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05 Dezember 2010

Übeltäter



Die Brücken der Freiheit


Ich liege auf meiner Couch. Mit heißer Wärmflasche auf den Füßen und ner Kanne frisch gemachtem Tee neben mir. Mir ist kalt. Ein bisschen. Aber ich wollte ja raus. Nur was Harmloses machen. Die Geschichten der Kollegen über ausgerenkte Schultergelenke und kleine Finger mit Kapselriss gerade in der letzten Woche machen ja vorsichtig. Spätestens seit man weiß, dass ein Examen unter Schmerzmitteln nicht geschrieben werden darf und mit einem halben Jahr längerem Dienst bestraft wird. Also will ich nur ein bisschen im Schnee tollen. Weil ich es erst etwas spät gemerkt hab, dass der jetzt da ist. Erst, nachdem ich nach drei Wochen intensivem in-die-Bücher-Gestarre, auf dem Weg zum Prüfungsgebäude habe ich mich fragen müssen: „Scheiße- wann hat das so viel geschneit und wann ist das so verdammt kalt geworden? Vor drei Wochen saß ich doch noch mit Kaffee am Strand!“ Aber ich mag den Winter und den Schnee. Also wurde der zweite Adventssonntag bei den Eltern gegessen und für den Nachmittag geplant, auf dem Heimweg am See vorbei zu laufen. Ein bisschen Enten füttern und sich freuen. Vergessen dass nur ein Viertel der Prüfungen geschafft ist. Gesagt, getan. Den Gefrierbeutel mit Keksen für mich und Brot für den Weihnachtsbraten gepackt und losgestiefelt. Dort angekommen, findet man aber lediglich eine kleine Ente auf. Die ist gar nicht scheu und freut sich, dass sie heut allein ist, weil dann mehr abfällt für sie. Klettert einem auf die Füße und macht lieb große Augen. Und weil ich als Mädchen das natürlich unheimlich putzig finde, geh ich mit der Kamera in die Knie, um ein paar schöne Schnappschüsse vom Sonntagsausflug zu bekommen. Das mach ich ungefähr 10 Sekunden, bis mir jemand ins Fleecegeschütze Ohr faucht. „ZZZccchhhhhhhhhhhhhhhh!“ Das kommt mir komisch vor. Hier war doch niemand mehr. Guggste lieber mal nach, denk ich mir. Ach du große Neune- das ist ein Schwan der seinen Kopf da über meine Schulter hängt. Ganz im Ernst, jetzt bekomm ich Panik. Denn nachdem das niedliche kleine Entchen sich den Bauch vollgeschlagen hat und jetzt zufrieden davon wackelt, ist noch eine halbe Scheibe Brot da und hinter dem ersten Schwan kommt ein zweiter angeflattert. Okay. Schwäne sind schön. Aus der Ferne. Aus der Nähe machen sie mir Angst. Gerade weil mir Zweifel aufkommen, das diese zwei Riesentiere von einer halben Scheibe satt werden. Aber ein Versuch ist es wert. Also kleine Krumen machen und immer schön weit von sich weg werfen während man selbst kleine Schritte Richtung Straße macht. Dacht ich mir. In Wirklichkeit lief es aber eher so, dass die zwei sich in voller Länge vor einen hingestellt, einem das Essen aus der Hand gerissen und immer weiter Richtung See getrieben haben. Und wie es der Zufall will, reicht die halbe Scheibe Brot genau so weit, bis man am Ufer steht. Mit zwei hungrigen, wütenden Schwänen vor sich. Hinter sich fünf Meter gefrorenes Wasser und dahinter ein Berg. Ungefähr eine Zehntel Sekunde Zeit zu überlegen, bevor sich der Schnabel in die nackte Hand bohrt. Ich brauch die Hand. Sonst kann ich doch nicht schreiben. Deswegen bleibt nichts anderes übrig. Risiko. Ich dreh mich um und lauf am Rand des gefrorenen Sees so schnell ich kann, um über den Berg und nur weg zu kommen. Und wenn mir jetzt nochmal einer erzählt, man hört Eis knarzen bevor man einbricht, dann erzähl ich dem mal die Geschichte. Denn eigentlich ist es so: Schritt, Schritt, Bruch. Kein Geräusch, das einem darauf vorbereitet gleich bis zu den Knien in halb gefrorener Seeplörre zu stehen. Danach ja, da kommt ein Geräusch. Aber dass setzt sich zusammen aus einem „SSSccchhhlllllüüüff!“, also Eiswasser welches in Windeseile durch Hose und Schuhe strömt, übertönt von einem ungläubigen „Verflixte Kacke, das kann doch jetzt nicht wahr sein!“ und einem Schrei hinter mir „Mach schneller, die Schwäne kommen!“

Titel: Die Brücken der Freiheit
Autor: Ken Follet

20 November 2010

Im Dunkeln ist gut funkeln

Der Wegwerfer


Ich hab geglaubt, wenn ich mich die letzten Wochen vor der großen Prüfung einsperre wird alles gut. Ich bin fernab von aller Reizüberflutung und lasse mein Gehirn auf Hochtouren anlaufen, sogar mein Rollo vorm Schreibtisch ist runtergelassen, damit ich mir nicht alle 2 Stunden anschauen kann, wie der Nachbar das Baby wickelt. Bloß keine Ablenkung. Kein Fernseher, keine Zeitung, keine Motive. Nur Papier, Paragraphen und Paukenschläge. Ein bisschen Eiweiß und Schokolade- da sollte eigentlich alles in Ordnung gehen. Aber nö. Nicht mit meinem Gehirn. Das schaltet die völlig falschen Sachen aus und total Unnütze an. Unnütz zum Beispiel der Gedanke: Hach guck mal, unter der Waschmaschine, ich glaub da wurde ewig nicht sauber gemacht. Mach ich jetzt mal. Und überhaupt- wie sieht es denn in der Maschine aus? Das geht ja gar nicht, warum um alles in der Welt heißt die Waschmaschine, wenn sie sich selbst nicht sauber halten kann? So, jetzt isse sauber und schick. Nur war das Ganze überflüssig, weil es niemand sieht. Aber ich hab mich super zwei Stunden von den Büchern ferngehalten. Klasse! Gut wieder vor die Bücher! Aber jetzt wirklich und mit vollem Elan!!! Ran jetzt! Apropos Bücher. Ich hab doch noch die alten Hefter, mit denen geht es sicher schneller. Was man selbst mal geschrieben hat, soll ja schneller wieder drin sein, im Kopf. Such ich jetzt mal. Unterm Bett, im Keller. Sind se nicht. Hinter der Couch auch nich. Ach, im Schreibtisch haben se sich versteckt. Sowas. Neben wem saß ich in der Vorlesung gleich? Mensch, von der hab ich ja mindestens zwei Jahre nichts gehört, der muss ich jetzt unbedingt mal schreiben, fragen wies so läuft und erzählen wie unheimlich stressig es bei mir ist, weil ich nur am Lernen bin. Yeah! Nochmal zwei Stunden weg. So. Und was kann ich jetzt machen? Hm. Ich bräuchte Milch und Haferflocken. Dann nix wie los!
Zehn Minuten später in der Kaufhalle. Ja cool, hier gibt es Kinderfeuerwerk. So mit Knallerbsen und Silberzeugs was man in der Hand halten kann. Und das glitzert. Toll! Das muss ich jetzt wirklich haben. Sonst hab ich zwar immer ein bisschen Schiss was so Feuerwerk angeht, aber wenn das Kinder können….Sag mal, Feuer. Da war doch was. Scheiße, sind deine Kerzen noch an!? Du hast die nicht ausgepustet, gell? Oder doch? Nein hast du nicht. Hast du nicht hast du nicht hast du nicht!!!! Schön. Ich werf alles was ich grad in den Händen hab und alles was ich auf dem Weg noch greifen konnte auf das Fließband der Kassierung, freu mich noch mehr über das Feuerwerk, weil es mich auf so gute Ideen bringt, bezahle und steh zwei Minuten später in der Wohnung. Die Kerze war an. Bis gerade eben. Jetzt schwebt nur noch ein kleiner Rauchfaden nach oben an den (oh Moment der ist ja immer noch nicht wieder dran) Rauchmelder. Verspottest mich, was? Okay, komm runter. Ist alles gut gelaufen. Glück gehabt. Mach dir erst mal nen Kaffee. Der ist nötig. Als Doping sozusagen, denn der inzwischen nicht kleiner gewordene Berg an Arbeit muss ja jetzt doppelt so schnell bearbeitet werden. Mein Schreibtisch ist sehr klein (ich glaub der war damals sehr günstig, und wahrscheinlich für vierzehnjährige Schüler), aber es passt dennoch verflucht viel drauf: Deutsche Gesetztestexte mit dazu passenden Kommentaren, fünf Skripte und drei Bücher vom Chef („Falls sie es dann immer noch nicht verstanden haben!“) auf der linken Seite. Rechts: Meine Kamera (warum auch immer), mp3-Player und Speicherplatte. Und wenigstens eines der Skripte muss heut davon verschwinden. Wenigstens eins, bitte! Dafür wird’s auch nen großer Kaffee, frisch überbrüht. Der ist fertig und bis zu meinem Schreibtisch und damit dem ganzen Wissen sind es jetzt nur noch fünf Meter. Vier. Drei. Zwei. Einer. Du stehst davor. So. Jetzt merkt mein Gehirn, dass es was vergessen hat. Frisch überbrühter Kaffee ist schweineheiß und den dann in eine Tasse ohne Henkel zu schütten nicht klug. Es sind noch dreißig Zentimeter bis zum Tisch. Ich muss die Tasse eigentlich nur noch hinstellen. Aber: Warum ist das mit einmal so heiß? Verflucht ist das heiß. Scheiße, das glüht ja richtig. Ey, meine Hand verbrennt gleich. Ich muss das auf der Stelle, jetzt sofort, fallen lassen, sonst sterb ich. Und das mach ich dann auch. Jedenfalls muss ich das getan haben. Wahrscheinlich eher noch mehr. Ich hab sicher ein bisschen dabei geschleudert, weil das Muster dann auf Fensterscheibe, Fensterbrett, Tapete, Heizung, Schreibtisch, Pullover, eigenen Büchern, Mp3 Player, Skript, Gesetz, Büchern vom Chef, Hose, Pflanze neben dem Schreibtisch, Teppich und Fußboden unter dem Teppich neckischer ausschaut. So ein halber Liter Kaffee kann sich prima verteilen. Aber habt ihr was mitbekommen? Die Kamera, das Wichtigste also, hat nix abbekommen. Wenn das kein Zeichen ist. Kann ich mir also in Ruhe nen neuen Kaffee machen und anfangen, die Sauerei wegzumachen.
Eigentlich könnte ich mir gleich Farbe besorgen und hier streichen….
Ich sollte auf Glück hoffen, für mich isses ja da.

