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18 November 2011

baumschützender Baumstützer



16 November 2011

Obsession

Am Hamburger Bahnhof, dem meistfrequentiertesten Deutschlands kann man vieles sehen. Große Ritter Sport Werbung, Anzeigetafeln, auf denen „Heute 50 Minuten später“ steht, Toiletten, für deren Benutzung viel zu viel Geld verlangt wird und Leute die mal wieder was brauchen? Einen Schuss. Und ich steh unter Ihnen. Heute zum zweiten Mal. Aber das lässt sich alles erklären und hat einen Grund. Einen plausiblen noch dazu. Und überhaupt, so schlimm ist das nicht. Ich bin nicht süchtig. Wenn ich wollte, könnte ich jederzeit aufhören. Ich will nur nicht. Das hat nichts mit nicht können zu tun. Ich kann das. Ich will nur nicht. Dazu hätte ich auch gar keinen Grund. Es ist einfach viel zu schön. Warum soll ich das eintauschen. Vor allem jetzt, wo ich es wieder erlebe. Das Wechseln des Objektives, das Zurren beim Zoomen, das Festlegen des Fokusses, das Abdrücken des Auslösers, ach und überhaupt das ganze Drum und Dran. Das Beobachten, das Aufsaugen, das Einatmen, das Festhalten und nicht mehr Hergeben. Das geb ich nicht wieder zurück. Sicher nicht. Diesmal nicht. Dafür war die letzte Woche zu nervenaufreibend. Angefangen bei dem Befolgen des Ratschlages: „Das erste Gehalt, das gibt man für sich aus!“ Denn genau das hab ich dann gemacht. Viermal. Und noch sämtliche Ersparnisse zusammengekratzt, damit ich mir das neueste Modell an Kamera, das Nonplusultra, das es zurzeit au dem Markt gibt, nach Hause schicken lassen kann. Das heißt, und das ist wichtig, auf dem Markt gibt es sie eigentlich noch nicht. Es sollte, aber Erdbeben und Hochwasser haben das verhindert. Verdammt. Erst sind die Fabriken zusammengestürzt und die paar, die standgehalten haben wurden dann weggeschwemmt. Die Folge: leerer Markt. Bis auf hundert Kameras, die in weiser Voraussicht schon vorher aus dem Land geflüchtet sind. Naturflüchtlinge sozusagen. Und ich hab eine davon aufgenommen. Damit sie sich nicht so einsam fühlt in der neuen Welt, gleich mit passendem, gleich noch mal so teurem Objektiv. Mit dem beiden stand ich dann letzte Woche schon hier. Am Bahnhof. In heller Vorfreude auf die Einweihung, auf grandiose Fotografien, auf neue Bekannte und alte Erinnerungen. Und nachdem ich die erste ausgeliehene SD-Karte durch achtloses Fallenlassen zerstört habe (es tut mir so furchtbar leid, ich weiß, SD-Karten sind ein wichtiger Besitz, die zweiten besten Freunde eines Fotografen), habe ich die zweite ausgeliehene SD-Karte (vielen Dank fürs dann immer noch Vertrauen in mich haben) bis oben hin gefüttert mit Kuchen, Kränen, Kringeln, Koffern, Kunst und Kirmeslichtern. Was waren das für famose Aufnahmen, was für ein toller Tag. Denk ich im Zug. Auf dem Weg nach Hause. Und freu mich auf den Laptop. Aufs Rüberziehen, aufs Auspacken, aufs Verfeinern. Aber ach, was muss ich sehen? Matsch. Alle Feinheiten und Nuancen sind lediglich ein unappetitlicher Pixelbrei. Die Farben grau, die Füße platt, die Möwen unsichtbar. Auf dem Computer sind also nur 612 graue Vierecke gespeichert. Unfassbar. Die Nacht, die eigentlich fest für Schlaf reserviert war, wird mit Grübeln verbracht. Kann es an mir liegen? Habe ich etwas falsch gemacht? Nein, das kann