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30 Juni 2011

365 days

29 Juni 2011

Der Mistkäfer


Was sagt man zu einem Bewerbungsgespräch, das dreieinhalb Stunden in Anspruch nimmt? Ich wusste es erstmal nicht, ich bin erstmal im Bus eingeschlafen. Das ist man einfach nicht mehr gewohnt, jemandem so lang zu folgen. Da haut es einem einfach um. Trotz der Horde jubelnder Kinder, die sich über den Schulschluss freuen, ratzt man 70 Minuten weg und merkt es erst an der Endhaltestelle. Mit Schlafstriemen im Gesicht versucht man sich in der noch immer fremden Stadt zu orientieren, findet irgendwann sein Fahrrad und fährt im Schneckentempo nach Hause. Selbst das erfordert höchste Konzentration, denn falsches Fahren wird hier hoch bestraft. Bei rot Fahren kostet einen zwar nicht den Lappen, aber immerhin 45 €. Jemanden zu behindern ist mit 10 € schon billiger. Nur freihändig fahren ist mit fünf Euro ein echtes Schnäppchen, aber das ist von mir nicht zu erwarten. Ich fall gern mal um, selbst wenn ich beide Hände am Lenker habe. Gern, damit es besonders dämlich aussieht, beim Bremsen neben einer frischen Pfütze. Ich hab schon viele Hosen damit eingesaut. Deswegen brauch ich alle meine Gehirnzellen um Füße, Beine, Arme und Hände koordinativ auf die Reihe zu bekommen. Auch wenn das heißt, von Omas und Kindern mit Stützrädern überholt zu werden. Hauptsache ich komme an. Und wenn ich dann auf dem Sofa sitze, da frag ich mich: Ja was war das jetzt eigentlich. Dreieinhalb Stunden. Was hat der gute Mann mir erzählt. Die Erinnerung kommt nur schleppend zurück. Da war was von Zukunftsplanung, Kanzleiübernahme, zweiten Frühling, einem geschenkten Auto, einem sittenwidrigen Gehalt, fürs Erste, viel Kaffee, dem eigenen Büro und dem Namen auf dem Kanzleischild. Und da war noch was. Bisher drei Frauen und ein Mann in der Kanzlei. Er sucht nur Frauen. Hübsche Frauen. Welche, die noch in den Kinderschuhen stecken. In den Beruflichen, natürlich nur in den Beruflichen. Ich sei da perfekt. Passt ja alles. Die eineinhalb Jahre Berufserfahrung, die ich mitbringe, zählen ja nicht. Das wären nur Milchbubis gewesen, für die ich tätig war. Welche, die vom Leben noch nicht viel erlebt haben. Nicht so viel wie er. Jedenfalls. Hach, was hab ich für ein Glück. Ich treff stets die Richtigen. Als ob ich einen Magneten in der Tasche hätte, der auf Idioten, Sexisten und Chauvinisten reagiert. Ich muss den loswerden. Echt jetzt. Weil, irgendwann platz ich da mal. Noch hab ich dir Ruhe, mir mein Telefon zu nehmen, anzurufen und traurigerweise abzusagen. Und kann selbst dann noch freundlich bleiben, wenn die Antwort lautet: „Na wennse meinen sie bekommen, was Besseres angeboten, dann versuchen sies ruhig!“. Ich könne aber jederzeit wieder ankommen, wenn ich dann keine Arbeit finde. Na schönen Dank! Da geh ich lieber Flaschen sammeln!

