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30 Dezember 2009

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Die Geschichte des Jahres


Das Jahr geht zur Neige. Die Rückblicke häufen sich. Ich schaue mir keinen an. Ich mache keinen. Jeder hat das Jahr für sich erlebt, jeder seine eigenen Erfahrungen und Bilder gemacht. Und im nächsten Jahr soll wie immer für jeden alles anders und besser werden. Auch für mich. Dabei rede ich nicht von Vorsätzen, die nicht eingehalten werden- ich werde mich weiter mit Schokolade vollstopfen und das mit dem Sport nur halbherzig weiterführen. Aber es gibt Dinge, die werden geändert. Der Kopf wird in Zukunft nicht mehr gefragt, wenn das Herz seine Entscheidung schon getroffen hat. Er ist vielleicht klüger, das Herz dafür aber lauter und stärker. Zeit wird nicht mehr vergeudet, sondern genussvoll aufs Marmeladenbrot gestrichen und verzehrt. Hemden nur noch gekauft, wenn sie keine Taschen haben, die man sich mit Sorgen und Ärgernissen vollstopfen kann. Ich fange heute damit an. Ich reiße die Bilderrahmen von den Wänden und schlage die Scheiben ein, um die aufgepieksten Schmetterlinge rauszuholen und in den Mund zu stecken. Damit sie dahin kommen, wo sie hingehören. In den Bauch. Denn von konservierten Erinnerungen und aufgewärmten Pathos kann und will keiner leben.

Titel: Die Geschichte des Jahres, aus: Die Märchen
Autor: Hans- Christian Andersen
Verlag: insel taschenbuch
Preis: € 20,00

27 Dezember 2009

Eisblume

Der Ekel

Laut christlicher Mythologie haben wir jetzt den 2010ten Geburtstag von Jesus Christus gefeiert. Meine Mama würde sich hingegen mehr freuen, wenn sie den ersten Geburtstag eines Enkels feiern könnte. Dem Vorhaben wird aber für die nächsten zehn Jahre erstmal ein Riegel vorgeschoben. Ich bin, was das Vorhaben angeht vorgeschädigt. Im zarten Alter von zwölf Jahren schon musste ich mir die Geburt meines Cousins anschauen. Nicht, dass ich dabei war. Aber mein Onkel hat in morbider Voraussicht alles auf Video aufgenommen. Damit ich lerne, dass das was ganz Natürliches ist. Nicht so schlimm wie die Geburt einer Kuh, würde meine Oma jetzt sagen, aber eben natürlich. Ich weiß nicht. Ich hab seitdem Angst vor Frauen mit Kugelbäuchen. Und Dirk Bach. Die letzten 13 Jahre hab ich mit Aufarbeitung verbracht. Die ersten kleinen Kinder im Freundeskreis haben geholfen. Nun aber: ein Rückschritt. Und was für einer. Dank den Gesprächen unter Frauen und unter dem Tannenbaum. Denn die stärken den Wunsch statt Wundcreme und Wickeltisch einen Hund zu kaufen und den im Strampler durch die Stadt zu tragen. Und sie schüren die Angst vor Wochenbettdepressionen und dem Anliegen, das Schreikind aus dem Fenster zu hauen, um es dann im Balkonkasten zu verbuddeln. Sie führen zu unkontrollierten Schweißausbrüchen, wenn man Geschichten von Sitzbädern, Einläufen und Kneifzangen lauscht. Ebenso bei der Vorstellung, für mich würde der Arzt von einer Geburtstagsfeier geholt, der dann, um nicht blutüberströmt wieder dorthin zu fahren, erstmal seinen Binder abnimmt. Ich möchte nicht vor Schmerzen in Ohnmacht fallen. Es ist einfach zu gruselig! Und das nur, um dann einen Nacktmull in einer Größe von ca. 50 cm in der Hand zu halten, mit der man sie die nächsten 18 Jahre durchzufüttern muss. Versteht mich nicht falsch- ich möchte schon irgendwann mal Kinder. Ich muss welche bekommen, denn die Namen stehen ja schon fest. Aber ich finde dennoch, dass es etwas geben müsste, womit der Schmerz, die verschobenen Hüften und die aufgedunsenen Füße wieder gut gemacht werden. Ich meine, Frauen haben es so schon nicht leicht. Auch in der Tierwelt. Nehmen wir zum Beispiel Schnecken. Der Klugscheißer sagt jetzt: Die sind aber doch Zwitter! Stimmt, aber damit ist das Problem nicht aus der Welt! Soll es nun zu einem Geschlechtsakt zwischen zwei Schnecken kommen, so haben diese ein Vorspiel der etwas anderen Art. Denn beide kämpfen nun erstmal darum, wer die Rolle des Männchens spielen darf. Wer dem anderen zuerst den Penis abgebissen hat, der hat gewonnen.
Gehen wir etwas in der Geschichte zurück, landen wir nach Lilith bei Eva. Während Lilith aufgrund ihres Freiheitsdranges dazu verurteilt wurde lebenslänglich tote Kinder zu gebären, ist Eva schuld an unser aller Sterblichkeit. Und obwohl das nun schon ein paar Jährchen her ist, wurde das von den Männern, die sonst jeden Geburtstag verschwitzen, nicht vergessen. Besonders übel nehmen dies die Mönche des Klosters Mar Saba, eines christlichen Bollwerks in der judäischen Wüste. Denn hier ist nicht nur Frauen der Zutritt schlichtweg verboten, sondern auch Äpfel oder sonstige Symbole, die im Zusammenhang mit Frauen stehen, müssen hier draußen bleiben.
Daneben müssen Frauen auch beim Schuhe kaufen leiden. Glaubt ihr nicht? Ist aber so. Zumindest in Cleveland. Denn was viele Männer ihren Frauen hierzulande gerne verbieten würde: Cleveland hat‘s getan. Dort dürfen Frauen keine Lackschuhe tragen. Ist gesetzlich verboten. Warum? Weil sich ihre Unterwäsche drin spiegeln könnte. Tja meine Herren…ich würd‘ mir das nochmal überlegen und beim nächsten Deichmann erstmal Ruhe bewahren. Schlecht geht es den Frauen auch in Neu Dehli. Denn in unseren Landen gehört es zum guten Ton, monogam zu sein. Hat man sich für DEN MENSCHEN entschieden, dann hat man ihn an der Backe. Es sei denn, man wohnt eben in Neu Delhi. Denn dort herrscht Frauenmangel, was zu einer grandiosen Idee führte. Frauen werden einfach verliehen. Für den Haushalt, aber auch für sexuelle Dienste. Die Männer erhöhen somit ihr Einkommen um das Siebenfache. Mangelnde Nachfrage gibt es nicht. Die Frauen müssen dann nicht nur die Kinder eines Mannes auf die Welt bringen, sondern gern auch die Kinder von zwei bis fünf anderen Männern. An Dank ist nicht zu denken. Und diesen menschenunwürdigen Akt der Geburt mit nicht mehr zu entlohnen als einem Gen, dass einen die Schmerzen innerhalb von Sekunden vergessen lässt, das reicht mir nicht. Nicht ansatzweise!

