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11 November 2008

"Fürsorgliche Belagerung"

Die Baustelle vor der Haustür wird nicht fertig. Die Straße soll nun schon seit sechs Monaten neu gemacht werden. Schon mal so ein Projekt vor der Haustür gehabt? Im Herbst? Bei einem durchschnittlichem Niederschlag von 134 mm im Herbst. In Thüringen. Ist jedem zu empfehlen. Wirklich. Denn seit Wochen fühl ich mich, als lebte ich in einem Comicheft. Ja. Täglich der ängstliche Blick Richtung Gläserwand, ob doch noch welche zur Benutzung zur Verfügung stehen („klirr“), täglich der Griff zu den Aspirins weil das dauernde Dröhnen von draußen den Weg in meinen Kopf gefunden hat („uuahhhhhh“), täglich Schuhe die vor Dreck stehen, da es einen Gehweg hier auch nicht mehr gibt und man so durch ein regengetränktes Gemisch aus Erde, Sand und Herbstresten den Weg zur Uni oder Norma und zurück waten muss („flatsch flatsch“). Das kann sich auch gut und gerne noch eine Weile so hinziehen, da in der Nachbarschaft eine kriegsähnliche Auseinandersetzung darüber ausgebrochen ist („peng“ „puff“ „pow“), ob der Dreck mit Kleinstmosaik- oder Blocksteinpflaster bedeckt werden soll. Mittlerweile ist auch eine mail vom Vermieter auf dem Bildschirm gelandet, die die Bitte enthält, täglich den Hausflur zu bohnern, damit der Linoleumbelag keinen Schaden durch den hereingetragenen und getrockneten Schmutz nimmt („kratz“). Nun ja… Besuch wird eher selten in letzter Zeit. Der Weg lohnt sich ja auch nicht wirklich. Unterhalten ist nicht drin. Dafür aber Ohropax. Das einzige was locken könnte, wäre das Gefühl mal ein Erdbeben miterlebt zu haben. Das gibt hier jetzt alle zehn Minuten („rüttel“ und „schüttel“). Aber wird nach dem zehnten oder zwanzigsten Mal auch langweilig („gähn“).

Dennoch hab ich was gelernt, als ich beim kochen den Blick mal aus dem Fenster gerichtet habe: es gibt extrem viele Männer in unserer Straße. Große und kleine. Alte und Junge. Schöne und nicht so schöne. Alles und davon viele. Und alle kommen mit der digitalen Kamera raus und freuen sich, dass sie Bagger, Lkw und Dampfwalze aus der Nähe sehen und fotografieren können („sabber“ und „seufz“). Zum Greifen nah quasi. Und das Leuchten in den Augen strahlt bis in meine Küche. Also nix mit Heidi Klum, Gisele Bündchen und Co.. Nee nee… wir Frauen sollten einfach ein bisschen mehr von einer Dampfwalze haben, wenn wir demnächst ein bisschen mehr Aufmerksamkeit wünschen.


Titel: Fürsorgliche Belagerung

Autor: Heinrich Böll

Verlag: dtv

Preis: € 10

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