Der Titel ist geborgt bei Hans Christian Andersen

26 Juni 2011

windows vista

21 Juni 2011

Tödliche Gaben


Wenn man verreist, merkt man stets viel zu spät, dass man eigentlich keinen geeigneten Koffer zur Hand hat und die Zeit, sich ins Gedränge zu geben und sich von nichts ahnenden Verkäufern beraten zu lassen, um dann mit einem völlig unzweckmäßigen Hartschalenkoffer nach Hause zu gehen, nicht vorhanden ist. Und was macht man dann? Klar, man leiht sich von Oma/Tante/bester Freundin einen Koffer/eine Reisetasche aus. Und begeht damit einen großen Fehler. Warum? Weil es immer etwas gibt, für das man sich rächen kann. Sei es eine verschwitzte Weihnachtskarte oder das falsche Alter auf der Geburtstagstorte. Die vergessen so was nicht. Und kommt man dann mit der arglosen Bitte um einen Koffer, da ist das sofort wieder da, im Hinterkopf! Das verspreche ich euch! Und dann wird freundlich genickt, natürlich können sie einen Koffer entbehren, das ist kein Problem, insgeheim aber überlegen sie, wie sie die Situation ausnutzen könne. Und natürlich, sie sind Frauen, denen fällt immer was ein, was einen von hinten durch die Brust ins Auge trifft. Und das merkt mann dann wann? Genau. Bei der Kontrolle am Flughafen. Wenn der Koffer den Scanner durchläuft. Da fällt einem auf, dass sich Personal eins mit großen Augen den Monitor anschaut, Personal zwei ranholt und diesem leise ins Ohr flüstert. Hui, da krabbelt einem ein leichter Zweifel ins Genick. Und man überlegt, ob man zufälligerweise doch den Plastiksprengstoff nicht ausgepackt hat. Eigentlich nicht. Eigentlich ist der Koffer nur gefüllt mit Socken, Zahnpasta und nem Reiseführer. Und eigentlich hat man nicht mal ne Wasserflasche eingepackt, aus Angst am Flughafen auf dem Weg in ein muslimisches Land als möglicher Attentäter festgenommen zu werden. Also folgt man der Aufforderung des Personals zwei, doch mal näher heranzutreten etwas zögerlich. Und die barsche Stimme lässt einen zusammenzucken:
„Sagen se mal, was ist dass denn hier in Ihrer Tasche?“
Ja, gute Frage. Sieht aus wie ein Schraubenzieher. Liegt der wirklich in meiner Tasche? Das kann doch gar nicht sein. So was hab ich doch mit Sicherheit nicht eingepackt. So was besitz ich nicht mal. Wozu sollte ich auch. Ich hab Freunde, die Werkzeug besitzen. Man wagt eine zurückhaltende Antwort.
„Ein äh.. naja..ein Schraubenzieher is das, denk ich!“
„Aha, denken se also!“
Ja das denkt man also. Sieht ja auch so aus, mit seinem roten Plastegriff und der leicht angerosteten Klinge vorn.
„Und da sind se sich sicher? Wieso haben se so was denn in ihrem Gepäck? Was haben se denn damit vor?“
Hm, wenn er so fragt … ja stimmt. Das könnte man auch als gefährlichen Gegenstand ansehen. So was ist nicht erlaubt im Flugzeug, gell? Da kommt sie auf, die Panik. Sie kriecht von den angewurzelten Zehenspitzen über die zitternden Knie in den flauen Magen. Man ist aus Angst vor dunklen Vernehmungsräumen, Körperöffnungssonden und dem bösen Cop wie gelähmt. Was kommt denn jetzt? Die öffentliche Diffamierung mittels Abführung in Handschellen? Ein ellenlanger Eintrag im Bundeszentralregister? Bildung einer terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines Angriffskrieges, Hochverrat, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Ein Tischurteil, keine Bewährung, Gruppenzelle. Und daneben der verpasste Flug, die verpasste Konferenz, der Verlust des Arbeitsplatzes? Arbeitsamt und Hartz IV ein Leben lang. Alkoholismus und früher Tod aufgrund einer Leberzirrose. Das Leben ist also vorbei. Schon jetzt. Und nur wegen eines Schraubenziehers.
„Ich .. ich ich weiß nicht. Der muss da irgendwie reingerutscht sein!“ versucht man sich dann stotternd rauszureden.
„Aha reingerutscht. Der Schraubenzieher. So so.“
„Ja also irgendwie … ja irgendwie .. beim Packen … ja beim Packen ... also das kann nur ein dummer Zufall sein.“
„Also erstmal, das ist kein Schraubenzieher sondern ein Schraubendreher!“ weiß der dicke Herr besser „und zweitens, isses mir völlig wurscht, was sie damit machen wollten. Mitnehmen können se den jedenfalls nicht. Egal ob se dann da drüben keinen Ikeaschrank zusammenbauen können. Haben se also noch jemanden hier, den se den mitgeben können?“ grunzt er einen zufrieden an. Hat er sich nen Scherz erlaubt. Machen se gern, gibt ja sonst nüscht zu tun.
„Ähm … nein.. nee hab ich nicht!“ Hochroter Kopf. Erleichterung. Nachlassender Harndrang.
„Ja jut, dann schmeiß ich das Ding jetzt weg, auch wenns schade drum ist!“
„Okay, oder behaltense den ruhig, mir egal.“

Also liebe Leute leiht euch keine Koffer oder Taschen aus. Besonders nicht von mir. Lernt aus der Geschichte eines Freundes. Ihr wisst nie, welche Geschichten sich da noch in meiner Erinnerung befinden. Und glaubt auch nicht jedem der euch am Telefon eine Musikerkarriere verspricht und trinkt nicht aus einer Flasche, die ihr nicht selbst gekauft und geöffnet habt. Frauen sind ein schlimmes Volk.