es nicht sein. Die Ursache muss eine ganz andere sein. Die Kamera ist sicher krank. Doch was vom Wasser abbekommen vielleicht. Der Chip nicht in Ordnung. Oder der Sensor. Irgendwas muss da falsch gelaufen sein. Das muss ein Montagsprodukt neben mir sein. Ich muss nachdenken. Wie ist das mit einem Rückgaberecht. Oder einer Nachlieferung. Das dauert alles zu lange. Im Februar wieder, haben Sie gesagt. Erst im Februar wird wieder geliefert. Februar, das sind noch drei Monate. Solang kann ich nicht warten. Das wäre unmenschlich, das zu verlangen. Drei Monate. Das sind, Moment, das sind ja fast hundert Tage. Das geht nicht. Es muss eine andere Lösung her. Die Einfachste ist: Neue Kamera bestellen. Das Problem nur: Ich will diese hier und diese hier wird, wie eben festgestellt erst in hundert Tagen wieder geliefert. Aber hundert haben das Land doch schon erreicht. Das wär doch ein Witz, wenn sich davon keine mehr auftreiben lässt. Gedacht, getan. Das Internet wird, es ist immer noch nachts, ich kann immer noch nicht schlafen, durchstöbert. Und siehe da, die Nachtschicht lohnt sich. Irgendwo auf der hinterletzten Seite, da ist noch eine ganz Einsame. Jawoll! Expresslieferung drücken und ab damit! Bleiben noch zwei Stunden Schlaf, ein Tag Unruhe und dann ist sie da. Gut, das Geld muss ich bis dahin noch mal auftreiben, aber aus dem Fernsehen hat man gelernt, dass das immer irgendwie klappt, wenn jemand sagt: „Sie haben 24 Stunden Zeit.“ Und das klappt auch. Überhaupt kein Problem. Augen klimpern und „ich gebs auch ganz bestimmt so schnell wie möglich zurück“ hilft. So kann ich dem Postboten den dicken Batzen Geld in die Hände drücken, als er dann endlich bei mir klingelt und ihm gut gelaunt raten, dass er sich ja nicht überfallen lassen solle, der Gute. Dann renn ich hoch, reiß die Packung auf, setze vorgeladenen Akku und die neue SD-Karte ein und drück ab. Dann: das Gleiche. Graue Kästen auf den Bildschirm. Pixelmatsch. Trübe Farben. Soll es am Ende wirklich an mir liegen? Kann es sein, dass diese Kamera in meinen ungeschickten Händen schon aus Vorsicht den Dienst verweigert? Das kann nicht sein. Bisher hat sich noch jede bei mir wohlgefühlt. Ich hab noch nie was falsch gemacht. Gut, ich zieh es jetzt vorsichtshalber mal doch in Betracht und begebe mich auf die Suche nach Erfahrungsberichten. 98 davon muss es ja rein theoretisch schon geben. Siehe da- das Problem ist bekannt. Toller Sensor, tolle 24 Megapixel, aber kaum ein Objektiv, das das leisten kann. Das heißt, die gibt es schon, aber dafür müssten nach Hin- und Herrechnerei mindestens zwölf erste Gehälter herhalten. Das ist irgendwie zu viel und nicht mehr angemessen. Oder? Ich mein … nein, das kann ich nicht bringen. Verflucht. Jetzt hab ich hier zwei von den Dingern und sie sind dazu verflucht, nutzlos in der Ecke zu liegen. Das ist wirklich zu schade. Aber dabei hab ich ein noch viel größeres Problem: womit um alles in der Welt fotografier ich denn jetzt? Ich mein, jetzt hab ich ja mein erstes Gehalt schon viermal ausgegeben (ja gut achtmal, wenn man es genau nimmt), aber das Geld kommt ja irgendwann nach dem Zurücksenden der beiden Kameras zurück auf mein Konto. Und irgendwann … das ist auch irgendwie noch ganz schön lang. Das kann eine Woche sein. Das heißt, ein