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30 Mai 2010

Landflucht

Die Unwissenheit


Die Frage danach, ob man einen Menschen kennt, ist ungefähr genauso einfach zu beantworten wie die, ob der Himmel auf dem Rücken eigentlich friert. So unmöglich die Auflösung ist, so umfangreich traut man sich Selbiges immer wieder zu. Und man schiebt die Menschen fleißig in die paar Schubladen, die man sich zurechtgezimmert hat. In die Schublade eins kommt die Familie, die braucht man nicht im Detail zu kennen und zu verstehen, weil man die sowieso so zu nehmen hat, wie sie ist. In die Schublade zwei kommen die Freunde, von denen man sich wünscht, dass sie so sind, wie man sie versteht. In die Schublade drei, kommt der Rest der Menschheit. Somit die, die man nicht kennen will, die, die man kennen, aber nicht mögen muss, die einem über dem Weg laufen und gleich wieder vergessen werden. Die, bei denen man überheblich denkt, dass sie einem eh nichts vormachen können. Weil man mehr Lebenserfahrung hat. Weil man im Gegensatz zu Ihnen nicht naiv, kein Gutmensch ist. Weil man den besseren Lebensstil, das bessere Händchen hat, die bessere Kleidung trägt. Im Zweifel ist jeder Grund ausreichend. Jeder. Um die Leute aus dem eigenen Leben raus zu halten. Aus den eigenen Gefühlen. Den eigenen Gedanken. Zeitweise bekomm ich davon Schluckauf. Da kommt das leise Zweifeln hoch. Ob das alles so stimmt. Aber dafür gibt es Hausmittel. Einen Löffel Zucker. Ein Glas Wasser. Scheuklappen. Im Grunde genommen sehe ich es ein. Wozu die Schubladen? Ich kann den Rest der Welt ja nicht kennen. Wahrscheinlich nicht einmal mich selbst. Keine Einschätzung abgeben oder eine Vermutung. Jeder Mensch mutiert täglich zu etwas Neuem, was sich meinem Horizont nicht erschließt. Was ich nicht verstehen kann. Will. Letztlich sehe ich nur den Schatten vom letzten Tag. Nachfragen erspare ich mir. Gerade, bei denen, von denen ich glaube, sie ständen in meiner Nähe. Allein aus der zeitlichen Perspektive, die einen verbindet, wird der Anspruch gezogen, dass solches nicht mehr erforderlich ist. Ich hab ja schon so viel mit euch erlebt. Geredet. Getanzt. Gelacht. Da sind alle fragenden Worte überflüssig geworden. So, dass ich problemlos von mir auf euch schließen kann. Egal, ob euch das passt. Oder ob ihr da schon rausgewachsen seid. Aber schön isses mit euch. So schön belanglos jetzt. Jetzt, wo wir die harte Zeit des Kennenlernens hinter uns gebracht haben.

Am Ende ist eine Schublade genug. Schmeißt mich mit dem ganzen großen Rest zusammen. Damit ich dort untergehen kann.

