möchte sie gern ultraschick einrichten, hat aber keinen Pfennig in der Tasche. Keinen für Ikeabettwäsche, keinen für Ikeapapierlampenschirme und keinen für Küche, Bad und Sofa. Man hat also nichts. Außer ein paar Verwandten und Bekannten, die jetzt ihre Chance gekommen sehen, um ihren Dachboden, den Keller und die Garage endlich mal richtig auszumisten. Und so sammeln sich bei einem selbst Sachen an, die eigentlich schon vor Jahren auf den Müll gehört hätten. Aber wahrscheinlich waren sie mal teuer oder man hat sie mal von jemandem geschenkt bekommen, den man nicht kränken wollte. Da ging das mit dem Müll nicht. Aber für die erste Wohnung der Tochter/Enkelin/Nichte/Nachbarin, ja dafür ist das jetzt doch ganz praktisch. Unter dem ganzen Kram, der sich dann in dem ersten Jahr in meiner Wohnung angesammelt hat, war sie dann auch dabei. Meine Lampe. Meine Lampe, damit meine ich ein hässliches Stück Holz, umrahmt von goldenen Schnörkeln und gekrönt von drei hauchdünnen aber melonengroßen weißen Glaskugeln. Diese Lampe wog mindestens zwanzig Kilo und war schon so alt, dass es eine Herausforderung war, dafür Energiesparlampen zu finden. Die ersten paar Jahre haben lediglich Lampen reingepasst, die leider so lang waren, dass für die Glaskugeln kein Platz mehr war und im Endeffekt ein Stück Holz mit drauf geschraubten Energiesparlampen an der Decke hing. Da hatte selbst eine einzelne Glühbirne am Kabel mehr Stil. Und das hat sich auch nicht so weggeguckt wie das Fettfleck an der Tapete, das entstanden ist, als man merkte, dass das Pizzablech aus dem Ofen doch recht heiß ist und man das Blech sofort loslassen muss. Also war ich einmal im Monat im Baumarkt, um zu schauen, ob man nicht mittlerweile soweit ist, dass man kleine Energiesparlampen hat, die ich nutzen kann. Und in den acht Jahren, die die Entwicklung derart kleiner Energiesparlampen gedauert hat, hab ich sie wirklich lieben gelernt diese hässliche Lampe. So sehr, dass sie zwei Umzüge mitgemacht und mittlerweile auch einen Namen erhalten hat, der zur ewigen Liebe verpflichtet. Weil, irgendwie ist es ja auch was Besonderes, etwas sein Eigen zu nennen, was seit fünfzig Jahren (eigentlich zu Recht) nicht mehr produziert wird. Ich mein, da kaufen sich andere auf Retro gemachte Sofas, Kaffeemaschinen und Telefone- warum dann nicht diese Lampe? Warum nicht? Und, man mag es kaum glauben, seit zwei Monaten werden auch Lampen produziert, die klein genug sind, um in ihre Fassung zu passen UND die es dennoch erlauben die Glaskugeln oben drauf zu montieren. Die verschlingen zwar drei Taschengelder, hätte ich in der zwölften Klasse gesagt, aber das ist es ja wert! Ein Prachtstück! So ein Prachtstück, das der Rest der Wohnungseinrichtung jetzt nach ihrem Vorbild gestaltet wurde. Sie gibt hier also quasi den Ton an, in der neuen Wohnung. Das hab ich ihr auch gesagt, das mit dem Ton angeben. Mittlerweile muss ich aber vermuten, dass sie das falsch verstanden hat, das mit dem Ton angeben. Denn wie soll sie einen Ton von sich geben? Sie kann ja nur hell scheinen und ganz minimal Wärme angeben. Aber laut sein? Krach machen? Ein richtiges Tam Tam? Da ist ihr nicht viel eingefallen. Da gibt es ja eigentlich auch nur eine Möglichkeit. Und die