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06 Mai 2011

Der wahre Grund der Great Depression


Was hab ich sie verflucht, diese Krücken, die ich wochenlang mit mir mitschleppen musste. Stets diese FDP-blaugelben Stöcker in der Achsel, die es mir beim Regen der letzten Wochen auch noch unmöglich machten raus zu gehen. Es sei denn, ich hatte nix dagegen nach zehn Minuten wie ein nasser Hund auszusehen und auch wie einer zu riechen. Jetzt aber vermiss ich sie ein bisschen. Vorher konnte wenigstens jeder sehen, wie sehr ich leide. Hach, das war was. Jetzt im Gegenteil dazu sieht niemand mehr, was für ein schlimmes Leiden ich hab. Wenn es so was wie ein Vergrößerungsglas für die Ohren gäbe, könnte es aber jeder hören. Dieses Knacken in meinem Knie bei jedem Schritt. Sobald mein Bein den Boden berührt und ich Anstalten mache, mein Gewicht darauf zu verlagern, da solltet ihr mal hören, was dann los ist. Die Kniescheibe weigert sich erst ein paar Sekunden sich auch nur ein Millimeterchen von der Schnelle zu rühren und stemmt sich mit aller Gewalt auf die unterste Stelle des Oberschenkels. Schrubbelt dabei schön auf dem Knochen rum und es ist ihr scheißegal, wenn sie dabei Blut und Knorpel lässt. Irgendwann, wenn sie merkt, dass sie nur eine Kniescheibe ist, die eigentlich nichts zu sagen hat, macht sie einen Satz und lässt sich mit Schallgeschwindigkeit nach unten fallen. Voll gegen ein Stück Knochen, was außer mir keiner an dieser Stelle hat. Normalerweise ist dort etwas, dass sich Pfanne nennt. Bei mir aber ist etwas, das ich Himalaya nenne. Beim Laufen klingt das so: rechten Fuß aufstellen, Gewicht draufsetzen, Stille, abrollen, linken Fuß aufsetzen, Gewicht verlagern, Widerstand der Kniescheibe, Geräusche als würde man versuchen mit einer Kettensäge den Asphalt zu teilen, kurz darauf, als hätte der weltbeste Pitcher sie gegen eine Felswand gerohrt. Nichts mit Flüsterasphalt. Eher Klanghölzer im Knie. Ja so schlimm ist das. Und zu verdanken habe ich das alles nur meiner Versicherungskarte. Denn nach sieben Wochen, fünf Physiotherapeuten, drei Ärzten und noch immer denselben Schmerzen dacht ich, es wäre an der Zeit einen Spezialisten zu konsultieren. Und wie das bei Spezialisten so ist, die sind immer auf Wochen ausgebucht. So auch bei mir. Eigentlich.
„Hallo, ich hätte gern einen Termin, da ich eine Fünftmeinung von einem Spezialisten brauch. Seit meiner OP hab ich für alle unerklärlicher Weise irrsinnige Schmerzen.“
„Ui, das ist ganz schlecht. Wir haben in den nächsten Wochen keinen einzigen Termin frei. Tut mir leid für Ihre Schmerzen.“
„Es wär aber wirklich dringend!“
„Vielleicht noch einem bei unserem Hüftspezialisten?“
„Nein, ich würd schon gern zu dem, der sich mit Beinen auskennt.“
„Na das ist noch schlechter, der hat so viele OP-Termine, dass er kaum in der Sprechstunde ist!“ Okay, jetzt kommt ein Versuch wider den Behauptungen es gibt keine Zweiklassengesellschaft: „Wenn es hilft, auf meiner Versicherungskarte steht privat!“
Kichern am Ende der Leitung.
„Ja tatsächlich, im Moment ist übermorgen ein Termin frei geworden. Menschenskinder, da haben sie aber ein Glück!“
Ja genau, Glück nennt man das also. Irre, dass das klappt. Das werd ich jetzt immer sagen, wenn ich vorher anrufe. Hauptsache man hat erstmal einen Termin. Als dann übermorgen war, saß ich im Wartezimmer. Geschlagene fünf Minuten. Und dann noch geschlagene zwei Minuten im Behandlungszimmer. Ein Blick des Spezialisten auf die Röntgenbilder und die Diagnose stand fest. „Ganz klar, sie sind fehlgebildet.“ Um ehrlich zu sein, war mir das auch schon eine Weile klar. Ich weiß, ich hätte was anderes studieren sollen. Es gibt heut einfach zu viele von uns und alle halten einen dann auch noch für einen Quacksalber. Das kennen sie sicher. Aber was genau hat das mit meinem Bein zu tun?
„Na is doch klar ersichtlich. Ihr Bein ist nicht richtig entwickelt. Ihnen fehlt hier was, sehen sie das nicht?“ Klar, ich sehe nen schwarzen Hintergrund, darauf viele weiße Linien und nen paar Punkte vielleicht. Man für mich sieht das aus wie ein scheiß Rorschachtest.
„Interessant das Sie vorher keine Probleme hatten. Entweder sie trainieren sich in den nächsten acht Wochen einen Oberschenkelmuskel an, auf den ein Elefant stolz wäre und hoffen das wird wieder oder wir greifen zu Bohrer und Messer und müssen dem Ganzen auf plastischen Wege entgegentreten.“
Klasse. Trainier mal, wenn jeder Schritt nicht nur so klingt, sondern sich auch so anfühlt als hätte man eine Schraube in eine Spülmaschine geworfen. Ich muss gleich die Mutti anrufen und ihr von ihrer Schuld erzählen. Hätte sie mal kein Glas Rotwein der Schwangerschaft getrunken hat, als die Knie dran waren. Das kann ja wohl nicht wahr sein, dass ich da jetzt drunter leiden muss. Beleidigt is sie. „Sei froh, dass nicht grad der Kopf dran war!“

Der Titel is geborgt bei Jay Bonansinga

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