Titel: Die Unwissenheit
Autor: Milan Kundera
Verlag: Fischer
Presi: € 8,95

24 Mai 2010

Der Teufel ist ein Eichhörnchen


Märchen aus dem vergessenen Schrank


Man kann über Nachbarn ja sagen, was man will. Aber zu reden hat man immer was. Man kann prima hinter vorgehaltener Hand tuscheln, wenn zum zweiten Mal die Polizei im Hause ist und den Trennungsstreit im Dachgeschoss zu schlichten versucht. Man kann sich seinen Teil denken, wenn der Hund vom Erdgeschoss demonstrativ eine Windel umgebunden bekommt, sobald er eine Pfote auf den Hof setzt. Und man kann glauben, dass der Typ von nebenan, der einem immer die Pakete annimmt, den Tag über nichts zu tun zu haben scheint. Bis man ihn abends in der Kneipe trifft, er einem die Rechnung bringt und man überlegt, welches Trinkgeld denn jetzt angemessen ist. So richtig zum Aufregen aber, und das immer wieder, ist die Musik/der Krach, der im Hause (Lady Gaga), auf dem Balkon (Störkraft) und dem Hof (Matthias Reim) läuft. Mit dem Wochenende auf dem Balkon wird es demnach nichts, und man kann die neue lieb gewonnene Heimat nur ertragen, wenn man aus ihr flüchtet, oder sich mit Musik im Ohr auf die Couch verkriecht. Zugegeben. So ein Gehör ist doch was Feines. Merk ich, wenn die Lieder durch die Lakritzschnur ins Ohr surren und die Synapsen episodische Assoziationen wecken, indem sie Eimer mit kaltem Wasser ausschütten und einen in eine andere Zeit verschieben. Da landet man in Dresden, am noch unbebauten Elbufer. Auf dem gemütlichsten Balkon Jenas. Bei einem Spaziergang zum ins Wasser fallenden Strandfest. Mit einer weißen Porzellantasse in der Hand in Leipzigs Straßen. Oder oder oder. Ich find das irre, was das Gehirn da mit einem macht. Zumal in den meisten Fällen, Lied und Moment sich nie getroffen haben. Sie mussten sich also Fragen wie „Was zieh ich heut bloß an?“ und „Was, wenn ich ihm nicht gefalle?“ gar nicht erst stellen, sondern wurden wie Rezeptzutaten einfach zusammengeworfen, um am Ende ein Drei-Sterne-Gericht zu schaffen. Der Kopf im Ruhezustand ordnet die Dateien neu. Wahnsinn. Mit der Erkenntnis im Schädel werde ich mir tatsächlich einen Soundtrack zusammenstellen, damit man mir den, im Falle das ich im Leben zu viele Frühstücksbrote in Alufolie eingewickelt hatte, vorspielen kann und ich mich so an die vom Kopf ausgewählten wichtigsten Momente noch erinnern kann.

Titel: Märchen aus dem vergessenen Schrank
Autor: Susanne Spöndlin
Verlag: Fouque Literaturverlag
Preis: € 11,80

17 Mai 2010

Regenbogenforelle

Die Arbeit der Nacht


Was war ich froh, als ich vor mittlerweile acht Jahren mein Fahrrad bekommen habe. Es durfte natürlich kein Damenrad sein. Und es musste silber sein, durfte keinen Gepäckträger haben (wer braucht das schon?) und sollte unbedingt extra schmale Reifen haben, damit ich extra schnell fahren kann. Heute ist es immer noch mein Rad, sieht aber ganz anders aus. „Aufgemotzt“ wurde es über die Jahre. Und hat jetzt nicht nur einen Gepäckträger, sondern darauf auch ein schickes Körbchen für das viele Bioobst vom Markt. Statt einer kleinen Klingel, die nur seicht „ring, ring“ macht, hat es jetzt ein gedrehtes Horn, das richtig schön möööpt. Und, ganz neu: Der Sattel hat nicht nur einen Regenschutz sondern auch ein kleines Tussitäschchen für Flicken und Kitt. Alles ein bisschen vorsichtiger als früher also. Jetzt sogar auch StVZO zugelassenes Licht. Nutzt aber alles nur geringfügig was. Fahren muss man trotzdem können. Und wissen, dass Straßenbahnschienen keine Freunde von Radfahrern sind. Immerhin aber: Heut komm ich nicht mehr gleich ins Krankenhaus, wenn ich die Rück- mit der Vorderbremse verwechsle. Dafür kommen die Leute aber immer noch auf mich zugerannt und fragen mich, ob ich mir den Kopf gebrochen habe. Und ich will, immer noch, cool sein und antworte erstmal mit „Nö nöhö, alles kein Problem!“ Gut, ich fall heut immerhin nicht gleich um. Blutverlust reicht diesmal dafür nicht aus. Wie gut, dass ich heute einen Helm habe. Der hilft gegen Löcher im Kopf. Faszinierend. Aber ich finde auch einen anderen Grund zum Umfallen. Drama, Baby. Ich schwing mich also erneut aufs Rad, ohne zu merken, dass die Kette rausgesprungen ist. Fahr dementsprechend nicht weit und hau mich gleich nochmal hin. Super. Jetzt kann ich peinlich berührt mein Rad, nach erfolglosem Versuchen die Kette wieder drauf zu ziehen, ganz langsam von der Bühne schieben. Dennoch- ich liebe mein Rad. Es hat einen ganz besonderen Vorteil, den man erst mit der Zeit schätzen lernt. Sein Alter. Niemand außer mir interessiert sich mehr dafür. Und genau das braucht man, wenn man in solch einer prima Gegend wohnt, wo sich nachts um zwei, zwei Etagen unter dem eignen Bett, zwei junge Burschen mit dem Brecheisen am Eingangstor zu schaffen machen. Sich dann auf dem Hof umschauen und feststellen, dass man eigentlich alle Räder mitnehmen und verscherbeln kann. Alle bis auf eins. Bei dem ist der Lack schon ganz bös abgebröckelt. Und es hat nur ein Schutzblech. Die Bremsklötze sind fast abgefahren. Lohnt nicht. Sehr schön. So bin ich die Einzige im Haus, die sich morgens nicht mit der Polizei unterhalten muss und statt dessen gemütlich zur Arbeit radeln kann. Arme Nachbarn. Wieso kauft man sich auch ein 1.600,00 € Rad und stellt es dann neben meins. Obwohl. Was sag ich da? Arme Nachbarn? Bin ich irre? Denn wo ich schon bei der Gegend bin. Die ist so herzlich, dass man sich bei Nichtgefallen gegenseitig Zigarettenkippen auf die Wäsche wirft. Oder sich gegenseitig auf die Türvorleger pinkelt. Mensch Kinders, ich fühl mich hier nicht wohl. Aus dem Alter bin ich doch schon seit einer Weile raus. Und selbst ich hatte mich damals noch cleverer angestellt. Immerhin wurde ich nicht erwischt.

