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31 Dezember 2011

Auf in ein neues Jahr!

Rückblick

2011

1. Zugenommen oder abgenommen?
Zugenommen, abgenommen, zugenommen, abgenommen, zugenommen, abgenommen, zugenommen…

2. Haare länger oder kürzer?
Kürzer- ich war beim Friseur!

3. Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
Müsste weitsichtiger werden aber bis dahin isses n langer Weg

4. Mehr Kohle oder weniger?
Weniger definitiv, sehr viel weniger.

5. Mehr ausgegeben oder weniger?
Weniger, gezwungenermaßen.

6. Mehr bewegt oder weniger?
Sehr viel weniger, auch gezwungenermaßen.

7. Der hirnrissigste Plan?
Ich hab keine hirnrissigen Pläne.

8. Die gefährlichste Unternehmung?
Man mag es nicht glauben, aber spazieren gehen. Dabei können auch schlimme Dinge passieren. Zum Beispiel dass man ein halbes Jahr danach noch an Krücken geht.

9. Die teuerste Anschaffung?
Der Umzug war teuer genug.

10. Das leckerste Essen?
Vieles. Mit Sicherheit gehört dazu eine Kresse-Meerettich-Suppe und Grünspargelaksa.

11. Das beeindruckendste Buch?
Am meisten gefreut und für großartig befunden: Gut gegen Nordwind von Daniel Glattauer (Mein Bücherregal [und ich auch] bedankt sich bei dem Schenker!). Daneben fand ich „Ein fabelhafter Lügner“ von Susann Pásztor noch ziemlich gut und auch Animal Farm (ja sogar auf Englisch).

12. Der ergreifendste Film?
Inception. Vielleicht. Wenn ergreifend das passende Wort dafür ist.

13. Die beste CD?
Es gab nicht viele neue dieses Jahr. Aber am besten davon ist vielleicht, dass ich mich endlich mit den CDs von Rainald Grebe angefreundet hab. Und sogar drüber lachen kann.

14. Das schönste Konzert?
Ich war bei Rainald Grebe, Placebo, den Blond Redheads und 30 seconds to Mars. Sagen wir mal so: In der wobenden Masse bei Placebo, das ist großartig. Und einer von 20 Gästen bei den Blond Redheads zu sein, auch. Alles andere war okay.

15. Die meiste Zeit verbracht mit …?
Schlafen, Essen, Fotografieren, Warten, Bewerben, Hoffen und Bangen, Trübsal blasen.

16. Die schönste Zeit verbracht mit …?
Fotografieren. Immer noch. Immer wieder.

17. Vorherrschendes Gefühl 2010?
Ein Schwanken zwischen „Aus mir wird nie was“ und „Mir gehört die Welt!“

18. 2011 zum ersten Mal getan?
ein Kochbuch gekauft, Haare geglättet, mit der Idee gespielt mir ein Service zuzulegen, ein Kotzbecken gesehen, in einer Bushaltestelle geschlafen, eine Eule auf dem Arm gehalten , sowas wie einen Kometenhagel gesehen

19. 2010 nach langer Zeit wieder getan?
Bilder ausgestellt, umgezogen, Zwieback gegessen, einen Töpfermarkt besucht, selber getöpfert, mich operieren lassen

20. Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?
Sturz im März mit allen Folgen und ein dreieinhalb Stunden Bewerbungsgespräch

21. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
Ich kann das. Oder wahlweise: Jeder kann die Welt retten.

22. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
Aufstehen zum Sonnenaufgang.

23. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
Spring doch mal. (Der ist im Nachhinein so witzig) (Man muss dabei gewesen sein)

24. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?
Ich kann keine schönen Sätze sagen.

25. 2010 war mit einem Wort …?
NervenaufreibendfüralleBeteiligten

12 Dezember 2011

silence

09 Dezember 2011

Der Freund und der Fremde

Mir wird immer mal wieder hinterher gesagt, ich sei sozial nicht besonders aktiv, ich würde Menschen aus dem Weg gehen, wo es nur geht und könnte ich es nicht vermeiden, würde ich mich nicht von der Schokoladenseite präsentieren. Absichtlich. In den letzten Wochen habe ich daher mal etwas anderes ausprobiert. Ich habe Menschen getroffen. Viele und mir bis dahin völlig unbekannte Menschen. Große, kleine, junge, alte, hübsche, ja auch hässliche, ganz besonders kluge und eher normal intelligente, gelangweilte, frustrierte, euphorische, erfolgreiche und zufriedene Menschen. Bemerkenswert waren dabei zwei Treffen: eines mit einer Truppe Fotografen (und mir), ein anderes mit einer Gruppe Juristen (und solchen, die es mal werden wollen). Das möchte ich gern vergleichend nebeneinanderstellen.
Bei einem Treffen mit völlig fremden fotobegeisterten Leuten ist es rundweg normal, das man sich duzt und zur Begrüßung erstmal feste umarmt. Man redet sich mit lustigen Kosenamen an, die man nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Kameras gegeben hat. So ist es eigentlich ein Treffen zwischen den Fotografen: Time, Secret, rollendes Auge, Particula, Froillein, Seleneos und Violess sowie den Kameras: Sonny, Cher, Holger, Spinner, Eva und Minotaurus. Two-face konnte ich noch nicht mitbringen, da dieser noch im Schaufenster steht, aber das nächste Mal ist er dabei.
Bei Juristen ist das anders. Da braucht man erstmal drei Tage Vorlauf, um herauszubekommen, wer geduzt und wer gesiezt werden möchte, was nebenbei bemerkt unheimlich schwierig ist, wenn man die Jüngste in der Runde ist und damit nicht das Recht hat mit dem Duzen anzufangen und wer auf seinen Titel besteht. Manche weisen einen dezent mit einem„..und Sie sind noch mal?“ darauf hin, andere schreiben ganz Kerzengeradeaus, das sie auf das Honorativum bestehen. Nachdem man nachgeschlagen hat, was einem damit gesagt sein soll, ist man bei den nächsten Anreden ganz vorsichtig, siezt und bekommt dennoch einen Anpfiff weg, weil man sich ja anscheinend für was Besseres hält. Die persönliche Begrüßung vor Ort: ein förmliches Händeschütteln. Man redet sich mit „Herr“ und „Frau“ an und wird als Dame bezeichnet.
Mit den Fotografen geht man in ein wundervolles Lokal voller einzelner Stühle, Kinder mit Strickpullis und Eltern mit Zahnlücken. Voller schiefer und gerissener Kacheln an den Wänden, die sofort aufgenommen gehören und zwei Wochen später als Kunst käuflich zu erwerben sind. Voller Flyer, Postkarten und Kunst. Ohne Tapete, Tageskarte und Tischdecken. Ohne zweites Besteck, Gardinen und Servietten.
Mit den Juristen geht man zum besten Italiener. Nicht wieder den vom letzten Mal, denn der war unzumutbar. Allein wenn man das Haus betreten hat, mussten einem sofort die schlecht verlegten Teppichleisten ins Auge springen. Die Weinkarte darüber hinaus war desaströs. Und über die Küche den Mantel des Schweigens zu hüllen, war schon des Lob zu viel. Deswegen dieses Mal ein Anderes. Ein Besseres. Mit reservierten Tischen, da man sonst keinen Platz bekommt. Mit frischen Blumen auf den Tischdecken und schweren roten Vorhängen vor den Fenstern. Mit klassischer Musik zur Untermalung. Mit silbernem Besteck. Und Ledersesseln. Und Glastüren. Und einer großen Auswahl an nicht vegetarischen Gerichten. Hier isst man Vorspeisen. Variationen einer Vorspeise heißt das. Luftgetrocknetes Rinderfilet und Parmaschinken. Kalbfleisch und Thunfischcreme. Dazu den besten Rotwein. Und leider zu wenig Brot. Unmöglich, so wenig Brot anzubieten. Zum Hauptmenü gibt es frisches Lamm, Involtini alla genovese oder Scaloppine al vino bianco. Da man sich sonst nichts gönnt, gibt es auch eine Nachspeise. Die Portionen sind ja immer so klein in so edlen Restaurants. Da muss eine Portion Tiramisu hinterher. Und ein doppelter Espresso, ach was sag ich, ein dreifacher. Und damit der Abend noch lustiger wird: ein Gin Tonic.
Mit den Fotografen isst man, was gerade da ist. Rührei. Dazu ein Kaffee und ein Traubensaft. Wer dann noch Hunger hat, der teilt sich nachher eine Donauwelle, die man sich irgendwo auf der Straße besorgt. Aber zum Essen hat man sich ja auch nicht getroffen. Man will quatschen, quasseln, faseln, geigeln, schwafeln, knipsen, lästern, anmerken, helfen, bewerten, belohnen, übereinander stolpern, Zeit in die Länge ziehen und dann gemeinsam totschlagen, lachen, toben, staunen, sich nicht vergessen, Wellen schlagen, verlaufen und nicht wieder raus finden, rote Fäden stricken, über den Tellerrand und den großen Teich gucken und ganz bestimmt wieder sehen.
Juristen reden. Nein nicht einmal das. Sie diskutieren. Über den konkreten Zeitpunkt der Übereignung einer Serviette zum Beispiel. Über den witzigen Versuch eine Kondiktion zu kondizieren. Das muss man sich mal vorstellen. Über die Frage, ob es ein Treu und Glauben auch im Case Law gibt. Und wenn ja, warum das so ist. Oder warum nicht. Über Haakjöringsköd, invitatios, actio libera in causas. Und Eigentum, meins und deins. Und darüber, dass man ziemlich Avantgarde ist. Ungewollt natürlich, aber was kann man dagegen schon tun. Damit ist man gebeutelt. Ein Leben lang. Ein Kreuz, das man zu tragen hat.
Nach dem Essen gehen fotografierende Leute raus. Bei Wind und Wetter. Stolpern über Männer in Schlafsäcken, nehmen ein Bußgeld von 4000 € in Kauf beim Füttern von Möwen (man kann sich ja reinteilen), fragen Darth Vader wies mit den Eroberungszügen so aussieht und laufen ein Stück mit ihm, schauen sich Pampers Babys an, taumeln über die Kirmes und übergeben sich gemeinsam beim „bloß dran denken, man müsste da jetzt rauf“, wischen Rasierschaum von Wänden, fahren schwarz, kaufen ein A.
Was Juristen nach dem Essen machen, kann ich leider nicht beantworten. Um das rauszufinden, hätte ich bleiben müssen. Aber ich hatte die Ausrede schon ausgepackt. Nicht langsam wie man das zu Weihnachten macht, sondern hektisch aufgerissen. Mitten im heiteren Gespräch über Erlaubnistatumstandsirrtümer (meine Güte, mein Word kennt dieses Wortungetüm sogar) ist mir eingefallen, dass ich meinen Zug bekommen muss. Der Letzte heute Abend. Ja leider. Aber das nächste Mal. Ganz sicher. Bestimmt.
Nach dem einen Treffen habe ich den Ruf verrückt, nach dem anderen Treffen, den Ruf militant zu sein. Ich weiß jetzt, was ich werden will, wenn ich mal groß bin. Verrückt.