heißt, bedauerlicherweise: abwärts! Und damit das jeder hört, um drei Uhr in der Nacht. Da stehen nicht nur ich, sondern auch sämtliche Nachbarn im Bett, wenn sie da von 2,50m Höhe in freiem Fall auf die Erde zusaust und unten mit einem lauten Klirren aufkommt. Und die milchigen Glaskugeln in tausende Splitter zerspringen. Und die neuen Energiesparlampen dazu. Klasse. Toller Ton. Tolle Töne! Waren ja gleich ganz viele auf einmal. Das splitternde Holz, das Krachen auf dem Parkett, das Reißen des Glases, das Fliegen der Splitter in alle Ecken. Haste bloß nicht richtig nachgedacht, schimpf ich mit ihr- jetzt biste doch hin! Im Eimer. Nicht mehr zu gebrauchen. Was soll denn das bitte? Argh! Da guckt er mich ganz schuldbewusst an, der Haken, der jetzt ein großes Loch in die Decke gerissen hat, als er mit der Lampe nach unten gesegelt ist. Als wärs nicht seine Schuld. Hach. Menno. Mist und Biberkacke! Ich lass den ganzen Kram erstmal liegen und geh wieder ins Bett. Ich kann die Leichenteile auch noch morgen aufsaugen und dabei traurig sein. Aber während ich im Bett liege und versuche vor lauter Wut wieder einzuschlafen fällt mir die Warnung einer Freundin wieder ein: “Bist du irre? Du benutzt Energiesparlampen? Da ist doch Quecksilber drin. Wenn das ausläuft, ey davon kannste dumm werden. So richtig blöde! Pläm pläm halt.“ Hm. Im Nebenzimmer liegen jetzt drei aufgebrochene Energiesparlampen. Und die Ritzen in der Tür sind groß genug, dass das zu mir rüber dampfen kann und ich dann beim Schlafen pläm pläm werde. Ich bin aber müde und wütend. Ich will das jetzt nicht wegsaugen. Also was mach ich? Was bleibt mir groß? Ich beuge vor! Damit ich nicht blöde werde, setz ich mich in mein Bett und mach Kopfrechenaufgaben. Vier mal Vier ist sechszehn. Bist noch nicht blöde. Puh. Glück gehabt. Aber war ja auch noch einfach. Mal schauen, wie weit du kommst. Fünf mal fünf, fünfundzwanzig, sechs mal sechs, sechsunddreißig, sieben mal sieben (jetzt wird’s schwieriger da die Zahl die jetzt kommen muss nicht auch mit sieben anfängt) ist neunundvierzig. Oder. Ich muss an den Händen nachzählen. Fünfunddreißig, zweiundvierzig.. ja stimmt. So, jetzt acht mal acht … hui, das ist schwierig. Achtundfünzig, zweiundsechzig … Mist ich muss nachzählen! Ich werd blöde. Mist, Mist, Mist. Muss ich doch raus und das Desaster wegsaugen. Bevor mir das Quecksilber alles wegdampft. Noch wütender stapf ich raus, renn in die ersten Scherben und hol meinen Sauger. Stecker rein, auf volle Pulle und los geht’s. Für ungefähr zehn Sekunden. Dann gibt der Sauger ein lautes Husten von sich und macht nichts mehr. Keine Ahnung, ob er sauer ist, weil ich ihn nachts wachgemacht habe oder weil ich ihn mit Scherben, nicht gerade eine Delikatesse, füttern wollte. Wildes Rütteln an der Steckdose und wiederholtes Drücken auf den Schalter helfen auch nicht. Na das habt ihr beiden euch ja prima ausgedacht, dass ihr euch beide zeitgleich aus dem Staub macht. Und wenn ich jetzt noch sage, das tags darauf der Mixer, als er „Wiedergutmachmuffins“ zaubern sollte, mit Pauken und Trompeten den Abgang gemacht hat glaubt mir sicher keiner, der nicht von den Muffins gekostet hat, die einen leichten Geschmack von verkohltem Kabel hatten.

