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29 April 2011

Schabernack mit Holger

27 April 2011

Das Wochenende


Mitte April und ein Wetterchen wie im Hochsommer. Wolkenloser Himmel, fünfundzwanzig Grad im Schatten, ein laues Lüftchen. Und: Endlich Samstag! Der perfekte Tag für einen lang versprochenen Ausflug. Das die Mutti diese Tage ihr Auto nicht braucht ist perfekt und wird gleich ausgenutzt, damit aus zwei und dreiviertel Stunden Zugfahrt nur ein einhalb Stunden auf der Autobahn werden. Zugegeben mit Navigationsgerät. Ohne würde es wesentlich länger dauern. Klar, ich kann Karten unheimlich gut lesen: „Auf der Friedrichstraße bleiben, dann nach dort in die Lange Straße. Warte jetzt noch nicht. Gleich. Warte. Jetzt! Ach das is ne Einbahnstraße. Na dann wenden! Hier gehts doch. Warum biste denn jetzt vorbeigefahren?“ Die Fahrer sind von meiner Kursbestimmung allerdings nie sonderlich begeistert. Die Frau aus dem kleinen schwarzen Kasten macht das besser, äußern sie. Die weiß wenigstens, wo es lang geht, und bleibt zudem noch ruhig, wenn man trotzdem falsch fährt oder meint es besser zu wissen. Nun gut. So kommt man letztlich wenig gestresst in der Stadt hinter, nein auf den sieben Bergen an. Und wirklich, es ist schön hier. Geschmückt sind die Brunnen mit riesigen Ostereiergestecken. Auf dem Markt werden Spargel und Brezeln verkauft. Das Rathaus auf seiner kleinen Insel lacht einem entgegen und man beneidet all jene, die in den schiefen kleinen Häuschen in Klein-Venedig ein Zimmerchen ergattert haben und daher zwischen Schilf und Bootssteg mit Blick auf den Dom frühstücken können. Man schlendert zwischen all den Antiquitätenläden und ergattert am Ende eine wundervoll extravagante Zirkustasse, die dem Anlass entsprechend Georgy getauft wird. Total kitschig romantisch also. Aber bevor ich zu sehr in Schwärmen komme, muss ich darauf hinweisen, dass es auch arg komische Sachen hier gibt. Eine Kirche zum Beispiel, an deren Wänden sich zum großen Teil nur Totenköpfe und Skelette finden, was schon eher was Ungewöhnliches ist. Wenn das dann Skelette sind, die Seifenblasen an die Wände pusten ist das schon was, was man eigentlich noch nirgends gesehen hat. Folgt man mit den Augen den Seifenblasen zur Decke des Schiffes und findet dort liebevoll gemalte Bilder von Ananas und Granatäpfeln, versteht man die romanische Welt nicht mehr. Selbst das aber ist noch nix im Vergleich zu Folgendem:
„Geht auf den Keller, das muss man hier wirklich gesehen haben!“ hat man uns gesagt. Da man sich hier nicht auskennt, geht man auf den Keller. Der Keller aber ist nichts anderes, als ein großer Biergarten. Auf einer Brauerei. Einer von acht die es hier noch gibt. Toll! Und hier gibt es Bier und Brause und gefühlte vierhundert Gäste. Eng aneinander und die Holzbänke gequetscht. Von den gefühlten vierhundert Gästen sind auch gefühlte dreihundertfünfzig voll bis obenhin, heute an der Saisoneröffnung. Ist man einmal hier, heißt es, fängt man damit an, mit dem Bier trinken. Vor hab ich das zwar nicht, aber ich stell mich erstmal an, an der Selbstbedienungstheke für alkoholische Getränke. Immerhin das klassische Rauchbier, das schmeckt als hätte man einen Aschenbecher damit ausgespült, gibt es hier nicht. Normalerweise versucht ja jeder einen dazu zu überreden, das mal zu kosten. Das hab ich schon hinter mich gebracht. Vor Jahren. Nicht ein Drittel hab ich runter bekommen. Sei es drum, es gibt ein kleines Bier, welches mit Blick auf den Sonnenuntergang getrunken wird. Dann ist der Tag auch schon vorbei, die Füße sind müde und man sucht noch einmal die Toilette auf, bevor es wieder nach Hause geht. Und jetzt das, worauf es mir ankommt, dass es jeder weiß: Hier hängen ganz ganz ganz komische Sachen auf dem Klo! Keine Kondomautomaten wie man es erwarten könnte. Nein! Hier hängt ein Porzellanbecken mit einem Durchmesser von achtzig Zentimetern in Brusthöhe an der Wand. Das Abflussrohr, das in der Wand verschwindet, ist so dick, dass eine Faust ohne Weiteres reinpasst. Ach was sag ich, ein ganzer Oberschenkel passt da durch! Wer sich jetzt noch fragt, was dass sein könnte, den hab ich gleich viel doller lieb! Im ersten Moment konnte ich damit auch noch nichts anfangen. Dem Ganzen die Krone aufgesetzt haben dann aber die fest installierten Haltegriffe aus Edelstahl links und rechts des Beckens. Und die Benutzung wurde auch gleich, als hätte man um eine Erklärung gebeten, vom hereinwankenden maßvollen Herren vorgeführt, der beherzt die Halterungen ergreift, den Kopp in das Becken hängt und Geräusche von sich gibt die klingen, … naja, wie es eben klingt, wenn man eine halb verdaute Schinkenplatte und zwei Liter Bier der Peristaltik entgegen nach außen befördert. Als ob es das Normalste auf der Welt wäre. Ich fasse es nicht! Und ich war völlig weltfremd drauf und dran an dem Ding den Wasserhahn zu suchen, um mir die Hände zu waschen. Dabei ist es nix anderes als ein Kotzbecken! Ich werd bekloppt! Und nicht irgendein selbst getöpfertes Ding- nein, das ist von Villeroy & Boch! Das glaube ich nicht. Saufen, bis man umfällt, wird hier nicht nur als sozial adäquat toleriert, das wird gefördert! Jetzt mal im Ernst, wo gibt’s denn so was?