Der Titel ist geborgt bei Uwe Timm

05 Dezember 2011

frühmorgendliches Bling Bling

03 Dezember 2011

Der graue Alltag der Revolution

Mein Telefon blinkt. Schon wieder. Mittlerweile bin ich daran gewohnt. Es löst keine Schweißausbrüche mehr aus. Langsam bekomme ich Routine. Ich halte achtundvierzig Minuten lange Gespräche mit Kollegen aus, die ich noch nicht mal kenne und habe gelernt viele Gedanken die ich dabei habe („Man, wie oft willst du das noch wiederholen?“, „Boah, is jetzt nicht dein Ernst, dass du mir erzählst, du seist unheimlich klug, denkst aber Erfurt läge in Sachsen Anhalt- hast du sie noch alle?“, „Echt, halt jetzt die Klappe, leg auf, geh weg, ich mag nicht mehr!“) bei mir zu behalten und dabei freundlich „Aha“ zu sagen und nebenbei meine E-Mails zu checken. Alles ganz easy jetzt. Auf Durchzug schalten muss gelernt werden, geht aber einfacher als man denkt. Also befürchte ich eigentlich nichts, wenn das Telefon blinkt. Im Gegenteil. Der Anruf jetzt, der kommt aus der Heimat. Da kann nichts passieren. Da wohnen nur gute Menschen. Bis auf zwei. So groß ist die Problemzone Ost eigentlich gar nicht. Aber, die Begrüßung von der fremden Stimme erfolgt dennoch recht kühl:
„Sagen Sie mal, wie siehts denn aus? Bezahlen Sie auch mal ihre Rechnungen?“
Die Frau ist aus allen Wolken auf mich drauf gefallen. Ich bin kurz platt wie eine Briefmarke. Muss mich sammeln. Die E-Mails beiseitelegen und mich konzentrieren.
„Schönen guten Morgen, mit wem spreche ich denn bitte?“
„Mit ihrer Buchhandlung!“
„Aha. Und bei Ihnen werden nicht alle Rechnungen beglichen?“
„Ja, und zwar von Ihnen!“
„Tatsächlich? Von mir? Was sollte ich denn bezahlen?“
„Na die Bücher, die wir an Sie geschickt haben. Das waren in den letzten drei Monaten zwei Stück.“
„Aha. Ich hab hier zwei Lieferungen von Ihnen, die sind allerdings seit (ich bin wieder in der Lage nebenbei im Internet zu surfen und schaue meine Konotbewegungen nach) – hier haben wir es – vier Wochen und drei Tagen bezahlt. Ich schulde Ihnen nichts.“
„Doch doch doch. Und ob sie das tun. Von den zwei Lieferungen rede ich nicht. Da sind die Zahlungen eingegangen. Vielmehr von den anderen zweien.“
„Welche anderen „zweien“?“
„Na denen von denen in den letzten drei Monaten!“
„Für sie gern noch mal. Die Zwei sind beglichen!“
„Nein.“
„Doch!“
„Nein.“
„Doch.“
Das zieht sich jetzt ein paar Minuten hin. Dann denk ich mir aber, es wär mal an der Zeit zu zeigen, dass ich noch mehr Wörter kann.
„Anders gefragt- wie lang bin ich bei Ihnen Kundin?“
„Seit acht Jahren!“
„Aha. Und in der Zeit hab ich wie viele Rechnungen offen gelassen?“
„Ganz klar- zwei. Die von den letzten drei Monaten!“
„Jetzt hören Sie doch mal damit auf und bleiben ernsthaft. Außer diesen angeblichen zwei Lieferungen also keine in den letzten acht Jahren. Ich finde das spricht schon sehr für mich!“ „Nein, die Letzten wurden nicht bezahlt!“ Sie nennt mir sicherheitshalber die Sendungen, um die es geht.
„Gute Frau, dass, was sie mir da nennen ist, bei mir nie angekommen!“
„Na und? Zurück zu uns ist es auch nicht gekommen! Also bezahlen sie bitte die Rechnungen!“ „Ähm, wenn die Lieferung nicht bei mir ist, dann auch nicht die dazu gehörige Rechnung. Das ist nachvollziehbar, oder?“
„Mir egal, bezahlen Sie die Rechnungen. Und die Mahngebühren. Sie halten es ja nicht mal für nötig auf Mahnungen zu reagieren. Also kommt dass natürlich noch dazu.“
„Okay gute Frau. Wissen sie, was sie mir das geschickt haben?“
„Gesetzbücher.“
„Aha. Worauf könnte das wohl schließen? … Richtig. Sie können mich hier nicht verarschen!“
„Na aber die Rechnungen, die sind nicht beglichen.“
„Mir doch Hupe. Ich bin doch nicht da um ihre mangelnde Buchhaltungsleistung auszugleichen.“ Tut … da hat sie einfach aufgelegt. So was. Ich bin doch nicht etwa zu weit gegangen. Dabei war ich doch noch sachte. Da wär noch was drin gewesen. Zu viele haben in den letzten Wochen gedacht, die können mich veralbern: Zum Beispiel der potenzielle Arbeitgeber, der mich wegen zu schlechter wissenschaftlichen Leistungen abwürgt mit „sie haben ja noch nicht mal nen VB“. Und den hab ich ja wohl doch. Das hab ich ihn dann auch an den Kopf geworfen. Mit dem Hinweis, man möge bitte zeitgleich auch beachten, dass ich nicht im Wünsch-dir-was-Land Hessen oder Kauf-dir-ein-Exmanen-Land Hamburg studiert habe. Oder mein Telefonanbieter, der mir mal völlig ohne Berechnungsgrundlage 70 € auf die Rechnung schlägt. Die ich nach einer Kündigung mit Pauken und Trompeten zurückhabe. Oder … Das Telefon klingelt erneut. Nummer aus der Heimat. Erneut.
„Was denn noch?“
„Ja also wir haben uns jetzt entschieden, wir schicken Ihnen das noch mal zu!“
„Ach was?“
„Ja also aber ich möchte auch betonen, dass das eine reine Kulanz von uns ist. Also das wir Ihnen die Ware noch mal schicken. Immerhin können Sie nicht nachweisen, dass die Ware nicht bei Ihnen angekommen ist. Das müssen Sie ja auch mal beachten!“
„Ich muss bitte was? Ich glaub hier platzt gleich der Mond! Das ist Kulanz? Das nennen sie Kulanz, dass ich nur die Dinge bezahlen muss, die ich auch erhalte? Schon mal was von Schickschuld gehört? Von Gefahrtragung? Von unbestellt zugesendeten Waren? Von unlauteren Wettbewerb? Von Verbraucherschutz? Vom Gesetz so im Allgemeinen?“
Tut tut tut. Tut tut tut. Wieder aufgelegt.

Der Titel ist gemopst bei Horst Evers

18 November 2011

baumschützender Baumstützer



16 November 2011

Obsession

Am Hamburger Bahnhof, dem meistfrequentiertesten Deutschlands kann man vieles sehen. Große Ritter Sport Werbung, Anzeigetafeln, auf denen „Heute 50 Minuten später“ steht, Toiletten, für deren Benutzung viel zu viel Geld verlangt wird und Leute die mal wieder was brauchen? Einen Schuss. Und ich steh unter Ihnen. Heute zum zweiten Mal. Aber das lässt sich alles erklären und hat einen Grund. Einen plausiblen noch dazu. Und überhaupt, so schlimm ist das nicht. Ich bin nicht süchtig. Wenn ich wollte, könnte ich jederzeit aufhören. Ich will nur nicht. Das hat nichts mit nicht können zu tun. Ich kann das. Ich will nur nicht. Dazu hätte ich auch gar keinen Grund. Es ist einfach viel zu schön. Warum soll ich das eintauschen. Vor allem jetzt, wo ich es wieder erlebe. Das Wechseln des Objektives, das Zurren beim Zoomen, das Festlegen des Fokusses, das Abdrücken des Auslösers, ach und überhaupt das ganze Drum und Dran. Das Beobachten, das Aufsaugen, das Einatmen, das Festhalten und nicht mehr Hergeben. Das geb ich nicht wieder zurück. Sicher nicht. Diesmal nicht. Dafür war die letzte Woche zu nervenaufreibend. Angefangen bei dem Befolgen des Ratschlages: „Das erste Gehalt, das gibt man für sich aus!“ Denn genau das hab ich dann gemacht. Viermal. Und noch sämtliche Ersparnisse zusammengekratzt, damit ich mir das neueste Modell an Kamera, das Nonplusultra, das es zurzeit au dem Markt gibt, nach Hause schicken lassen kann. Das heißt, und das ist wichtig, auf dem Markt gibt es sie eigentlich noch nicht. Es sollte, aber Erdbeben und Hochwasser haben das verhindert. Verdammt. Erst sind die Fabriken zusammengestürzt und die paar, die standgehalten haben wurden dann weggeschwemmt. Die Folge: leerer Markt. Bis auf hundert Kameras, die in weiser Voraussicht schon vorher aus dem Land geflüchtet sind. Naturflüchtlinge sozusagen. Und ich hab eine davon aufgenommen. Damit sie sich nicht so einsam fühlt in der neuen Welt, gleich mit passendem, gleich noch mal so teurem Objektiv. Mit dem beiden stand ich dann letzte Woche schon hier. Am Bahnhof. In heller Vorfreude auf die Einweihung, auf grandiose Fotografien, auf neue Bekannte und alte Erinnerungen. Und nachdem ich die erste ausgeliehene SD-Karte durch achtloses Fallenlassen zerstört habe (es tut mir so furchtbar leid, ich weiß, SD-Karten sind ein wichtiger Besitz, die zweiten besten Freunde eines Fotografen), habe ich die zweite ausgeliehene SD-Karte (vielen Dank fürs dann immer noch Vertrauen in mich haben) bis oben hin gefüttert mit Kuchen, Kränen, Kringeln, Koffern, Kunst und Kirmeslichtern. Was waren das für famose Aufnahmen, was für ein toller Tag. Denk ich im Zug. Auf dem Weg nach Hause. Und freu mich auf den Laptop. Aufs Rüberziehen, aufs Auspacken, aufs Verfeinern. Aber ach, was muss ich sehen? Matsch. Alle Feinheiten und Nuancen sind lediglich ein unappetitlicher Pixelbrei. Die Farben grau, die Füße platt, die Möwen unsichtbar. Auf dem Computer sind also nur 612 graue Vierecke gespeichert. Unfassbar. Die Nacht, die eigentlich fest für Schlaf reserviert war, wird mit Grübeln verbracht. Kann es an mir liegen? Habe ich etwas falsch gemacht? Nein, das kann es nicht sein. Die Ursache muss eine ganz andere sein. Die Kamera ist sicher krank. Doch was vom Wasser abbekommen vielleicht. Der Chip nicht in Ordnung. Oder der Sensor. Irgendwas muss da falsch gelaufen sein. Das muss ein Montagsprodukt neben mir sein. Ich muss nachdenken. Wie ist das mit einem Rückgaberecht. Oder einer Nachlieferung. Das dauert alles zu lange. Im Februar wieder, haben Sie gesagt. Erst im Februar wird wieder geliefert. Februar, das sind noch drei Monate. Solang kann ich nicht warten. Das wäre unmenschlich, das zu verlangen. Drei Monate. Das sind, Moment, das sind ja fast hundert Tage. Das geht nicht. Es muss eine andere Lösung her. Die Einfachste ist: Neue Kamera bestellen. Das Problem nur: Ich will diese hier und diese hier wird, wie eben festgestellt erst in hundert Tagen wieder geliefert. Aber hundert haben das Land doch schon erreicht. Das wär doch ein Witz, wenn sich davon keine mehr auftreiben lässt. Gedacht, getan. Das Internet wird, es ist immer noch nachts, ich kann immer noch nicht schlafen, durchstöbert. Und siehe da, die Nachtschicht lohnt sich. Irgendwo auf der hinterletzten Seite, da ist noch eine ganz Einsame. Jawoll! Expresslieferung drücken und ab damit! Bleiben noch zwei Stunden Schlaf, ein Tag Unruhe und dann ist sie da. Gut, das Geld muss ich bis dahin noch mal auftreiben, aber aus dem Fernsehen hat man gelernt, dass das immer irgendwie klappt, wenn jemand sagt: „Sie haben 24 Stunden Zeit.“ Und das klappt auch. Überhaupt kein Problem. Augen klimpern und „ich gebs auch ganz bestimmt so schnell wie möglich zurück“ hilft. So kann ich dem Postboten den dicken Batzen Geld in die Hände drücken, als er dann endlich bei mir klingelt und ihm gut gelaunt raten, dass er sich ja nicht überfallen lassen solle, der Gute. Dann renn ich hoch, reiß die Packung auf, setze vorgeladenen Akku und die neue SD-Karte ein und drück ab. Dann: das Gleiche. Graue Kästen auf den Bildschirm. Pixelmatsch. Trübe Farben. Soll es am Ende wirklich an mir liegen? Kann es sein, dass diese Kamera in meinen ungeschickten Händen schon aus Vorsicht den Dienst verweigert? Das kann nicht sein. Bisher hat sich noch jede bei mir wohlgefühlt. Ich hab noch nie was falsch gemacht. Gut, ich zieh es jetzt vorsichtshalber mal doch in Betracht und begebe mich auf die Suche nach Erfahrungsberichten. 98 davon muss es ja rein theoretisch schon geben. Siehe da- das Problem ist bekannt. Toller Sensor, tolle 24 Megapixel, aber kaum ein Objektiv, das das leisten kann. Das heißt, die gibt es schon, aber dafür müssten nach Hin- und Herrechnerei mindestens zwölf erste Gehälter herhalten. Das ist irgendwie zu viel und nicht mehr angemessen. Oder? Ich mein … nein, das kann ich nicht bringen. Verflucht. Jetzt hab ich hier zwei von den Dingern und sie sind dazu verflucht, nutzlos in der Ecke zu liegen. Das ist wirklich zu schade. Aber dabei hab ich ein noch viel größeres Problem: womit um alles in der Welt fotografier ich denn jetzt? Ich mein, jetzt hab ich ja mein erstes Gehalt schon viermal ausgegeben (ja gut achtmal, wenn man es genau nimmt), aber das Geld kommt ja irgendwann nach dem Zurücksenden der beiden Kameras zurück auf mein Konto. Und irgendwann … das ist auch irgendwie noch ganz schön lang. Das kann eine Woche sein. Das heißt, ein Wochenende ohne Fotografie. Hui, das wär aber eine Herausforderung für mich. Was soll ich denn mit der Zeit machen. Auf den Nägeln kauen, gereizt die Wohnung putzen, mit den Füßen trommeln. Das kann ja heiter werden. Nein das mach ich nicht. Mir und meiner Beziehung zu liebe. Ich mach was anderes. Ich such mir jetzt eine Kamera aus. Und damit ich das Theater nicht wieder habe, bestell ich einfach alle, die mir gefallen könnten. Geld spielt ja jetzt eh keine Rolle mehr. Dispo ist Dispo. Und das kommt ja irgendwann wieder drauf. Zwei Tage später und um fünf Kameras reicher (oh bitte, lass diese Tage keinen bei mir einbrechen!) hab ich mich immerhin für ein Gehäuse entscheiden. Aber das Gehäuse kostet nur zwei Gehälter. Und ich hab ja eh schon damit gerechnet, dass ich das Geld los bin, also kann ich die anderen zwei auch noch zum Fenster raus werfen, denk ich. Als Erstes aber bringe ich das, was für die erste Kamera als Freundin gekauft wurde, wieder zurück. Ob etwas nicht damit in Ordnung sei, fragt man mich im Laden. Nein, alles prima, eigentlich, passte nur nicht auf meine 77. Und dann:
„WAS? Du hast die 77? Die gibt’s doch noch gar nicht. Wir bekommen die hier nicht. Wieso hast du die? Wieso? Bring sie mal mit. Ich will sie in den Händen halten. Nur mal anfassen. Ach am liebsten tät ich sie dir auf der Stelle abkaufen. Wie viel? Ach nein, meine Freundin bringt mich um. Aber ehrlich, ich will sie in den Händen halten! Bring sie mal mit, gib sie mal her. Warum hast du die und wir nicht?“
Hm. Gut, ich hab sie, weil ich einen Helden zu Hause sitzen habe, der es nicht ertragen kann, wenn ich unzufrieden bin und der mir sucht, was ich haben möchte. Nicht unbedingt freiwillig immer, aber er machts. Ich glaube er muss manchmal ein bisschen leiden. Aber das ich sie habe, diese Megakamera, und dann auch noch zweimal, hat nüscht gebracht. Ich erzähle also meine durchaus traurige Geschichte. Das Mitleid unter Fotografen ist mir da sicher. Jeder hier kann das verstehen.
Wieder zu Hause durchstöbere ich das Internet erneut. Nach passenden Objektiven. Und ich finde zwei. Eines davon hatte ich heute in den Laden zurückgebracht. Ich überlege, ob ich das bringen kann, da morgen wieder hinzugehen und das gleiche Objektiv wieder zu kaufen. Aber die andere Alternative wäre: Bestellen. Mit drei Tagen Lieferzeit. Und heute ist Donnerstag. Dann kommt schon das Wochenende. Nee, das geht nicht. Und außerdem bin ich im Fotoladen jetzt eh ein Held, weil ich „die mit der 77“ bin. Deswegen ist das dann auch kein Problem, dass ich das gleiche wieder hole. Und weil ich sowieso gerade in guter Laune bin, noch ein Zweites drauflege, da das gerade im Angebot ist. Alles easy, alles kein Problem, man kennt sich ja jetzt, macht auch nen guten Preis und gibt noch den ein oder anderen Geheimtipp mit auf den Weg.
Jetzt geht es mir wieder besser. Ich habe alles beisammen und alles funktioniert. Alle wichtigen Geräte reden miteinander und verstehen sich auch sonst ganz gut. Ich buche also nur noch ein Ticket nach Hamburg. Da wo ich jetzt stehe. Und wo ich genau das nach über eine Woche wieder mache: meinen ersten Schuss setzen. So ein kalter Entzug, das wär nichts für mich.