Der Titel ist geborgt bei Simon Beckett

14 Juni 2011

Grobkörnig

13 Juni 2011

Die amtliche Führungspersönlichkeit


Hm. Schreib was drüber, haben sie gesagt. Lass es am Papier aus, haben sie gesagt. Das ist sicher witzig, haben sie gesagt. Aber ich kann dem Ganzen nichts abgewinnen. Nichts Witziges jedenfalls. Auch nicht beim genauen unter die Lupe nehmen und mit dem Zudrücken aller Hühner- und Fettaugen. Niemals. Nichts. Gar nichts. Ich wüsste jedenfalls nicht, was daran lustig sein soll, wenn man am ersten Tag nach dem Umzug auf dem Amt sitzt und eine Nummer in der Hand hat, die der rot leuchtenden an der Wand um dreißig Stellen hinterher hängt. Und man einen Ausblick auf drei von vier geschlossenen Schaltern hat. Und das Klischee schlechthin neben einem sitzt: dick und hungrig, schlecht riechend und gelaunt, fettige Haare und Hände sowie Kleidung, die vor Dreck steht. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man auch zwei Wölbungen zwischen den Fettschichten, die Brüste darstellen könnten. Es ist also eine Frau. Und an der Hand hat sie ihren geschätzt siebzehnjährigen Sohn. Und sie ist schlecht gelaunt. Denn sie ist, wie gesagt, hungrig und kann nicht damit leben, hier nicht die Präferenz zu sein. „Man, das kanns doch hier nicht sein, ich hab Kohldampf verdammt!“ schreit sie die Uhr an, die immerhin schon 09: 45 Uhr anzeigt. Entweder sie ist gerade aufgestanden und hat noch nicht gefrühstückt, oder sie ist verdammt früh aufgestanden und es handelt sich hier um den Mittagshunger. „Man Mudder, dann lass uns doch hier abhaun und zu Mäckes gehn.“ „Man Kerl, wir müssn doch noch unser Hartz abholen!“ „Na dann wartn wer ebnd, gehn dann zum Amt un essen dann örst!“ „Ey weißt du wie spät das wird? Ich hab jetzt Hunger! Ich will zu Mäckes. Und zwar zuerst. Dann musses Hartz ebnd warten!“ „Okay.“ „Ja klar is das okay, sicher ist das okay. Das machen wir jetzt auch so. Wir gehen erst zu Mäckes!“ Ich fand das nicht lustig. Eher penetrant. Was ich auch nicht lustig fand, war der Aufruf meiner Nummer 68 Minuten später an den einzigen offenen Schalter 2. Und den Hinweis, dass ich hier so erstmal falsch bin. Ich müsse erst von Amt A und B die Scheine 38, 39 etc. und pp. ausfüllen lassen. Und gar nicht lustig fand ich, dass ich das dann auch noch gemacht habe, erneut eine Nummer ziehen musste, erneut 56 Nummern vor mir abwarten musste und dann beim Aufruf eine neue Nummer bekommen musste, mit der ich zum anderen Sachbearbeiter verwiesen wurde. Und gar nicht lustig fand ich, dass der mich dann direkt zur dicken Frau mit Hunger schicken wollte, um mit der die gleichen Maßnahmen zu vollziehen. Warum, meine berechtigte Frage, wie ich finde. Na ganz einfach, die Antwort. „Wir wollen hier ja verhindern, dass das Sozialsystem ausgenutzt wird und deswegen müssen ehemalige Obdachlose, Ex-Sträflinge und Hochschulabsolventen erstmal Maßnahmen absolvieren. Regale einräumen zum Beispiel!“ Mein Einwand, dass ich hier erstmal zum Vorstellen bin und ich noch gar nicht weiß, ob ich einen Antrag stellen will, wird beiseite gewischt. Immerhin muss ich aus der Statistik. Das ist oberstes Gebot. Und da es für meinen Studiengang eh keine freien Stellen gibt, oder je geben wird, bleibt nur: Regale einräumen! Das ist natürlich völlig verständlich und überaus nachvollziehbar. Zumal ich den Vergleich mit den Ex-Sträflingen auch sehr gut finde. Treffend. Ich lag dem System in den letzten 8 Jahren ja genauso auf der Tasche wie diese und habe keine Sozialabgaben gezahlt. Mensch, jetzt wo sie das sagen. Damit hätten wir das geklärt. Bleibt nur noch ein Problem, dass ich nicht in der Lage bin, Arbeiten zu erledigen, bei denen ich länger als 30 Minuten stehen muss. Da hätte ich das Problem, das ich auf kurz oder lang im Rollstuhl lande. Gäbs da was anderes als Regale einräumen? Nein, gibt es nicht? Und was machen wir da? Durchziehen oder Krankschreiben lassen? Aha. Für erstmal einen Monat. Aha. Tolle Lösung! Aber kollidiert das nicht mit der Pflicht 98 Bewerbungen pro Woche zu schreiben? Und kollidiert das nicht mit meinem Versicherungsvertrag, wenn ich dann zu einem Bewerbungsgespräch gehe? Schon komisch, oder? Und meine ärztliche Bescheinigung reicht nicht. Hm. Na da haben wir ein Problem. Wie das ist nicht unser einziges Problem? Wie bitte? Ja ich wohne mit jemandem zusammen und ja der hat eine halbe Stelle. Wie, die reicht nicht? Wie ich soll ihm ausrichten, er soll sich gefälligst noch nen Nebenjob suchen, um mich durchzufüttern. Das wird er aber nich so pralle finden, die restliche Zeit is ja zum promovieren gedacht. Wie das ist egal? Das ist nur eine Fortbildung, und damit sein Bier? Aha. Ihr hättet uns also alle beide am liebsten hier zum Regale einräumen und Unkraut zupfen, als uns auf Dauer hier raus zu bekommen? Das ist ja interessant. Und so … plausibel. Toll. Soviel zu meinem ersten lustigen Tag. Hat lange gedauert den zu verarbeiten. Und den Entschluss wachsen zu lassen, erstmal von Zwieback und Tee zu leben, solang es eben geht.