Wochenende ohne Fotografie. Hui, das wär aber eine Herausforderung für mich. Was soll ich denn mit der Zeit machen. Auf den Nägeln kauen, gereizt die Wohnung putzen, mit den Füßen trommeln. Das kann ja heiter werden. Nein das mach ich nicht. Mir und meiner Beziehung zu liebe. Ich mach was anderes. Ich such mir jetzt eine Kamera aus. Und damit ich das Theater nicht wieder habe, bestell ich einfach alle, die mir gefallen könnten. Geld spielt ja jetzt eh keine Rolle mehr. Dispo ist Dispo. Und das kommt ja irgendwann wieder drauf. Zwei Tage später und um fünf Kameras reicher (oh bitte, lass diese Tage keinen bei mir einbrechen!) hab ich mich immerhin für ein Gehäuse entscheiden. Aber das Gehäuse kostet nur zwei Gehälter. Und ich hab ja eh schon damit gerechnet, dass ich das Geld los bin, also kann ich die anderen zwei auch noch zum Fenster raus werfen, denk ich. Als Erstes aber bringe ich das, was für die erste Kamera als Freundin gekauft wurde, wieder zurück. Ob etwas nicht damit in Ordnung sei, fragt man mich im Laden. Nein, alles prima, eigentlich, passte nur nicht auf meine 77. Und dann:
„WAS? Du hast die 77? Die gibt’s doch noch gar nicht. Wir bekommen die hier nicht. Wieso hast du die? Wieso? Bring sie mal mit. Ich will sie in den Händen halten. Nur mal anfassen. Ach am liebsten tät ich sie dir auf der Stelle abkaufen. Wie viel? Ach nein, meine Freundin bringt mich um. Aber ehrlich, ich will sie in den Händen halten! Bring sie mal mit, gib sie mal her. Warum hast du die und wir nicht?“
Hm. Gut, ich hab sie, weil ich einen Helden zu Hause sitzen habe, der es nicht ertragen kann, wenn ich unzufrieden bin und der mir sucht, was ich haben möchte. Nicht unbedingt freiwillig immer, aber er machts. Ich glaube er muss manchmal ein bisschen leiden. Aber das ich sie habe, diese Megakamera, und dann auch noch zweimal, hat nüscht gebracht. Ich erzähle also meine durchaus traurige Geschichte. Das Mitleid unter Fotografen ist mir da sicher. Jeder hier kann das verstehen.
Wieder zu Hause durchstöbere ich das Internet erneut. Nach passenden Objektiven. Und ich finde zwei. Eines davon hatte ich heute in den Laden zurückgebracht. Ich überlege, ob ich das bringen kann, da morgen wieder hinzugehen und das gleiche Objektiv wieder zu kaufen. Aber die andere Alternative wäre: Bestellen. Mit drei Tagen Lieferzeit. Und heute ist Donnerstag. Dann kommt schon das Wochenende. Nee, das geht nicht. Und außerdem bin ich im Fotoladen jetzt eh ein Held, weil ich „die mit der 77“ bin. Deswegen ist das dann auch kein Problem, dass ich das gleiche wieder hole. Und weil ich sowieso gerade in guter Laune bin, noch ein Zweites drauflege, da das gerade im Angebot ist. Alles easy, alles kein Problem, man kennt sich ja jetzt, macht auch nen guten Preis und gibt noch den ein oder anderen Geheimtipp mit auf den Weg.
Jetzt geht es mir wieder besser. Ich habe alles beisammen und alles funktioniert. Alle wichtigen Geräte reden miteinander und verstehen sich auch sonst ganz gut. Ich buche also nur noch ein Ticket nach Hamburg. Da wo ich jetzt stehe. Und wo ich genau das nach über eine Woche wieder mache: meinen ersten Schuss setzen. So ein kalter Entzug, das wär nichts für mich.

Der Titel ist geborgt bei Simon Beckett

14 November 2011

Unterm Strich ein Imitat