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14 September 2010

Der Engelsfluch


Abends 19:00 Uhr in Raum B.234.
„Hallo, mein Name ist Tanja.“ „Hallo Tanja!“ (im Chor) „Mein Name ist Tanja und ich bin gutgläubig. (Beifall) Vor vier Wochen ist es mir wieder passiert. Im Treppenhaus sprach mich ein Junge an, ziemlich abgemagert und in schlechten Klamotten. Eine Umfrage hat er gemacht, über Drogen und deren Wirkung. Ich hab kaum Drogen genommen, konnte dazu wenig sagen. Aber eine Schande find ichs, dass denen, die den Absprung geschafft haben, keine Chance gegeben wird. Er war auch drogenabhängig. Und hat Glück, da ihn nach zwei Jahren Suche doch einer ne Ausbildungsstelle gibt. Nicht gegen lau. Niemand wird heute mehr gegen lau ausgebildet. Die Hälfte zahlt das Arbeitsamt, die andere ein Verlag. Win Win hat er gesagt. Der Verlag bekommt Kunden, er die Kosten seiner Ausbildung ersetzt. Schön denk ich. Ich brauch sowieso eine Tageszeitung. Verlier ja nichts. Außer Geld. Mit dem anderen geholfen wird. Er verschwindet schnell mit meiner Unterschrift. Und mit meinem Vertrauen. In der bestellten und gelieferten Tageszeitung steht, dass es solche Programme nicht gibt. Drückermethode. Ich muss lernen, nicht jedem mit großen Augen zu trauen!“ (Beifall)
„Hallo, mein Name ist Frederike.“ „Hallo, Frederike!“ (im Chor) „Mein Name ist Frederike und ich bin gutgläubig. (Beifall) Mir ist es letztes Wochenende passiert. Ich war für ein paar Tage weg und hab meinen Schlüssel dem Nachbar gegeben. Falls was passiert, dachte ich, es wäre besser. So vorsichtshalber, weil man weiß ja nie. Und. Es ist etwas passiert. Nicht was man jetzt vielleicht denken mag. Das Silberbesteck ist noch da und die Klamotten im Schrank liegen auch noch so, wie ich sie verlassen habe. Aber mein Feueralarm hat das Haus auf Trab gehalten und das mochten die nicht, die Nachbarn. Die mögen überhaupt keine Bewegung. Jetzt hatten sie wieder einen Grund sauer mit mir zu sein. Um ein Held sein zu können ist der Nachbar, der mit dem Schlüssel, in meine Wohnung. Es hat nichts gebrannt. Die Batterien waren nur alle. Und sie sind es noch. Mittlerweile liegen sie wie Eingeweide neben dem Feueralarmgerät auf dem Schreibtisch. Ich kann nur hoffen, dass es in naher Zukunft nicht brennt. Jedenfalls hat der Nachbar, der mit dem Schlüssel, dem ganzen Haus einen Gefallen getan, weil er Ihnen den Schlaf wieder möglich gemacht hat. Um aber seinem Ärger Luft zu machen hat er mir, zur Freude aller, eine Nachricht hinterlassen. Auf DIN A 0. Diese Wohnung ist ein Schweinestall! Das hat er geschrieben. Ich muss lernen, nein, nicht zu putzen, sondern den Menschen jede Schlechtigkeit zuzutrauen.“ (Beifall)
„Hallo, mein Name ist Fred.“ „Hallo Fred.“ (im Chor) „Mein Name ist Fred und ich bin auch gutgläubig. (Beifall) Ich habe meiner Mutter gestern den Geburtstag verderben müssen. Ich musste ihr sagen, dass ich von ihrer Schwiegertochter verlassen wurde. Ihr müsst dazu wissen, das war meine zweite Frau. Die erste hatte ich schon recht früh geheiratet. Wie das eben früher war. Da hat man sich Arbeit gesucht, geheiratet und ein Kind bekommen. Aber glücklich war ich nicht. Als das Kind aus dem Gröbsten raus war, hab ich mich getrennt und auf die Suche nach der großen Liebe gemacht. Ich hab sie auch gefunden, müsst ihr wissen. Sie ist zwanzig Jahre jünger als ich und ich hab mich großartig in ihrer Nähe gefühlt. Wie neugeboren. Wir haben drei wundervolle Kinder miteinander. Die sechs Jahre vergingen wie im Flug. Und dann haben wir geheiratet. Es war eine Feier von der ganz großen Art. Hundert Gäste und wir haben an nichts gespart. Das war vor zwei Wochen. Gestern hat sie mich verlassen. Am Geburtstag meiner Mutter. Meine Mutter hatte die Hochzeit bezahlt müsst ihr wissen. Die Hochzeit war nicht billig. Anders aber anscheinend meine Auserwählte. Der Grund, warum sie mich verlassen hat. Ja, sie hat einen anderen. Seit zehn Jahren. Er konnte ihr keine Sicherheit bieten, also haben sich die beiden gedacht, sie suchen einen, der das kann. Das war ich, oder wohl eher ich mit meiner Mutter. Jetzt hab ich vier Kinder die ich nicht sehe und halb so viele Frauen für die ich zahlen muss. Ich muss lernen Nein zu sagen!“ (tosender Beifall)

Titel: Der Engelsfuch
Autor: Jörg Kastner

PS: Nur um sicher zu gehen- das ist wirklich alles passiert. In einer Woche. Die Welt ist schlecht!

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