Titel: Der Ekel
Autor: Jean-Paul Sartre
Verlag: rororo
Preis: € 9,95

23 Dezember 2009

Lichterloh

Die respektvolle Dirne

Meine gute Laune macht das, was jeder gute Ossi macht. Sie pendelt. Wo sie allerdings ist, wenn sie nicht bei mir ist, weiß ich nicht. Da ich nur selten Besuch von ihr bekomme, fühl ich mich wie ihre Geliebte. Gerade zur besinnlichen Weihnachtszeit lässt sie sich selten blicken. Anscheinend, weil sie bei Ehefrau und Kindern sein muss. Und ich kann meine Zeit damit überbrücken, mich mit mühseligen Aufgaben wie dem Kaufen und Einwickeln von Geschenken rumzuschlagen. Damit, brüchige Plätzchen zu backen und Weihnachtsdekoration aufzuhängen, die aus einem Stern und einer Christbaumkugel besteht. Um eins hab ich mich aber gedrückt. Dem Schreiben von Weihnachtskarten. Die werden dieses Jahr meinerseits nicht verschickt. Die Texte sind ja doch immer dieselben. „Ein schönes Fest und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Die Unterkunft ist super, nur n bissl unaufgeräumt, Wetter is gut und das Essen schmeckt bestens! Liebe Grüße!“ Was Besseres habe ich jedenfalls nicht drauf. Und damit es nicht unpersönlich rüberkommt, wird’s gelassen. Wer mir in diesen Tagen am Herzen liegt, der merkt das auch. So oder so. Ein bisschen kitschig angehaucht bin ich ja doch.
In diesem Sinne wünsch ich Euch ein ruhiges und besinnliches Fest mit Spekulatius im Mund und nelkengespickten Orangen auf der Heizung.

Titel: Die respektvolle Dirne
Autor: Jean-Paul Sartre
Verlag: rororo
Preis: € 4,90

