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20 November 2010

Im Dunkeln ist gut funkeln

Der Wegwerfer


Ich hab geglaubt, wenn ich mich die letzten Wochen vor der großen Prüfung einsperre wird alles gut. Ich bin fernab von aller Reizüberflutung und lasse mein Gehirn auf Hochtouren anlaufen, sogar mein Rollo vorm Schreibtisch ist runtergelassen, damit ich mir nicht alle 2 Stunden anschauen kann, wie der Nachbar das Baby wickelt. Bloß keine Ablenkung. Kein Fernseher, keine Zeitung, keine Motive. Nur Papier, Paragraphen und Paukenschläge. Ein bisschen Eiweiß und Schokolade- da sollte eigentlich alles in Ordnung gehen. Aber nö. Nicht mit meinem Gehirn. Das schaltet die völlig falschen Sachen aus und total Unnütze an. Unnütz zum Beispiel der Gedanke: Hach guck mal, unter der Waschmaschine, ich glaub da wurde ewig nicht sauber gemacht. Mach ich jetzt mal. Und überhaupt- wie sieht es denn in der Maschine aus? Das geht ja gar nicht, warum um alles in der Welt heißt die Waschmaschine, wenn sie sich selbst nicht sauber halten kann? So, jetzt isse sauber und schick. Nur war das Ganze überflüssig, weil es niemand sieht. Aber ich hab mich super zwei Stunden von den Büchern ferngehalten. Klasse! Gut wieder vor die Bücher! Aber jetzt wirklich und mit vollem Elan!!! Ran jetzt! Apropos Bücher. Ich hab doch noch die alten Hefter, mit denen geht es sicher schneller. Was man selbst mal geschrieben hat, soll ja schneller wieder drin sein, im Kopf. Such ich jetzt mal. Unterm Bett, im Keller. Sind se nicht. Hinter der Couch auch nich. Ach, im Schreibtisch haben se sich versteckt. Sowas. Neben wem saß ich in der Vorlesung gleich? Mensch, von der hab ich ja mindestens zwei Jahre nichts gehört, der muss ich jetzt unbedingt mal schreiben, fragen wies so läuft und erzählen wie unheimlich stressig es bei mir ist, weil ich nur am Lernen bin. Yeah! Nochmal zwei Stunden weg. So. Und was kann ich jetzt machen? Hm. Ich bräuchte Milch und Haferflocken. Dann nix wie los!
Zehn Minuten später in der Kaufhalle. Ja cool, hier gibt es Kinderfeuerwerk. So mit Knallerbsen und Silberzeugs was man in der Hand halten kann. Und das glitzert. Toll! Das muss ich jetzt wirklich haben. Sonst hab ich zwar immer ein bisschen Schiss was so Feuerwerk angeht, aber wenn das Kinder können….Sag mal, Feuer. Da war doch was. Scheiße, sind deine Kerzen noch an!? Du hast die nicht ausgepustet, gell? Oder doch? Nein hast du nicht. Hast du nicht hast du nicht hast du nicht!!!! Schön. Ich werf alles was ich grad in den Händen hab und alles was ich auf dem Weg