Titel: Der Wegwerfer
Autor: Heinrich Böll

11 November 2010

Laternchen, Laternchen

Oben leuchten die Sterne


„Schönen guten Tag! Ich hätte gern ein Sturmfeuerzeug. Haben Sie sowas hier?“
„Sicher. Wofür brauchst dus denn? Zum Bong rauchen?“
„Nein, mir reichts tatsächlich, wenn es beim Sturm auch angeht.“
„Hm. Na aber zum Bong rauchen, da sind die auch immer gut!“
„Brauch ich wie gesagt nicht!“
„Ja, aber wenn, es wär perfekt!“
Auf solche Gespräche muss mann sich einlassen. Für mich, damit ich meine Wünsche erfüllt bekomm. Und wofür brauch ich das Feuerzeug? Zum Bong rauchen nicht. Soviel steht fest. Das Feuerzeug hat seine Geschichte. Und die geht so.
In schlaflosen Nächten gehen andere zocken, lernen eine Sprache oder planen Reisen, um sie dann auf Eis zu legen. Da mir aber die Nächte leidtun, wenn sie nicht zur Ruhe kommen, geselle ich mich zu Ihnen und begebe mich auf die Suche nach Ideen. Da das Internet voll davon ist, nehm ich mir den Läppi mit zur Wärmflasche ins Bett und hoffe, dass uns sein Neonlicht genauso müde macht, wie sonst auf Arbeit. Aber er ist wie ein kleines, bockiges Kind: er macht immer genau das, was er gerade nicht soll. Im Gegenteil. Er zeigt mir Sachen, die mich in den Bann ziehen und so munter machen, als hätte ich eine Packung Dextrose gegessen. Er füttert mich mit Informationen über Wunderkerzen, Bubiwagenreifen, Hula-Hoops, Kanalisationen und Ufos. Das alles will ich nun auch. Zumindest vor dem Sensor. Also kratze ich am nächsten Morgen als erstes mein Taschengeld zusammen und kaufe alle Wunderkerzen der Stadt. Dann warte ich brav, dass es dunkel wird. Dank der Zeitumstellung, die ich dieses Jahr wirklich mal mitbekommen hab, geht das schnell. Dann stell ich mich auf einen Berg, der schönen Aussicht wegen, und versuche meine Wunderkerze anzubekommen. Was mir wahrscheinlich jeder halbwegs kluge Mensch hätte sagen können, merke ich erst jetzt: auf einem Berg ist es verdammt windig. Supermarktfeuerzeuge nutzen hier so viel wie ein Stück Holz. Ich versteh das da oben schon, aber glauben will ich es nicht. Ich dreh lieber solang, bis das Feuerzeug den Geist aufgibt und ich es auf dessen schwache Brust schieben kann, dass ich unverrichteter Dinge wieder von dannen ziehen muss. Ein Sturmfeuerzeug muss also her. Und weil man einmal dabei ist, wird auch der Rest besorgt. Nicht kleckern, glotzen. Dann wieder auf die Dunkelheit warten. Der Berg soll mich nicht klein bekommen. Mich nicht! An der Fußgängerampel trifft man zwei gackernde Mädchen. „Wir sind schon zwei Nudeln, laufen hier mit ner Riesenpackung Eiersalat durch die Stadt. Mitten im Winter. Wiiiieeeee peeeiiiinlich!“ Gut, da komm ich mir veralbert vor, weil ich steh daneben und sehe folgendermaßen aus: Schwarze Schuhe, Hose, Jacke, Handschuh, Mütze und Sonnenbrille, um die Hüften eine blaue Lichterkette (die äußerst praktisch ist, wenn einem der Schlüssel aus der Hand gefallen ist), einen Reiserucksack auf dem Rücken, und ein Rad an einem Stock, welches ich hinter mir her ziehe. Immer den Berg hinauf. Die Lichterkette scheint einen interessant zu machen. Nicht in der Art: mal gucken was passiert, sondern eher: Meine Güte, was das denn für eine Irre. Angesprochen wird man nicht (außer vielleicht von der Polizei) aber verfolgt (auch gern von der Polizei), was man macht. Jetzt muss man mutig sein und drauflos zaubern. Das Feuerzeug tut heut seinen Dienst und ich freu mich wie ein Kind. Eine brennende Wunderkerze! Yeah! Die kann ich jetzt wie bekloppt hin und her schwenken. Ich weiß, was rauskommen soll. Um mich herum aber keiner. Was doof ist. Die Gesichter der Zuschauer werden zunehmend länger und verständnisloser. Das Klatschen nimmt ab. Spätestens jetzt bin ich als absolut dämlich abgestempelt und die Leute wechseln die Straßenseite. Der Einzige, der sich jetzt noch her traut ist ein kleiner Dackel und widerwillig dessen Herrchen. Vielleicht ist das doch nicht der richtige Ort. Am Fuß des Berges merke ich, dass man mich auch von hier prima gesehen hat. Das ist so eine Sache mit Perspektiven. Klasse. Ich such mir lieber ein dunkles und einsames Plätzchen. Eins mit Zaun drum rum. Eins, das abgeschlossen und dreimal verriegelt ist. Eins, wo ich hüpfen kriechen und probieren kann und mir lediglich ein Fuchs zu schaut! Und eins wollt ich schon lange mal wieder sagen: Unten leuchten wir!

Titel: Oben leuchten die Sterne
Autor: André Kubiczek

24 Oktober 2010

Zeit-Raum Fortschritt

Alles ist erleuchtet


Ich habe nichts geschrieben, weil es nichts zu erzählen gab. Seit Wochen kann ich nur erzählen, wie die Holzmaserung auf dem Schreibtisch ausschaut, der nicht einmal aus Holz besteht. Oder davon, dass ich Paragraphen wälze, vor und zurück und dann meistens nochmal vor. Oder dass ich in den Pausen aus dem Fenster starre und dem Nachbarn beim Windeln wickeln beobachte und dabei, wie er jemanden gegenüber beobachtet, der über roten Backsteinbüchern hockt und sich Kaffee und Schokolade hineinkippt. Oder davon, dass ich am Wochenende aufstehe, wenn die Sonne noch nicht aufgegangen ist, nach Hause kommen, wenn die Sonne schon lang untergegangen ist und ich in der Zwischenzeit in einem kleinen Kämmerchen sitze, mit 12 anderen Referendaren, die sich voller Panik nochmal alles im Schnelldurchlauf einhämmern lassen wollen. So sehen meine Tage derzeit aus. Alles andere als erzählenswert. Auch wenn ich‘s dennoch mache jetzt, das Erzählen. Denn im Prinzip bekomme ich nichts mehr mit, von der Welt da draußen. Nichts vom Jahreszeitenwechsel oder Tunnelbahnhöfen. Aber die Familie liest Zeitung und berichtet über alles für mich Wissenswerte – wo gibt es günstigen Ökoschnittlauch, welche Ernährung ist gut für perfekte Gehirnarbeit und wo kann ich mich bewerben. Nicht für einen Job. Sondern dafür kostenlos Bilder zu machen. Wo ich als Gegenleistung nochmal in die Location überhaupt reindarf. Dazu muss man wissen: bei dem Rückzug in die Heimatstadt und einer der ersten Spaziergänge durch die Stadt, stand sie immer noch da. Eine Druckerei, seit zwanzig Jahren geschlossen und sich selbst überlassen. Beim langsamen Vorübergehen öffnete sich die sonst mit Eisenschrauben verrammelte Tür und hat mich leise hineingebeten. In eine sechstausend Quadratmeter Industrieruine, die ausschaut, als hätte man sie in aller Eile verlassen. Alles ist noch da – die Buchhaltung, die Druckmaschinen, die Bücher. Über allem nur der ruhende Staub. Und ich bin ohne Kamera unterwegs. Das passiert mir nie wieder. Denn ich möchte nicht noch einmal bald jeden Tag vorbeischauen müssen, ob die Türen noch einmal offen sind. Denn das waren sie nie. Als wäre die Ruine ein eifersüchtiges Weibsstück, dass mir sagt, ich hätte meine Chance vertan. Verständlich, dass ich alle Bücher und Schemata von mir geworfen hab, als ich von der Ausschreibung erfuhr. Und da Juristen und solche die es werden wollen, sowie Politikwissenschaftler gut im Reden sind, zaubert man eine formschöne Bewerbung in 964 Zeichen hin und wird genommen. Yeah. Da freut man sich. Und ist aufgeregt. Jetzt darf man zusammen mit neun anderen Fotografen, gestellten Lichtanlagen und Models drauflos fotografieren. Super. Auch für Verpflegung ist gesorgt, wobei Mettbrötchen und Hanuta für einen laktoseintoleranten Vegetarier eher unpraktisch sind, aber wir sind ja auch nicht zum Essen da. Sondern, um gemeinsam schicke Bilder entstehen zu lassen. Denkt man. Aber ich bin geläutert. Fotografen sind auch keine besseren Menschen – wie ich das vorher gern mal glorifiziert habe. Eher noch schlimmere Egoisten mit noch dickeren Ellenbogen. Da werden Models gehandelt als wären sie kleine Thaimädchen und Uhren in etwa so berücksichtigt, als befände man sich in einem Wunderland, in dem die Zeit stillstünde. Das kleine lockige Mädchen wird müde belächelt, denn es ist vermutlich nur aufgrund des Alterbonus da (Zweiundzwanzig? Nicht ganz, aber danke für die Schätzung!). Und was es hier veranstaltet sieht auch sehr merkwürdig aus. Wer legt sich schon auf den Boden, in dem sich der Dreck der letzten zwanzig Jahre befindet und robbt hin und her, bis die richtige Perspektive gefunden ist. Richtige Fotografen machen sich nicht schmutzig. Außerdem ist es irritierend, dass sie von dem vorhandenen Licht nichts wissen will und die Mädchen stets nur auf und ab hüpfen lässt. Was soll denn da schon rauskommen. Richtige Fotografen machen immer wieder dieselben Porträtaufnahmen. Oder denken sich richtig was aus. Was mit Format und Stil. Zum Beispiel, wenn sie ein Graffiti eines Riesenbabys an der Wand sehen, dann wissen sie sofort was zu tun ist: „Hey Mädchen, ich will dass du jetzt hier für mich mit dem Baby an der Wand schmust!“ Mensch, mal ganz im Ernst, das hat genauso viel Stil wie Bilder mit ner Banane im Mund oder Milchtüten in der Hand.

Titel: Alles ist erleuchtet
Autor: Jonathan Safran Foer

10 Oktober 2010

Let's make clouds!

Zitat


„Wenn ein unordentlicher Schreibtisch einen unordentlichen Geist repräsentiert, was sagt dann ein leerer Schreibtisch über den Menschen, der ihn benutzt aus?“

21 September 2010

./..

Einer langen Reise Ziel


„Sehr geehrtes Pack. Da wir uns sowieso rausnehmen können, was wir wollen und uns unsere Finanzen weit mehr ans Herz gehen als ein guter Ruf oder ihr Reisekomfort, haben wir uns heut‘ zu einer besonders schönen Sparmaßnahme hinreißen lassen. Wir wissen, im Reiseplan steht, das heut‘ ein ICE fährt, aber der ist ja doch ganz schön schnell und das kostet. Viel gemütlicher hingegen ist eine S-Bahn. Die ist kleiner, niedlicher und gar nicht soo langsam. Gerade mal 58 Minuten länger braucht sie. Sicher, das haben wir durchgerechnet. Auf die Stunde Verspätung dürfen ja auch wir nicht kommen, das würde sich dann wieder nicht rentieren, bei den Ansprüchen die immer gleich gegen uns geltend gemacht werden. Und dass, wo wir weder Kosten noch Mühen gescheut haben, um einen Juristen anzustellen, der das zweiseitig beschriebene Sechzigkommanullachtzentimerter-Pamphlet in Schriftgröße acht möglichst kompliziert zu schreiben und ihnen somit die Lust am auszufüllen zu nehmen. In diesem Sinne: Wir wünschen Ihnen eine angenehme Reise mit der deutschen (S-)Bahn!“
Eigentlich könnten sie so ehrlich sein und genau das auch sagen, wenn sie einen am Bahnsteig fünf Minuten vorm Eintreffen des Zuges darüber informieren, dass es heute keinen Zug geben wird. Machen sie aber nicht. Sie tun so, als täte es Ihnen wirklich ganz arg doll leid. Ich hab mir vorgenommen die Bahn von nun an bedingungslos nicht mehr leiden zu können. Komme was da noch wolle. Zu spät kommen konnte ich noch verzeihen, ich bin selbst nicht besser, sodass mir das stets entgegen kam. Nicht verzeihen kann ich aber unverschämte Fahrgäste die auf die Nachfrage, ob hier noch ein Sitzplatz frei ist, mit der Antwort „Ja schon, aber wenn ich ehrlich bin möchte ich sie nicht neben mir sitzen haben!“ reagieren. Nicht verzeihen kann ich Umleitungen für die ich draufzahlen muss. Und nicht verzeihen kann ich wenn kein Zug fährt. Sondern eine S-Bahn, ein Bus oder ein Sammeltaxi. Das geht nicht.
Was mich besonders ärgert, ist, dass ich der Bahn ausnahmsweise Mal eine Kostenersparnis zu verdanken hab. Zwar nicht beabsichtigt, aber immerhin. Denn ich hatte vor mir ein Onlineticket zu kaufen. An und für sich find ich das eine tolle Sache. Gerade, wo sich der zwei-Euro-*räusper*-Beratungsaufschlag als rechtmäßig herausgestellt hat (den Grund fand ich super: Da die Automaten weder von jungen noch von alten Menschen verstanden werden, ist der Aufschlag angemessen für die Dienstleistung Beratung durch die Angestellten) und man aus Geiz die Fahrpläne der ganzen Republik eh schon im Kopf und dafür wertvollen Speicherplatz für Kochrezepte oder Jahrestage verballert hat. Also: Onlineticket. Für das Onlineticket bedarf es neben einer gehörigen Menge Geduld auch einer Identifizierungskarte. Bevorzugt einer Kreditkarte. Hab ich nicht, also such‘ ich was anderes. Der Personalausweis ist gut, find ich. Nachdem ich alles eingegeben hab, find ich aber einen entscheidenden Fehler. Das Gültigkeitsdatum. Morgen. Hm. Da ich in drei Tagen fahren will, kann das echt knapp werden. Ich spekulier', ob ich es riskier. Beim Karten kontrollieren sind sie aber korrekt. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als meine EC-karte anzugeben (ich geb meine Kontodaten ja mit steigender Beliebtheit raus) und einen neuen Ausweis zu beantragen. Ein Blick auf die Uhr zeigt dass ich noch Glück haben kann, wenn ich jetzt in die Stadt hetze und Passfotos machen lasse. Glücklicherweise hab ich auch Glück und kann im letzten Laden die hässlichsten Fotos machen lassen, die es von mir je gab. Das ist nicht leicht, weil es echt schlimme Sachen gibt, so nachts um drei ungeschminkt kurz nach dem Aufstehen und so. Die Fotofrau mit ihrer EOS und dem extra Lichtschirm hat‘s getoppt. Wahrscheinlich war sie sauer, dass ich zehn Minuten vor Feierabend noch mit einem derartig schwierigen Auftrag gekommen bin. Und wahrscheinlich hat sie sich gedacht, dass sie mich zwar noch bedienen muss, aber niemand ihr vorschreiben kann, in welcher Weise sie das tut. Und aller Wahrscheinlichkeit hat sich sie gedacht, wenn sie schlechte Laune hat, dann bitte auch der Rest der Welt. Das soll jeder sehen. Auf meinen zaghaften versuch die Situation mit einem freundlichen Lächeln zu retten bekomm ich aber lediglich den Hinweis: „Lächeln se nicht, nimmt ihnen eh keiner ab!“