Der Titel ist geborgt bei Paulo Coelho

02 August 2011

Lightshow

01 August 2011

Mord im Gurkenbeet


Halb acht quäl ich mich aus dem Bett. Weil ich pinkeln muss. Eigentlich könnt ich länger schlafen. Heut haben wir extra Urlaub genommen. Aber daran hab ich gestern Abend nicht mehr gedacht, als ich noch einen halben Liter schwarzen Tee trinken musste, bevor ich ins Bett gegangen bin. Das hab ich jetzt davon. Ich schlurfe also aus dem Bett, durch die Stube in den Flur, an der Wohnungstür vorbei, geradewegs auf die Toilette zu. Moment. Einen Meter zurück. Da liegt was bei der Wohnungstür. Ein riesiger weißer Zettel. Sieht aus, wie unter der Tür durchgeschoben. Könnte also wichtig sein. Okay heb ich ihn auf. Was steht denn da?! „Schönen guten Morgen! Ab heute werden die Kanalisationsrohre neu gemacht. Wir bitten Sie daher zu beachten, dass in den nächsten drei Tagen weder die Toilette noch die Dusche benutzt werden können. Vielen Dank für ihr Verständnis!“ Moment. Ich muss kurz die Augen reiben. Da ist noch Schlafsand drin. Hhm. Steht immer noch da. In hellblauer Schrift. Nochmal reiben! Diesmal fester! Das kann nicht sein, das steht immer noch da. Und nen grinsender Smiley ist dahinter. Ey! Was soll denn das? Ich will pinkeln! Ich muss pinkeln! Und duschen! Und die Zähne putzen irgendwann auch. Und vielleicht Wäsche waschen. Und abwaschen auch! Ey! Nochmal! Was soll das? Ich hab dafür kein Verständnis! Nicht jetzt! Nicht heut! Nicht am freien Tag! Huch, guck mal, da liegt noch ein Zettel. Von der Nachbarin. Darauf steht, ich möge beachten, dass es heut schon ab sieben Uhr los geht (klar, ist ja ein Handwerk) und daneben hat sie einen traurigen Smiley gemalt. Super. Da bin ich ja nur dreißig Minuten zu spät dran. Ich hätte jetzt gern einen Zettel zur Hand, auf den ich einen Smiley mit zusammengekniffenen Augen und Knien zeichnen kann. Denn ich muss pinkeln. Und jetzt erst recht. Vielleicht kann ich das ja beim Vermieter tun, der es anscheinend irgendwie verpennt hat, einen rechtzeitig oder überhaupt erstmal darauf hinzuweisen, dass derartige Maßnahmen anstehen. Warum eigentlich nicht. Dass der absichtlicherweise kaum hundert Kilometer von hier entfernt wohnt, soll mich nicht stören. Ich hab ja mein Fahrrad.
Es ist mittlerweile also 07:43 Uhr, ich habe mir irgendeine Hose, irgendein T-Shirt und irgendeine Jacke übergezogen und schwinge mich auf mein Rad. Als Erstes halt ich an einem Bäcker, um 1. zu pinkeln, 2. Brötchen zu kaufen und 3. literweise Kaffee zu trinken, um auch ja wieder voll zu sein, wenn ich beim Vermieter ankomme. Man könnte sagen, ich sei wütend. Aber wütend schmeckt der Kaffee auch ganz gut. Bisschen bitter, leicht gallig, aber das passt zur Situation. Dann kann ich mich erneut aufs Rad schwingen und in den ersten zehn Kilometern genüsslich planen, was ich mache, wenn ich am Ziel angekommen bin. Nur fragen: darf ich zur Feier des Tages ihre Toilette benutzen reicht irgendwie nicht. Vielleich sollte ich warten, bis es dunkel ist und dann auch mal einen schönen Zettel schreiben. Zum Beispiel: „Die nächsten fünf Tage bitte nicht vor die Tür gehen! Chemieunfall! Erstickungsgefahr!