Der Titel ist geborgt bei Horst Evers

06 Juni 2011

still dreaming

01 Juni 2011

Die Überläuferin


Umziehen ist wirklich anstrengend. Das soll hier mal festgestellt werden. Und gleich am Anfang, damit wir es hinter uns haben, auch ein überflüssiger Wortwitz: Umziehen- ja vor allem für Männer. Warum laufen sie sonst ständig mit völlig verfleckten Hosen und Hemden rum, ohne sich dafür zu schämen? So, der musste leider sein. Die Doppeldeutigkeit ist mir als Erstes eingefallen, als ich dachte, ich müsse von meinem Umzug berichten. Und ich hab mich wirklich sehr darüber gefreut, dass ich drauf gekommen bin. Dann ist mir aber eingefallen, dass da kein guter Witz rauskommt. Dass er sogar schlecht ist. Das passiert mir manchmal. Oder auch öfter. In der Öffentlichkeit geb ich mir dann aber meist die größte Mühe, einfach nichts zu sagen. Das hab ich ehrlich auch jetzt versucht. Und zwei Tage auf meinen Bildschirm geschaut. Und immer nur gedacht: „Umziehen … hihi … Männer können das nicht. Hihi ... Die tragen lieber eine Woche ihren Ketchupfleck spazieren ... hihi…“ Schlimm ist das, sag ich euch. Wenn man so was nicht aus dem Kopf bekommt. Und man wegen seines Dauergrinsens angestarrt wird, als wäre man irre. Dabei will man gerade das verhindern, in dem man die Klappe hält. Ich sitz zwar jetzt in einer Wohnung, die nur noch einen Küchenschrank beherbergt, sodass nur der mich anstarren könnte, was mich eigentlich nicht stören würde, aber ich komm über das virtuelle weiße Blatt nicht hinweg, ohne den Umzugswitz loszuwerden. Deswegen der ganze Quatsch jetzt. Hach was für eine Rücküberleitung. Ja, ich sitz in einer fast leeren Wohnung. Ich muss sie übergeben (und an dieser Stelle spare ich mir jeglichen doppeldeutigen Witz, jaha!) und bis hierher war es ein schwieriger Weg. Da fängt man ja schon Monate vorher an, sich drauf vorzubereiten. Mindestens ein halbes Jahr. Da sitzt man dann in seiner Wohnung und wartet. Darauf das einem einfällt, wie man das am besten organisiert. Mit dem Packen. Ach nee vorher Kartons besorgen, dann erst packen. Was packt man ein. Schmeißt man das, was nicht rein passt dann weg. Was ist mit den Schränken, die nicht in die Mülltonne passen. Lass ich die von der Stadt abholen. Nein, die Entscheidung ist schnell getroffen, das lass ich nicht. Das hab ich ja erst mit meiner kleinen durchgesessenen Couch gemacht. Und als die Stadt dann mit ihrer großen Quetsche ankam (als ob eine Stadt ankommen könnte! Sagen wir deshalb lieber: Als dann der große LKW, welcher im Eigentum der Stadt stand und sicher noch steht, auf Bestellung vorbeigefahren kam) und die kleine Couch hochgehievt hatte und aufladen wollte, hat die kleine Couch ganz vorwurfsvoll und leidend angefangen zu quietschen. Das ertrag ich nicht nochmal. Also muss es eine andere Lösung geben. Welche ist noch ungeklärt. Muss einem auch noch alles einfallen. Dann muss man drüber nachdenken, wen man verpflichten kann einem die Kartons zu tragen. Da die viel zu voll gepackt und dementsprechend schwer sein werden, kann man das ja schließlich nicht allein machen. Also