Titel: Einer langen Reise Ziel
Autor: Hans Christian Andersen

14 September 2010

Das Monster aus dem Sumpf


Der Engelsfluch


Abends 19:00 Uhr in Raum B.234.
„Hallo, mein Name ist Tanja.“ „Hallo Tanja!“ (im Chor) „Mein Name ist Tanja und ich bin gutgläubig. (Beifall) Vor vier Wochen ist es mir wieder passiert. Im Treppenhaus sprach mich ein Junge an, ziemlich abgemagert und in schlechten Klamotten. Eine Umfrage hat er gemacht, über Drogen und deren Wirkung. Ich hab kaum Drogen genommen, konnte dazu wenig sagen. Aber eine Schande find ichs, dass denen, die den Absprung geschafft haben, keine Chance gegeben wird. Er war auch drogenabhängig. Und hat Glück, da ihn nach zwei Jahren Suche doch einer ne Ausbildungsstelle gibt. Nicht gegen lau. Niemand wird heute mehr gegen lau ausgebildet. Die Hälfte zahlt das Arbeitsamt, die andere ein Verlag. Win Win hat er gesagt. Der Verlag bekommt Kunden, er die Kosten seiner Ausbildung ersetzt. Schön denk ich. Ich brauch sowieso eine Tageszeitung. Verlier ja nichts. Außer Geld. Mit dem anderen geholfen wird. Er verschwindet schnell mit meiner Unterschrift. Und mit meinem Vertrauen. In der bestellten und gelieferten Tageszeitung steht, dass es solche Programme nicht gibt. Drückermethode. Ich muss lernen, nicht jedem mit großen Augen zu trauen!“ (Beifall)
„Hallo, mein Name ist Frederike.“ „Hallo, Frederike!“ (im Chor) „Mein Name ist Frederike und ich bin gutgläubig. (Beifall) Mir ist es letztes Wochenende passiert. Ich war für ein paar Tage weg und hab meinen Schlüssel dem Nachbar gegeben. Falls was passiert, dachte ich, es wäre besser. So vorsichtshalber, weil man weiß ja nie. Und. Es ist etwas passiert. Nicht was man jetzt vielleicht denken mag. Das Silberbesteck ist noch da und die Klamotten im Schrank liegen auch noch so, wie ich sie verlassen habe. Aber mein Feueralarm hat das Haus auf Trab gehalten und das mochten die nicht, die Nachbarn. Die mögen überhaupt keine Bewegung. Jetzt hatten sie wieder einen Grund sauer mit mir zu sein. Um ein Held sein zu können ist der Nachbar, der mit dem Schlüssel, in meine Wohnung. Es hat nichts gebrannt. Die Batterien waren nur alle. Und sie sind es noch. Mittlerweile liegen sie wie Eingeweide neben dem Feueralarmgerät auf dem Schreibtisch. Ich kann nur hoffen, dass es in naher Zukunft nicht brennt. Jedenfalls hat der Nachbar, der mit dem Schlüssel, dem ganzen Haus einen Gefallen getan, weil er Ihnen den Schlaf wieder möglich gemacht hat. Um aber seinem Ärger Luft zu machen hat er mir, zur Freude aller, eine Nachricht hinterlassen. Auf DIN A 0. Diese Wohnung ist ein Schweinestall! Das hat er geschrieben. Ich muss lernen, nein, nicht zu putzen, sondern den Menschen jede Schlechtigkeit zuzutrauen.“ (Beifall)
„Hallo, mein Name ist Fred.“ „Hallo Fred.“ (im Chor) „Mein Name ist Fred und ich bin auch gutgläubig. (Beifall) Ich habe meiner Mutter gestern den Geburtstag verderben müssen. Ich musste ihr sagen, dass ich von ihrer Schwiegertochter verlassen wurde. Ihr müsst dazu wissen, das war meine zweite Frau. Die erste hatte ich schon recht früh geheiratet. Wie das eben früher war. Da hat man sich Arbeit gesucht, geheiratet und ein Kind bekommen. Aber glücklich war ich nicht. Als das Kind aus dem Gröbsten raus war, hab ich mich getrennt und auf die Suche nach der großen Liebe gemacht. Ich hab sie auch gefunden, müsst ihr wissen. Sie ist zwanzig Jahre jünger als ich und ich hab mich großartig in ihrer Nähe gefühlt. Wie neugeboren. Wir haben drei wundervolle Kinder miteinander. Die sechs Jahre vergingen wie im Flug. Und dann haben wir geheiratet. Es war eine Feier von der ganz großen Art. Hundert Gäste und wir haben an nichts gespart. Das war vor zwei Wochen. Gestern hat sie mich verlassen. Am Geburtstag meiner Mutter. Meine Mutter hatte die Hochzeit bezahlt müsst ihr wissen. Die Hochzeit war nicht billig. Anders aber anscheinend meine Auserwählte. Der Grund, warum sie mich verlassen hat. Ja, sie hat einen anderen. Seit zehn Jahren. Er konnte ihr keine Sicherheit bieten, also haben sich die beiden gedacht, sie suchen einen, der das kann. Das war ich, oder wohl eher ich mit meiner Mutter. Jetzt hab ich vier Kinder die ich nicht sehe und halb so viele Frauen für die ich zahlen muss. Ich muss lernen Nein zu sagen!“ (tosender Beifall)

Titel: Der Engelsfuch
Autor: Jörg Kastner

PS: Nur um sicher zu gehen- das ist wirklich alles passiert. In einer Woche. Die Welt ist schlecht!

06 September 2010

My new friend Eva

Schlaflos


Erstens.
Meine neuen Nachbarn haben ein unbequemes Bett. Davon bin ich überzeugt. Warum sonst, sollten sie die liebe lange Nacht rauchend auf dem Balkon verbringen, um bei den ersten Sonnenstrahlen im ersten morgendlichen Nebel nach innen zu verschwinden. Es kann nur ein furchtbar weiches Bett sein, welches einen mit solchen Rückenschmerzen aufwachen lässt, dass man wünscht, man wäre nicht zu Bett gegangen. Oder, sie haben auch Angst vor Monstern unter dem Bett. Wobei ich mich mittlerweile frage, warum sich Monster überhaupt unter dem Bett verstecken. Ich meine, vor was haben die denn Angst? Vor größeren Monstern. Vor Kleineren? Vor mir? Ich werde demnächst mal einen Teller warme Milch vor das Bett stellen und hoffen dass es rauskommt. Dann kann ich es fragen.
Zweitens.
Er ist endlich da. Mein neuer Läppi. Der alte hat leider irgendwann einen eigenen Kopf entwickelt und gemeint er darf selbst entscheiden, wann er an und wann aus geht. Das fand ich eher unbrauchbar und das hab ich ihm auch gesagt. Hat aber nichts gebracht. Und der Neue, was soll ich sagen, der ist großartig. Nicht unbedingt wegen neuem Arbeitsspeicher oder Prozessor. Nein, eher wegen der unheimlich praktischen Post-it Funktion. Ich find virtuelle Post-its ganz toll. Weil keine Klebereste am Bildschirm mehr. Dafür nur noch ein gelber Bildschirm. Bapp bapp bapp. Ich frag mich, was ich in den letzten Wochen alles vergessen habe, nur weil es noch keine Pixel Post-its gab. So wichtige Dinge, wie den Wasserkocher zu entkalken zum Beispiel.
Drittens.
Ich habe eine neue Freundin. Und sie ist mir nach ein paar Wochen ziemlich ans Herz gewachsen. Sie ist ziemlich oldschool, also ziemlich cool. Mit dreiundsiebzig Jahren fast dreifach so alt und mehr als doppelt so eigensinnig wie ich. Ich kann‘s nachvollziehen, bei der Vergangenheit. Wer lag schon versteckt vor den Nazis jahrelang im Garten vergraben und wartete darauf wieder gefunden zu werden. Der gebrochene Sucher ist zwar mittlerweile ganz verloren gegangen, aber alles andere ist noch prima in Schuss. So gut, dass man selbst im Fotofachgeschäft neidische Blicke fängt und man auf einmal in den Fotoliebhaberkreis aufgenommen wird.