Der Titel ist geborgt bei Simon Beckett

14 November 2011

Unterm Strich ein Imitat



20 Oktober 2011

Vor mir der Tag und hinter mir die Nacht

Erster Arbeitstag. Mein Postfach wird geweckt. 03:20 Uhr. Eine E-Mail kommt rein. Betreff: Prüfung. Verschlafen entziffert mein Postfach die ersten Zeilen. Es ist noch gar nicht richtig wach. Das kennen wir ja alle, keiner ist um diese Zeit „richtig wach“. Eher „gar nicht wach“. Mein Postfach ist pflichtbewusst, es nimmt die Nachricht entgegen, erkennt deren Wichtigkeit und holt auch gleich mein Handy aus dem Tiefschlaf, damit dieses, wie ihm aufgetragen, furchtbar laut piepen kann, wenn irgendwas „reinkommt“. Nur fiepen ist bei mir allerdings eher ein niedlicher Versuch. Daher fängt Iggy Pop irgendwann an, mir ins Ohr zu schreien. La-la-la-la-la-la-la-la-la-we love monster men. Das hat schon zu verrückten Träumen geführt. Wenn das Lied gespielt wird, währen dich schlafe. Mittlerweile weckt es mich auch ab und zu auf. Vorgestern zum Beispiel. Da weckte mich das lalalalalala auf. Und das Telefon blinkte fleißig dazu. Eine E-Mail also. Nachts um kurz nach viertel vier. Das würde hier im Übrigen keiner verstehen, ich hab um kurz nach viertel vier eine E-Mail bekommen. Da würde ich alle verrückt machen. Fünf nach 03:00 Uhr c.t. vielleicht noch, aber nicht um kurz nach viertel vier. Dann eher korrekt: 03:20 Uhr. Also ich hab um 03.20 Uhr eine E-Mail bekommen. Betreff: Prüfung. Inhalt: „Sehr geehrte Frau Mitarbeiterin, könnten Sie bitte morgen 10 Uhr die Klausur zum Thema Philosophie, Soziologie und Geschichte schreiben lassen und dann auch schnellst möglich kontrollieren? Ein paar Fragen und einen kleinen Überblick sind im Anhang. LG“. Punkt. Das wars. Was? Im Ernst? Was meint der denn mit Morgen? Heute morgen oder morgen morgen? Das hab ich doch noch nie verstanden. Morgen im Sinne von: Gehen sie jetzt nochmal schlafen und dann morgen, also quasi heut oder morgen im Sinne von: Ich weiß, dass Sie jetzt im Gegensatz zu mir schlafen und deswegen morgen morgen? Hach. Das macht mich verrückt. Wie bekomm ich das raus? Allein sicher nicht. Zu aufgeregt. Ich weiß - Freund wecken. „Du, bist du wach“ ruf ich und schüttel leicht an der Schulter. „Du bist du wach und kannst mir helfen? Hallo? Haallooo? Nein wir müssen noch nicht aufstehen. Kannst dich gleich nochmal umdrehen. Aber kannst du mir erst helfen? Bitte? Biiiittttte!?“ Ein lang gezogenes Bitte und ein Augenklimpern klappt ja meistens ganz gut, aber da ist es tags und ich seh nicht so zerknietscht aus, wie ein Haufen Knete der erst wieder glatt gestrichen werden muss. Da kommt das dann charmant rüber. Da kleine Frau ja Hilfe vom großen Mann braucht. Jetzt siehts eher aus wie „Verrückte Alte schmeißt Mann aus dem Bett“. Die Bild würde das sicher so betiteln. Und groß Skandal in irgendeine Ecke schreiben. Ach was, ich mach schon wieder einen Elefanten. Er ist jedenfalls gnädig und hilft mir doch. Seufzt zwar dabei, liest, verleiert leicht die Augen beim Zurückreichen des Telefons und meint beim Umdrehen nur: Man, da steh doch nen Datum bei. Ach gucke mal, tatsächlich. Da unten beim Anhang. Hui, da bin ich ja beruhigt, da habe ich also einen ganzen Tag um mich ins Thema Philosophie, Soziologie und Geschichte einzulesen. Na das wird ja reichen. Mit Sicherheit. Sicher. Ganz sicher.
30 Stunden später. Ich stehe vor verschlossenen Türen und erinnere mich an die Aussage der Verwaltung: Hier funktioniert alles automatisch. Wobei ich mit Verwaltung nicht die Verwaltung im Sinne von dem Haus sondern im Sinne vom Gesicht, das drin sitzt, meine. Und dieses Gesicht mit automatisch, das es hier keine Schlüssel oder dergleichen gibt, sondern alle Türen von der Zentrale geöffnet und geschlossen werden. Das macht mir ein bisschen Angst. Da darf ein kleiner Rechner entscheiden, ob ich hier rein darf oder nicht. Der heißt sicher Skynet. Und will irgendwann die Weltherrschaft an sich reißen. Muhahaha. Aber doch noch nicht jetzt. Nicht heute. Ich versuch verzweifelt, diensttreu wie man bereits jetzt schon ist, das Problem zu lösen. Was dann so aussieht:
Ich (gehetzt, in der Verwaltung): „Die Tür geht nicht auf. Noch nicht. Öffnet die erst ab einer bestimmten Zeit?“
Er (gelassen): „Nein. Sollte auf sein. Aber die Technik funktioniert schon seit ein paar Tagen nicht mehr.“ Ja, so ist das bei Skynet, ganz langsam kommt es an die Macht, bis es uns eines Tages überrumpelt. „Drücken sie mal auf den Rollstuhlbuzzer, damit kann man die Technik oft reinlegen.“
Ich renn zurück zur Tür. Der Kampf mit der Tür beginnt. Such den Buzzer. Find den Buzzer. Drück den Buzzer. Nichts bewegt sich. Skynet hat dazu gelernt. Ich renn zurück. In hohen Hacken.
Ich: „Nein, der Buzzer funktioniert nicht mehr. Da muss unbedingt jetzt ganz schnell ne andere Lösung her.“
Er (immer noch gelassen): „Gut dann probieren Sie es doch mal mit der Kreditkarte hier.“
Ich guck doof, aber nehm die Karte mit. Steck sie zwischen Tür und elektronischen Sicherheitsschlitz (was weiß ich, wie das Ding heißt) und die Tür ist offen. Tataaa! Feiert mich. Ich kann Türen knacken. Yeah. Bleibt noch genug Zeit meinen Raum zu suchen. Hui, gleich der erste und größte Hörsaal isses. Um so viele Menschen soll ich mich also kümmern. Okaayyy…. Ruhe bewahren. Toilette suchen. Schön die schweißnassen Hände mit eiskaltem Wasser waschen, da geht’s schon wieder besser. Ich komm raus und sehe was? Die Tür ist zu. Draußen ein Wartender. Ich lass ihn rein, geh dabei selbst raus, die Tür fällt ins Schloss und ist was? Geschlossen. Und der Trick mit der Kreditkarte klappt nicht nochmal. Scheiß kluges Techniksystem. Ich renn also wieder zurück. Immer noch in hohen Hacken. Mittlerweile tuts ein bisschen weh.
Ich (keuchend, die Haare stehen zu allen Seiten ab): „Das mit der Karte hat geklappt, aber nur einmal.“
Er (leicht genervt): „Gut ich komm mit und schau mir das mal an.“
Wir hetzen beide zurück zur Skynettür. Geht nicht auf. Nicht mit Rütteln, nicht mit Buzzer, nicht mit Kreditkarte. Na so was. Ist ja nicht so, als hätte ich das gesagt. Gut, dass der eine Wartende schon drin ist und sich amüsiert. Er kann wenigstens was Sinnvolles tun und die Tür noch von innen aufmachen. Danach muss, wie in den alten Zeiten auch, ein Stuhl zwischen die Tür und den Türrahmen gestellt werden. Das funktioniert erstmal. Überhaupt, ich mag die alten Zeiten. Aus denen hab ich noch so kluge Erinnerungen mitgebracht, wie: Alufolie an die Antenne und schon ist der Empfang wieder da (Ätsch bätsch Kabelfernsehen, dich braucht gar keiner!), frische Melisse aus dem Garten und schon sind die Bauchzwicken weg (muhaha viel zu teurer Apothekentee) oder … na gut,, so viele kluge Ratschläge hab ich nicht parat. Ich war ja auch noch sehr klein, in der guten alten Zeit. Da konnte ich mir noch nicht so viel merken. Aber die Kreditkarte hat geholfen und der Stuhl tut seinen Dienst jetzt auch. Zehn Minuten sind es noch bis zum Veranstaltungsbeginn. Der Wartende hat inzwischen gemerkt, dass er falsch ist, und ist wieder gegangen und ich bin wieder allein allein. Neun Minuten noch und jetzt acht. Gleich Sieben. Immer noch niemand in Sicht. Was tun? Peinlicherweise fällt mir nur eins ein. Ich renn zurück.
Ich (völlig aufgelöst): „Den Raum, den hab ich aber nicht zufällig verwechselt?“
Er: „Nein sie standen schon vorm Richtigen.“
Ich renn zurück, kletter über den Stuhl und schau auf die Uhr. Punkt zehn Uhr. Immernoch gähnende Leere. Ich warte. Drei Minuten. Fünf. Zehn. Jemand kommt. Einer. Aber immerhin. Ich freu mich. Die ersten zwei Sätze zeigen: Er erwartet hier etwas ganz anderes. Eine Vorlesung. Hmpf. Da kann was nicht stimmen. Was tu ich? Am liebsten würd ich mir die Schuhe ausziehen. Die Füße bluten schon. Aber was bleibt? Ich renn zurück.
Ich (mittlerweile völlig am Ende): „Da wurden wirklich keine Räume verwechselt. Denn da ist niemand. Nur einer. Und der will was ganz Anderes.“
Er (hat jetzt Mitleid, tippt in den Computer und sucht): „Nein, wirklich keine Verwechselung.“
Ich kehre niedergeschlagen zurück. Schick den Wartenden nach Hause, hier findet heut keine Veranstaltung statt. In keiner Weise. Ich kletter erneut über den Stuhl, geh in den Hörsaal und lösche das Licht. Den Chef informier ich kurz telefonisch über diese Pleite, hole meine Tasche und rutsche auf einer riesigen Pfütze aus. Herrlich, niemand da, aber eine Pfütze mitten im Raum. Die kommt ja nicht von irgendwoher. Sondern. Aus meiner Tasche. Meine Wasserfalsche ist ausgelaufen. Und da lässt sich nicht mehr viel retten. Mein Portemonnaie ist sacknass, das Geld und die Fahrscheine müssen erst irgendwo trocken. Die Klausurunterlagen sind zu nichts mehr zu gebrauchen. Hat es doch, was Gutes das niemand gekommen ist. Denn das wär ja peinlich gewesen, in der ersten Woche gleich so ein Ding. Haha. Wisst ihr was, was solls. Ich nehm den Stuhl aus der Tür und geh nach Hause.