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autor: Thomas Glavinic
Verlag: dtv
Preis: € 9,90

09 Mai 2010

Sprung in der Schüssel

Das Blaue vom Himmel über dem Atlantik


Panik. Ich steh am Geldautomaten und finde alles in meiner übergroßen Mädchentasche, nur meine Maestro-Karte nicht. Hinter mir eine nervöse Menschenschlange. Es kann nicht sein, dass ich die verloren hab. Ich bleib stehen und wühl weiter rum. Lipgloss, Schlüssel, alte Fahrscheine. Keine Karte. Dafür einen Zeigefinger auf der Schulter und die Frage, ob ich noch lange sinnlos rumstehen möchte. Möchte ich nicht. Ich möchte meine Karte. Hab doch noch nie was verloren. Jetzt das erste Mal. „Kopp un Arsch eins.“ würde die Oma sagen. Hm. Die Frau am Schalter schaut mich auch an, als wär ich die Erste, der das jemals passiert ist. „Sind se sich sicher?“
„Klar, ich hab ja noch nie was verloren. Die muss mir jemand geklaut haben!“ Gut. Nicht realistisch. Wer klaut aus einem Portemonnaie nur die Ec-Karte? Obwohl. Ist bei mir möglich. Hab ja grundsätzlich nie Bargeld dabei, damit ich es nicht ausgebe. Das klappt aber nicht, wenn ihr es wissen wollt. Hab nämlich den, für manche unausstehlichen, Tick entwickelt die Karte nicht zu benutzen, wenn ich was kaufen müsste, was weniger als zehn Euro kostet. Führt meistens dazu, dass ich noch sinnlos was in den Einkaufswagen packe, nur um über die Grenze zu kommen. Meistens Kaugummi.
„Das kost aber siebn Euro.“
„Hm.“
„Guggn se doch zu Haus nochma, ob se nich da irgndwo rumliegt!“ Und was wenn nicht.
„Und was, wenn nicht? Was wenn mir jemand die Karte aus der Tasche gezogen hat und mit meinem gerade draufgekommenen Gehalt einen drauf machen geht? Was dann? Wer bezahlt mir das? Hä?“
„Na da müssense dann selber für grad stehen, is ja wo klar.“
Na danke. Was bringen mir gesparte sieben Euro, wenn die dann auch mit verbraten werden? Gut. Dann sperren. Deprimierend. Normalerweise würd ich mir jetzt Duschgel kaufen. Das heitert mich immer auf. Geht nicht. Hab kein Bargeld. Würde eh nicht gehen. Unter zehn Euro. Was anderes brauch ich nicht. War gestern erst in der Drogerie. Mist. Normalerweise würd ich mir das jetzt auch kaufen lassen. Aber.