Titel: Schlaflos
Autor: Stephen King

24 August 2010

around the world


Das Papierhaus

„Alleine schlafen ist doof!“ Das lese ich bei vielen der Mädels, die stolz Ihre Gruppenzugehörigkeit zeigen, um wenigstens irgendwo nicht allein zu sein. Sei es auch nur virtuell irgendwo in den endlichen Weiten des Webs. So gern ich darüber schmunzeln würde, muss ich doch zustimmen. Allein zu schlafen ist nicht unbedingt das Dollste. Mittlerweile aber wünsche ich mir, ich könnte es. Das ist kein Wünschen im Sinne von „Ich brauch meine Ruhe, also mach dich raus hier!“ sondern wirklich so gemeint wie ichs schreibe: ich wünschte ich könnte es. Können im Sinne von: dazu in der Lage sein, die Fähigkeit zu haben der inneren Uhr die Batterie rauszunehmen. Bekomm ich nicht hin. Ich stell mich so an, wie ich mir den letzten Menschen vorstelle, beim Versuch mit seinem Echo ein Gespräch zu führen. Total dämlich und im Wissen das es sinnlos ist. Dennoch probier ich es weiter um zu verhindern, dass ich durchdrehe. Klappt aber nicht. In Gedanken rede ich erst beruhigend auf mich ein, wie auf einen Hund, dem man beibringen will „Platz“ zu machen: „Komm schon, schlaf jetzt ein, na schlaf schon. Mach nur die Augen zu. Fein. Prima machst du das. Und jetzt nur noch einschlafen. Ist ganz einfach!“ Aber ich bin störrisch. Wo kämen wir denn hin, wenn ich darauf höre. Nö. Ich häng mit meinen Gedanken lieber dem letzten Urlaub hinterher. Oder ich überlege, wie viele Kombinationsmöglichkeiten es bei sechsundzwanzig Buchstaben gibt. Wie viele Wörter man damit bilden kann, wie viele Texte, ohne dass sich irgendwann alles wiederholt und jede Sprache erfunden ist. Und ob es, wenn es denn dann soweit ist, still wird. Ob das Eszett irgendwann noch groß wird? Oder ich überlege warum, wenn ich die letzten Eier, die ich im Kühlschrank auf der Suche nach dem strengen Geruch noch gefunden hab (und die den Geruch nicht verursacht haben), koche, sich kleine Luftblasen bilden und es ausschaut als ob Regen nach oben fällt. Alles mach ich. Nicht einschlafen. Auch nicht, wenn ich mittlerweile militärischer auf mich einschreie: „Los verdammt! Es sind nur noch fünf Stunden und 36 Minuten. Schlaf jetzt. Was soll denn das werden, wenn du morgen nicht ausgeschlafen bist und völlig unkonzentriert vorm PC hängst! Soll man dich dafür bezahlen?! Schlaf verdammt, SCHLAF!“ Keine Chance. Der Grund ist banal. Ich bin ein Angsthase. Schon immer hatte ich Angst vorm Monster unter dem Bett. Dem schwarzen Mann am Fenster. Den schwarzen Vögeln die kommen, um mich mitzunehmen. Seit ich denken kann, schlaf ich immer in der Ecke, weit weg von Tür und Fenstern. In mir die Frage, was ich mache, wenn ein Mörder aus Lust und Laune heut zu mir kommt. Mich wimmernd unter dem Bett verkriechen kann ich nicht. Da sind die Monster. Auf den Balkon und dann nach unten flüchten kann ich nicht. Da ist der schwarze Mann. Schlaf wäre wirklich erlösend. Ich geb mir große Mühe damit. Wenn ich pünktlich ins Bett gehe wälz ich mich aber nur von einer Seite zur anderen. Geh ich drei Tage so zu Bett, dass ich exakt fünf Stunden Schlaf hätte und nach dem dritten Tag eigentlich wie ein Stein umfallen müsste, wälz ich mich wieder. Rooibostee: wälzen. Schäfchen zählen: wälzen. Es macht mich wahnsinnig! Und es ist nicht so, dass es allein dabei bleibt. Im Winter hab ich dabei wenigstens meine Ruhe. Im Sommer nicht. Da werde ich zu allem Überfluss von Nachbars Balkon aus unterhalten. Wenn ich meine Neugier abschalten könnte, würde ich einfach nicht hinhören und vielleicht irgendwann aus Langeweile die Augen schließen. Aber Neugier ist ein Zwang. Ich muss meine Vorurteile den Menschen mit den rasierten Köpfen gegenüber erneut bestätigen. Und heut ist der Stiefvater da. Der kommt einmal im Monat und ist dabei jedes Mal voll wie das Maß. Und jedes Mal hat er andere Probleme die er vom Balkon rufen muss. Heute ist es folgendes:

„Du Arschloch! Ich hab dich als meinen Sohn gesehen, als guten Nazi (ungelogen, das hat er gesagt) und du hättest alles von mir haben können. Ich weiß nicht ob du das begreifst, was alles ist! Nämlich ALLES! Aber du, du blödes Arschloch hast mir wehgetan. Im Herzen. Und in der Seele. Verstehst du? In der Seele. Die hast du zerstört. RAUSGEBRANNT. Du Arschloch!“

Dann geht das wieder von vorn los. Drei Stunden in Endlosschleife. Kleiner Schmankerl sind lediglich die kurzen Unterbrechungen durch schepperndes Glas, einem Pochen auf den (ich vermute es) Tisch, das meine Wand vibrieren lässt und einem Geräusch, das sich so anhört, als würde jemand auf eine Kuh treten. Wie ein Schmerzenslaut der irgendwie gemuht wird. Und man könnte schon denken: Yeah, einer weniger! und auf das Geheul von Sirenen warten. Aber eh die sich gegenseitig was antun (außer Herzen brechen und Seelen raus brennen) besinnen sie sich und gehen an die frische Luft: Parolen schreien.Und ich hab Angst vorm Schwarzen Mann, dabei ist es doch der Braune, der vorm Balkon steht.

Titel: Das Papierhaus

Autor: Carlos Maria Dominquez

15 August 2010

Ideen pflücken

Die Normalen

„Mensch, man sieht dir richtig an, was du studiert hast!“ Das sollte ein Kompliment werden. Ging aber eher nach hinten los und bewirkt nur, dass ich mich für den Rest des Tages in meinem Büro verkrieche und darüber nachdenke, wie ich diesen Eindruck demnächst verhindern kann. Weil, um ehrlich zu sein, das nimmt mich schon mit. Weil ich nicht aussehen mag, wie jemand mit hochstehendem rosa Hemdkragen oder weißen Lederstiefelchen. Denn das ist mein Vorurteil von jemanden, der das Gleiche studiert hat, wie ich. Wobei es ja kein Vorurteil mehr ist. Man hat diese Leute ja täglich gesehen, in der Bibliothek oder der Mensa (in denen ich mich dann auch dementsprechend selten aufgehalten hab). Und nur selten jemanden getroffen, der sich in Turnschuhen und schwarzen Kapuzenpulli genauso wohlgefühlt hat, wie man selbst. Was dazu geführt hat, dass man gerade diese Menschen sofort und auf der Stelle ins Herz schließen musste. Womit ich eigentlich in allen vier Fällen auch richtig lag.
Dennoch führt irgendwann kein Weg vorbei und man muss Pulli und Turnschuhe in die „euch kann ich leider nur noch in der Freizeit tragen“-Ecke verschieben. Anders wird man ja nicht ernst genommen. Wie soll jemand wissen wie man einen Kaufvertrag wieder aufhebt, wenn er es nicht mal schafft, sich von Jeans und Kaugummi im Mund zu trennen. Geht nicht. Ich mag die Überflussgesellschaft voller Vorurteile. Man.  Und so schmoll ich vor mich hin. Bis der Chef gegen Feierabend rein kommt und fragt: „Stink’ ich?“ So. Was soll man antworten, wenn so eine Frage aus heiterem Himmel an den Kopf geworfen wird. Man könnte das alles für einen Schabernack halten, froh und munter auf ihn zugehen, den Arm nach oben reißen und antworten: „Nicht so sehr wie ich!“ Oder man könnte pietätvoll sein, oder es versuchen und leise antworten: „Acht Stunden Arbeit gehen an niemandem spurlos vorbei und ihnen riecht man den Stress hier kaum an.“ Aber man fühlt sich eher, als wäre die harmlose Frage, ein schwerer Ziegelstein, der das Denken für kurze Zeit ausschaltet und die eigene Farbe auf die Gesichtshaut überträgt. Also wird man puterrot ob der unerwarteten Intimität und schüttelt einfach nur wortlos den Kopf, wartet darauf, dass er aus der Tür verschwindet und atmet auf. Noch mal Glück gehabt. Und das wirklich. Denn von draußen hört man nur noch im Gehen den leiser werdenden Kommentar: „Hätte mich auch gewundert, der Kommentar vorhin war doch nicht so ernst gemeint!“ Stink ich? Stinkich? Stinkig? Ahhhhh. Ach so, war das gemeint!

Titel: Die Normalen
Autor: David Gilbert

09 August 2010

Waldfee

08 August 2010

Der große automatische Grammatisator

Vor ein paar Jahren noch, hab ich meine Gesprächspartner nicht mittels, aber in Gedanken kontrolliert. Wenn sich Grammatikfehler eingeschlichen haben. Besonders schlimm war das mit der schönen Sache von „als“ und „wie“. Die ja eigentlich ganz einfach ist. Kann man sogar mathematisch erklären, weil es da so schöne Zeichen gibt, die einem schon in der zweiten Klasse zum ersten Mal über den Weg gelaufen sind: „>“ heißt ja GRÖßER ALS. Demnach muss ich stets, wenn ich einen Unterschied darstellen will das ALS benutzen. Und „=“ heißt, IST GLEICH. Gleich, also wie. Dennoch hört man überall: Das is größer wie … . Macht mich wahnsinnig. So. Und dass ich kein beliebter Smalltalk „Gesprächs-„ Partner bin, liegt vermutlich zum Teil auch daran. Weil ich irgendwann gemerkt habe, dass es nicht bei der gedanklichen Verbesserung geblieben ist. Ich muss wohl vermehrt mitten im Gespräch einfach nur „als“ gesagt haben. Erst leise und dann immer lauter. Mit Räuspern und so. Und das als einzigen Gesprächsbeitrag. Toll. Genauso wie ich darauf hinweise, dass es für die Wortkombination „immer nicht“ ein Wort gibt. Nie heißt das. Toll, oder? Und wenn ich mich nicht täusche steht das auch in dem dicken gelben Buch, in dem ganz viele andere Wörter drin stehen. Die meisten von denen gibt es auch. Na gut, wohl eher alle, tendenziell. Aber wenn man mich fragte, sollte man einige davon nicht benutzen. Es gibt Wörter und Wortkombinationen, die der Sprachgebrauch nicht braucht. Euphemismen! Wenn ihr morgens beim Frühstück ein leckeres Salamibrötchen oder zum Mittag in der Kantine zu euren Kartoffeln nen blutiges Stück Rind holt, dann würd ich sagen ihr esst Wurst und Fleisch. Was ich zwar nicht in jedem Rahmen gutheiße, aber ich würde es so nennen. Ihr vielleicht auch. Der Euphemismussmann aber nicht. Der nennt das Tierveredelung. Ja. Weil dass sinnlos auf der Weide stehende Rind, zu was Sinnvollem wird, wenn man es in viele kleine Teile schneidet und dann in die Pfanne wirft. Gut. Aber immerhin esst ihr dann in der Kantine. Das heißt, es gibt Arbeit. Was keine Selbstverständlichkeit ist zurzeit. Nach Bankenkrise und Globalisierungsproblemen werden Mitarbeiter rausgeschmissen wie Porzellan auf dem Polterabend. Schweinerei sagen wir. Um das aber nicht so derb klingen zu lassen, kommt der Euphemismusmann, um Imageschäden zu verhindern und erfindet ein neues Wort: Entlassungsproduktivität. Meint: Gewinnerzielung durch Einsparung von Löhnen. Klingt aber nach: Broilern, die auf Bäumen wachsen. Super. Bringt dem kleinen Mann nichts. Dem der jetzt beim Arbeitsamt sitzt und hofft je wieder seiner Qualifikation entsprechend tätig werden zu können. Was selten der Fall ist, aber man darf sich ja nicht beschweren. Weil, tut man das, wer steht dann da? Der Euphemismusman. Und erfindet sofort was Neues, um den kleinen Mann ziemlich schlecht dastehen zu lassen. Weil er zwar noch lebt, er aber die Gesellschaft belastet. Mit seiner Faulheit und seinem widerstrebenden Willen sich einzusetzen. Auch mal was zu leisten, sozusagen. Eigentlich ist er also gar nicht da. Tot. Totes Humankapital halt. Ihr merkt, ich glaube fest an eine Verschwörung. Alles nur Wörter, die verschleiern und verdecken. Aber ich bin ja noch nicht am Ende. Nicht ganz. Denn sagen wir mal, der kleine Arbeiter nimmt sich das zu Herzen. Kann nicht mehr. Weil er doch nicht faul ist. Vielmehr er auch alles versucht, um zur Gesellschaft zu gehören. Ihm der Weg aber versperrt wird. Dann überlegt er sich, dass er hier wirklich nichts mehr verloren hat. In seiner bezahlten Wohnung und der Welt allgemein. Und wenn er nicht, dann seine Familie auch nicht. Die kann ja schlecht ohne ihn auskommen. Also besorgt er sich einen Strick, den kann er sich noch leisten. Und legt die Hände erst um den Hals der schlafenden Frau, dann den der Kinder. Um den Strick dann um den Dachbalken zu hängen und vom zurechtgestellten Stuhl zu springen. Selbst Menschen die hier noch Verständnis aufbringen könnten, würden der Bild vom Mord der Familie berichten. Vom grausam Geplanten und Durchgeführten. Der Euphemismussmann aber, der weiß, dass er so ganz unschuldig nicht ist, der erfindet was. Damit es nicht so schlecht klingt. Den erweiterten Selbstmord. Den der nicht strafbar ist. Und den, der nicht so schlimm ist, weil man ja aus freiem Willen so entschieden hat. Und er erfindet noch was. Weil der gute kleine Mann, ja so freundlich war und gestorben ist, bevor die Gesellschaft für ihn hätte aufkommen müssen, ohne dass die Chance besteht, noch was dafür zurückzubekommen. Keine Rente. Super, da hat er wohl insgeheim mitgedacht, der kleine Mann und der Gesellschaft was Gutes getan. Dafür ein Wort, hoch die Tassen, für das sozialverträgliche Frühableben!  