Der Titel ist geborgt bei Jakob Hein

19 Oktober 2011

battle for the sun

13 Oktober 2011

Parallelgeschichten

Ich bin verwirrt. Irritiert. Komplett daneben. Ich würde gerne fließend ein paar Zeilen schreiben. Und anfangen würde ich mit: Ich geh jetzt also wieder zur Uni. Aber dann hörts auf. Da ist zuviel Unordnung im Kopf. Viel Dreck und soviel was schon wieder oder immer noch im Weg rumliegt. Meine Mama würde eine Krise bekommen. Und sofort mit Besen und Kehrschaufel durchgehen. Ach was sag ich. Warum nicht gleich Kärchern. Da hängen noch Spinnweben an Sachen, die müssen weg. Und der alte Boden muss raus. Und die Vorurteile da, die müssen auch neu geordnet werden. Und die ganzen neuen Sachen hier, die sind überhaupt nicht einsortiert. Folglich stolper ich immer wieder drüber und stoße mir die großen und kleinen Zehen dran, hole mir blaue Knie und kleine Beulen am Kopf. Die tun weh. Wo die Pflaster geblieben sind, weiß ich nicht. Ich habe noch drei Tage und einen Halben, um aufzuräumen. Dann muss es glänzen und altes Wissen abrufbar sowie Neues aufnehmbar, das Schlafzentrum auf „nur Schlummern, wenn es notwendig ist“ gestellt und die Mimik trainiert sein, damit mir nicht immer gleich alles aus dem Gesicht fällt. Wenn ich etwas besser weiß. Und wenn ich denke, dass ich etwas besser weiß. Wenn ich mir nichts erzählen lassen will und auch, wenn ich etwas nicht verstehe. Dabei fällt mir ein, im Sprachzentrum muss auch noch was getan werden. Ich dachte ja bisher immer: Ich? Nein ich hab mit Sicherheit keinen Dialekt. Ich sprech doch reines Hochdeutsch. Vielleicht etwas schnell hier und da. Aber wer das nicht versteht, tja, an dem liegt es dann ja wohl auch. Falsch. Ich scheine tatsächlich ab und an einen leichten Dialekt an den Tag zu legen. Das ist mir klar geworden, als ich beim Panneköken essen auf meine anscheinend sächsische Herkunft angesprochen wurde. Dass das nicht stimmt, und man aus dem schönen Thüringen stammt, ist dabei egal, denn da grinst der Opa vom Nachbartisch, stolz auf seine Erkenntnis und haut einem: „Wusst ich es doch- ich kenn mich nämlich mit Dialekten aus!“ ins Gesicht, als wäre Thüringen ein Dorf gleich neben Leipzsch. Ach was solls. Nein, den Dialekt behalt ich doch lieber bei. Da kann ich wenigstens mal richtig fluchen: Ich bin keen Saggse! Sonnern Thüringär. Wir haddn Maddin Ludder, also verpissdschdoach du oller Blödföhn. Ach ja, das tut gut. Sprachzentrum wird also nicht angerührt. Was liegt hier sonst noch rum. Gugge mal hier, die Kiste mit den Vorurteilen. An der muss ich mal rütteln. Das mit dem „Nur Spinner glauben an Wasseradern und energetische Reinigung!“ kann in die Tonne. Das glauben auch nette Menschen. Echt. Denen sieht man das nicht unbedingt an. Das merkt man nicht gleich. Denn die sehen so aus wie wir, mit einem Arm und einem Bein rechts und links. Und die essen und atmen wie wir. Und die sind auch nett und helfen, wo es nur geht. Die teilen ihr Frühstücksbrot und an manchen Tagen auch meine Überzeugungen. Nur in einigen paar Punkten gehen sie halt etwas weiter. Was macht das schon. Andere glauben an Justin Bieber oder Gott, manche an Wünschelruten und Gerechtigkeit und andere wieder an Wohlstand und Wirtschaftswachstum. Da tut mir so eine Wasserader auch nicht mehr weh. Also weiter im Text. Hier ist eine Kiste, in der anscheinend mal ein Kühlschrank geliefert wurde, mit der Aufschrift Wetteifer. Mach ich die jetzt auf und hol da olle Kamellen vom ersten Kuss, dem besseren Abitur und dem anerkannteren Uniabschluss raus, werf ich das ganze Ding ungesehen weg oder stell ich die Kiste doch noch mal nach hinten an die Wand. Immerhin gibt es so viele Dinge, in denen man noch konkurrieren könnte: die erste Paartherapie, die erste große Langeweile die man mit dem Bekommen von Kindern oder einem Hobby wie dem Sammeln von Fingerhüten (oder Schweinen oder Niveadosen) füllt, die erste Scheidung … Da ist noch Potenzial. Also erstmal in die Ecke damit. Zu dem kleinen Schuhkarton, der hier schon ne Weile rumliegen muss. Männer steht drauf. Männer und wie man mit Ihnen umgeht. Ich muss lachen. Ach ja, die hab ich vor Jahren mal angelegt, als es um so Fragen ging wie: Bis zu welchem Punkt ist man interessant und ab wann wird man als verrückt betrachtet? Ist es wirklich wichtig, das man mit nassen Haaren auch noch gut aussieht? Darf ich tanzen, wie ich will, oder soll ich lieber schüchtern rumstehen und mit den Füßen wippen? Dieser Karton hat mir nie viel gebracht. Ich sollte ihn umbenennen. In Rätsel. Da kann ich noch ein paar mit hinzufügen. Zum Beispiel: Ich bekomme erste graue Haare und Krähenfüße- warum wecke ich bei Männern über vierzig immer noch den Vaterkomplex? Warum lässt mir mein Hausarzt Reisetipps zukommen und schickt mir dann mit der Rechnung kleine Briefchen auf denen er sich nach mir, meinen Reisen und dem Wetter allgemein erkundigt? Warum schreibt mir mein Physiotherapeut plötzlich SMS und begibt sich für mich auf Stellensuche? Warum bekomme ich Briefe von Männern, die mich zwar nicht anstellen wollten, die mich aber wissen lassen wollen, dass sie sich freuen mich bald wieder zu sehen. Warum? Das schreib ich mal fix auf. Vielleicht muss ich zur Beantwortung noch ein paar Jahre älter werden. Vielleicht lässt sich das aber auch erst mit großmütterlicher Weisheit beantworten. So, dann sieht es ja schon mal ganz nett aus. Eigentlich ist so viel erstmal nicht mehr zu tun. Noch mal fix durchfegen und das kann sich vorerst wieder sehen lassen hier. Da kann man fast schon wieder Feste drin feiern. Was liegt hier noch rum. Ach ja. Das Gedächtnis. Fast wär ich drauf getreten. Da hätten wir aber einen Brei gehabt. Hui, das hat aber abgenommen in den letzten Monaten. Ganz mager und grau isses geworden. Jappst nach Luft, einer Zeitung und einem Stück Zucker. Ja, ich hab dich wirklich ein bisschen vernachlässigt die letzten Wochen. Kein Wunder, das du mir und vor allem meinen Mund nicht mehr weiterhelfen kannst, wenn ich Telefongespräche mit den Worten „Hmpf.. ähm..möment, ach Moment,.. äh..öh..ich habs gleich, was ich sagen wollte..“ anfange oder mit mittlerweile liebevoller Regelmäßigkeit den Chef ungefragt beim Vornamen nenne, als wäre er ein Kumpel von der Pokerrunde. Wer gibt seinem Kind auch einen Nachnamen als Vornamen. Gut, wenn du das die nächsten Tage noch nicht hinbekommen solltest, liebes Gedächtnis, schreib ich mir das auf die Hand. Direkt unter die Worte rechts und links.

Der Titel ist geborgt bei Michael Ende

04 Oktober 2011

The catcher on the street

Schwein


Ich gehe jetzt wieder zur Schule. Das Schicksal hat es entschieden. Vorgenommen hatte ich es mir schon lange. Man kann gut und gerne von Monaten reden, in denen ich diese Entscheidung vor mir hergeschoben habe. Warum? Man hat ja Angst sich zu blamieren. Und was sollen die anderen denken, wenn man was Falsches sagt. Ist ja peinlich, wenn man was nicht weiß, was sonst jeder weiß. Wenn man dann rot anläuft, weil man sich das zu Herzen nimmt. Und denkt: Jetzt geht die Welt unter. Nein, besser: Ich versinke in ihr. Also habe ich die Anmeldung immer wieder vorsätzlich vergessen. Es kann ja sein, dass schon alle Plätze voll sind, wenn ich mich dann wirklich anmelden will. War aber nicht so. Am letzten Tag der Anmeldung, am Tag der ersten Unterrichtseinheit war noch frei: ein Platz. Mist, verdammter. Da hab ich ja wirklich Glück gehabt. Ich geh jetzt also wieder zur Schule. Abends von sechs bis acht.
Der einzige Mann in unserer Klasse ist 72 Jahre alt und der Lehrer. Die Qualifikation für seine Tätigkeit: zwei Jahre als Stahlarbeit in den USA. Sein Hobby: Reisen. Das nimmt er ernst. Jedes Wochenende fährt er 1800 Kilometer mit dem Zug. Um sich zu entspannen. Mir fiele etwas anderes ein, wenn ich Rentner wäre und mich entspannen wollte: Aus dem Fenster gucken, Enten füttern, Suppe kochen. Aber nicht: Unterricht geben und am Wochenende zweimal 11 Stunden im Zug verbringen. Aber mittlerweile denke ich, nicht nur er fährt gerne Zug. Rentner überhaupt. Und manchmal sind die schlimmer als eine Bande 14-Jähriger. Auf meiner letzten Heimfahrt saßen vor mir sieben Ömchen, die eine Frauenreise unternommen haben. Hach und da gabs viel zu tratschen: von den einzig wahren WMF-Töpfchen über Udo Lindenberg bis hin zu: Handys. Die hatten sie sich nämlich erst geleistet. Und um zu zeigen, was die alles können, was haben sie da wohl gemacht? Jawohl- sie haben sich gegenseitig ihre Klingeltöne vorgespielt. Fünfzehn Minuten lang. Aber egal. Meine Klasse. Meine Klasse besteht sonst aus: mir und: 15 Hausfrauen. Anfangs aus: mir und: 15 Hausfrauen und: einer wirklichen Schülerin, aber die bleibt zwischenzeitlich zu Hause, da sie sich irgendwie fehl am Platze fühlt. Ich nicht. Ich fühl mich irgendwie wohl. Immerhin war ich die letzten drei Monaten auch eine von Ihnen. Eine die zu Hause bleibt, frühs die Küchenarbeit macht, mittags eine Serie schaut, nachmittags putzt, was gerade anfällt und abends das Essen auf den Tisch stellt, wenn der Mann nach Hause kommt. Ich kann also noch mitreden, wenn es um die Hochzeit des Jahres bei Rote Rosen/ In aller Freundschaft/ Sturm der Liebe oder das beste Mittel zum Teppich reinigen geht. Da werden Probleme besprochen, die nicht unterschätzt werden dürfen. Das mit dem Teppich reinigen ist gar nicht so leicht, wie gedacht- nix mit Vanish drauf und dann absaugen. Nein. Da hatten die neu gewonnenen Freundinnen einen besseren Tipp. Und jetzt, da der Wohnzimmerteppich nach vier Tagen nicht mehr gewellt ist wie die Pappe vom neu gekauften Ölradiator und nicht mehr riecht wie der Dünger für die Palme auf dem Balkon, ja, da ist er wieder sauber. Und was ich gegen muffige Waschmaschinengerüche mache, habe ich jetzt auch raus. Auch sonst- nur lustige Sachen, die man dort hört. Zum Beispiel, dass man Niveadosen sammeln kann. Oder Schweine. Und das man von den Schweinen so circa dreitausend zu Hause rum stehen haben kann. Um sie anschauen zu können, mit Ihnen reden zu können und sie lieb haben zu können. So lieb, dass man nicht eine Nacht weg möchte von zu Hause. Nicht mal, wenn der Ehemann sich schon seit zwanzig Jahren wünscht, einmal London sehen zu können. Nicht mal dann. Entweder er fährt allein, oder er bleibt daheim. Bei dreitausend Schweinen. Das arme Schwein.