noch greifen konnte auf das Fließband der Kassierung, freu mich noch mehr über das Feuerwerk, weil es mich auf so gute Ideen bringt, bezahle und steh zwei Minuten später in der Wohnung. Die Kerze war an. Bis gerade eben. Jetzt schwebt nur noch ein kleiner Rauchfaden nach oben an den (oh Moment der ist ja immer noch nicht wieder dran) Rauchmelder. Verspottest mich, was? Okay, komm runter. Ist alles gut gelaufen. Glück gehabt. Mach dir erst mal nen Kaffee. Der ist nötig. Als Doping sozusagen, denn der inzwischen nicht kleiner gewordene Berg an Arbeit muss ja jetzt doppelt so schnell bearbeitet werden. Mein Schreibtisch ist sehr klein (ich glaub der war damals sehr günstig, und wahrscheinlich für vierzehnjährige Schüler), aber es passt dennoch verflucht viel drauf: Deutsche Gesetztestexte mit dazu passenden Kommentaren, fünf Skripte und drei Bücher vom Chef („Falls sie es dann immer noch nicht verstanden haben!“) auf der linken Seite. Rechts: Meine Kamera (warum auch immer), mp3-Player und Speicherplatte. Und wenigstens eines der Skripte muss heut davon verschwinden. Wenigstens eins, bitte! Dafür wird’s auch nen großer Kaffee, frisch überbrüht. Der ist fertig und bis zu meinem Schreibtisch und damit dem ganzen Wissen sind es jetzt nur noch fünf Meter. Vier. Drei. Zwei. Einer. Du stehst davor. So. Jetzt merkt mein Gehirn, dass es was vergessen hat. Frisch überbrühter Kaffee ist schweineheiß und den dann in eine Tasse ohne Henkel zu schütten nicht klug. Es sind noch dreißig Zentimeter bis zum Tisch. Ich muss die Tasse eigentlich nur noch hinstellen. Aber: Warum ist das mit einmal so heiß? Verflucht ist das heiß. Scheiße, das glüht ja richtig. Ey, meine Hand verbrennt gleich. Ich muss das auf der Stelle, jetzt sofort, fallen lassen, sonst sterb ich. Und das mach ich dann auch. Jedenfalls muss ich das getan haben. Wahrscheinlich eher noch mehr. Ich hab sicher ein bisschen dabei geschleudert, weil das Muster dann auf Fensterscheibe, Fensterbrett, Tapete, Heizung, Schreibtisch, Pullover, eigenen Büchern, Mp3 Player, Skript, Gesetz, Büchern vom Chef, Hose, Pflanze neben dem Schreibtisch, Teppich und Fußboden unter dem Teppich neckischer ausschaut. So ein halber Liter Kaffee kann sich prima verteilen. Aber habt ihr was mitbekommen? Die Kamera, das Wichtigste also, hat nix abbekommen. Wenn das kein Zeichen ist. Kann ich mir also in Ruhe nen neuen Kaffee machen und anfangen, die Sauerei wegzumachen.
Eigentlich könnte ich mir gleich Farbe besorgen und hier streichen….
Ich sollte auf Glück hoffen, für mich isses ja da.

