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18 September 2009

Monster

In letzter Zeit treffe ich vermehrt auf Menschen, die gezwungenermaßen umziehen sollten, konnten, mussten in Städte die sie nicht wollten, mochten, aufnahmen. Stuttgart, Düsseldorf, Bayreuth, Mühlhausen. Dabei hört man immer wieder, welche Vorteile so ein Umzug mit sich bringen kann. Horizonterweiterung, neue Ansichten, neue Leute. Allerdings sollte man auch mal schätzen, was man hatte. Meine Nachbarn waren eigentlich großartig, gerade im Vergleich mit dem, was jetzt neben mir wohnt. Im Nebenhaus, eine Etage über mir lebt ein circa 1,90 m großer, 90 Kilo schwerer, glatzköpfiger Mann. Der kann mir immer schön auf den Balkon glotzen. Und der hat sonst auch den lieben langen Tag nüscht zu tun (reden wir jetzt nicht davon, woher ich das weiß), jedenfalls ist er immer daheim, wenn ich es auch bin (jetzt hab ichs ja doch gesagt). Deswegen kann er auch mittwochs bis tief in die Nacht Partys auf dem Balkon geben. Da sitzen dann zehn Glatzköpfige nebenan und feiern. Mittlerweile wird es dann halb zwölf und ich möchte schlafen und kann es aber nicht. Die Polizei anrufen und ne Ruhestörung melden, na da bin ich bei den Gestalten irgendwie zu feige. Also verbring ich meine Zeit damit, mir die Liedtexte zu merken, die da aus des Nachbars Wohnung dröhnen. Und was mir weder in der Schulzeit noch jetzt beim täglichen Radiomitgesinge gelungen ist, hat unvorbereiteterweise funktioniert. Google erklärt mir, dass das Störkraft ist, was mir mein Nachbar da gerade beigebracht hat. Darum geh ich im Schutz der Dunkelheit an meinen Briefkasten und kratz vorsichtshalber den „Hier keine NPD-Wahlwerbung rein“- Aufkleber wieder ab. Muss gegenwärtig ja keiner wissen, dass ich die nicht wähle. Fortan geh ich meinem Nachbar nun aus dem Weg, soweit ich kann. Gestern ist mir das nicht gelungen, denn als ich einkaufen gegangen bin, stand er dann ganz nervös, einer nach der anderen rauchend, draußen vor seiner Tür. Als ich zurück kam immer noch. Neugierde geht vor, darum lauf ich langsamer, mach mir lieber noch mal die Schuhe zu. Ich muss wissen, was ihn so nervös macht. Tja, was kann‘s wohl sein? Eine Frau kommt daher getänzelt. Blond- wer hätte es gedacht. Für mich sieht das verdammt nach Blind Date aus. Ich kann es mir richtig vorstellen, wie sie sich im Chatroom für einsame, arische Herzen kennengelernt, sich Nachrichten mit niedlichen kleinen Hitlersmileys geschrieben haben (ungefähr so: „Is das schön dich wieder hier zu treffen //:=l“ oder zur Verabschiedung ein „Küsschen, Küsschen //:=*..) und sich jetzt schüchtern fragen: „Hey, bist du Störkraft79?“ „Ja, und du süßeRune25?“ Niedlich irgendwie. Auch Nazis können verliebt sein. Da ist es fast ein bisschen traurig, dass er am nächsten Morgen doch wieder allein beim Frühstück auf dem Balkon saß.

Titel: Monster
Autor: Jonathan Kellerman
Verlag: Goldmann
Preis: € 8,00

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