Der Titel ist geborgt bei Roald Dahl

16 September 2011

let me steal this moment from you

Der Schatten des Windes


Ich bin wieder angekommen. Zu Hause. Bei meinem Universum. In den grünen Wänden. Mit einem Koffer in der Hand, voll mit Tausenden von Bildern, ein paar Steinen, einer Mandelentzündung, einem halbwegs gelinderten Fernweh und einem unterdrückten ökologischen Gewissen, dass die geschrubbten 3230 Kilometer ganz schnell vergessen muss. Viel lieber soll es sich erinnern an:
Ein Open Air mitten auf dem Schlossplatz, mitten in der Landeshauptstadt, mitten in der Abendsonne, mittendrin mit roten Luftballons, blauen Halstüchern und feuchten Händen. Mit einem wieder funktionierenden Knie, mit leicht wippenden Hüften und dem Wunsch nach sofortiger Wiederholung. Und da dem nicht entsprochen werden kann, mit einer spontanen Entscheidung die Gunst der Stunde samt ihren unerwarteten sommerlichen Temperaturen zu nutzen und das historische Erbe der Stadt zu besuchen. Den früheren privaten Rückzugsort des Königs- heute einer der schönsten Tierparks mitsamt botanischen Garten, was mich einen Großteil meines Speicherplatzes kostete.
Oder an eine Stadt, in deren Schlossgarten ich die ersten Äpfel des Jahres stibitzen und den Mauereidechsen dabei zusehen konnte, wie sie sich die Sonne auf die Schuppen scheinen lassen. In der ich gelernt habe, wer eigentlich Friedrich Hölderlin war und warum dieser kleine Turm an der Neckar so oft fotografiert wird. In der ich Pommes mit Mayo gegessen habe, während sich Touristen in Stocherkähnen an mir vorbei haben schippern lassen. Und in der ich letztlich doch vergessen habe, mir eine Flasche Wein mitzunehmen. Was letztlich aber eigentlich auch egal ist, da es dergleichen sowieso in jedem Supermarktregal gibt. Denn die haben soviel davon, die verkaufen den sogar.
Oder an eine Stadt, in der ich mich und meine Ersatzhose vergessen habe und mitsamt Kissen, Decke, Nachthemd und einer genauso Verrückten in einen Tümpel gesprungen bin, auf dem ich es mir später in einem Ruderboot hab gut gehen lassen. Einen Tümpel, der seinen zarten Modergeruch erst freigegeben hatte, nachdem man bis zur Hüfte drin stand. Der sich in Kissen, Decke und Hose festgesogen hat und im Zug für ein freies Abteil nur für mich allein gesorgt hat. Einen Tümpel, der einen in sich bis zu den Knien hat einsinken lassen und einen nicht mehr freigeben wollte. Einen Tümpel, an dem sich, wie sich erst zu spät herausgestellt hat, Zecken pudelwohl fühlen, sodass ich ihm meine „Jetzt-muss-es-aber-fix-gehen“-Typhusimpfung mit dreitägigen „Auf-dem-Hintern-kann-ich-nie-wieder-sitzen“-Gefühl zu verdanken habe. Eine Stadt aber, in der es ebenfalls große Streetart zu bestaunen, leckeres Bruschetta zu essen, erfrischende Weinfeste zu feiern, goldene Hufe zu betatschen, winzige Gassen zu durchquetschen, viele Züge zu verpassen und kleine Konzerte zu genießen gibt. Kleine Konzerte in privater Sphäre. So privat, dass ich in dem fünfzig Quadratmeter großem Club locker mit dem Rhönrad hätte meine Runden drehen können, waren doch zehn Minuten nach offiziellem Konzertbeginn nur 16 Gäste da.
Oder an einen Badeort an der äußersten Nordostspitze, der seinen Namen den Tausenden von Muscheln zu verdanken hat, an denen man sich beim barfuß Laufen die Füße aufschneidet. Der dafür aber ein paar Ecken Sand- und auch Rasenstrand, einen Leuchtturm und eine über hundert Jahre alte Militärgeschichte zu bieten hat.
Oder an eine Stadt, die mit kulinarischen Genüssen wie dem Pfannenschlag, der Bregenwurst mit Schweinshirn und dem Zungenragout auffährt. Die aber getrost links liegen gelassen werden, um als erste Besucherin den 22 Hektar großen Tierpark zu besuchen und ihn als letzte wieder zu verlassen. Um eine Bootsfahrt zu machen, sich von Pelikanen beißen zu lassen und durch Elefantenpipi zu laufen.
Oder an einen Ort direkt neben einem 3000 Hektar großen Nationalpark in dem man zwar in den ersten Morgenröteminuten noch mit Rehfamilien einen Spaziergang machen, aber nicht ohne Flickzeug eine Radtour machen kann. In dem man zerfließende Schiffe und hängende Brücken sehen, Hühnergötter und in Bernstein eingeschlossene Mücken sammeln, das Meer in Nebel verwandeln, Schatten hinterlassen und Steinberge bauen kann. Von wo man noch drei Wochen später die Kreidespuren an der Jacke und den Sand in den Schuhen findet. Von wo man nicht weg möchte und wo man sich verspricht, bald wieder zu kommen.
Oder an einen kleinen Ort, der kaum mehr zu bieten hat, als das beste Restaurant in der Umgebung, einen Prominentenfriedhof, an dem man von zwei grinsenden Totenköpfen begrüßt wird und eine kleine Klosterruine, die aber wiederum so atemberaubend ist, dass sie schon von zwei Lightartkünstlern in einem mehreren Minutenfoto verewigt wurde.
Oder oder oder.

Der Titel ist geborgt bei Carlos Ruiz Zafon

10 August 2011

english summer rain



Veronika versucht zu sterben


Wie das so ist, wenn man das erste Mal in eine eigene Wohnung zieht: Man möchte sie gern ultraschick einrichten, hat aber keinen Pfennig in der Tasche. Keinen für Ikeabettwäsche, keinen für Ikeapapierlampenschirme und keinen für Küche, Bad und Sofa. Man hat also nichts. Außer ein paar Verwandten und Bekannten, die jetzt ihre Chance gekommen sehen, um ihren Dachboden, den Keller und die Garage endlich mal richtig auszumisten. Und so sammeln sich bei einem selbst Sachen an, die eigentlich schon vor Jahren auf den Müll gehört hätten. Aber wahrscheinlich waren sie mal teuer oder man hat sie mal von jemandem geschenkt bekommen, den man nicht kränken wollte. Da ging das mit dem Müll nicht. Aber für die erste Wohnung der Tochter/Enkelin/Nichte/Nachbarin, ja dafür ist das jetzt doch ganz praktisch. Unter dem ganzen Kram, der sich dann in dem ersten Jahr in meiner Wohnung angesammelt hat, war sie dann auch dabei. Meine Lampe. Meine Lampe, damit meine ich ein hässliches Stück Holz, umrahmt von goldenen Schnörkeln und gekrönt von drei hauchdünnen aber melonengroßen weißen Glaskugeln. Diese Lampe wog mindestens zwanzig Kilo und war schon so alt, dass es eine Herausforderung war, dafür Energiesparlampen zu finden. Die ersten paar Jahre haben lediglich Lampen reingepasst, die leider so lang waren, dass für die Glaskugeln kein Platz mehr war und im Endeffekt ein Stück Holz mit drauf geschraubten Energiesparlampen an der Decke hing. Da hatte selbst eine einzelne Glühbirne am Kabel mehr Stil. Und das hat sich auch nicht so weggeguckt wie das Fettfleck an der Tapete, das entstanden ist, als man merkte, dass das Pizzablech aus dem Ofen doch recht heiß ist und man das Blech sofort loslassen muss. Also war ich einmal im Monat im Baumarkt, um zu schauen, ob man nicht mittlerweile soweit ist, dass man kleine Energiesparlampen hat, die ich nutzen kann. Und in den acht Jahren, die die Entwicklung derart kleiner Energiesparlampen gedauert hat, hab ich sie wirklich lieben gelernt diese hässliche Lampe. So sehr, dass sie zwei Umzüge mitgemacht und mittlerweile auch einen Namen erhalten hat, der zur ewigen Liebe verpflichtet. Weil, irgendwie ist es ja auch was Besonderes, etwas sein Eigen zu nennen, was seit fünfzig Jahren (eigentlich zu Recht) nicht mehr produziert wird. Ich mein, da kaufen sich andere auf Retro gemachte Sofas, Kaffeemaschinen und Telefone- warum dann nicht diese Lampe? Warum nicht? Und, man mag es kaum glauben, seit zwei Monaten werden auch Lampen produziert, die klein genug sind, um in ihre Fassung zu passen UND die es dennoch erlauben die Glaskugeln oben drauf zu montieren. Die verschlingen zwar drei Taschengelder, hätte ich in der zwölften Klasse gesagt, aber das ist es ja wert! Ein Prachtstück! So ein Prachtstück, das der Rest der Wohnungseinrichtung jetzt nach ihrem Vorbild gestaltet wurde. Sie gibt hier also quasi den Ton an, in der neuen Wohnung. Das hab ich ihr auch gesagt, das mit dem Ton angeben. Mittlerweile muss ich aber vermuten, dass sie das falsch verstanden hat, das mit dem Ton angeben. Denn wie soll sie einen Ton von sich geben? Sie kann ja nur hell scheinen und ganz minimal Wärme angeben. Aber laut sein? Krach machen? Ein richtiges Tam Tam? Da ist ihr nicht viel eingefallen. Da gibt es ja eigentlich auch nur eine Möglichkeit. Und die heißt, bedauerlicherweise: abwärts! Und damit das jeder hört, um drei Uhr in der Nacht. Da stehen nicht nur ich, sondern auch sämtliche Nachbarn im Bett, wenn sie da von 2,50m Höhe in freiem Fall auf die Erde zusaust und unten mit einem lauten Klirren aufkommt. Und die milchigen Glaskugeln in tausende Splitter zerspringen. Und die neuen Energiesparlampen dazu. Klasse. Toller Ton. Tolle Töne! Waren ja gleich ganz viele auf einmal. Das splitternde Holz, das Krachen auf dem Parkett, das Reißen des Glases, das Fliegen der Splitter in alle Ecken. Haste bloß nicht richtig nachgedacht, schimpf ich mit ihr- jetzt biste doch hin! Im Eimer. Nicht mehr zu gebrauchen. Was soll denn das bitte? Argh! Da guckt er mich ganz schuldbewusst an, der Haken, der jetzt ein großes Loch in die Decke gerissen hat, als er mit der Lampe nach unten gesegelt ist. Als wärs nicht seine Schuld. Hach. Menno. Mist und Biberkacke! Ich lass den ganzen Kram erstmal liegen und geh wieder ins Bett. Ich kann die Leichenteile auch noch morgen aufsaugen und dabei traurig sein. Aber während ich im Bett liege und versuche vor lauter Wut wieder einzuschlafen fällt mir die Warnung einer Freundin wieder ein: “Bist du irre? Du benutzt Energiesparlampen? Da ist doch Quecksilber drin. Wenn das ausläuft, ey davon kannste dumm werden. So richtig blöde! Pläm pläm halt.“ Hm. Im Nebenzimmer liegen jetzt drei aufgebrochene Energiesparlampen. Und die Ritzen in der Tür sind groß genug, dass das zu mir rüber dampfen kann und ich dann beim Schlafen pläm pläm werde. Ich bin aber müde und wütend. Ich will das jetzt nicht wegsaugen. Also was mach ich? Was bleibt mir groß? Ich beuge vor! Damit ich nicht blöde werde, setz ich mich in mein Bett und mach Kopfrechenaufgaben. Vier mal Vier ist sechszehn. Bist noch nicht blöde. Puh. Glück gehabt. Aber war ja auch noch einfach. Mal schauen, wie weit du kommst. Fünf mal fünf, fünfundzwanzig, sechs mal sechs, sechsunddreißig, sieben mal sieben (jetzt wird’s schwieriger da die Zahl die jetzt kommen muss nicht auch mit sieben anfängt) ist neunundvierzig. Oder. Ich muss an den Händen nachzählen. Fünfunddreißig, zweiundvierzig.. ja stimmt. So, jetzt acht mal acht … hui, das ist schwierig. Achtundfünzig, zweiundsechzig … Mist ich muss nachzählen! Ich werd blöde. Mist, Mist, Mist. Muss ich doch raus und das Desaster wegsaugen. Bevor mir das Quecksilber alles wegdampft. Noch wütender stapf ich raus, renn in die ersten Scherben und hol meinen Sauger. Stecker rein, auf volle Pulle und los geht’s. Für ungefähr zehn Sekunden. Dann gibt der Sauger ein lautes Husten von sich und macht nichts mehr. Keine Ahnung, ob er sauer ist, weil ich ihn nachts wachgemacht habe oder weil ich ihn mit Scherben, nicht gerade eine Delikatesse, füttern wollte. Wildes Rütteln an der Steckdose und wiederholtes Drücken auf den Schalter helfen auch nicht. Na das habt ihr beiden euch ja prima ausgedacht, dass ihr euch beide zeitgleich aus dem Staub macht. Und wenn ich jetzt noch sage, das tags darauf der Mixer, als er „Wiedergutmachmuffins“ zaubern sollte, mit Pauken und Trompeten den Abgang gemacht hat glaubt mir sicher keiner, der nicht von den Muffins gekostet hat, die einen leichten Geschmack von verkohltem Kabel hatten.