Titel: Der Wegwerfer
Autor: Heinrich Böll

11 November 2010

Laternchen, Laternchen

Oben leuchten die Sterne


„Schönen guten Tag! Ich hätte gern ein Sturmfeuerzeug. Haben Sie sowas hier?“
„Sicher. Wofür brauchst dus denn? Zum Bong rauchen?“
„Nein, mir reichts tatsächlich, wenn es beim Sturm auch angeht.“
„Hm. Na aber zum Bong rauchen, da sind die auch immer gut!“
„Brauch ich wie gesagt nicht!“
„Ja, aber wenn, es wär perfekt!“
Auf solche Gespräche muss mann sich einlassen. Für mich, damit ich meine Wünsche erfüllt bekomm. Und wofür brauch ich das Feuerzeug? Zum Bong rauchen nicht. Soviel steht fest. Das Feuerzeug hat seine Geschichte. Und die geht so.
In schlaflosen Nächten gehen andere zocken, lernen eine Sprache oder planen Reisen, um sie dann auf Eis zu legen. Da mir aber die Nächte leidtun, wenn sie nicht zur Ruhe kommen, geselle ich mich zu Ihnen und begebe mich auf die Suche nach Ideen. Da das Internet voll davon ist, nehm ich mir den Läppi mit zur Wärmflasche ins Bett und hoffe, dass uns sein Neonlicht genauso müde macht, wie sonst auf Arbeit. Aber er ist wie ein kleines, bockiges Kind: er macht immer genau das, was er gerade nicht soll. Im Gegenteil. Er zeigt mir Sachen, die mich in den Bann ziehen und so munter machen, als hätte ich eine Packung Dextrose gegessen. Er füttert mich mit Informationen über Wunderkerzen, Bubiwagenreifen, Hula-Hoops, Kanalisationen und Ufos. Das alles will ich nun auch. Zumindest vor dem Sensor. Also kratze ich am nächsten Morgen als erstes mein Taschengeld zusammen und kaufe alle Wunderkerzen der Stadt. Dann warte ich brav, dass es dunkel wird. Dank der Zeitumstellung, die ich dieses Jahr wirklich mal mitbekommen hab, geht das schnell. Dann stell ich mich auf einen Berg, der schönen Aussicht wegen, und versuche meine Wunderkerze anzubekommen. Was mir wahrscheinlich jeder halbwegs kluge Mensch hätte sagen können, merke ich erst jetzt: auf einem Berg ist es verdammt windig. Supermarktfeuerzeuge nutzen hier so viel wie ein Stück Holz. Ich versteh das da oben schon, aber glauben will ich es nicht. Ich dreh lieber solang, bis das Feuerzeug den Geist aufgibt und ich es auf dessen schwache Brust schieben kann, dass ich unverrichteter Dinge wieder von dannen ziehen muss. Ein Sturmfeuerzeug muss also her. Und weil man einmal dabei ist, wird auch der Rest besorgt. Nicht kleckern, glotzen. Dann wieder auf die Dunkelheit warten. Der Berg soll mich nicht klein bekommen. Mich nicht! An der Fußgängerampel trifft man zwei gackernde Mädchen. „Wir sind schon zwei Nudeln, laufen hier mit ner Riesenpackung Eiersalat durch die Stadt. Mitten im Winter. Wiiiieeeee peeeiiiinlich!“ Gut, da komm ich mir veralbert vor, weil ich steh daneben und sehe folgendermaßen aus: Schwarze Schuhe, Hose, Jacke, Handschuh, Mütze und Sonnenbrille, um die Hüften eine blaue Lichterkette (die äußerst praktisch ist, wenn einem der Schlüssel aus der Hand gefallen ist), einen Reiserucksack auf dem Rücken, und ein Rad an einem Stock, welches ich hinter mir her ziehe. Immer den Berg hinauf. Die Lichterkette scheint einen interessant zu machen. Nicht in der Art: mal gucken was passiert, sondern eher: Meine Güte, was das denn für eine Irre. Angesprochen wird man nicht (außer vielleicht von der Polizei) aber verfolgt (auch gern von der Polizei), was man macht. Jetzt muss man mutig sein und drauflos zaubern. Das Feuerzeug tut heut seinen Dienst und ich freu mich wie ein Kind. Eine brennende Wunderkerze! Yeah! Die kann ich jetzt wie bekloppt hin und her schwenken. Ich weiß, was rauskommen soll. Um mich herum aber keiner. Was doof ist. Die Gesichter der Zuschauer werden zunehmend länger und verständnisloser. Das Klatschen nimmt ab. Spätestens jetzt bin ich als absolut dämlich abgestempelt und die Leute wechseln die Straßenseite. Der Einzige, der sich jetzt noch her traut ist ein kleiner Dackel und widerwillig dessen Herrchen. Vielleicht ist das doch nicht der richtige Ort. Am Fuß des Berges merke ich, dass man mich auch von hier prima gesehen hat. Das ist so eine Sache mit Perspektiven. Klasse. Ich such mir lieber ein dunkles und einsames Plätzchen. Eins mit Zaun drum rum. Eins, das abgeschlossen und dreimal verriegelt ist. Eins, wo ich hüpfen kriechen und probieren kann und mir lediglich ein Fuchs zu schaut! Und eins wollt ich schon lange mal wieder sagen: Unten leuchten wir!

Titel: Oben leuchten die Sterne
Autor: André Kubiczek