eigentlich kann man das nicht nur nicht alleine machen, sondern gar nicht. Wer ist einem also einen Gefallen schuldig. Wem hab ich mal einen Gefallen getan, den ich jetzt zurückfordern kann. Allein darüber nachzudenken, nimmt mehrere Wochen in Anspruch. Jetzt rächt es sich, dass man immer so kreativ war im Ausreden suchen. „Ach, da kann ich leider nicht, da helf ich schon dem örtlichen Umweltverband nen Fluss zu entgradigen, da kann ich leider nicht zum tapezieren kommen!“ Ach verdammt, malern muss man ja auch noch. Die Kaffeeflecken an den Wänden kann man nicht als normalen Gebrauch durchgehen lassen. Das Überlegen jedenfalls kostet einem gute fünf Monate. Dann braucht man noch gut drei Wochen um Gefallen zu verteilen, an Leute, die man gut gebrauchen kann. Ganz egal, ob Freunde, Bekannte, Verwandte, Nachbarn und die Frau an der Kasse den Gefallen wollen. Ich koch gerne mal ein vegetarisches Drei-Gänge-Menu für sie, bringe unaufgefordert ein paar gesunde Kleinigkeiten aus dem Bio-Supermarkt mit oder helfe beim Bewerbungen schreiben (du musst doch dann nicht samstags arbeiten, oder). Ich harke auch gern den Garten und sortiere das auf den Kompost, was wie Unkraut ausschaut oder ich zerlege ein paar alte Sachen aus Nachbars Keller in seine Einzelteile und nehme sie gleich mit zum Sperrmüll. Kein Problem. Wie der Schrank sollte noch genutzt werden? Das alte hässliche Ding, im Ernst? Seid doch lieber froh, dass ihr ihn los seid! Wie ihr habt Angst vorm EHEC-Virus? So ein bisschen Gurke und Salat wird nicht schaden, das ist doch gesund! Während man dann damit beschäftigt ist, Leuten eine großartige Hilfe zu sein, merkt man irgendwann panisch, dass es noch so Sachen gibt, wie: Telefon, Strom, Internet, Post. Man fängt an zu rotieren und Kündigungsfristen verbraucherfreundlich auszulegen. Der Internetanbieter geht da sogar direkt mit, kappt die Verbindung sofort und lässt sich nur noch für € 2,70 die Minute auf ein Gespräch ein. Man wägt ab und wagt ein „30-Tage-ohne Internet“-Experiment. Hält dieses aber nur einen Tag aus. Dann überkommen einen unvorhergesehene Entzugserscheinungen, man wird nervös, kribbelig und kratz an Nachbars Tür. Man muss doch nur noch einmal schnell die E-Mails checken, nur einmal kurz auf facebook vorbeischauen und ganz ganz ganz bestimmt nur noch einmal gucken, wie das Wetter morgen wird. Man löst den hart erkämpften Gefallen beim genervten Nachbarn vorzeitig doch anders ein: kostenloser W-lan-zutritt für einen Grillabend. Mist. Das war anders geplant.
Dann fällt einem noch ein: Und was ist mit einem Auto? Verdammt, man kann die Leute das Zeug nicht 450 Kilometer weit schleppen lassen. Jedenfalls nicht an einem Tag. Das geht doch nicht, wer macht denn so was? Ein Auto muss her. Und ein Fahrer. Einer, der ein Wochenende mal eben komplett entbehren kann. Denn da man selber gerade mal einen Kleinwagen bei 50 km/h sicher fahren kann, kommt man nicht in Frage. Und das man einen LKW-Führerschein noch schnell in drei Wochen runter reißt, das traut man sich dann doch nicht zu. Kostet ja auch alles wieder Geld.