Der Titel ist geborgt bei Paulo Coelho

02 August 2011

Lightshow

01 August 2011

Mord im Gurkenbeet


Halb acht quäl ich mich aus dem Bett. Weil ich pinkeln muss. Eigentlich könnt ich länger schlafen. Heut haben wir extra Urlaub genommen. Aber daran hab ich gestern Abend nicht mehr gedacht, als ich noch einen halben Liter schwarzen Tee trinken musste, bevor ich ins Bett gegangen bin. Das hab ich jetzt davon. Ich schlurfe also aus dem Bett, durch die Stube in den Flur, an der Wohnungstür vorbei, geradewegs auf die Toilette zu. Moment. Einen Meter zurück. Da liegt was bei der Wohnungstür. Ein riesiger weißer Zettel. Sieht aus, wie unter der Tür durchgeschoben. Könnte also wichtig sein. Okay heb ich ihn auf. Was steht denn da?! „Schönen guten Morgen! Ab heute werden die Kanalisationsrohre neu gemacht. Wir bitten Sie daher zu beachten, dass in den nächsten drei Tagen weder die Toilette noch die Dusche benutzt werden können. Vielen Dank für ihr Verständnis!“ Moment. Ich muss kurz die Augen reiben. Da ist noch Schlafsand drin. Hhm. Steht immer noch da. In hellblauer Schrift. Nochmal reiben! Diesmal fester! Das kann nicht sein, das steht immer noch da. Und nen grinsender Smiley ist dahinter. Ey! Was soll denn das? Ich will pinkeln! Ich muss pinkeln! Und duschen! Und die Zähne putzen irgendwann auch. Und vielleicht Wäsche waschen. Und abwaschen auch! Ey! Nochmal! Was soll das? Ich hab dafür kein Verständnis! Nicht jetzt! Nicht heut! Nicht am freien Tag! Huch, guck mal, da liegt noch ein Zettel. Von der Nachbarin. Darauf steht, ich möge beachten, dass es heut schon ab sieben Uhr los geht (klar, ist ja ein Handwerk) und daneben hat sie einen traurigen Smiley gemalt. Super. Da bin ich ja nur dreißig Minuten zu spät dran. Ich hätte jetzt gern einen Zettel zur Hand, auf den ich einen Smiley mit zusammengekniffenen Augen und Knien zeichnen kann. Denn ich muss pinkeln. Und jetzt erst recht. Vielleicht kann ich das ja beim Vermieter tun, der es anscheinend irgendwie verpennt hat, einen rechtzeitig oder überhaupt erstmal darauf hinzuweisen, dass derartige Maßnahmen anstehen. Warum eigentlich nicht. Dass der absichtlicherweise kaum hundert Kilometer von hier entfernt wohnt, soll mich nicht stören. Ich hab ja mein Fahrrad.
Es ist mittlerweile also 07:43 Uhr, ich habe mir irgendeine Hose, irgendein T-Shirt und irgendeine Jacke übergezogen und schwinge mich auf mein Rad. Als Erstes halt ich an einem Bäcker, um 1. zu pinkeln, 2. Brötchen zu kaufen und 3. literweise Kaffee zu trinken, um auch ja wieder voll zu sein, wenn ich beim Vermieter ankomme. Man könnte sagen, ich sei wütend. Aber wütend schmeckt der Kaffee auch ganz gut. Bisschen bitter, leicht gallig, aber das passt zur Situation. Dann kann ich mich erneut aufs Rad schwingen und in den ersten zehn Kilometern genüsslich planen, was ich mache, wenn ich am Ziel angekommen bin. Nur fragen: darf ich zur Feier des Tages ihre Toilette benutzen reicht irgendwie nicht. Vielleich sollte ich warten, bis es dunkel ist und dann auch mal einen schönen Zettel schreiben. Zum Beispiel: „Die nächsten fünf Tage bitte nicht vor die Tür gehen! Chemieunfall! Erstickungsgefahr!“ oder „Der Hinweis kam leider zu spät. Ihre Mieter haben die Toilette dennoch genutzt. Dies führte zu einer Verunreinigung des Grundwassers in der Umgebung. Bitte kommen sie für den dadurch entstandenen Schaden auf!“ oder „Leider gelang es mir aufgrund der kurzfristigen Information über die Unmöglichkeit der Nutzung der Wohnung nur noch ein Hotelzimmer im hiesigen Fünfsternehotel zu beziehen. Anbei lege ich die Rechnung. Ich bitte um sofortige Begleichung des Betrages. Hochachtungsvoll. Ihre Mieter.“ Warum geizen? Warum nicht alles auf einmal? Heidewitzka, das wird ein Spaß! Mit derlei Hirngespinsten kann ich mich jedenfalls die ersten zehn bis zwölf Kilometer bei Laune halten. Dann merk ich, dass mein Kreislauf das abrupte Aufstehen gar nicht leiden kann und auf der nächsten Parkbank brech ich zusammen. So richtig mit Pauken und Trompeten. Dehydriert und frierend roll ich mich an der Bushaltestelle auf der Bank zusammen und schlaf von einer Sekunde auf die nächste tief und fest ein. Ein anhaltender Bus kann mich hier nicht wecken, da die nur dreimal am Tag hier verkehren. Also hab ich meine Ruhe. Zumindest für fünfzehn Minuten. Dann wach ich starr vor Kälte auf. Der Himmel hat sich zugezogen und es droscht wie aus Kübeln. Meine Beine haben während meiner kurzzeitigen REM-Phase aus dem Bushäusschen rausgeragt, was zur Folge hat, das die Jeans durchgeweicht ist und klatschnass an meinen Knochen klebt. Mittlerweile bin ich wirklich sauer. Auch wenn der Vermieter wahrscheinlich nichts mit dem Wetter zu tun hat, denk ich mittlerweile an Mord. Und die Schlagzeile am nächsten Morgen: „Rentner im eigenen Gurkenbeet erdrosselt aufgefunden“. Die Fantasie geht mit mir durch. Wahrscheinlich habe ich jetzt schon Fieber. Damit mein Oberkörper nicht auch noch nass wird und ich nicht noch eine Grippe riskiere, dreh ich mich nochmal auf der Parkbank um, bis das Unwetter vorübergezogen ist. Das schöne Riffelmuster von der Bank will ich außerdem noch auf der anderen Wange haben. Schlafen kann ich aber nicht mehr. Der Regen drückt die Dämpfe der Umgebung in die Luft. Allem Anschein nach hab ich mich für mein Päuschen in eine Gegend voller Bauernhöfe gelegt, die ihr täglich Brot mit Massentierhaltung verdienen. Es riecht unerträglich nach nassem Futter, altem Schweiß, Tod und Exkrementen. Und ich habe das Gefühl, all das einzuatmen. Ich muss hier weg. Dem Mistwetter zum Trotz hiev ich mich auf mein Rad und maloche noch 10 Kilometer weiter Richtung Westen. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit liegt jetzt bei 7,8 km/h. Immerhin fahr ich mittlerweile auf einer Straße, die irgendwann in ihrem Leben einmal geteert wurde und nicht mehr auf Trampelpfaden. Und irgendwann, nach gefühlten 5 Stunden strande ich mit meinem Rad an einem See. Und da gibt es einen Sandstrand, Kuchen und Holzbänke. Und da scheint tatsächlich die Sonne. Nur über diesem See. Herrlich, ist das schön! Die Wut ist plötzlich verflogen. Ich kauf mir Kuchen, leg mich in den Sand und lass mich trocknen. Vom Zug lass ich mich dann abends wieder nach Hause fahren, denn auch wenn es Handwerk ist, auch das ist irgendwann einmal vorbei.

Der Titel ist geborgt bei Alan Bradley

28 Juli 2011

Say cheese!

27 Juli 2011

Der geheime Garten

Manchmal da bin ich trotz schwarzer Fingernägel, Totenköpfen auf der Gürtelschnalle und durchlöcherten Turnschuhen unheimlich spießig. Da liebe ich es Sonntag nachmittags in einem Café mit Stuck an den Decken und roten Polstersesseln einen verdammt bitteren Omakaffee zu trinken und dazu ein Stück Kirschtorte zu essen, was natürlich bei Weitem nicht so gut schmeckt, wie früher mal. Dann liebe ich Gesprächsthemen, bei denen sich alles um die Faulheit der heutigen Jugend und um Schrebergärten dreht. So ein bisschen Spießertum ist ja auch nicht unbedingt schlecht. Zumindest und jedenfalls immer dann, wenn man eine Pause benötigt von Wildcampern und Hippiekindern. Wenn die ohnehin schon zerstörten Klamotten nach Geräuchertem riechen und einem die Ohren vom stundenlangen Gruppentrommeln klingeln. Das sind Momente, in denen es einem gerade Recht kommt, wenn man im Garten der lieb gewonnenen Freude ein paar Sträucher findet, die das Gewicht hunderter Beeren kaum noch tragen können. Dann bekommt man Lust, sich ein Holzkörbchen zu schnappen, Gärtnerhandschuhe überzuziehen und in ein paar Stunden mehrere Kilo rote, weiße und grüne Beeren zusammenzutragen, um sich dann fix und fertig vom vielen Bücken auf einem weißen Plastikstuhl die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen und dabei ein bisschen weg zudösen. Manchmal ist das einfach notwendig. So ein bisschen auf dem Teppich bleiben. Wenn dann allerdings ein paar Tage später Kartons voller handgemachter Marmelade eintrudeln und die, selbstverständlich weil selbst gemacht, die Beste ist, die man je zu sich genommen hat, dann weiß man, dass alles gut so ist, wie es ist, da man so ziemlich die besten Freunde hat, die man haben kann. Und dann lässt man sich auch gern zu einer Lobhudelei folgendermaßen hinreißen:

Sehr geehrte Damen und Herren des Biohof ( ... ) ,

als langjähriger Konsument von Konfitüren und Fruchtaufstrichen habe ich heute erstmals Ihr Produkt "Johann-Stachel-Beer" verkostet und konnte nun nicht an mich halten Ihnen zu mitzuteilen, wie vorzüglich es mir mundete. Ein derart exquisites Produkt ist mir seit geraumer Zeit nicht untergekommen. Man spürt förmlich die Hingabe, mit der dieses Genussmittel gefertigt wurde. Nun komme ich leider nicht umhin einen -wenn auch unmaßgeblichen- Tadel auszusprechen. Wer solch ein Talent in der Schaffung von Feinkost sein Eigen nennt, der trägt zugleich eine Verantwortung. Ihr umwerfendes Sortiment verdient eine Ausweitung. So erwarte ich in der nächsten Saison weitere Delikatessen. Rubus idaeus und Vaccinium myrtillus sollten dabei unbedingt Eingang finden. Darüber hinaus sollten Sie in Betracht ziehen, einige wenige Auserwählte in Ihre Kunst einzuweihen. Ich und meine Partnerin würden uns für eine solche Möglichkeit umgehend in Ihren Produktionsstätten einfinden. Auf das Sie auch in Zukunft die Gaumen Ihrer Ihnen ergebenen Kundschaft verzaubern.

Und die Antwort will ich nicht vorenthalten:

Sehr geehrter Herr von ( ... ),

mit großer Freude haben wir Ihre Reaktion als zufriedener Kunde unserer Produkte zur Kenntnis genommen. Seit der Gründung des Biohof ( ... ) hat die Nachhaltigkeit unserer Waren sowie die Zufriedenheit unserer Kunden oberste Prämisse. Zu meinem tiefen Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass eine Ausweitung des Sortiments Ihren Wünschen entsprechend, in näherer Zukunft nicht durchführbar ist. Mit einer traditionsreichen Marke wie der unseren haben wir uns verpflichtet nur Feinkost anzubieten, welche den höchsten Qualitätsanforderungen unserer anspruchsvollen und urteilssicheren Kundschaft gerecht wird. Da wir im Moment nur über eine begrenzte Anbaufläche verfügen, deren Bodenqualität den erlesenen Geschmack unserer Früchte garantiert, ist es uns leider nicht möglich Ihren Wunsch zeitnah zu berücksichtigen. Darüber hinaus beschäftigen wir nur professionelle Pflücker, die dem Ursprungsgut voller Hingabe und dem gebührenden Respekt begegnen. Die begrenzte Anzahl dieser hervorragend ausgebildeten und idealistischen Mitarbeiter beschränkt die Ausweitung unseres Warenangebotes zusätzlich. Bitte haben sie Verständnis für diesen Umstand. Vielleicht ist es Ihnen einen Trost zu wissen, dass sie mit "Johann-Stachel-Beer" vom Biohof ( ... ) eine der exklusivsten Gourmetspeisen genießen können. Des Weiteren freut es uns, ihnen mitteilen zu dürfen, dass in unserem Stammhaus in ( ... ) einmal pro Saison, ein "Schnupperkurs Konfitüre" für unsere treuesten Kunden stattfindet. Da wir uns erlauben, Sie zu diesem erlesenen Kreis zu zählen, würden wir uns freuen Sie und Ihre Partnerin zum nächstmöglichen Termin in unserer Manufaktur begrüßen zu dürfen.

Hochachtungsvoll

Sales Manager
Distribution Manager
Head of Manufacturing
Head of the legal department

Ich freu mich wirklich wie verrückt. An dem Kurs nehme ich in jedem Falle teil. Marmeladengläschen werden schon fleißig gesammelt!