Der Titel ist geborgt bei Bernhard Schlink

25 April 2011

Abflug

20 April 2011

"Schön!"


Der Nachteil daran ein Teilzeitkrüppel zu sein ist, dass man ein Krüppel ist. Man kommt mit seinen Gehhilfen zwar irgendwie von A nach B, aber eben nur irgendwie. Ich habe zum Beispiel seitdem die Krücken erneut in mein Leben getreten sind keine einzige Grünphase an den Fußgängerampeln geschafft. Stampfend mit einem Bein steh ich dann in der Mitte der Straße, angehupt von links und rechts, und gebe mir redliche Mühe nicht zu schimpfen wie ein Rohspatz. Dabei ist wirklich alles schlimm. Wenn ich zum Bus rennen will, muss ich jetzt zehn Minuten eher losgehen, um dann schneller zu humpeln, wenn er um die Ecke gefahren kommt und ich noch am Fußgängerüberweg bin. Im Bus muss ich mir Hilfe von Leuten anbieten lassen, die mich siezen („Darf ich Ihnen behilflich sein?“ und das von einem der vielleicht gerade die Zwanzig erreicht hat!) wenn ich versuche meinen Fahrschein aus der Hosentasche zu angeln. Außerdem machen mich die Krücken schizophren. Wenn ich jetzt vor die Tür gehe, packe ich mein Portemonnaie aus. Kein Geld, kein Führerschein, keine EC-Karte. Ich fühle mich als leichtes Opfer. Dabei müsste ich das gar nicht. Beim Aussteigen aus dem Bus hat mir letztens ein Typ eine Krücke weggetreten, damit er schneller aus dem Bus kommt. Da ich schon leicht aggressiv vom erneuten gesiezt werden war, kam die Reaktion wie aus dem Nichts: Die unteren Gumminipsel der anderen Krücke landeten in der Hacke des Jungchens. Und ich konnte zum ersten Mal seit langen ohne Hilfe stehen. Er nicht mehr.
Was ich eigentlich sagen will- es ist zum großen Teil undankbar mit diesen Stützen. Aber Vorteile hats durchaus. Während andere in gekühlten Büros sitzen, Kopiererluft einatmen und bitteren Kaffee trinken müssen, lieg ich bei der Oma im Garten, lass mir die Sonne ins Gesicht und auf die Beine scheinen. Die Beine sehen mittlerweile lustig aus, da eines aufgrund des wochenlangen Rumhängens nur noch aus Knochen und Haut besteht, das andere aber aufgrund wochenlanger Übernutzung wie ein Baumstamm ausschaut. Ich versuche also Strich und Stamm zu bräunen, habe ein Buch in der Hand und hör den Vögeln beim lustigen Zwitschern zu. Bis:
„Hey, ich hab rein zufällig gesehen, dass du heut hier bist, da bin ich einfach mal vorbeigekommen. Ist doch nicht schlimm oder?“ fragt sie und hält dabei ihr frisches Kind auf dem Arm. Ach herrje. Jahrelanges erfolgreiches Aus-dem-Weg-gehen hat jetzt ein Ende. Ich gerate in eine Schockstarre. Sie hält mir eine Hand hin. Okay, damit will sie mir was sagen. Was, verflucht was? Ah. Man schüttelt sich die. Ich soll also meine hinhalten. Gut das war eine Hilfe. Gemacht. Puh, das war knapp. Und jetzt? Soll ich was sagen? Das is nicht fair. Ich kann nicht smalltalken. Wirklich überhaupt nicht. Das hab ich vor ein paar Tagen wieder gemerkt, als mir mein Chef erzählte er werde Papa und ich mit einem gelangweilten „Aha. Schön!“ reagierte. Erst geschlagene vierzig Minuten später, als er mich nach Hause fuhr viel es mir ein: Man gratuliert da ja! Verdammt! Okay, wie komm ich da raus?! Ich muss mir was überlegen. Denke, denke, denke. Und ich hab mir was Dolles einfallen lassen, das klang dann so: “Nicht das Sie denken ich will nicht gratulieren, aber nachdem ich jetzt Fehlgeburten und plötzliche Kindstode bei Bekannten mitbekommen habe, warte ich damit lieber bis alles in trockenen Tüchern is!“. Noch im Sprechen könnt ich mir dafür die Hand auf die Stirn schlagen. Das war schlecht, schlecht, schlecht! Das hab ich nicht gut hinbekommen. Und jetzt hab ich auch noch eine Mutter mit Kind vor mir! Eine neue Mutter. Das Kind ist noch nicht alt. Ahh, ein Kind, ein Thema! Darüber reden Eltern gern! Ein anderes Thema gibt’s für die ja nicht, aus welchen Gründen tut jetzt nichts zu Sache. Das lass ich einfach weg. Das ist die Idee, damit könnt ich anfangen. Also werf ich ein „Wie heißt denn das Kleine?“ in die Stille. Das „das“ fand ich nicht unfreundlich, weil man bei derart kleinen Menschen kein Geschlecht erkennen kann. Kam aber wohl unfreundlich an. „SIE heißt Maria!“ sagt die Muddi scharf. Ach guck einer an, rosa Kleidung. Da hätte man tatsächlich drauf kommen können. Naja. Ich reagiere lieber wie üblich mit „Aha!“ und belass es dabei. Die nächste peinliche halbe Stunde beschränk ich mich darauf Fragen mit „Ja“ und „Nein“ zu beantworten. Und damit einen Vorsatz zu fassen: Nämlich den, demnächst immer Karteikarten bei mir zu haben, die ich mir vorher zurechtgebastelt habe. Gelbe Karten werden Fragekarten, die ich in den schweigsamen Pausen hölzern vorlesen und damit Anschein wecken kann, ich interessiere mich für die Person vor mir. „Wie geht es dir? Ich hoffe gut!?“ „Das ist interessant, erzähl mehr davon!“ Und die blauen Karten werden die Verhaltenskarten. Die les ich natürlich nicht laut vor. Die muss ich dann heimlich anschauen und einfach machen was drauf steht á la „freundlich lächeln“, „nicken“, „Person ansehen“, „Mehr blaue Karten kaufen“. Da das, wie ich mich kenne, nicht reichen wird, werde ich zusätzlich noch ein T-Shirt tragen: „Nimm Rücksicht - sozial anders talentiert!“ Ich hoffe es hilft!