Er ist auf dem Weg zum Flughafen. Der Bus fällt heute ausnahmsweise aus. Ein Anruf bei der Taxizentrale bringt die Erkenntnis, dass Autos auch nicht schneller sind als Busse. Fünfundzwanzig Minuten. Super. Da ist der nächste Bus zweimal da. Und der Zug zweimal weg. Und das Flugzeug auch. 1.200,00 Euro. Ppffhhh. Das bekommt man sicher in einer Schadensersatzklage wieder rein. Den Anpfiff vom Chef nicht. Den bekommt man ab. Super. Regt sich auf und vergisst, dass Feiertag ist. Nur Glück rettet den Hintern. Ein Taxi fährt vorbei und hält auf Winken sogar an. Nimmt einen auch mit. Zug noch bekommen. Flugzeug auch. Gepäckabgabe, Sicherheitszone Eingang, Sicherheitszone Kontrolle, Gate. Überall Schlangen. Warten. Aufs warten. Woanders. In der Luft. Mit Tabletten und E-Nummern im Bauch. 1.500,00 Meter über der Erde. Beim Ankommen die falsche Hand auf den Scanner gelegt. Keine gute Idee. Müde.

Ich muss zur Freundin. Trotzig sein, wegen der verlorenen Karte. Und schmollen. Ich lasse mich trösten. Und verwöhnen. Mit üppigen und wundervollen Essen. Und Schuhen. Irre, geht’s mir gut.

Er guckt sich zusammen mit seinem Jetlag tolle Sachen an. Ein weißes Haus und einen großen Pool, durch den Tom Hanks mal gelaufen ist. Aber durchlaufen. Kann jeder. Oder? Sieht jedenfalls so aus, als hätten die hier nen Stück betoniert. Muss ausprobiert werden. Mit den Zehenspitzen voran. Ein Bauchklatscher folgt. War doch nur ne dicke, feste Schlammschicht. Die ist jetzt auf dem Bauch verteilt. Und der Fuß verstaucht. Super. Jetzt haben es alle mitbekommen. Die Touris sind da.

Mir fällt was ein. War doch gestern in der Drogerie. Und hab mir Duschbad gekauft. Ja, war eine schlechte Woche für mich. Kann jetzt nach Kiwi riechen. Das ist schön. Vielleicht liegt meine Karte noch da. Hatte schon mal so ein Glück. Als ich mein ganzes Portemonnaie verloren hab (ja, doch nicht das Erste, was mir für einen Moment entfallen ist), lag es nach zwei Tagen immer noch an der gleichen Stelle unter dem Stuhl im Restaurant. Toll, dass es mit der Sauberkeit dort nicht so gesehen wurde. Vielleicht klappts ja nochmal. Nervös frag ich die Frau an der Kasse. Ja, ne Karte wurde abgegeben. Ne blaue sogar. Hoffnung keimt in mir auf. Ich dränge sie, doch bitte gleich im Tresor nachzuschauen. Der Name stimmt. Ist meiner. Ich freu mich riesig. Und die Frau an der Kasse auch. Drückt mich sogar. Weil ich mich so schön freu, dass man nur mitmachen kann. Jetzt kann ich es der Frau in der Bank aber zeigen:
„Einmal entsperren bitte- die Karte ist wieder da.“ Yeah!
„Ach, doch noch zu Hause gefundn, wa?“
„Nee…die wurde im Laden abgegeben!“
„Bei Haaa und Ämm nach m Shoppn verlorn, wa?“
„Nee!!! Aber da geh ich jetzt hin, also freischalten jetzt. Bitte!“

Der Rückflug ist nicht so einfach. Überall Asche in der Luft. Da sie von rechts kommt, hat sie Vorfahrt. Er muss nen Umweg nehmen. Und sieben Stunden Verspätung in Kauf. Das heißt, Anschlussflug weg, Zug weg, Bus weg. Schon wieder. Nur diesmal nach dreiunddreißig Stunden ohne Schlaf. Wir haben Mitleid und fahren entgegen. Mit einem Kissen auf der Rückbank, zum gleich ins Traumland gehen.

Meine Karte ist wieder da.
Er auch.
Alles ist gut.
Wie immer, am Ende.