Der Titel ist geborgt bei Kate Morton

20 Juli 2011

Fußgespräche



19 Juli 2011

Worst ever


„Guten Morgen, ich hätte gerne vier von den Schrippen hier vorn!“ träller ich der Bäckerin entgegen. „Wollen Sie nicht lieber fünf von den Dunklen hier hinten? Die sind heut im Angebot. Nur € 1,80 für fünf Stück!“ Na gut überredet. „Na gut, überredet. Dann bitte fünf von den Dunklen da hinten!“ „Von denen hab ich aber leider nur noch zwei Stück da.“ Hm. Lustig. Okay. „Gut, dann nehm ich dann doch wieder fünf von den hellen Schrippen hier vorn!“ „Tut mir leid, aber die sind dann nicht im Angebot!“ Wenn das anderen passiert, das der Kopf nicht ganz dabei ist, dann findet man das noch charmant. Man schmunzelt in sich hinein, findet es niedlich, und freut sich insgeheim ein kleines bisschen. Man kennt das ja selber nur zu gut. Man ist mit den Gedanken komplett woanders, im Urlaub (Nur noch vier Wochen, dann biste hier weg!), auf der letzten Sommerfete (Hätt ich das letzte Bier nicht mehr trinken sollen?), beim Stecker des Bügeleisens (Ich hab es ausgemacht, ganz bestimmt. Oder? Nicht? Doch! Oder? Hach, hoffentlich fährt hier heut kein Feuerwehrauto vorbei, sonst schieb ich Panik!). Irgendwo, nur nicht beim Gegenüber. Dennoch redet man und fragt sich erst danach, was eigentlich. Ein Grund, warum ich es gern vermeide, ein Gespräch anzufangen. Beim Pizza bestellen zum Beispiel. Das geht mittlerweile ja ganz praktisch übers Internet. Da hat man eine Seite vor sich, mit vielen bunten Bildern und noch viel mehr Zahlen. Und da kann man dann wählen ob klein, mittel, groß, family, mit oder ohne Extrazutaten, klassisch oder extravagant, bringen oder holen, mit Getränk oder ohne, Sonderangebot oder vielleicht doch einen Auflauf? Rein theoretisch also hat man unendlich Zeit, sich was Passendes zu suchen und nebenher mit den Gedanken zu schweifen. Man muss ja niemandem zuhören. Und die Tastatur auf dem Läppi ist geduldig. Der ist es egal, ob ich mich jetzt oder erst in einer halben Stunde entscheide. Rein theoretisch. Rein praktisch ist es aber so, dass ich ungeduldig bin. Und der festen Überzeugung multitaskingfähig zu sein. Also seh ich die Bilder und denke: alles klar!, tippe hastig das ein, was mir logisch erscheint und lasse mir dann meine Bestellung bestätigen. Nach zehn Minuten weiteren Rumschweifens, schau ich mir die Bestätigung auch mal an, und wunder mich, warum ich mir eine Familienpizza Funghi mit Gehacktem und Gorgonzola bestellt habe. Hach! Hargh! Klasse. Muss ich also doch das Telefon in die Hand nehmen und drum betteln, das die Bestellung jetzt noch abgeändert wird. Und wie erklärt man das, das man so ziemlich alles an seiner Bestellung falsch gemacht hat: Größe. Sorte. Extrazutaten. Was muss der sich an der anderen Leitung denken? Naja gut, aber das sind Momente, die noch ein wenig witzig sind, Charmant vielleicht. Wenigstens bringt man andere zum Lachen. Richtig mistig wird’s aber dann, wenn es um Leben und Tod geht. Jetzt spitzt ihr die Ohren, ja auch das kommt vor. Und das kann richtig unangenehm werden. Und zwar dann, wenn man über das Wochenende nicht zu Hause ist und man die Nachbarin seit Tagen belegt hat, sie möge doch bitte bitte bitte Sorge dafür tragen, dass die drei kleinen Haustiere, die einem die Bude verdrecken, stets mit Futter versorgt sind. Und wenn sie sich dann dazu bereit erklärt hat, will man keine weiteren Umstände machen und sagt: „Nein, nein. Die Tür lass ich einfach offen, da können se immer mal einfach reinschauen. Wenn irgendwas ist, leg ich meine Handynummer neben den Stall!“ Und die schreibt man dann auch, umgeben von „tausend mal Dankeschön!!!“ auf einen großen Zettel und legt ihn genau dahin: in die Wohnung, neben den Stall. Dann schnappt man sich seinen Koffer und rennt zum Bus, man ist ja wie immer schon recht spät dran. Am Bahnhof holt man sich bei der schon lieb gewonnenen, oben erwähnten Bäckerin, ein paar Schrippen, die gerade nicht im Angebot sind, und setzt sich in den Zug. Hach ist das schön, die vorbei fahrende Landschaft, freut man sich und stopft sich ein Brötchen in den Mund. Und dann, genau dann, wenn ein Umkehren quasi nicht mehr möglich ist, dann kommen Zweifel den Nacken hochgekrochen. Und die flüstern so was wie: Warte mal, du hast doch nicht die Wohnungstür abgeschlossen? Hast du nicht, oder? Du hast doch extra gesagt, das machst du nicht. Aber den Schlüssel hast du erst im Bus in die Tasche gesteckt, wie sonst auch. Wie gewohnt. Wo warst du mit deinen Gedanken denn schon wieder? Hat sich das gelohnt? Verdammt. Du hast die verflixte Tür abgeschlossen. Und schon hat man Bilder im Kopf, von drei qualvoll verhungerten Fellknäueln. Und davon, wie sie vorher vergebens nach Futter gequiekt haben. Bleiben einem also zwei Möglichkeiten: Erstens, beim nächsten Halt in einer Stunde auszusteigen, den Zug zurücknehmen, die Tür aufschließen und den nächsten Zug nehmen und dabei hundertzwanzig Euro in den Sand zu setzen. Zweitens: Die Nachbarin anrufen und ihr sagen, sie solle nach der Tür gucken und bei Bedarf eintreten oder einen Schlüsseldienst holen. Nicht unbedingt günstiger, wenn man deren Wochenendtarife bedenkt und dann noch die ewig zu ertragende Nachkarrerei der Nachbarin. Aber irgendwie auch nicht so umständlich, wie eine Rückfahrt. Also entscheidet man sich für die zweite Alternative. Zückt das Handy und merkt: Da war was. Du bräuchtest eine Telefonnummer. Die hast du nicht. Ah, naja, sie hat ja deine, könnte man denken, da wird sie schon anrufen, wenn was ist. Aber lustigerweise liegt die Nummer „für alle Fälle“ gerade nicht für diesen Fall in der Wohnung. Da hat man ja wieder bestens mitgedacht. Gut. Klasse. Großes Kino! Was nun? Notbremse ziehen, zurück trampen oder sich notgedrungen neue Tiere anschaffen? Ich wollte ja schon immer mal eine Katze haben. Die sollen sich selber Futter beschaffen können und auch reinlich sein. Eigentlich wie geschaffen für mich. Aber kann man eigentlich auch nicht bringen. Wie klingt denn das? „Ja ich hatte die halt irgendwie vergessen und erst gemerkt, dass was nicht stimmt, als es so ruhig in der Wohnung war!“ Das geht nicht. Also Lösung suchen! Die Lösung steckt im Läppi und im zufälligerweise mitgenommenen Internetstick. Es gibt ja ein Telefonbuch! Yeah! Wie cool ist das denn? Also Läppi an, Stick rein und die Örtlichen Seiten öffnen. Und dann nur noch schnell Tanja … Tanja.. Tanja … ja wie hieß sie denn? Was hat sie gesagt, als sie sich vorgestellt hat? Müller, Meier, Schmidt? Bachstelze, Rauch, Takatuka? Verdammt hör doch endlich mal zu, wenn Leute mit dir reden! Dann sitzt du nicht immer so schnell in der Klemme! Hoach, das regt einen auf, wenn man sich selbst am meisten nervt! Man möchte den blinkenden, wartenden Cursor anschreien, dass er einen nicht so hetzen solle, so fällt einem auch nicht ein, was sie damals gesagt hat. Oder was auf ihrem Briefkasten steht, der direkt neben meinem hängt. Hach, warte. Briefkasten! Ich weiß, wo sie wohnt! Neben mir nämlich. Das heißt, ich weiß ihre Adresse! Ich Held! Wenn ich die jetzt hier eingebe, direkt neben Tanja, dann müsste doch eigentlich … tatsächlich! Da steht der ganze Name. Und: die Telefonnummer! Es lebe das Internet mit der Datensammelei! Es leben meine Meerschweine!

Der Titel ist geborgt bei Horst Evers

13 Juli 2011

Shoppingtour

Der rasende Foxley


Auto fahren macht mir manchmal ziemliche Angst. Deutsche Autofahrer sind ja auch bekannt für ihre Aggressivität. Lichthupen, Drängeln und runtergelassene Fensterscheiben mit plötzlichem Runterbremsen, nur um den Fahrer im anderen Pkw plötzlich wüst beschimpfen zu können. Genau das hab ich jetzt auch mal erlebt- so richtig live. Aus der ersten Reihe. Aber wir sind alle erwachsen, man kann sich am Riemen reißen, denkt man. Nix da. Die nächste rote Ampel wird genutzt, die Fahrertür aufgerissen und ein Herr um die vierzig sprintet wutentbrannt heraus, auf den Wagen direkt vor mir zu. Aus diesem Wagen wiederum, hetzt ein etwa achtzehnjähriger Bursche hinaus und wie im CERN Teilchenbeschleuniger, rammen die Zwei aufeinander.
„Was solln das du halbe Portion?“ „Ich ne halbe Portion? Guck dich doch an du Opa!“
Das war das ganze Gespräch und es folgt ein beherzter Griff des Opas an die Kehle der halben Portion. Und es wird gewürgt. So. Was geht einem jetzt durch den Kopf? Man sollte dazwischen gehen, den Streit schlichten, dazwischen gehen (ich geh doch nicht da dazwischen!), Hilfe rufen, dazwischen gehen (ganz bestimmt geh ich da nicht dazwischen), Zivilcourage zeigen und dazwischen gehen. Nein, nie im Leben geh ich da dazwischen. Ich mache etwas ganz anderes, Logisches. Ich gehe hinter dem Armaturenbrett in Deckung. Kopf zwischen die Knie und stillhalten. Hui, gut gemacht, jetzt kann man dich erstmal nicht mehr sehen. Und jetzt? Wie geht’s jetzt weiter. Ich muss doch schauen, was passiert. Irgendwie. Ich mein, was wenn mich die Polizei fragt, was ich gesehen habe? Soll ich sagen: „Meine Füße, Herr Wachtmeister!“ Das geht nicht. Das ist peinlich. Vor allem für jemanden, dem man die letzten Jahre beigebracht hat, dass dass strafbar ist. Nicht das Füße angucken, aber das dumm rumstehen und nix Sinnvolles beitragen. Ich kram erstmal in meiner Handtasche und schau ob mir dabei was einfällt. Da sind Schlüssel (die ich sonst komischerweise immer als Letztes finde), Kaugummis, verdammt viele Einkaufszettel, Lipgloss, Kopfschmerztabletten, Geldbeutel, eine kleine Wasserflasche, Kekse, Kreislauftropfen und ein Cuttermesser. Hm. Rein theoretisch könnte das helfen. Rein theoretisch ist das auch erlaubt, so eine Nothilfe mit einer Waffe. Aber wenn die Gaffer die drum rum stehen und auch nichts machen, nachher was falsch interpretieren, wenn ich mit einem Werkzeug dazwischen renn und dem „Opa“ damit erstmal kampfunfähig mache, oder was wahrscheinlicher ist, unheimlich irritiere und damit vorerst ablenke, dann endet das am Ende mit einer Anzeige wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Das hatte ich doch erst. Das ist also auch noch viel zu gefährlich. Aber warte mal, was ist denn da noch? Ach guck mal, da ist ja auch noch mein Handy in der Tasche. Hatte gar nicht gemerkt, dass ich das noch reingeworfen habe. Na, wenn das keine Gelegenheit ist. Ich mache also Folgendes: Kamera an, Hand nach oben halten und den Auslöser dauerhaft gedrückt halten. Auf die Idee, damit die Polizei zu rufen, bin ich irgendwie nicht gekommen. Hm. Aber am Ende auch nicht soo schlimm. Denn das alles vorbei ist, hab ich gemerkt, als es hinter mir zu hupen anfing. Ein Blick auf das runtergeholte Handy zeigt, das die Ampel mittlerweile auf Grün geschaltet hat und von den zwei Fahrern vor mir längst nichts mehr zu sehen ist, außer, dass sich irgendwo hundert Meter geradeaus, zwei Wagen ein Rennen leisten. Das könnten sie sein. Ich kann also beruhigt wieder hochkommen und meinen Weg fortfahren. Als Erinnerung habe ich jetzt ein paar Fotos auf meinem Telefon, aus denen ich ein Daumenkino zaubern könnte. Und dieses würde die Geschichte zweier Männer zeigen, die sich würgen, Faustschläge austeilen, sich gegenseitig auf meine Motorhaube werfen (das hab ich in meinen Gedanken gar nicht gehört), beim Umschalten der Ampel auf Gelb beide nach vorne starren und sich dann eiligst wieder in ihre Wagen begeben, um ihren Weg mit quietschenden Reifen nebeneinander fahrend weiter fortzusetzen.

Der Titel ist geborgt bei Roald Dahl

30 Juni 2011

365 days

29 Juni 2011

Der Mistkäfer


Was sagt man zu einem Bewerbungsgespräch, das dreieinhalb Stunden in Anspruch nimmt? Ich wusste es erstmal nicht, ich bin erstmal im Bus eingeschlafen. Das ist man einfach nicht mehr gewohnt, jemandem so lang zu folgen. Da haut es einem einfach um. Trotz der Horde jubelnder Kinder, die sich über den Schulschluss freuen, ratzt man 70 Minuten weg und merkt es erst an der Endhaltestelle. Mit Schlafstriemen im Gesicht versucht man sich in der noch immer fremden Stadt zu orientieren, findet irgendwann sein Fahrrad und fährt im Schneckentempo nach Hause. Selbst das erfordert höchste Konzentration, denn falsches Fahren wird hier hoch bestraft. Bei rot Fahren kostet einen zwar nicht den Lappen, aber immerhin 45 €. Jemanden zu behindern ist mit 10 € schon billiger. Nur freihändig fahren ist mit fünf Euro ein echtes Schnäppchen, aber das ist von mir nicht zu erwarten. Ich fall gern mal um, selbst wenn ich beide Hände am Lenker habe. Gern, damit es besonders dämlich aussieht, beim Bremsen neben einer frischen Pfütze. Ich hab schon viele Hosen damit eingesaut. Deswegen brauch ich alle meine Gehirnzellen um Füße, Beine, Arme und Hände koordinativ auf die Reihe zu bekommen. Auch wenn das heißt, von Omas und Kindern mit Stützrädern überholt zu werden. Hauptsache ich komme an. Und wenn ich dann auf dem Sofa sitze, da frag ich mich: Ja was war das jetzt eigentlich. Dreieinhalb Stunden. Was hat der gute Mann mir erzählt. Die Erinnerung kommt nur schleppend zurück. Da war was von Zukunftsplanung, Kanzleiübernahme, zweiten Frühling, einem geschenkten Auto, einem sittenwidrigen Gehalt, fürs Erste, viel Kaffee, dem eigenen Büro und dem Namen auf dem Kanzleischild. Und da war noch was. Bisher drei Frauen und ein Mann in der Kanzlei. Er sucht nur Frauen. Hübsche Frauen. Welche, die noch in den Kinderschuhen stecken. In den Beruflichen, natürlich nur in den Beruflichen. Ich sei da perfekt. Passt ja alles. Die eineinhalb Jahre Berufserfahrung, die ich mitbringe, zählen ja nicht. Das wären nur Milchbubis gewesen, für die ich tätig war. Welche, die vom Leben noch nicht viel erlebt haben. Nicht so viel wie er. Jedenfalls. Hach, was hab ich für ein Glück. Ich treff stets die Richtigen. Als ob ich einen Magneten in der Tasche hätte, der auf Idioten, Sexisten und Chauvinisten reagiert. Ich muss den loswerden. Echt jetzt. Weil, irgendwann platz ich da mal. Noch hab ich dir Ruhe, mir mein Telefon zu nehmen, anzurufen und traurigerweise abzusagen. Und kann selbst dann noch freundlich bleiben, wenn die Antwort lautet: „Na wennse meinen sie bekommen, was Besseres angeboten, dann versuchen sies ruhig!“. Ich könne aber jederzeit wieder ankommen, wenn ich dann keine Arbeit finde. Na schönen Dank! Da geh ich lieber Flaschen sammeln!