Wofür ich plädiere: für offene Worte. 

Titel: Der große automatische Grammatisator 
Autor: Roald Dahl

02 August 2010

Bubbles

Brennen muss Salem


Frankfurt am Main. Tja. Ich hatte mir vorgenommen, etwas Positives sagen zu können. Allein, weil ich gern dagegen bin. Wenn mir alle sagen, dass es eine furchtbar hässliche Stadt ist, kann ich das nicht glauben. Schlimmer als Berlin geht’s nimmer, denk ich. Also muss doch was Nettes dran sein. Ich fahr hin. Und erlebe eigentlich gleich da den ersten Reinfall. Nicht der Stadt zu verdanken, sonder mir, weswegen das als Minuspunkt nicht zählt. Ich hab keine Umweltplakette. Was ich erst am Umweltzonenschild merke. Da wo es keine Wendemöglichkeit mehr gibt. Das ist ein Minuspunkt. Drauf geschissen könnt ich denken und jetzt weiter fahren, wo eh alles verloren ist. Aber mach ich nicht. Will der Gefahr des Angehaltenwerdens soweit wie möglich aus dem Weg gehen und fahre ins erstbeste Parkhaus. Welches gut gepfefferte Preise hat. Zwei Euro neunzig die Stunde. Ab der Sechsten dann aber schon den Tagessatz von neunundzwanzig Euro. Mensch, das is doll. Der zweite Minuspunkt. Den Dritten gibt es gleich, als ich auf die Straße getreten bin, weil ich eigentlich die zwei Stunden Fahrt in den (trotz Umweltzone dreckigen) Wind schlagen möchte und nur zurück will. Weil es ist laut, beklemmend und beklemmend. Ich merk, ich bin ein Kleinstadtmensch. Und einer der keine hochstehenden Kragen mag, keine Bonzenkarren, keine spiegelnden Fenster. Egal. Musst du durch. Wenigstens auf den MainTower hoch. Und durch die Sicherheitskontrolle durch.
„Sie haben da eine Flasche im Rucksack!“ Tatsache. Fast vergessen.
„Japp!“
„Was is da drin?“
„Wasser.“ „Aha!“
„Soll ichs hier lassen?“
„Nee nee is schon okay. “ Sicherheit geht hier vor. Die Aussage reicht völlig und das Taschenmesser daneben wird einfach missachtet. Wenn das stets so ist: noch ein Minuspunkt. Die Aussicht ist okay. Nicht schön. Aber faszinierend hässlich. Alles Grau. Wenn das die Momo sehen könnte! Aber ich muss auch noch an einen ganz anderen Film denken, wenn ich hier stehe. Ich hab endlich das Ende von Fight Club voll erfasst. Ein Nullpunkt für diese Stadt, das wär‘s. Von daher, für die Erkenntnis, ein Pluspunkt.
Am Ende bin ich aber froh, dass ich wieder zu Haus bin. Wo man in zehn Minuten auf dem Rad im Grünen ist. Und wo man an Orten vorbeiradelt, an denen es nicht nach Auspuff riecht, sondern nach Kindheit: Pommes und Chlor.

Titel: Brennen muss Salem
Autor: Stephen King
Verlag: Heyne
Preis: € 8,95

25 Juli 2010

Küken Küken Küken Küken

Fromme Lügen


Wenn ich in den Urlaub fahre, bin ich vorher immer tierisch aufgeregt. Weil es sich anfühlt, als würde man diesmal wirklich alles hinter sich lassen und man irgendwo ein neues Leben anfangen. Ein Richtiges diesmal. Weil man nicht wirklich plant, keine Flugtickets kauft und keine Hotels bucht, sondern einfach blind mit dem Finger auf die (Deutsch-) Landkarte zeigt und den Zufall entscheiden lässt. Weil man weiß, man packt nur das Allernötigste ein und haut dann einfach ab. Vor lauter Ruhelosigkeit am letzten Arbeitstag vergess ich dann auch die Hälfte. Ich vergesse, dass ich an der Reihe bin mit der Sonnenscheinrunde und radel in letzter Minute zum Bäcker, um dort mitzunehmen, was der Laden hergibt. Ich habe keine Ahnung, was die Kollegen gerne essen und les‘ mir gehetzt durch, was im Angebot ist. Bestelle dann Pfannkuchen und Krakauer. Wunder mich, warum die Verkäuferin so langsam macht und bei jedem Pfannkuchen, den sie in die Tüte packt fragend nach oben guckt. Krakauer. Sagte ich das eben wirklich? Krakauer! Tatsächlich. Ich mein doch was anderes. Kameruner. So geht das dann den ganzen Tag weiter und der Chef schickt mich eine Stunde eher nach Hause, weil so richtig nichts mit mir anzufangen ist. Ich freu mich, lasse mir einen schönen Urlaub in Würzburg wünschen, weil da der Finger hingezeigt hat, und verabschiede mich von allen, als wäre es das letzte Mal, das wir uns sehen. Weil ich jetzt abtauche. In eine Welt wie in einer Schneekugel. Nicht weil es dort kalt ist und es silberne Glitzerfäden regnet, aber weil es dort friedlich ist und man abgeschottet ist. Allein quasi. Selbst die grauen Wolken bleiben draußen. Drücken sich nur wie Kindermünder von außen an die Scheiben. Der Weg dorthin ist auch nicht weit. Auch wenn ich an Würzburg vorbeifahre. Der Finger ist dick genug, um das Ziel weiter südlich zu interpretieren. Und außerdem, wenn ich nicht wieder zurückkomme, kann man mich lange suchen. Hier wird mich keiner finden. Zwischen Störchen und Pelikanen. Zwischen Wintergärten und 58 Stockwerken. Zwischen Schlössern und Bächen. Zwischen Mücken und Löchern.

Titel: Fromme Lügen
Autor: Irene Dische
Verlag: dtv
Preis: € 8,90

11 Juli 2010

Neues Baby

Zum Geburtstag für mich. Zum Geburtstag für mich. Zum Geburtstag, zum Geburtstag, zum Geburtstag für mich! Endlich ist er da. Der neue Blog, für die Fotos, die es hierher nicht geschafft haben und die auf der Festplatte nicht verstauben sollen! Und ich hoffe ihr habt genauso viel Spaß an ihm, wie ich!

04 Juli 2010

flutter by(e)

Der Schatten


Es ist dreiviertel acht. Abends. Also 15 Minuten vor um acht. Damit mich die Leute aus dem Westen auch verstehen. Es klingelt. Wider meinem Verstand öffne ich die Tür. Vor mir steht ein Wildfremder.
„Ey sag mal ist das mein Sonnenschirm da auf deinem Balkon?“
Wow. Irre sind die Leute nett. Ich bin mal gespannt, wie ich nachher die Tür wieder in die Angeln bekomme.
„Also ich rate jetzt mal ins Blaue. Sie sind der neue Nachbar?“
„Ja. Ist das nun mein Sonnenschirm?“
„Nein. Meiner. Schon immer gewesen.“
„Ja aber der sieht aus wie meiner. Der ist auch orange.“
Okay. Wir haben beide einen orangenen Sonnenschirm. Irre. Und das wo der kaum gekauft wird. Wer kann sich in der Gegend schon einen Schirm für Viereuroneunzig leisten?
„Gut. Und warum sollte Ihr Schirm dann auf meinem Balkon sein?“
„Na, ich hab meinen gestern verloren.“
„Verloren. Wie verliert man einen Sonnenschirm?“
„Na man, es war halt windig. Da is der runtergeflogen!“
Ach Gottchen, der Arme hat versucht zu entkommen. Und wie es ausschaut ist es ihm auch geglückt.
„Auf meinen Balkon?“
„Na kann doch sein, wohnst doch unter mir!“
„Wie auch immer, das ist meiner! Aber auf dem Hof lag gestern einer rum.“
„Na eben, deswegen frag ich doch, ob du meinen hast!“ Hhhhhhooooooaaaaaarrrgggggggcccchhhhhhhh….ich kann dieses leise Grollen im hinteren Gaumenbereich kaum zurückhalten.
„Ich wohn aber nicht auf dem Hof. Zum Ersten. Zum Zweiten, ich geh nicht auf dem Hof und sammel mir dort meine Einrichtung zusammen!“
„Ja aber du hast jetzt auch nen orangenen Sonnenschirm auf deinem Balkon!“
„Weil ich den gekauft habe. Und das mit Halterung. Oder ist die dir auch davon geflogen?“ „Wann wird jawohl noch fragen dürfen.“
Sagt er, dreht mir den Rücken zu und verschwindet. Der hat mich jetzt so geärgert, dass ich mal gucken muss, was der noch so auf seinem Balkon liegen hat. Das kauf ich dann aus purer Gehässigkeit Stück für Stück nach.

Titel: Der Schatten aus: Die Märchen Zweiter Band
Autor: HAns Christian Andersen
Verlag: insel taschenbuch
Preis: € 20,00

30 Juni 2010

Locker aus der Hüfte

Die Panne


Warum ich mit dir nicht so klarkomme? Hm. Ich weiß nicht, ich mag es nicht, dass du mich manchmal so dastehen lässt, als wär ich der größte Trottel auf der Welt. Wenn ich in der Drogerie stehe, vor den neuen Duschbädern, die es da gerade gibt. Dann geb ich mir extra Mühe. Weil ich mich kenne. Und halt die Packung beim dran Probe schnüffeln dreißig Zentimeter von der Nase weg, damit es nicht wieder in der Selbigen landet, und aussieht wie furchtbar schlimm erkältet. Dennoch. Du lässt mich zu doll zukneifen. Weil ich es nicht erwarten kann. Und da drückt sich so ein richtig dicker Tropfen raus. Der dann voller Freude raus und auf meine Hose springt. Und im Schritt landet. Super. Schön isses, das weiße Duschbad. Da auf der dunklen Jeans. Was tu ich? Rubbeln, was das Zeug hält. Bis der Opa der neben mir steht, mich fragwürdig anschaut. Also muss ich das Duschbad packen, auch wenn ich noch nicht weiß, wie es riecht, zur Kasse laufen, bezahlen, und raus. Echt zu dämlich. Meine Aufmerksamkeitsspanne ist teilweise wirklich recht kurz. Egal, ob ich mir kurz merken will, wie viel das Duschbad gleich gekostet hat, oder ich weiß, dass es wirklich wichtig ist, dass ich jetzt zuhöre. Schlimm ist das bei Namen. Die kann ich mir bei den ersten zehn Mal nicht merken. Weil sich in meinem Kopf immer wieder der gleiche Monolog abspielt: So, jetzt hast du dich zum vierten Mal überwunden und gefragt, wie doch gleich ihr Name war. Also hör jetzt verdammt nochmal zu und präg es dir in dein anscheinend viel zu kleines Gehirn ein, damit du sie nicht morgen wieder so dämlich in der unangenehmen Pause, in der du nach dem Namen suchst, anstarren und ihre rollenden Augen ertragen musst. Das kann doch nicht wahr sein, immer wieder dasselbe mit …. Und bumms, ist es vorbei. Die Gute hat Ihren Namen gesagt und ich habs schlicht und einfach verpasst. Deswegen wünscht man sich mich nicht als Zeugen. Weil ich wohl nicht mehr rausbekommen würde als: „Ähm…naja…nen Mann, normal groß halt…!“ Ich kann so was einfach nicht behalten. Das heißt, behalten sicher schon, wenn ich mal drauf achten würde. Aber dann und wann vergess ich sogar, wie ich selbst aussehe. Lauf ich dann an den verbeulten Rostlauben vorbei, seh ich in den Fensterscheiben zwar jemanden den ich kenne, aber nicht so gut, dass ich auf Nachfrage die Augenfarbe wiedergeben könnte. Die Frau ist eher eine flüchtige Bekannte, die mit mir nichts groß gemein hat. Immerhin lebt sie in Löffeln, Bildschirmen und Klobecken. Das tu ich nicht. Ich häng in der Realität fest. Eben bei dir. Und das nicht Mal gern. Weil, naja, du versaust mir mit Vorliebe die kleinen Freuden des Alltags. Neulich erst hat du sogar mein Eichhörnchen getötet. MEIN Eichhörnchen! Und das nicht auf die sanfte Tour. Seit mir als Kind ein Stoffeichhörnchen (sprich: Ai) in die Wiege gelegt wurde, bin ich derart vernarrt in deren lebendes Ebenbild, dass ich mich ständig freue, wenn ich sie sehe. Und das soll doch bitte schön täglich sein. Also wünsch ichs mir. Und. Tataaaaa- ich habe ein Arbeitseichhörnchen, dass mir täglich am Fenster vorbeispaziert um den Vögeln das Futter zu klauen. Toll. Da denk ich kurzzeitig wirklich gut von dir. Dass du nett bist und anderen auch mal was zukommen lässt. Kaum aber, das unsere Beziehung etwas in die Tiefe geht und ich auch mal bei ihm vorbei schauen dürfte, liegt der Katteker tot vor dem Fensterbrett. Von einer Krähe in viele kleine rote Stücken gehackt. Prima. Jetzt kann ich mir also Flecken angucken. Frag du mich nochmal, warum ich dich nicht leiden kann.

