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21 September 2010

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Einer langen Reise Ziel


„Sehr geehrtes Pack. Da wir uns sowieso rausnehmen können, was wir wollen und uns unsere Finanzen weit mehr ans Herz gehen als ein guter Ruf oder ihr Reisekomfort, haben wir uns heut‘ zu einer besonders schönen Sparmaßnahme hinreißen lassen. Wir wissen, im Reiseplan steht, das heut‘ ein ICE fährt, aber der ist ja doch ganz schön schnell und das kostet. Viel gemütlicher hingegen ist eine S-Bahn. Die ist kleiner, niedlicher und gar nicht soo langsam. Gerade mal 58 Minuten länger braucht sie. Sicher, das haben wir durchgerechnet. Auf die Stunde Verspätung dürfen ja auch wir nicht kommen, das würde sich dann wieder nicht rentieren, bei den Ansprüchen die immer gleich gegen uns geltend gemacht werden. Und dass, wo wir weder Kosten noch Mühen gescheut haben, um einen Juristen anzustellen, der das zweiseitig beschriebene Sechzigkommanullachtzentimerter-Pamphlet in Schriftgröße acht möglichst kompliziert zu schreiben und ihnen somit die Lust am auszufüllen zu nehmen. In diesem Sinne: Wir wünschen Ihnen eine angenehme Reise mit der deutschen (S-)Bahn!“
Eigentlich könnten sie so ehrlich sein und genau das auch sagen, wenn sie einen am Bahnsteig fünf Minuten vorm Eintreffen des Zuges darüber informieren, dass es heute keinen Zug geben wird. Machen sie aber nicht. Sie tun so, als täte es Ihnen wirklich ganz arg doll leid. Ich hab mir vorgenommen die Bahn von nun an bedingungslos nicht mehr leiden zu können. Komme was da noch wolle. Zu spät kommen konnte ich noch verzeihen, ich bin selbst nicht besser, sodass mir das stets entgegen kam. Nicht verzeihen kann ich aber unverschämte Fahrgäste die auf die Nachfrage, ob hier noch ein Sitzplatz frei ist, mit der Antwort „Ja schon, aber wenn ich ehrlich bin möchte ich sie nicht neben mir sitzen haben!“ reagieren. Nicht verzeihen kann ich Umleitungen für die ich draufzahlen muss. Und nicht verzeihen kann ich wenn kein Zug fährt. Sondern eine S-Bahn, ein Bus oder ein Sammeltaxi. Das geht nicht.
Was mich besonders ärgert, ist, dass ich der Bahn ausnahmsweise Mal eine Kostenersparnis zu verdanken hab. Zwar nicht beabsichtigt, aber immerhin. Denn ich hatte vor mir ein Onlineticket zu kaufen. An und für sich find ich das eine tolle Sache. Gerade, wo sich der zwei-Euro-*räusper*-Beratungsaufschlag als rechtmäßig herausgestellt hat (den Grund fand ich super: Da die Automaten weder von jungen noch von alten Menschen verstanden werden, ist der Aufschlag angemessen für die Dienstleistung Beratung durch die Angestellten) und man aus Geiz die Fahrpläne der ganzen Republik eh schon im Kopf und dafür wertvollen Speicherplatz für Kochrezepte oder Jahrestage verballert hat. Also: Onlineticket. Für das Onlineticket bedarf es neben einer gehörigen Menge Geduld auch einer Identifizierungskarte. Bevorzugt einer Kreditkarte. Hab ich nicht, also such‘ ich was anderes. Der Personalausweis ist gut, find ich. Nachdem ich alles eingegeben hab, find ich aber einen entscheidenden Fehler. Das Gültigkeitsdatum. Morgen. Hm. Da ich in drei Tagen fahren will, kann das echt knapp werden. Ich spekulier', ob ich es riskier. Beim Karten kontrollieren sind sie aber korrekt. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als meine EC-karte anzugeben (ich geb meine Kontodaten ja mit steigender Beliebtheit raus) und einen neuen Ausweis zu beantragen. Ein Blick auf die Uhr zeigt dass ich noch Glück haben kann, wenn ich jetzt in die Stadt hetze und Passfotos machen lasse. Glücklicherweise hab ich auch Glück und kann im letzten Laden die hässlichsten Fotos machen lassen, die es von mir je gab. Das ist nicht leicht, weil es echt schlimme Sachen gibt, so nachts um drei ungeschminkt kurz nach dem Aufstehen und so. Die Fotofrau mit ihrer EOS und dem extra Lichtschirm hat‘s getoppt. Wahrscheinlich war sie sauer, dass ich zehn Minuten vor Feierabend noch mit einem derartig schwierigen Auftrag gekommen bin. Und wahrscheinlich hat sie sich gedacht, dass sie mich zwar noch bedienen muss, aber niemand ihr vorschreiben kann, in welcher Weise sie das tut. Und aller Wahrscheinlichkeit hat sich sie gedacht, wenn sie schlechte Laune hat, dann bitte auch der Rest der Welt. Das soll jeder sehen. Auf meinen zaghaften versuch die Situation mit einem freundlichen Lächeln zu retten bekomm ich aber lediglich den Hinweis: „Lächeln se nicht, nimmt ihnen eh keiner ab!“