Der Titel ist geborgt bei Hans Christian Andersen

26 Juni 2011

windows vista

21 Juni 2011

Tödliche Gaben


Wenn man verreist, merkt man stets viel zu spät, dass man eigentlich keinen geeigneten Koffer zur Hand hat und die Zeit, sich ins Gedränge zu geben und sich von nichts ahnenden Verkäufern beraten zu lassen, um dann mit einem völlig unzweckmäßigen Hartschalenkoffer nach Hause zu gehen, nicht vorhanden ist. Und was macht man dann? Klar, man leiht sich von Oma/Tante/bester Freundin einen Koffer/eine Reisetasche aus. Und begeht damit einen großen Fehler. Warum? Weil es immer etwas gibt, für das man sich rächen kann. Sei es eine verschwitzte Weihnachtskarte oder das falsche Alter auf der Geburtstagstorte. Die vergessen so was nicht. Und kommt man dann mit der arglosen Bitte um einen Koffer, da ist das sofort wieder da, im Hinterkopf! Das verspreche ich euch! Und dann wird freundlich genickt, natürlich können sie einen Koffer entbehren, das ist kein Problem, insgeheim aber überlegen sie, wie sie die Situation ausnutzen könne. Und natürlich, sie sind Frauen, denen fällt immer was ein, was einen von hinten durch die Brust ins Auge trifft. Und das merkt mann dann wann? Genau. Bei der Kontrolle am Flughafen. Wenn der Koffer den Scanner durchläuft. Da fällt einem auf, dass sich Personal eins mit großen Augen den Monitor anschaut, Personal zwei ranholt und diesem leise ins Ohr flüstert. Hui, da krabbelt einem ein leichter Zweifel ins Genick. Und man überlegt, ob man zufälligerweise doch den Plastiksprengstoff nicht ausgepackt hat. Eigentlich nicht. Eigentlich ist der Koffer nur gefüllt mit Socken, Zahnpasta und nem Reiseführer. Und eigentlich hat man nicht mal ne Wasserflasche eingepackt, aus Angst am Flughafen auf dem Weg in ein muslimisches Land als möglicher Attentäter festgenommen zu werden. Also folgt man der Aufforderung des Personals zwei, doch mal näher heranzutreten etwas zögerlich. Und die barsche Stimme lässt einen zusammenzucken:
„Sagen se mal, was ist dass denn hier in Ihrer Tasche?“
Ja, gute Frage. Sieht aus wie ein Schraubenzieher. Liegt der wirklich in meiner Tasche? Das kann doch gar nicht sein. So was hab ich doch mit Sicherheit nicht eingepackt. So was besitz ich nicht mal. Wozu sollte ich auch. Ich hab Freunde, die Werkzeug besitzen. Man wagt eine zurückhaltende Antwort.
„Ein äh.. naja..ein Schraubenzieher is das, denk ich!“
„Aha, denken se also!“
Ja das denkt man also. Sieht ja auch so aus, mit seinem roten Plastegriff und der leicht angerosteten Klinge vorn.
„Und da sind se sich sicher? Wieso haben se so was denn in ihrem Gepäck? Was haben se denn damit vor?“
Hm, wenn er so fragt … ja stimmt. Das könnte man auch als gefährlichen Gegenstand ansehen. So was ist nicht erlaubt im Flugzeug, gell? Da kommt sie auf, die Panik. Sie kriecht von den angewurzelten Zehenspitzen über die zitternden Knie in den flauen Magen. Man ist aus Angst vor dunklen Vernehmungsräumen, Körperöffnungssonden und dem bösen Cop wie gelähmt. Was kommt denn jetzt? Die öffentliche Diffamierung mittels Abführung in Handschellen? Ein ellenlanger Eintrag im Bundeszentralregister? Bildung einer terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines Angriffskrieges, Hochverrat, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Ein Tischurteil, keine Bewährung, Gruppenzelle. Und daneben der verpasste Flug, die verpasste Konferenz, der Verlust des Arbeitsplatzes? Arbeitsamt und Hartz IV ein Leben lang. Alkoholismus und früher Tod aufgrund einer Leberzirrose. Das Leben ist also vorbei. Schon jetzt. Und nur wegen eines Schraubenziehers.
„Ich .. ich ich weiß nicht. Der muss da irgendwie reingerutscht sein!“ versucht man sich dann stotternd rauszureden.
„Aha reingerutscht. Der Schraubenzieher. So so.“
„Ja also irgendwie … ja irgendwie .. beim Packen … ja beim Packen ... also das kann nur ein dummer Zufall sein.“
„Also erstmal, das ist kein Schraubenzieher sondern ein Schraubendreher!“ weiß der dicke Herr besser „und zweitens, isses mir völlig wurscht, was sie damit machen wollten. Mitnehmen können se den jedenfalls nicht. Egal ob se dann da drüben keinen Ikeaschrank zusammenbauen können. Haben se also noch jemanden hier, den se den mitgeben können?“ grunzt er einen zufrieden an. Hat er sich nen Scherz erlaubt. Machen se gern, gibt ja sonst nüscht zu tun.
„Ähm … nein.. nee hab ich nicht!“ Hochroter Kopf. Erleichterung. Nachlassender Harndrang.
„Ja jut, dann schmeiß ich das Ding jetzt weg, auch wenns schade drum ist!“
„Okay, oder behaltense den ruhig, mir egal.“

Also liebe Leute leiht euch keine Koffer oder Taschen aus. Besonders nicht von mir. Lernt aus der Geschichte eines Freundes. Ihr wisst nie, welche Geschichten sich da noch in meiner Erinnerung befinden. Und glaubt auch nicht jedem der euch am Telefon eine Musikerkarriere verspricht und trinkt nicht aus einer Flasche, die ihr nicht selbst gekauft und geöffnet habt. Frauen sind ein schlimmes Volk.

Der Titel ist geborgt bei Simon Beckett

14 Juni 2011

Grobkörnig

13 Juni 2011

Die amtliche Führungspersönlichkeit


Hm. Schreib was drüber, haben sie gesagt. Lass es am Papier aus, haben sie gesagt. Das ist sicher witzig, haben sie gesagt. Aber ich kann dem Ganzen nichts abgewinnen. Nichts Witziges jedenfalls. Auch nicht beim genauen unter die Lupe nehmen und mit dem Zudrücken aller Hühner- und Fettaugen. Niemals. Nichts. Gar nichts. Ich wüsste jedenfalls nicht, was daran lustig sein soll, wenn man am ersten Tag nach dem Umzug auf dem Amt sitzt und eine Nummer in der Hand hat, die der rot leuchtenden an der Wand um dreißig Stellen hinterher hängt. Und man einen Ausblick auf drei von vier geschlossenen Schaltern hat. Und das Klischee schlechthin neben einem sitzt: dick und hungrig, schlecht riechend und gelaunt, fettige Haare und Hände sowie Kleidung, die vor Dreck steht. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man auch zwei Wölbungen zwischen den Fettschichten, die Brüste darstellen könnten. Es ist also eine Frau. Und an der Hand hat sie ihren geschätzt siebzehnjährigen Sohn. Und sie ist schlecht gelaunt. Denn sie ist, wie gesagt, hungrig und kann nicht damit leben, hier nicht die Präferenz zu sein. „Man, das kanns doch hier nicht sein, ich hab Kohldampf verdammt!“ schreit sie die Uhr an, die immerhin schon 09: 45 Uhr anzeigt. Entweder sie ist gerade aufgestanden und hat noch nicht gefrühstückt, oder sie ist verdammt früh aufgestanden und es handelt sich hier um den Mittagshunger. „Man Mudder, dann lass uns doch hier abhaun und zu Mäckes gehn.“ „Man Kerl, wir müssn doch noch unser Hartz abholen!“ „Na dann wartn wer ebnd, gehn dann zum Amt un essen dann örst!“ „Ey weißt du wie spät das wird? Ich hab jetzt Hunger! Ich will zu Mäckes. Und zwar zuerst. Dann musses Hartz ebnd warten!“ „Okay.“ „Ja klar is das okay, sicher ist das okay. Das machen wir jetzt auch so. Wir gehen erst zu Mäckes!“ Ich fand das nicht lustig. Eher penetrant. Was ich auch nicht lustig fand, war der Aufruf meiner Nummer 68 Minuten später an den einzigen offenen Schalter 2. Und den Hinweis, dass ich hier so erstmal falsch bin. Ich müsse erst von Amt A und B die Scheine 38, 39 etc. und pp. ausfüllen lassen. Und gar nicht lustig fand ich, dass ich das dann auch noch gemacht habe, erneut eine Nummer ziehen musste, erneut 56 Nummern vor mir abwarten musste und dann beim Aufruf eine neue Nummer bekommen musste, mit der ich zum anderen Sachbearbeiter verwiesen wurde. Und gar nicht lustig fand ich, dass der mich dann direkt zur dicken Frau mit Hunger schicken wollte, um mit der die gleichen Maßnahmen zu vollziehen. Warum, meine berechtigte Frage, wie ich finde. Na ganz einfach, die Antwort. „Wir wollen hier ja verhindern, dass das Sozialsystem ausgenutzt wird und deswegen müssen ehemalige Obdachlose, Ex-Sträflinge und Hochschulabsolventen erstmal Maßnahmen absolvieren. Regale einräumen zum Beispiel!“ Mein Einwand, dass ich hier erstmal zum Vorstellen bin und ich noch gar nicht weiß, ob ich einen Antrag stellen will, wird beiseite gewischt. Immerhin muss ich aus der Statistik. Das ist oberstes Gebot. Und da es für meinen Studiengang eh keine freien Stellen gibt, oder je geben wird, bleibt nur: Regale einräumen! Das ist natürlich völlig verständlich und überaus nachvollziehbar. Zumal ich den Vergleich mit den Ex-Sträflingen auch sehr gut finde. Treffend. Ich lag dem System in den letzten 8 Jahren ja genauso auf der Tasche wie diese und habe keine Sozialabgaben gezahlt. Mensch, jetzt wo sie das sagen. Damit hätten wir das geklärt. Bleibt nur noch ein Problem, dass ich nicht in der Lage bin, Arbeiten zu erledigen, bei denen ich länger als 30 Minuten stehen muss. Da hätte ich das Problem, das ich auf kurz oder lang im Rollstuhl lande. Gäbs da was anderes als Regale einräumen? Nein, gibt es nicht? Und was machen wir da? Durchziehen oder Krankschreiben lassen? Aha. Für erstmal einen Monat. Aha. Tolle Lösung! Aber kollidiert das nicht mit der Pflicht 98 Bewerbungen pro Woche zu schreiben? Und kollidiert das nicht mit meinem Versicherungsvertrag, wenn ich dann zu einem Bewerbungsgespräch gehe? Schon komisch, oder? Und meine ärztliche Bescheinigung reicht nicht. Hm. Na da haben wir ein Problem. Wie das ist nicht unser einziges Problem? Wie bitte? Ja ich wohne mit jemandem zusammen und ja der hat eine halbe Stelle. Wie, die reicht nicht? Wie ich soll ihm ausrichten, er soll sich gefälligst noch nen Nebenjob suchen, um mich durchzufüttern. Das wird er aber nich so pralle finden, die restliche Zeit is ja zum promovieren gedacht. Wie das ist egal? Das ist nur eine Fortbildung, und damit sein Bier? Aha. Ihr hättet uns also alle beide am liebsten hier zum Regale einräumen und Unkraut zupfen, als uns auf Dauer hier raus zu bekommen? Das ist ja interessant. Und so … plausibel. Toll. Soviel zu meinem ersten lustigen Tag. Hat lange gedauert den zu verarbeiten. Und den Entschluss wachsen zu lassen, erstmal von Zwieback und Tee zu leben, solang es eben geht.

Der Titel ist geborgt bei Horst Evers