Titel: Die Panne
Autor: Friedrich Dürrenmatt
Verlag: diogenes
Preis: € 6,90

19 Juni 2010

Ein Bild, ein Wort!



Das Spiel


Ich habe ein altes neues Lieblingsspiel, das da heißt: Ma guggn, was passiert. Das ist ein super Spiel. Weil es nie langweilig wird, es überall und zwar allein und auch zu hundert gespielt werden kann und vor allem, weil es praktisch keine Regeln hat. Nur eine. Tu etwas Unerwartetes. Entdeckt hab ich das als Kleinkind in der Hofeinfahrt. Als wir noch einen Ofen hatten und keine Waschmaschine. Da dachte ich, ich gugge mal, was passiert, wenn ich bei der neuen Lieferung Kohle jede Einzelne nehme und einmal von oben bis unten meine Zunge drüber ziehe. Tja meine Erwartung (Ich mach die blitzblank!) hat sich nicht bestätigt. Aber, den Eltern, denen hab ich einen schönen Schock versetzt. Wie ich da als rabenschwarzes Kind mit stolz geschwellter Brust auf dem Boden kniete. Das war lustig. Auch wenn ich heut noch an den Spätfolgen leide. Nicht dass mich einer meiner Ärzte je auf meine vermeintliche Raucherlunge angesprochen hat, die ich seit dem haben muss. Ich mein, meine Apathie dem Staubwedel gegenüber. Ob ich da nun noch drüber wische oder nicht, sauber wird’s am Ende eh nie sein.
Die Freude am Spiel hats mir aber nicht genommen. Ganz im Gegenteil es gab auch Momente, in denen hat es mir genutzt. Auf einer Party, bei der ich den ganzen Abend von einem Typen angestarrt wurde. Manche Frauen mögen das. Ich nicht. Ganz besonders nicht, wenn der Typ orange ist. Gut. Also muss was Unerwartetes her. Ich schnapp mir einen Freund und mach mich gemeinsam mit ihm auf den Weg zum Starrer. Beide hüftschwingend. Der Starrer wird sichtlich nervös. Super, genauso hätt ichs gern. So kann ich das Wort ergreifen: „Hey, na? Bist uns beiden schon den ganzen Abend aufgefallen (hinzufügen eines neckischen Zwinkerns), wie siehts aus- hast du Lust die Nacht mit uns zu verbringen?“ Jawoll. Die Orange wird rot. Und muss plötzlich dringend weg. Gut, die Reaktion war jetzt nich sonderlich spannend, aber lustig dennoch.
Meistens spiel ich aber allein. Bin ja auch oft allein. Och, ich Arme. Da muss ich mir den Tag ja irgendwie lustig machen. Ma guggen also was passiert, wenn ich alle Türen (also die eine am Balkon) und alle Fenster (also das eine am Balkon) aufreiße, während auf dem Hof gerade zwanzig Bauarbeiter Styropor zur Dämmung eines ganzen Hauses wie die Wilden zurechtsägen. Damit ich mir nicht selbst die Überraschung verderbe, gehe ich erstmal auf Arbeit. Fünf Stunden. In denen ich schon völlig aufgeregt bin. Was mich wohl erwartet, wenn ich die Haustür aufmache? Gugg mal einer an. In meiner Wohnung hat es geschneit! Aber nich so popeligen Novemberschnee, der taut kaum das er die Erde zu fassen bekommt. Als ob er Angst hat. Bei mir braucht er die nicht zu haben. Bei mir kann er bleiben. (Ich könnt jetzt locker den Bogen zu oben genannter Spätfolge schließen, aber irgendwie ist euch das ja eh bewusst, brauch ich also keinen Ton mehr zu sagen) Von ihm hab ich also lange was. Weil, der is in jeder Ritze. Auf den Auszuge freu ich mich. Weil, wenn ich die Reste hinter dem Bett finde, muss ich wieder an den lustigen Tag denken und kann mich gleich nochmal freuen.
In Gesellschaft spielen ist aber auch nicht zu verachten. Solange es harmlos bleibt und man den Chef nicht fragt ob einem nur deshalb soviel Arbeit gibt, weil er insgeheim faul ist. Also lasst die Freunde ruhig mal mitmachen. Vor allem und immer dann, wenn sie nicht wissen, dass sie mitspielen. Für den Alltag hab ich meinen Knicks, den ich immer mache, wenn mir jemand die Hand entgegen streckt. Da stehen die Leute dann erstmal da. Da muss man gleich reagieren. „Na ein Gentleman hätt jetzt nen Diener gemacht!“ Jetzt guggen se verdutzt. Aber gemacht hat bisher noch keiner einen. Warum eigentlich. Ich geb nicht auf. Egal. Worauf ich hinaus wollte (und das schon die ganze Zeit) - am schönsten isses, wenn jemand (nicht man selber, da geht das eigentlich gar nicht (was mich nich hindert das ab und an auszuprobieren, weils dann doch interessant ist, wie man selbst reagiert)) total im Stress ist. Weil der Zug gleich kommt. Oder die Muddi. Oder die Muddi im Zug. Wenn ich dann den Kellerschlüssel in die Hand gedrückt bekomm mit den Worten „Hol mal schnell…“, dann überleg ich. Warte ma, ob der klitzekleine Schlüssel hier eigentlich auch in das Schloss passt? Tatsächlich. Man bekommt den rein. Und kann ich den jetzt auch drehen? Nein. Das heißt schon. Aber der dreht sich nicht im Schloss. Sondern um sich selbst. Wer hätte das gedacht? Ich nicht. Ich glaubs erst, wenn ich den Kopf in der Hand habe, während der Bart noch drinhängt. Toll. Bin ich stark. Ich kann Schlüssel zerstören! Yeah! Ich Hulk! Ach ja, der Keller. Hm. Ja, da kommt man jetzt erstmal nicht rein. Mal guggn was passiert, wenn ich das jetzt erzähle (und dabei immer noch vor Stolz zu platzen drohe). Er wünscht, ich täte es. Das platzen. Lustig. Und dabei kann ich beim Thema Schloss noch einen draufsetzen. Da ich ja noch auf einer Baustelle wohne, gibt es bei uns eine Kellerkellertür (also die, durch die man muss, um überhaupt erstmal zum Keller zu kommen), da ist statt eines Schlosses, ein großes schwarzes Loch. Also häng ich noch einen dran. Der Gute sitzt eh schon auf der Palme, wie er da mit ner Zange die Überreste rausfriemelt. Der Arme, was glaubt er denn mit den Resten noch anfangen zu können. Egal, Hauptsache er hats am Ende. Dann geh ich voran, immer auf auf, der Kellerkellertür entgegen. Stell mich vor die Tür mit Loch und zieh was das Zeug hält an ihr. Bekomm sie nicht auf und dreh mich um, und jetzt bitte mit vollem Ernst:“Scheiße, da hat doch wieder einer von den Idioten abgeschlossen!!“ Toll, so einen schönen fassungslosen Blick, ob meiner Dummheit, hab ich lang nicht mehr gesehen. Aber der geht noch besser. „Und das, wo die genau wissen, dass ich immer noch keinen Schlüssel bekommen hab. Kannst du mal eben bitte aufschließen?“
Ist das jetzt lustig, wenn ich das so erzähle? Ich weiß nicht. In der Situation war es das auf jeden Fall. Ja ja, das sagt se immer. Ich weiß.

Titel: Das Spiel
Autor: Stephen King
Verlag: Heyne
Preis: € 8,95

13 Juni 2010

In den Sand, ich sagte, in den Sand!

Gelée Royale


Meine Güte, was können die spucken. Also nicht nur unheimlich oft sondern auch richtig gut. Soweit man beim Spucken von gut sprechen kann. Ich mein, bei mir sieht das ja immer recht doof aus, wenn ich beim Rad fahren die Mücken in die Gusche bekomme. Dann muss ich mich tierisch konzentrieren, dass ich schön weiter gerade ausfahre, ohne mich lang zu legen. Und dann ganz multitaskinglike (ich habe soeben ein Wort geschöpft!) aufpassen, dass ich mir den Schnodder nicht übers Kinn aufs T-Shirt sabbel. Aber die, die können das richtig. Schön sauber gezielt und dann mit Schmackes raus damit. Schon immer noch eklig, das stimmt. Dennoch.
Warum ich mich heut mit Spucke auseinandersetze? Ich weiß es selbst nicht so genau, aber die letzen Zoobesuche sagen mir, ich sollte es mal. Denn es gibt verdammt viele Tiere, die einen anrotzen, wenn man ihnen zu Nahe kommt. Ich hab ne Weile versucht mir einzureden, das könnte ein Zeichen von Zuneigung sein. Aber nach Pferd, Esel, Ziege und Lama googel ich dann doch mal. Ich geb „spucken“ ein, weil ich nicht weiß, wonach ich sonst suchen soll, und muss mich erstmal an über 100 Seiten mit dem Titel „spucken oder schlucken“ vorbeiscrollen, bis ich zur Lösung komme. Nichts mit Zuneigung. Das is alles ganz anders. Verteidigungsverhalten. Natürlich, was auch sonst. Das Lama, was da letztens gut schnorrend erstmal hochgezogen hat, nachdem ich ihm zu lange mit der Kamera im Gesicht hing, um eine schöne Portaitaufnahme hinzubekommen, hat eher versucht mir das Augenlicht zu nehmen. Das ist nämlich nicht nur schnöder Speichel, sondern auch feiner ätzender Magensaft. Super. Ich dachte immer, ich muss mich nur vor dem Speichel der Speikobras in acht nehmen. 2,5 Meter und das geht dennoch gezielt ins Auge. Die müssen doch ne Macke haben. Gut. Vergessen wir den Stachel der Skorpione, die Analdrüsen der Stinkdachse und sogar das niedliche kleine Schnabeltier, das während der Paarungszeit nen Giftsporn am Hintern hat: Das wirklich Gefährliche ist also der tierische Geifer. Und nicht nur in der Tierwelt kann der zum Tod führen. Auch unter uns Menschen. Ja. Da guckt ihr. Einer Theorie zu Folge soll Walter von der Vogelweide hingerichtet worden sein, weil er dem Königssohn nicht in Gesicht gespuckt hat, um ihn seine Unterwürfigkeit zu demonstrieren. Die Menschen waren schon immer irre. Jedenfalls wurde immer ein Grund fürs Töten gefunden. Naja, ich will jetzt mal niemandem in die Suppe spucken, sondern lieber große Töne: Ich werd die Liebe der Tiere noch gewinnen und die nächsten Bilder auch ohne Gefahr für Leib und Leben auf die Speicherkarte katapultieren.