“ oder „Der Hinweis kam leider zu spät. Ihre Mieter haben die Toilette dennoch genutzt. Dies führte zu einer Verunreinigung des Grundwassers in der Umgebung. Bitte kommen sie für den dadurch entstandenen Schaden auf!“ oder „Leider gelang es mir aufgrund der kurzfristigen Information über die Unmöglichkeit der Nutzung der Wohnung nur noch ein Hotelzimmer im hiesigen Fünfsternehotel zu beziehen. Anbei lege ich die Rechnung. Ich bitte um sofortige Begleichung des Betrages. Hochachtungsvoll. Ihre Mieter.“ Warum geizen? Warum nicht alles auf einmal? Heidewitzka, das wird ein Spaß! Mit derlei Hirngespinsten kann ich mich jedenfalls die ersten zehn bis zwölf Kilometer bei Laune halten. Dann merk ich, dass mein Kreislauf das abrupte Aufstehen gar nicht leiden kann und auf der nächsten Parkbank brech ich zusammen. So richtig mit Pauken und Trompeten. Dehydriert und frierend roll ich mich an der Bushaltestelle auf der Bank zusammen und schlaf von einer Sekunde auf die nächste tief und fest ein. Ein anhaltender Bus kann mich hier nicht wecken, da die nur dreimal am Tag hier verkehren. Also hab ich meine Ruhe. Zumindest für fünfzehn Minuten. Dann wach ich starr vor Kälte auf. Der Himmel hat sich zugezogen und es droscht wie aus Kübeln. Meine Beine haben während meiner kurzzeitigen REM-Phase aus dem Bushäusschen rausgeragt, was zur Folge hat, das die Jeans durchgeweicht ist und klatschnass an meinen Knochen klebt. Mittlerweile bin ich wirklich sauer. Auch wenn der Vermieter wahrscheinlich nichts mit dem Wetter zu tun hat, denk ich mittlerweile an Mord. Und die Schlagzeile am nächsten Morgen: „Rentner im eigenen Gurkenbeet erdrosselt aufgefunden“. Die Fantasie geht mit mir durch. Wahrscheinlich habe ich jetzt schon Fieber. Damit mein Oberkörper nicht auch noch nass wird und ich nicht noch eine Grippe riskiere, dreh ich mich nochmal auf der Parkbank um, bis das Unwetter vorübergezogen ist. Das schöne Riffelmuster von der Bank will ich außerdem noch auf der anderen Wange haben. Schlafen kann ich aber nicht mehr. Der Regen drückt die Dämpfe der Umgebung in die Luft. Allem Anschein nach hab ich mich für mein Päuschen in eine Gegend voller Bauernhöfe gelegt, die ihr täglich Brot mit Massentierhaltung verdienen. Es riecht unerträglich nach nassem Futter, altem Schweiß, Tod und Exkrementen. Und ich habe das Gefühl, all das einzuatmen. Ich muss hier weg. Dem Mistwetter zum Trotz hiev ich mich auf mein Rad und maloche noch 10 Kilometer weiter Richtung Westen. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit liegt jetzt bei 7,8 km/h. Immerhin fahr ich mittlerweile auf einer Straße, die irgendwann in ihrem Leben einmal geteert wurde und nicht mehr auf Trampelpfaden. Und irgendwann, nach gefühlten 5 Stunden strande ich mit meinem Rad an einem See. Und da gibt es einen Sandstrand, Kuchen und Holzbänke. Und da scheint tatsächlich die Sonne. Nur über diesem See. Herrlich, ist das schön! Die Wut ist plötzlich verflogen. Ich kauf mir Kuchen, leg mich in den Sand und lass mich trocknen. Vom Zug lass ich mich dann abends wieder nach Hause fahren, denn auch wenn es Handwerk ist, auch das ist irgendwann einmal vorbei.

Der Titel ist geborgt bei Alan Bradley