Der Titel is geborgt bei Hans Christian Andersen

15 April 2011

Guckt euch mal den Spinner an!

14 April 2011

Die Alchimistin


Wenn jemand zu mir sagt, ich sei ein exotischer Fall, was könnte er damit meinen? Schön wäre es, wenn er mir sagen will, dass ich eine Figur wie eine brasilianische Schönheit habe. Akzeptabel wäre es auch noch, wenn er mir sagen will, dass ich ein Temperament wie eine rassige Italienerin habe. Nicht mehr hinnehmbar ist es aber, wenn er damit meint, dass es kaum einen Menschen außer mir gibt, der in so kurzer Zeit so arg an Muskeln abbaut. Als hätte ich vorher schon keine gehabt. Das geht wirklich nicht. Das kann er mir nicht ins Gesicht sagen. Nicht wo ich so stolz auf Radtouren von siebzig Kilometern bin, bei denen ich ohne Muskelkater davon gekommen bin. Nein, auf keinen Fall. Das geht nicht. Freundchen, du wirst mir unsympathisch! Aber das hätte mir gleich klar werden müssen, dass das mit uns nichts werden kann. Schon am Eingang das Schild: Bitte Schuhe ausziehen, wir laufen hier barfuß! Hätte es mir sagen sollen. Wo mir sonst meine Voreingenommenheit hilft, hier hat sie mich im Stich gelassen. Weshalb ich meine Schuhe brav auszog und über einen Teppich zur Empfangsdame gelaufen bin, über den heut sicher schon fünfzig andere Füße voller Schweiß und Pilz gelaufen sind. Die vierzig Duftkerzen die zu beiden Seiten auf dem Boden liegen konnten darüber auch nicht hinwegtäuschen. „Meine Güte ist das ein esoterischer Schuppen hier!“, das war das Einzige, was ich gedacht habe. Ein Zimtgeruch in der Nase und ein Trommelgeräusch, was hier als Dauerbeschallung Musik darstellen soll, im Ohr landete ich bei der Empfangsdame und erklärte das ich einen Termin habe. Mit russischem Akzent verwies sie mich ins Behandlungszimmer. Klasse, Russinnen! Da stell ich mir doch Folgendes vor: eine rundweg emotionslose und leicht übergewichtige Frau, die knallhart ihre Finger in meine Beine gräbt und alles wieder zurechtbiegt. War aber nich so. Vielmehr landete ich in einem Raum voller Bilder vom Kosmos. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, nein die Bilder vom Kosmos sind keine irre coolen Fotografien die einen irgendwie beruhigen, sondern selbst gemalte Ölbilder die einen irgendwie irritieren. Sie sind mit den Fingern gemalt! Völlig wirre Kreise auf blauem Grund mit gelben Streifen und roten Punkten. Außen rum viele Punkte. Und ganz fett in Schwarz: KOSMOS. Ach herrje. Wenn sie schon mit ihren Fingern nicht malen könne, wie sollen sie mein Bein wieder auf die Reihe bekommen?
Lange Rede, kurzer Sinn: Hier bleib ich nicht. Ich hau ab. Ich will was, wo ich ohne Gnade gestriezt werde und wo man mir nicht mit Samthandschuhen wieder auf die Beine hilft. Und das bekomm ich beim zweiten Versuch auch. Zwar lacht man sich auf dort über meinen verkümmerten Muskel schlapp, ebenso wie über die Geschichte, dass ich so dusselig war mir diese doch so seltene Verletzung zum zweiten Mal zuzuziehen. Aber das spornt an und zwanzig Prozent der möglichen Bewegung ist wieder da. Nur die Kniescheibe, die tanzt noch gehässig im Viervierteltakt.

Der Titel is geborgt bei Kai Meyer

10 April 2011

Ich habe eine Entzündung!