Titel: Das Blaue vom Himmel über dem Atlantik
Autor: Emma Braslavsky
Verlag: List
Preis: € 9,95

03 Mai 2010

Kerzen weg vom Weihnachtsbaum

Hexenstunde


Mit zehn Jahren war ich im Harz auf Klassenfahrt und hab Tiere gefüttert, Talsperren angeschaut, Höhlen besucht und bin natürlich auf den Brocken gefahren, um dort den Brockenhexen zu begegnen. Hat aber nicht geklappt. Jetzt war ich wieder da. Diesmal nicht auf Klassenfahrt, aber die Stimmung war ähnlich. Aufgeregt im Zug, mit vollgepackter Tasche, aufbleiben, solange man will und essen, was man will. Klar, dass kann ich sonst ja auch, aber zu zweit isses doch schöner. Egal. Ich wollte jetzt endlich mal sehen, was ich mir seit der vierten Klasse vorgestellt habe. Einen Platz mit einem fünf Meter hohen Holzschiethaufen (ahh..daher kommt das mit dem Scheiterhaufen! Das hat jetzt aber lange gedauert, eh ich das verstanden habe), der mit Sonnenuntergang entzündet wird. Darum viele Menschen, verkleidet als Hexen die wie die Wilden drum rumtanzen. Dabei jede Menge zu essen und zu trinken. Und Dudelsäcke. Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin. Aber: Dudelsäcke. Und gegen Mitternacht ist das Feuer derart runtergebrannt, dass man mit einem gekonnten Hüpfer in den Mai springt. So dachte ich mir das. Ja, dachte. Aber eigentlich isses so: Man hat zwei Varianten (und beide habe ich mitgemacht). Entweder man kommt abends um neun, stiefelt auf den Berg hoch, ist vom Weg völlig verschwitzt und zahlt 12 Euro Eintritt. Dafür sieht man dann ein unspektakuläres 50 cm Feuer und 2 Stunden eine Lasershow, für die die Veranstalter anscheinend ihr letztes Hemd gegeben haben. Dazu: Techno. Wobei ich dachte, den gibt’s nicht mehr. Aber zum Laser, der eigentlich massenweise epileptische Anfälle verursachen müsste, auch bei sonst gesunden Menschen, passts. Aber der Laser nicht zu Walpurgis. Schade. Finde ich. Thema verfehlt. Sechs, setzen. Die andere Alternative ist: Man geht halb elf los und bewegt sich Richtung einer laut Radioansager „großen Veranstaltung mit Hunderttausend Gästen“. Aber halb elf ist für die hiesigen dörfischen Verhältnisse spät. So spät, dass man auf der Straße angehalten wird, weil die Leute, schon gut dabei, denken, man wäre ihr Auto, was sie abholen kommt. Als wäre man der Knight Industries Two Thousand. So spät, dass der Typ am Kassenhäuschen schon einpackt und einem zu verstehen gibt, das man nu auch ohne Eintritt reinkommt. Was gut so ist. Erwartet einen drinnen doch nur ein Entertainmentpärchen um die 50, das in Begleitung eines Keyboards Texte absingt. Das Ganze in einem Waldstück, in dem an jeden Baum lebensgroße Hexen an die Bäume genagelt sind und unter denen ein entsprechend kleines Feuer lodert, um welches kleine Kinder, die in der Stadt schon längst im Bett hätten sein müssen, rumrennen. Und regelmäßig auf meine Füße treten. Fazit: Morgen versuchen wir unser eigenes Feuer. Und wenn man jetzt denkt: die im Harz, die wissen, wie man ein Feuer legt, da täuscht man sich auch. Nach drei Stunden mit wedelnder Pappe in der Hand hat man die Würste (vegetarisch natürlich) auf den Grill versetzt, gebraten und verschlungen. Den Appetit auf Fisch, den man bekommt, weil man mittlerweile selber riecht wie eine geräucherte Makrele, unterdrückt man. Aber aufgeben ist nicht drin und wir werfen alles rein, was helfen könnte. Sogar die Idee brennender Kerzen, steht im Raum. Für ein Dreißigsekundenfeuer von überraschendem Ausmaß sorgt letzen Endes aber nur eins: der Weihnachtsbaum vom vorigen Jahr! Daran freuen wir uns, begeben uns dann unter die Dusche und lassen die angekohlten Würste von Nachbars Katze holen.
Für mich hab ich gelernt nicht mehr das zu verlangen, was die Gegend verspricht: Ein Harzer muss nicht zündeln, ein Bayer keine Weißwürschte kochen können und ein Kölner keine Regenbogenflagge im Fenster haben. Trotzdem kann man schöne Tage haben, sich heimisch und wie ein Kind auf dem Trampolin frei fühlen.

Titel: Hexenstunde
Autor: Anne Rice
Verlag: Goldmann
Preis: € 12,00

Wer ist der Angeber?

Ich bin der Angeber!

Foto des Tages