Titel: Gelée Royale aus "Küsschen, Küsschen"
Autor: Roald Dahl
Verlag: rororo
Preis: € 5,00

06 Juni 2010

..in anderen Sphären

Mein Herzblatt


Die Beziehung von mir und meiner Kamera ist schon eine ganz Besondere. Zwar eigentlich nur eine Wochenendbeziehung, aber im Gegensatz zu all den anderen, die sich damit rumquälen, klappt das bei uns ganz gut. Die Entfernung ist nicht das Problem, ich mein, immerhin hab ich ganz viele Bilder von ihr bei mir hängen, die ich mir jederzeit anschauen kann, wenn ich Sehnsucht bekomm. Und ansonsten wird montags schon wieder geplant, was wir am nächsten Wochenende gemeinsam unternehmen. Das zwar stets von mir. Ich geb den Ton an, ich weiß was ich sehen will. Aufnehmen und festhalten will. Und ihr müsstet uns sehen- mich und meine Kleine. Ein tolles Team. Ich bin nach nun fast sechs Jahren immer noch so vernarrt in sie, wie am ersten Tag. Hab ich sie in den Händen, geht um mich alles verloren. Da kommt es schon mal vor, dass ich an einem Teich stehe und hässliche Entenbabys (echt, es gibt hässliche Entenbabys, schaut euch mal die von den Blesshühnern an, wie ein klitzekleiner roter Tod, sehen die aus. Dennoch..interessant.) von vor einer Woche fotografiere und denke der Mann neben mir, will sich nett mit mir über die Tierchen unterhalten, dabei starrt der nur unentwegt in meinen Ausschnitt. Merk ich dass nach ner Viertelstunde, hau ich leicht geschmeichelt und hoch entsetzt ab und renn an die andere Seite vom Teich, um dort springende Fische zu fotografieren. Und das, weil man mir nicht glaubt, dass die das können, die leckeren Dinger. Und dann halt ich drauf. Dreihundert Bilder lang, bis ich den fliegenden Fisch hab. Und bis mir von hinten jemand Steine auf den Rücken wirft. Was ich irre unverschämt finde, weswegen ich mich schon umdrehen und das dicke Kind, das es nur gewesen sein kann, anschreien möchte, was es denn unsere Zweisamkeit stört. Wie gesagt, möchte. Ich machs nicht. Ist nämlich kein dickes Kind. Sondern tatsächlich eine Windhose. Die kann ich nicht anschreien, dass sie gerade versucht meine Linse zu zerstören. Ich mein, die würde sicher doof gucken, aber sich groß von mir kleinem schimpfenden Wurm beeindrucken? Ich glaub nicht. Also kann ich mich im Grunde nur schützend und wundernd, dass diese No-Name Hose es hierher geschafft hat, über meine Kamera werfen, um den schlimmsten Schaden zu verhindern. Einen Steinschlag. Das wärs ja noch. Carglass gibt’s hier in der Nähe nicht. Da wär ich völlig aufgeschmissen. Mist. Abwarten. Klappt dann auch. Die Hose macht sich nass und verschwindet auf dem Teich. Tja ja, so läuft das bei uns beiden also immer, wenn wir unterwegs sind. Da lauert die Gefahr überall und es kommt durchaus auch vor, dass man mal von einem Pferd und einem Kamel innerhalb von zehn Minuten eine Kopfnuss bekommt. Das nehm ich in Kauf. Aber heut. Ja heute, da wurde ich sogar von einer Straße angegriffen. Von einer Straße! Das muss mal sich mal vorstellen. Und die hat auch noch gewonnen. Dabei kann die sich nicht mal bewegen! Und ich. Ich hab jetzt nen verbrannten rechten Arm. Eklig. Aber wie gesagt- ich nehm die Gefahr in Kauf. Für ein gutes Bild mach ich das. Gern. Wenn das im Kasten ist, freu ich mich wie bolle. Und mein Freund, den ich danach wieder wahrnehme, fragt mich mittlerweile dann schon, ob ich jetzt Lust auf eine Zigarette hätte. Und ganz ehrlich, manchmal möchte ich schon gern ja sagen.

Titel: Mein Herzblatt aus "...und noch ein Küsschen!"
Autor: Roald Dahl
Verlag: rororo
Preis: € 5,00

30 Mai 2010

Landflucht

Die Unwissenheit


Die Frage danach, ob man einen Menschen kennt, ist ungefähr genauso einfach zu beantworten wie die, ob der Himmel auf dem Rücken eigentlich friert. So unmöglich die Auflösung ist, so umfangreich traut man sich Selbiges immer wieder zu. Und man schiebt die Menschen fleißig in die paar Schubladen, die man sich zurechtgezimmert hat. In die Schublade eins kommt die Familie, die braucht man nicht im Detail zu kennen und zu verstehen, weil man die sowieso so zu nehmen hat, wie sie ist. In die Schublade zwei kommen die Freunde, von denen man sich wünscht, dass sie so sind, wie man sie versteht. In die Schublade drei, kommt der Rest der Menschheit. Somit die, die man nicht kennen will, die, die man kennen, aber nicht mögen muss, die einem über dem Weg laufen und gleich wieder vergessen werden. Die, bei denen man überheblich denkt, dass sie einem eh nichts vormachen können. Weil man mehr Lebenserfahrung hat. Weil man im Gegensatz zu Ihnen nicht naiv, kein Gutmensch ist. Weil man den besseren Lebensstil, das bessere Händchen hat, die bessere Kleidung trägt. Im Zweifel ist jeder Grund ausreichend. Jeder. Um die Leute aus dem eigenen Leben raus zu halten. Aus den eigenen Gefühlen. Den eigenen Gedanken. Zeitweise bekomm ich davon Schluckauf. Da kommt das leise Zweifeln hoch. Ob das alles so stimmt. Aber dafür gibt es Hausmittel. Einen Löffel Zucker. Ein Glas Wasser. Scheuklappen. Im Grunde genommen sehe ich es ein. Wozu die Schubladen? Ich kann den Rest der Welt ja nicht kennen. Wahrscheinlich nicht einmal mich selbst. Keine Einschätzung abgeben oder eine Vermutung. Jeder Mensch mutiert täglich zu etwas Neuem, was sich meinem Horizont nicht erschließt. Was ich nicht verstehen kann. Will. Letztlich sehe ich nur den Schatten vom letzten Tag. Nachfragen erspare ich mir. Gerade, bei denen, von denen ich glaube, sie ständen in meiner Nähe. Allein aus der zeitlichen Perspektive, die einen verbindet, wird der Anspruch gezogen, dass solches nicht mehr erforderlich ist. Ich hab ja schon so viel mit euch erlebt. Geredet. Getanzt. Gelacht. Da sind alle fragenden Worte überflüssig geworden. So, dass ich problemlos von mir auf euch schließen kann. Egal, ob euch das passt. Oder ob ihr da schon rausgewachsen seid. Aber schön isses mit euch. So schön belanglos jetzt. Jetzt, wo wir die harte Zeit des Kennenlernens hinter uns gebracht haben.

Am Ende ist eine Schublade genug. Schmeißt mich mit dem ganzen großen Rest zusammen. Damit ich dort untergehen kann.

Titel: Die Unwissenheit
Autor: Milan Kundera
Verlag: Fischer
Presi: € 8,95

24 Mai 2010

Der Teufel ist ein Eichhörnchen


Märchen aus dem vergessenen Schrank


Man kann über Nachbarn ja sagen, was man will. Aber zu reden hat man immer was. Man kann prima hinter vorgehaltener Hand tuscheln, wenn zum zweiten Mal die Polizei im Hause ist und den Trennungsstreit im Dachgeschoss zu schlichten versucht. Man kann sich seinen Teil denken, wenn der Hund vom Erdgeschoss demonstrativ eine Windel umgebunden bekommt, sobald er eine Pfote auf den Hof setzt. Und man kann glauben, dass der Typ von nebenan, der einem immer die Pakete annimmt, den Tag über nichts zu tun zu haben scheint. Bis man ihn abends in der Kneipe trifft, er einem die Rechnung bringt und man überlegt, welches Trinkgeld denn jetzt angemessen ist. So richtig zum Aufregen aber, und das immer wieder, ist die Musik/der Krach, der im Hause (Lady Gaga), auf dem Balkon (Störkraft) und dem Hof (Matthias Reim) läuft. Mit dem Wochenende auf dem Balkon wird es demnach nichts, und man kann die neue lieb gewonnene Heimat nur ertragen, wenn man aus ihr flüchtet, oder sich mit Musik im Ohr auf die Couch verkriecht. Zugegeben. So ein Gehör ist doch was Feines. Merk ich, wenn die Lieder durch die Lakritzschnur ins Ohr surren und die Synapsen episodische Assoziationen wecken, indem sie Eimer mit kaltem Wasser ausschütten und einen in eine andere Zeit verschieben. Da landet man in Dresden, am noch unbebauten Elbufer. Auf dem gemütlichsten Balkon Jenas. Bei einem Spaziergang zum ins Wasser fallenden Strandfest. Mit einer weißen Porzellantasse in der Hand in Leipzigs Straßen. Oder oder oder. Ich find das irre, was das Gehirn da mit einem macht. Zumal in den meisten Fällen, Lied und Moment sich nie getroffen haben. Sie mussten sich also Fragen wie „Was zieh ich heut bloß an?“ und „Was, wenn ich ihm nicht gefalle?“ gar nicht erst stellen, sondern wurden wie Rezeptzutaten einfach zusammengeworfen, um am Ende ein Drei-Sterne-Gericht zu schaffen. Der Kopf im Ruhezustand ordnet die Dateien neu. Wahnsinn. Mit der Erkenntnis im Schädel werde ich mir tatsächlich einen Soundtrack zusammenstellen, damit man mir den, im Falle das ich im Leben zu viele Frühstücksbrote in Alufolie eingewickelt hatte, vorspielen kann und ich mich so an die vom Kopf ausgewählten wichtigsten Momente noch erinnern kann.

Titel: Märchen aus dem vergessenen Schrank
Autor: Susanne Spöndlin
Verlag: Fouque Literaturverlag
Preis: € 11,80

17 Mai 2010

Regenbogenforelle

Die Arbeit der Nacht


Was war ich froh, als ich vor mittlerweile acht Jahren mein Fahrrad bekommen habe. Es durfte natürlich kein Damenrad sein. Und es musste silber sein, durfte keinen Gepäckträger haben (wer braucht das schon?) und sollte unbedingt extra schmale Reifen haben, damit ich extra schnell fahren kann. Heute ist es immer noch mein Rad, sieht aber ganz anders aus. „Aufgemotzt“ wurde es über die Jahre. Und hat jetzt nicht nur einen Gepäckträger, sondern darauf auch ein schickes Körbchen für das viele Bioobst vom Markt. Statt einer kleinen Klingel, die nur seicht „ring, ring“ macht, hat es jetzt ein gedrehtes Horn, das richtig schön möööpt. Und, ganz neu: Der Sattel hat nicht nur einen Regenschutz sondern auch ein kleines Tussitäschchen für Flicken und Kitt. Alles ein bisschen vorsichtiger als früher also. Jetzt sogar auch StVZO zugelassenes Licht. Nutzt aber alles nur geringfügig was. Fahren muss man trotzdem können. Und wissen, dass Straßenbahnschienen keine Freunde von Radfahrern sind. Immerhin aber: Heut komm ich nicht mehr gleich ins Krankenhaus, wenn ich die Rück- mit der Vorderbremse verwechsle. Dafür kommen die Leute aber immer noch auf mich zugerannt und fragen mich, ob ich mir den Kopf gebrochen habe. Und ich will, immer noch, cool sein und antworte erstmal mit „Nö nöhö, alles kein Problem!“ Gut, ich fall heut immerhin nicht gleich um. Blutverlust reicht diesmal dafür nicht aus. Wie gut, dass ich heute einen Helm habe. Der hilft gegen Löcher im Kopf. Faszinierend. Aber ich finde auch einen anderen Grund zum Umfallen. Drama, Baby. Ich schwing mich also erneut aufs Rad, ohne zu merken, dass die Kette rausgesprungen ist. Fahr dementsprechend nicht weit und hau mich gleich nochmal hin. Super. Jetzt kann ich peinlich berührt mein Rad, nach erfolglosem Versuchen die Kette wieder drauf zu ziehen, ganz langsam von der Bühne schieben. Dennoch- ich liebe mein Rad. Es hat einen ganz besonderen Vorteil, den man erst mit der Zeit schätzen lernt. Sein Alter. Niemand außer mir interessiert sich mehr dafür. Und genau das braucht man, wenn man in solch einer prima Gegend wohnt, wo sich nachts um zwei, zwei Etagen unter dem eignen Bett, zwei junge Burschen mit dem Brecheisen am Eingangstor zu schaffen machen. Sich dann auf dem Hof umschauen und feststellen, dass man eigentlich alle Räder mitnehmen und verscherbeln kann. Alle bis auf eins. Bei dem ist der Lack schon ganz bös abgebröckelt. Und es hat nur ein Schutzblech. Die Bremsklötze sind fast abgefahren. Lohnt nicht. Sehr schön. So bin ich die Einzige im Haus, die sich morgens nicht mit der Polizei unterhalten muss und statt dessen gemütlich zur Arbeit radeln kann. Arme Nachbarn. Wieso kauft man sich auch ein 1.600,00 € Rad und stellt es dann neben meins. Obwohl. Was sag ich da? Arme Nachbarn? Bin ich irre? Denn wo ich schon bei der Gegend bin. Die ist so herzlich, dass man sich bei Nichtgefallen gegenseitig Zigarettenkippen auf die Wäsche wirft. Oder sich gegenseitig auf die Türvorleger pinkelt. Mensch Kinders, ich fühl mich hier nicht wohl. Aus dem Alter bin ich doch schon seit einer Weile raus. Und selbst ich hatte mich damals noch cleverer angestellt. Immerhin wurde ich nicht erwischt.