06 April 2011

Die Beschneidung

03:14 Uhr.
Es wird nur eine Vollnarkose. Das hattest du doch schon alles einmal. Vor fünfzehn Jahren. Genau das gleiche Theater, nur an der anderen Seite. Du bekommst also nichts mit. Immerhin hast du dir nicht diese Rückenmarksbetäubung einreden lassen. Das wäre ja herrlich geworden. Vom Bauchnabel abwärts kein Gefühl, mit dem Kopf aber voll da und den Damen und Herren zu schauen, wie sie einem das Knie zerlegen. Auf die Geräusche und Gerüche wollt ich doch gern verzichten. Und dann die Angst, dass die Beine nicht wieder wach werden. „Das ist mir in meinen zwanzig Jahren, die ich hier arbeite, noch nicht passiert, aber wenn sie meinen, dass das eine Gefahr ist…“ hat sie schnippisch gesagt. Nur schnippisch, nicht überzeugend. Nein, dann das Gehirn lieber völlig ausschalten. Lieber ganz nicht mehr da sein, als nur so halb. Obwohl mir dabei ganz sicher auch nicht ist. Es könnte ja sein, dass ich heute nicht gleich aufwache, sondern erst in zehn oder zwanzig Jahren. Und dann werd ich munter und meine Eltern sitzen schon ergraut neben mir am Bett und halten meine Hand. Und mein Freund ist nicht mehr mein Freund, sondern mittlerweile Vater zweier Kinder. Und was, wenn ich aufwache und so reagier wie beim letzten Mal? Als ich hysterisch geworden bin, wild mit den Armen gerudert hab, mir dabei die Infusionsnadel in den Arm gerammt habe und alle Ärzte als nichtsnutzige Fachidioten beschimpft habe? Damals war ich neun Jahre alt und das wurde als witzige Anekdote abgewunken. Wär das heut noch so? Oder soll ich gleich sagen, dass ich darum bitte, dass mir die Arme festgeschnallt werden?

05:22 Uhr.
So reicht jetzt mit trüben Gedanken. Aufstehen ist angesagt. Pünktlichkeit wurde mir wärmstens ans Herz gelegt. Und so bin ich die erste Patientin, die heut ankommt. Aber nicht mehr die Erste, die drankommt. Ein Unfall ist dazwischen gekommen, der hat Vorrang.

06:27 Uhr.
Ich bekomme mein OP-Hemd, meinen OP-Strumpf und hey, einen besonders hübschen OP-Slip. Und der Blutdruck wird gemessen. Das erste von gefühlten zweihundert malen. Neunzig zu sechzig. Ich sei eher unaufgeregt. Wenn die wüsste. Ich bitte dennoch um die mir versprochenen Beruhigungstabletten.

07:15 Uhr
Jetzt bin ich beruhigt. Die Sonne ist aufgegangen und meine Zimmernachbarin, eine einundsiebzigjährige Dame mit Speichenbruch ist angekommen. Kurzes Geplänkel. Sie schläft und ich lese ein Buch.

09.44 Uhr
Sie kommen. Sie kommen mich holen. Hui. Müssen wir durch viele Türen fahren. Stoßen wir an vielen Ecken an. Raus, rechts, geradeaus, links, Vorsicht Tür, stoppen, geradeaus, rechts, links, Tür, geradeaus, links, warten auf den Fahrstuhl, rein in den Fahrstuhl, Fahrstuhlmusik, raus aus dem Fahrstuhl, geradeaus, nach links und stoppen. Wechseln der Liege. OP-Mützchen auf. Was ist das? Ach ne Nadel. Die wird in den Arm gerammt. Hihi. Und was ist das? Ultraschall? Und was sucht der? Und ist der schnell genug? Ja hallo, ein Nerv. Ein Beinnerv. Ein ganz besonders schöner wird mir gesagt. Ich seh zwar nur viele weiße und schwarze Punkte, aber glaub euch gern. Und was ist das. Betäubungsmittel. Aha. Die machen dösig im Kopf? Aha. Und wofür brauch ich das? Strom. Aha. Im Bein. Ist ja lustig. Schau mal, meine Kniescheibe tanzt. Boogie-Woogie. Was? Noch eine Betäubungsspritze. Ich soll runterkommen? Uiiii ….die ist aber anders als die Erste. Doller. Das dröhnt. Naa okkayyyyy…..und nu? Sauerstoff? Wieso das? Zählen. Okaayyyy….eins. Zwei. Ähm, dann die Drei und die Vier und die Fünf. Und dann kommt die Sechs. Und jetzt? Wohin fahren wir? In den Operationss..