17 Dezember 2009

Camouflage

Ein unsichtbares Land


Absolute Reizüberflutung die letzten beiden Wochen. Vor blinkenden Lichtern kann man nicht entkommen. Genauso wenig dem Glühweingeruch, Weihnachtsliedern, rot gequollenen Taschentuchnasen und Nelkengeschmack. Schlimmer aber als das, ist, dass man das, was die Zeit ausmachen soll, nicht hat. Ruhe und Zeit für sich sind eine Imagination. Und dass das zu Weihnachten selbst nicht anders wird, ist klar. Da sind andere Sachen wichtiger. Gänsekeule, das größte Geschenk unterm Tannenbaum, Kuchen. Dann kommen die Umtauschtage, die guten Vorsätze und die große Jahresendsauferei. Um dieses Jahr alles anders zu machen, war was Großes geplant. Sieben Tage totale Ruhe. Und zwar, weil es nicht anders geht. Weil dort, wo ich bin, außer den Allerallerengsten, kein Mensch ist. Niemand. Nirgends. So wars geplant. Statt dessen erzählt mir das Auswärtige Amt, das da, wo ich bin, und kein anderer sein sollte, doch jemand ist. Jemand der die Einsamkeit genauso mag. Und der andere Menschen nur erträgt, wenn er sie als Geisel hält. Ok. Das ist mal eine Ansage. Ich bin so schon kein risikoreicher Mensch, aber die Aussicht, auf ein paar Bilder, die sonst nirgends auf die Speicherkarte zu bekommen sind, lassen mich ernsthaft abwägen. Ein paar Tage Ruhe mit dem stetig aufregendem Gefühl im Nacken, dass gleich, jeden Augenblick, alles vorbei sein kann oder wieder mit der Wärmflasche auf der Couch liegen, mit dem Wissen, dass nix anders wird. Sonne oder Eisblumen. Sand oder graue und, wenn wir positiv sind, gefrorene Pfützen. Couscous oder Klöße. Letztendlich komm ich zu dem Ergebnis, dass noch nicht alles auf der Löffelliste abgehakt ist. Ich kann immer noch nicht backen, habe noch keinen Hund gehabt und meine eigenen Grenzen kenn ich auch noch nicht. Außerdem glaube ich nicht, dass ich Freunde oder Familie hab, die so reich sind, dass sie das Lösegeld ohne mit der Wimper zu zucken zahlen können. Und das, um mein Leben zu retten, alte Genossen meines neuen Bekannten aus dem Gefängnis gelassen werden. Ich glaube nicht, dass die Gastfreundschaft in den Höhlen ewig dauert. Wasser ist ein zu teures Gut dort unten. Ich glaube auch nicht, dass ich um jeden Preis ins Fernsehen will. Die Bilder, die da von einem bei der Tagesschau gezeigt werden, sind sowieso immer ziemlich unvorteilhaft. Zu viert durch die Wüste, statt der Raketen nur Sternenhimmel, das Lagerfeuer und wir ist also nicht. Es hätte so romantisch sein können. Statt dessen: the same procedure as every year.

Titel: Ein unsichtbares Land
Autor: Stephan Wackwitz
Verlag: fischer
Preis: € 8,90

01 Dezember 2009

Sterntaler

Der Schatten des Herrn

Heut ist es soweit. Wir zählen runter. Nur noch 23 Tage. Dann is Weihnachten. Dieses Jahr gibt’s für mich aber keinen Kinderüberraschungseischokoladenkalender. Dafür aber Türchen. Und heute ist aus meinem ein Personenschaden gesprungen. Also hab ich 60 Minuten bekommen. Und die immerhin im Warmen, mit ner Zeitung in der Hand und Melancholie im Ohr. Aber diejenigen, die vor zwei Wochen noch Teelichter angezündet haben, sind die Ersten, die die Frau mit Hut hinter der Glasscheibe anbrüllen. Reklamation, Reklamation! Geld her oder es setzt Hiebe! Das ist sie, die weihnachtliche Nächstenliebe. Man geht sich auf die Nerven und tritt sich auf die Füße. Nicht nur im Gedrängel zwischen Glühweinbuden und Maronenschalen. Prinzipiell scheint alles nicht so zu laufen, wie es sein soll. Die blinkenden Sterne an den offenen Balkontüren scheinen genauso fehl am Platz wie das Bündel Möhren auf dem Schlitten vor der Tür. Machen wir uns nichts draus. Wir verkaufen uns doch sowieso gern Sachen, an die wir nicht mehr glauben. Wenn ich Tetra Pack kaufe, tu ich was Gutes, weil das aus Holz ist? Wenn ich Krombacher trinke, rette ich den Regenwald (aus dem dann wieder Tetra Pack gemacht wird)?Klar, nehm ich euch alles ab. Auch die Tatsache, dass ich, wenn ich mir meinen Einkaufswagen mit Pampers voll werfe, Kindern das Leben rette. Nett von Pampers aus dem Leiden anderer mit vollen Händen Profit zu schlagen. Aber es klappt ja. Ist die beste Zeit. Wenn die Leute einmal im Jahr gewissenserleichternd gesparte Pfennige in Spendendosen stecken, dann bekommt man sie auch genau an dem wunden Punkt zu fassen. Prima berechnend. Und so können wir uns einreden umweltfreundlich Milch zu trinken, obwohl das bisschen Papier sich so in die Chemiebombe verliebt hat, dass es nicht vorhat, sich je wieder davon zu trennen. Und nur so können wir uns freuen, weil wir einen Quadratmeter Wald gerettet haben, während Krombacher seine Einnahmen verdreifacht hat. Mittlerweile hat man sich aber auch dran gewöhnt, ständig an der Nase durch die Welt geführt zu werden. So sehr sogar, dass man sich nicht mehr freuen kann, wenn man gesagt bekommt, dass man gerade zehn Euro zu wenig in Rechnung gestellt hat. Dann starrt man seinen Gegenüber an und bekommt nur ein „Sie sind ja noch ehrlich?!“ über die Lippen. Ja, irre so was.

Titel: Der Schatten des Herrn
Autor: John. F. Case
Verlag: Fischer
Preis: € 8,95