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autor: Thomas Glavinic
Verlag: dtv
Preis: € 9,90

09 Mai 2010

Sprung in der Schüssel

Das Blaue vom Himmel über dem Atlantik


Panik. Ich steh am Geldautomaten und finde alles in meiner übergroßen Mädchentasche, nur meine Maestro-Karte nicht. Hinter mir eine nervöse Menschenschlange. Es kann nicht sein, dass ich die verloren hab. Ich bleib stehen und wühl weiter rum. Lipgloss, Schlüssel, alte Fahrscheine. Keine Karte. Dafür einen Zeigefinger auf der Schulter und die Frage, ob ich noch lange sinnlos rumstehen möchte. Möchte ich nicht. Ich möchte meine Karte. Hab doch noch nie was verloren. Jetzt das erste Mal. „Kopp un Arsch eins.“ würde die Oma sagen. Hm. Die Frau am Schalter schaut mich auch an, als wär ich die Erste, der das jemals passiert ist. „Sind se sich sicher?“
„Klar, ich hab ja noch nie was verloren. Die muss mir jemand geklaut haben!“ Gut. Nicht realistisch. Wer klaut aus einem Portemonnaie nur die Ec-Karte? Obwohl. Ist bei mir möglich. Hab ja grundsätzlich nie Bargeld dabei, damit ich es nicht ausgebe. Das klappt aber nicht, wenn ihr es wissen wollt. Hab nämlich den, für manche unausstehlichen, Tick entwickelt die Karte nicht zu benutzen, wenn ich was kaufen müsste, was weniger als zehn Euro kostet. Führt meistens dazu, dass ich noch sinnlos was in den Einkaufswagen packe, nur um über die Grenze zu kommen. Meistens Kaugummi.
„Das kost aber siebn Euro.“
„Hm.“
„Guggn se doch zu Haus nochma, ob se nich da irgndwo rumliegt!“ Und was wenn nicht.
„Und was, wenn nicht? Was wenn mir jemand die Karte aus der Tasche gezogen hat und mit meinem gerade draufgekommenen Gehalt einen drauf machen geht? Was dann? Wer bezahlt mir das? Hä?“
„Na da müssense dann selber für grad stehen, is ja wo klar.“
Na danke. Was bringen mir gesparte sieben Euro, wenn die dann auch mit verbraten werden? Gut. Dann sperren. Deprimierend. Normalerweise würd ich mir jetzt Duschgel kaufen. Das heitert mich immer auf. Geht nicht. Hab kein Bargeld. Würde eh nicht gehen. Unter zehn Euro. Was anderes brauch ich nicht. War gestern erst in der Drogerie. Mist. Normalerweise würd ich mir das jetzt auch kaufen lassen. Aber.

Er ist auf dem Weg zum Flughafen. Der Bus fällt heute ausnahmsweise aus. Ein Anruf bei der Taxizentrale bringt die Erkenntnis, dass Autos auch nicht schneller sind als Busse. Fünfundzwanzig Minuten. Super. Da ist der nächste Bus zweimal da. Und der Zug zweimal weg. Und das Flugzeug auch. 1.200,00 Euro. Ppffhhh. Das bekommt man sicher in einer Schadensersatzklage wieder rein. Den Anpfiff vom Chef nicht. Den bekommt man ab. Super. Regt sich auf und vergisst, dass Feiertag ist. Nur Glück rettet den Hintern. Ein Taxi fährt vorbei und hält auf Winken sogar an. Nimmt einen auch mit. Zug noch bekommen. Flugzeug auch. Gepäckabgabe, Sicherheitszone Eingang, Sicherheitszone Kontrolle, Gate. Überall Schlangen. Warten. Aufs warten. Woanders. In der Luft. Mit Tabletten und E-Nummern im Bauch. 1.500,00 Meter über der Erde. Beim Ankommen die falsche Hand auf den Scanner gelegt. Keine gute Idee. Müde.

Ich muss zur Freundin. Trotzig sein, wegen der verlorenen Karte. Und schmollen. Ich lasse mich trösten. Und verwöhnen. Mit üppigen und wundervollen Essen. Und Schuhen. Irre, geht’s mir gut.

Er guckt sich zusammen mit seinem Jetlag tolle Sachen an. Ein weißes Haus und einen großen Pool, durch den Tom Hanks mal gelaufen ist. Aber durchlaufen. Kann jeder. Oder? Sieht jedenfalls so aus, als hätten die hier nen Stück betoniert. Muss ausprobiert werden. Mit den Zehenspitzen voran. Ein Bauchklatscher folgt. War doch nur ne dicke, feste Schlammschicht. Die ist jetzt auf dem Bauch verteilt. Und der Fuß verstaucht. Super. Jetzt haben es alle mitbekommen. Die Touris sind da.

Mir fällt was ein. War doch gestern in der Drogerie. Und hab mir Duschbad gekauft. Ja, war eine schlechte Woche für mich. Kann jetzt nach Kiwi riechen. Das ist schön. Vielleicht liegt meine Karte noch da. Hatte schon mal so ein Glück. Als ich mein ganzes Portemonnaie verloren hab (ja, doch nicht das Erste, was mir für einen Moment entfallen ist), lag es nach zwei Tagen immer noch an der gleichen Stelle unter dem Stuhl im Restaurant. Toll, dass es mit der Sauberkeit dort nicht so gesehen wurde. Vielleicht klappts ja nochmal. Nervös frag ich die Frau an der Kasse. Ja, ne Karte wurde abgegeben. Ne blaue sogar. Hoffnung keimt in mir auf. Ich dränge sie, doch bitte gleich im Tresor nachzuschauen. Der Name stimmt. Ist meiner. Ich freu mich riesig. Und die Frau an der Kasse auch. Drückt mich sogar. Weil ich mich so schön freu, dass man nur mitmachen kann. Jetzt kann ich es der Frau in der Bank aber zeigen:
„Einmal entsperren bitte- die Karte ist wieder da.“ Yeah!
„Ach, doch noch zu Hause gefundn, wa?“
„Nee…die wurde im Laden abgegeben!“
„Bei Haaa und Ämm nach m Shoppn verlorn, wa?“
„Nee!!! Aber da geh ich jetzt hin, also freischalten jetzt. Bitte!“

Der Rückflug ist nicht so einfach. Überall Asche in der Luft. Da sie von rechts kommt, hat sie Vorfahrt. Er muss nen Umweg nehmen. Und sieben Stunden Verspätung in Kauf. Das heißt, Anschlussflug weg, Zug weg, Bus weg. Schon wieder. Nur diesmal nach dreiunddreißig Stunden ohne Schlaf. Wir haben Mitleid und fahren entgegen. Mit einem Kissen auf der Rückbank, zum gleich ins Traumland gehen.

Meine Karte ist wieder da.
Er auch.
Alles ist gut.
Wie immer, am Ende.

Titel: Das Blaue vom Himmel über dem Atlantik
Autor: Emma Braslavsky
Verlag: List
Preis: € 9,95

03 Mai 2010

Kerzen weg vom Weihnachtsbaum

Hexenstunde


Mit zehn Jahren war ich im Harz auf Klassenfahrt und hab Tiere gefüttert, Talsperren angeschaut, Höhlen besucht und bin natürlich auf den Brocken gefahren, um dort den Brockenhexen zu begegnen. Hat aber nicht geklappt. Jetzt war ich wieder da. Diesmal nicht auf Klassenfahrt, aber die Stimmung war ähnlich. Aufgeregt im Zug, mit vollgepackter Tasche, aufbleiben, solange man will und essen, was man will. Klar, dass kann ich sonst ja auch, aber zu zweit isses doch schöner. Egal. Ich wollte jetzt endlich mal sehen, was ich mir seit der vierten Klasse vorgestellt habe. Einen Platz mit einem fünf Meter hohen Holzschiethaufen (ahh..daher kommt das mit dem Scheiterhaufen! Das hat jetzt aber lange gedauert, eh ich das verstanden habe), der mit Sonnenuntergang entzündet wird. Darum viele Menschen, verkleidet als Hexen die wie die Wilden drum rumtanzen. Dabei jede Menge zu essen und zu trinken. Und Dudelsäcke. Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin. Aber: Dudelsäcke. Und gegen Mitternacht ist das Feuer derart runtergebrannt, dass man mit einem gekonnten Hüpfer in den Mai springt. So dachte ich mir das. Ja, dachte. Aber eigentlich isses so: Man hat zwei Varianten (und beide habe ich mitgemacht). Entweder man kommt abends um neun, stiefelt auf den Berg hoch, ist vom Weg völlig verschwitzt und zahlt 12 Euro Eintritt. Dafür sieht man dann ein unspektakuläres 50 cm Feuer und 2 Stunden eine Lasershow, für die die Veranstalter anscheinend ihr letztes Hemd gegeben haben. Dazu: Techno. Wobei ich dachte, den gibt’s nicht mehr. Aber zum Laser, der eigentlich massenweise epileptische Anfälle verursachen müsste, auch bei sonst gesunden Menschen, passts. Aber der Laser nicht zu Walpurgis. Schade. Finde ich. Thema verfehlt. Sechs, setzen. Die andere Alternative ist: Man geht halb elf los und bewegt sich Richtung einer laut Radioansager „großen Veranstaltung mit Hunderttausend Gästen“. Aber halb elf ist für die hiesigen dörfischen Verhältnisse spät. So spät, dass man auf der Straße angehalten wird, weil die Leute, schon gut dabei, denken, man wäre ihr Auto, was sie abholen kommt. Als wäre man der Knight Industries Two Thousand. So spät, dass der Typ am Kassenhäuschen schon einpackt und einem zu verstehen gibt, das man nu auch ohne Eintritt reinkommt. Was gut so ist. Erwartet einen drinnen doch nur ein Entertainmentpärchen um die 50, das in Begleitung eines Keyboards Texte absingt. Das Ganze in einem Waldstück, in dem an jeden Baum lebensgroße Hexen an die Bäume genagelt sind und unter denen ein entsprechend kleines Feuer lodert, um welches kleine Kinder, die in der Stadt schon längst im Bett hätten sein müssen, rumrennen. Und regelmäßig auf meine Füße treten. Fazit: Morgen versuchen wir unser eigenes Feuer. Und wenn man jetzt denkt: die im Harz, die wissen, wie man ein Feuer legt, da täuscht man sich auch. Nach drei Stunden mit wedelnder Pappe in der Hand hat man die Würste (vegetarisch natürlich) auf den Grill versetzt, gebraten und verschlungen. Den Appetit auf Fisch, den man bekommt, weil man mittlerweile selber riecht wie eine geräucherte Makrele, unterdrückt man. Aber aufgeben ist nicht drin und wir werfen alles rein, was helfen könnte. Sogar die Idee brennender Kerzen, steht im Raum. Für ein Dreißigsekundenfeuer von überraschendem Ausmaß sorgt letzen Endes aber nur eins: der Weihnachtsbaum vom vorigen Jahr! Daran freuen wir uns, begeben uns dann unter die Dusche und lassen die angekohlten Würste von Nachbars Katze holen.
Für mich hab ich gelernt nicht mehr das zu verlangen, was die Gegend verspricht: Ein Harzer muss nicht zündeln, ein Bayer keine Weißwürschte kochen können und ein Kölner keine Regenbogenflagge im Fenster haben. Trotzdem kann man schöne Tage haben, sich heimisch und wie ein Kind auf dem Trampolin frei fühlen.

Titel: Hexenstunde
Autor: Anne Rice
Verlag: Goldmann
Preis: € 12,00