13.02 Uhr.
Licht. Wo bin ich? Nein, warte. Als Erstes, du hast ne Nadel im Arm, also halt den Arm ruhig. Als Zweites: Wie spät ist es? In welchem Jahr? Oh, okay dann is

13.14 Uhr.
Ja ich bin wach. Natürlich. Schiebt mich auf mein Zimmer. Muss ich dafür wach sein. Darf ich nur ganz kurz die Augen zu machen.

14: 11 Uhr.
Ich bin wach. Wirklich jetzt. Und ich hab Hunger. Echt. Großen Hunger. Ich wurde gewarnt, nicht gleich was zu essen oder zu trinken nach der Narkose. Mir würde schlecht werden. Scheiß drauf. Ich hab Hunger. Macht mir mein Mittag warm. Her damit. Was gibt’s denn? Ahhh….Chili con Carne. Auf einen nüchternen Vegetariermagen. In der Fastenzeit. Im katholischen Krankenhaus. Okayy. Und dazu? Reis, Weißkrautsalat und Ananas. Ach was solls, dann eben das. Und die Bohnen aus dem Chili pul ich raus. Und davon, dass sich meine Zimmernachbarin, allein bei dem Geruch lautstark erbricht, lass ich mich nicht stören. Mir schmeckts. Auch noch, als der Arzt reinkommt und sich freut, dass ich einen ordentlichen Schaden hab. Größer sogar als gedacht. Wer hätte das gedacht. Immerhin, nur vier bis sechs Wochen Training und es könnte wieder einigermaßen okay sein. Nie mehr so wie früher, aber immerhin einigermaßen okay. Ist doch alles halb so wild. Zum Nachtisch noch eine Dosis Schmerzmittel im Arm und alles wird gut.

17:04 Uhr.
Ich müsst jetzt echt mal pinkeln. Erstmal die Decke hoch heben. Was kommt denn da aus meinem Knie. Ein Schlauch. Zehn, zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig, ganze siebzig Zentimeter lang. Dran hängt ne kleine Plastebombe. Die is voller Blut. Urghs. Schon beim Hinsehen bekomm ich wieder Schmerzen.

18:00 Uhr.
Abendbrot. Wurstbrot.

20.40 Uhr.
Die Zimmernachbarin macht das Licht aus. Ich lieg am Fenster. Gegenüber ist eine Plattensiedlung. Sechsundsechzig Fenster kann ich beobachten. Und wach liegen.

00:24 Uhr.
Ich kanns nicht mehr halten. Ich muss pinkeln. Gut. Wo ist der Blutsack. Am Bett festgezurrt. Wieso denn das? Wie soll ich da aufstehen. Denken die nicht mit. Die denken nicht mit. Meine Güte ist das fest. Muss ich dran zurren, damit ich aufstehen kann. Scheiß, jetzt ist mir der Kram auch noch runtergefallen. Man. Man man man!

03: 55 Uhr.
Endgültig wach.

04:22 Uhr.
Ich brauch die Nachtschwester. Und schon wieder Schmerzmittel.

06:00 Uhr.
Weckzeit. Die Schwester freut sich über die Blutlache neben meinem Bett. Ja ich bin ein Matz. Schmeißt mich raus. Ich will nach Hause. Bitte.

06:30 Uhr.
Frühstück.

09:00 Uhr.
Drainage entfernen. Die gute Frau hat Probleme damit. Ist auch heftig verschnürt. Da muss man leider etwas heftiger dran ziehen.

09: 11 bis 09:15 Uhr.
Physiotherapie.

09:30 Uhr.
Abmeldung. Und die Info, dass ich zweimal gegessen hab (offiziell zu Abend und das Frühstück) und daher zwei Tage Krankenhausaufenthalt abgerechnet werden. Sehr schön. So isses gewesen.

Titel is geborgt bei Bernhard Schlink

01 April 2011

kleiner dicker Piepmatz