Titel: Einer langen Reise Ziel
Autor: Hans Christian Andersen

14 September 2010

Das Monster aus dem Sumpf


Der Engelsfluch


Abends 19:00 Uhr in Raum B.234.
„Hallo, mein Name ist Tanja.“ „Hallo Tanja!“ (im Chor) „Mein Name ist Tanja und ich bin gutgläubig. (Beifall) Vor vier Wochen ist es mir wieder passiert. Im Treppenhaus sprach mich ein Junge an, ziemlich abgemagert und in schlechten Klamotten. Eine Umfrage hat er gemacht, über Drogen und deren Wirkung. Ich hab kaum Drogen genommen, konnte dazu wenig sagen. Aber eine Schande find ichs, dass denen, die den Absprung geschafft haben, keine Chance gegeben wird. Er war auch drogenabhängig. Und hat Glück, da ihn nach zwei Jahren Suche doch einer ne Ausbildungsstelle gibt. Nicht gegen lau. Niemand wird heute mehr gegen lau ausgebildet. Die Hälfte zahlt das Arbeitsamt, die andere ein Verlag. Win Win hat er gesagt. Der Verlag bekommt Kunden, er die Kosten seiner Ausbildung ersetzt. Schön denk ich. Ich brauch sowieso eine Tageszeitung. Verlier ja nichts. Außer Geld. Mit dem anderen geholfen wird. Er verschwindet schnell mit meiner Unterschrift. Und mit meinem Vertrauen. In der bestellten und gelieferten Tageszeitung steht, dass es solche Programme nicht gibt. Drückermethode. Ich muss lernen, nicht jedem mit großen Augen zu trauen!“ (Beifall)
„Hallo, mein Name ist Frederike.“ „Hallo, Frederike!“ (im Chor) „Mein Name ist Frederike und ich bin gutgläubig. (Beifall) Mir ist es letztes Wochenende passiert. Ich war für ein paar Tage weg und hab meinen Schlüssel dem Nachbar gegeben. Falls was passiert, dachte ich, es wäre besser. So vorsichtshalber, weil man weiß ja nie. Und. Es ist etwas passiert. Nicht was man jetzt vielleicht denken mag. Das Silberbesteck ist noch da und die Klamotten im Schrank liegen auch noch so, wie ich sie verlassen habe. Aber mein Feueralarm hat das Haus auf Trab gehalten und das mochten die nicht, die Nachbarn. Die mögen überhaupt keine Bewegung. Jetzt hatten sie wieder einen Grund sauer mit mir zu sein. Um ein Held sein zu können ist der Nachbar, der mit dem Schlüssel, in meine Wohnung. Es hat nichts gebrannt. Die Batterien waren nur alle. Und sie sind es noch. Mittlerweile liegen sie wie Eingeweide neben dem Feueralarmgerät auf dem Schreibtisch. Ich kann nur hoffen, dass es in naher Zukunft nicht brennt. Jedenfalls hat der Nachbar, der mit dem Schlüssel, dem ganzen Haus einen Gefallen getan, weil er Ihnen den Schlaf wieder möglich gemacht hat. Um aber seinem Ärger Luft zu machen hat er mir, zur Freude aller, eine Nachricht hinterlassen. Auf DIN A 0. Diese Wohnung ist ein Schweinestall! Das hat er geschrieben. Ich muss lernen, nein, nicht zu putzen, sondern den Menschen jede Schlechtigkeit zuzutrauen.“ (Beifall)
„Hallo, mein Name ist Fred.“ „Hallo Fred.“ (im Chor) „Mein Name ist Fred und ich bin auch gutgläubig. (Beifall) Ich habe meiner Mutter gestern den Geburtstag verderben müssen. Ich musste ihr sagen, dass ich von ihrer Schwiegertochter verlassen wurde. Ihr müsst dazu wissen, das war meine zweite Frau. Die erste hatte ich schon recht früh geheiratet. Wie das eben früher war. Da hat man sich Arbeit gesucht, geheiratet und ein Kind bekommen. Aber glücklich war ich nicht. Als das Kind aus dem Gröbsten raus war, hab ich mich getrennt und auf die Suche nach der großen Liebe gemacht. Ich hab sie auch gefunden, müsst ihr wissen. Sie ist zwanzig Jahre jünger als ich und ich hab mich großartig in ihrer Nähe gefühlt. Wie neugeboren. Wir haben drei wundervolle Kinder miteinander. Die sechs Jahre vergingen wie im Flug. Und dann haben wir geheiratet. Es war eine Feier von der ganz großen Art. Hundert Gäste und wir haben an nichts gespart. Das war vor zwei Wochen. Gestern hat sie mich verlassen. Am Geburtstag meiner Mutter. Meine Mutter hatte die Hochzeit bezahlt müsst ihr wissen. Die Hochzeit war nicht billig. Anders aber anscheinend meine Auserwählte. Der Grund, warum sie mich verlassen hat. Ja, sie hat einen anderen. Seit zehn Jahren. Er konnte ihr keine Sicherheit bieten, also haben sich die beiden gedacht, sie suchen einen, der das kann. Das war ich, oder wohl eher ich mit meiner Mutter. Jetzt hab ich vier Kinder die ich nicht sehe und halb so viele Frauen für die ich zahlen muss. Ich muss lernen Nein zu sagen!“ (tosender Beifall)