In der letzten Woche dann endlich kommt man dazu, seine benötigten grob geschätzten zehn Kartons zu füllen. Und dann damit, nochmal loszufahren und noch dreißig Kartons nachzukaufen. Und dann damit zu merken, dass man ganz schön viele Bücher hat. Hui, der das tragen muss tut einem jetzt schon Leid. Kleidung, Geschirr, ein paar wenige Putzmittel, ein paar wenige Pflanzen und ein bisschen Kamerazubehör werden wahllos in die letzten acht Kartons und zwei Koffer verpackt. Und auf denen sitzt man dann, am letzten Abend. Das Einzige was noch steht ist die Küche, die leider den Zonk gezogen hat und hier bleiben muss.
Der Tag des Umzuges selber wird dann wieder etwas angenehmer. Bis auf das Aufstehen um halb sechs in der Früh. Wann hat man das denn zuletzt getan? Ich vertrag das nicht. Das merken auch die ersten Helfer die einen begrüßen mit: „Man du musst echt mal wieder ordentlich schlafen, schau dir doch nur mal deine riesigen Augenringe an!“ Und schon hat man die gefunden,der die Bücherkisten schleppen müssen. Auch vom Rest sammelt man die getätigten Gefallen ein, schließt die Tür auf, öffnet den Umzugswagen und verdrückt sich, mit dem Hinweis sich um Essen und Getränke zu kümmern. Für das braucht man dann gut zwei Stunden. Weil ja Samstag ist, die Läden ziemlich voll sind und man auch überhaupt nicht so gut zu Fuß ist und ja nicht so viel tragen kann. Dann gibt man jedem ein Brötchen in die Hand, klopft jedem dankend auf die Schulter und macht sich mit dem gepackten Wagen aus dem Staub. Das Gleiche dann auch in der neuen Wohnung. Damit ist der Umzug an sich geschafft. Yeha. Toll haste das vorbereitet, denkt man dann. Und klopft sich selber auch ein bisschen auf die Schulter. Gut, die, die die Taktik durchschaut haben, machen das Ganze nicht ganz ohne murren mit und entschuldigen sich dann beim Schulterklopfen für das faustgroße Loch in der Wand der neuen Wohnung, welches leider nicht zu verhindern war, ebenso wie für den Karton Geschirr der leider direkt aus dem Wagen gefallen ist. Aber da kann man nix machen.
Ein bisschen Wehmut kommt erst am Tag danach auf. Wenn man weiße Farbe über Kaffee- und Fettflecken malert, den Feuermeldern ein letztes Mal Futter gibt, man die Küchenmöbel wieder millimetergenau in die Küche manövrieren muss, um den Fugendreck nicht so auffallen zu lassen, man sich vom eingebrannten Keramikring auf der Herdplatte verabschiedet und man das Kaugummi mit den Fingernägeln vom verdellten Balkon kratzt. Hach, was hat man nicht alles mitgemacht hier. Und wenn man jetzt noch erfährt, dass über einem eine Nudistin eingezogen ist, das Treppenhaus zeitweise per Webcam überwacht wurde und der Wasserschaden im Haus letztens nichts mit einer ausgelaufenen Waschmaschine zu tun hatte, sonder mit dem heimlichen Halten eines Hundes, der die Wohnung nie verlassen durfte und daher eine Ecke in der Wohnung bekam, hach dann kommt man nicht drum rum zu bedauern, dass das alles hier noch so viel Potenzial gehabt hätte. Da hätte doch noch die einer oder andere Geschichte bei rauskommen können.

Der Titel ist geborgt bei Monika Maron