Titel: Der Engelsfuch
Autor: Jörg Kastner

PS: Nur um sicher zu gehen- das ist wirklich alles passiert. In einer Woche. Die Welt ist schlecht!

06 September 2010

My new friend Eva

Schlaflos


Erstens.
Meine neuen Nachbarn haben ein unbequemes Bett. Davon bin ich überzeugt. Warum sonst, sollten sie die liebe lange Nacht rauchend auf dem Balkon verbringen, um bei den ersten Sonnenstrahlen im ersten morgendlichen Nebel nach innen zu verschwinden. Es kann nur ein furchtbar weiches Bett sein, welches einen mit solchen Rückenschmerzen aufwachen lässt, dass man wünscht, man wäre nicht zu Bett gegangen. Oder, sie haben auch Angst vor Monstern unter dem Bett. Wobei ich mich mittlerweile frage, warum sich Monster überhaupt unter dem Bett verstecken. Ich meine, vor was haben die denn Angst? Vor größeren Monstern. Vor Kleineren? Vor mir? Ich werde demnächst mal einen Teller warme Milch vor das Bett stellen und hoffen dass es rauskommt. Dann kann ich es fragen.
Zweitens.
Er ist endlich da. Mein neuer Läppi. Der alte hat leider irgendwann einen eigenen Kopf entwickelt und gemeint er darf selbst entscheiden, wann er an und wann aus geht. Das fand ich eher unbrauchbar und das hab ich ihm auch gesagt. Hat aber nichts gebracht. Und der Neue, was soll ich sagen, der ist großartig. Nicht unbedingt wegen neuem Arbeitsspeicher oder Prozessor. Nein, eher wegen der unheimlich praktischen Post-it Funktion. Ich find virtuelle Post-its ganz toll. Weil keine Klebereste am Bildschirm mehr. Dafür nur noch ein gelber Bildschirm. Bapp bapp bapp. Ich frag mich, was ich in den letzten Wochen alles vergessen habe, nur weil es noch keine Pixel Post-its gab. So wichtige Dinge, wie den Wasserkocher zu entkalken zum Beispiel.
Drittens.
Ich habe eine neue Freundin. Und sie ist mir nach ein paar Wochen ziemlich ans Herz gewachsen. Sie ist ziemlich oldschool, also ziemlich cool. Mit dreiundsiebzig Jahren fast dreifach so alt und mehr als doppelt so eigensinnig wie ich. Ich kann‘s nachvollziehen, bei der Vergangenheit. Wer lag schon versteckt vor den Nazis jahrelang im Garten vergraben und wartete darauf wieder gefunden zu werden. Der gebrochene Sucher ist zwar mittlerweile ganz verloren gegangen, aber alles andere ist noch prima in Schuss. So gut, dass man selbst im Fotofachgeschäft neidische Blicke fängt und man auf einmal in den Fotoliebhaberkreis aufgenommen wird.

Titel: Schlaflos
Autor: Stephen King