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01 August 2011

Mord im Gurkenbeet


Halb acht quäl ich mich aus dem Bett. Weil ich pinkeln muss. Eigentlich könnt ich länger schlafen. Heut haben wir extra Urlaub genommen. Aber daran hab ich gestern Abend nicht mehr gedacht, als ich noch einen halben Liter schwarzen Tee trinken musste, bevor ich ins Bett gegangen bin. Das hab ich jetzt davon. Ich schlurfe also aus dem Bett, durch die Stube in den Flur, an der Wohnungstür vorbei, geradewegs auf die Toilette zu. Moment. Einen Meter zurück. Da liegt was bei der Wohnungstür. Ein riesiger weißer Zettel. Sieht aus, wie unter der Tür durchgeschoben. Könnte also wichtig sein. Okay heb ich ihn auf. Was steht denn da?! „Schönen guten Morgen! Ab heute werden die Kanalisationsrohre neu gemacht. Wir bitten Sie daher zu beachten, dass in den nächsten drei Tagen weder die Toilette noch die Dusche benutzt werden können. Vielen Dank für ihr Verständnis!“ Moment. Ich muss kurz die Augen reiben. Da ist noch Schlafsand drin. Hhm. Steht immer noch da. In hellblauer Schrift. Nochmal reiben! Diesmal fester! Das kann nicht sein, das steht immer noch da. Und nen grinsender Smiley ist dahinter. Ey! Was soll denn das? Ich will pinkeln! Ich muss pinkeln! Und duschen! Und die Zähne putzen irgendwann auch. Und vielleicht Wäsche waschen. Und abwaschen auch! Ey! Nochmal! Was soll das? Ich hab dafür kein Verständnis! Nicht jetzt! Nicht heut! Nicht am freien Tag! Huch, guck mal, da liegt noch ein Zettel. Von der Nachbarin. Darauf steht, ich möge beachten, dass es heut schon ab sieben Uhr los geht (klar, ist ja ein Handwerk) und daneben hat sie einen traurigen Smiley gemalt. Super. Da bin ich ja nur dreißig Minuten zu spät dran. Ich hätte jetzt gern einen Zettel zur Hand, auf den ich einen Smiley mit zusammengekniffenen Augen und Knien zeichnen kann. Denn ich muss pinkeln. Und jetzt erst recht. Vielleicht kann ich das ja beim Vermieter tun, der es anscheinend irgendwie verpennt hat, einen rechtzeitig oder überhaupt erstmal darauf hinzuweisen, dass derartige Maßnahmen anstehen. Warum eigentlich nicht. Dass der absichtlicherweise kaum hundert Kilometer von hier entfernt wohnt, soll mich nicht stören. Ich hab ja mein Fahrrad.
Es ist mittlerweile also 07:43 Uhr, ich habe mir irgendeine Hose, irgendein T-Shirt und irgendeine Jacke übergezogen und schwinge mich auf mein Rad. Als Erstes halt ich an einem Bäcker, um 1. zu pinkeln, 2. Brötchen zu kaufen und 3. literweise Kaffee zu trinken, um auch ja wieder voll zu sein, wenn ich beim Vermieter ankomme. Man könnte sagen, ich sei wütend. Aber wütend schmeckt der Kaffee auch ganz gut. Bisschen bitter, leicht gallig, aber das passt zur Situation. Dann kann ich mich erneut aufs Rad schwingen und in den ersten zehn Kilometern genüsslich planen, was ich mache, wenn ich am Ziel angekommen bin. Nur fragen: darf ich zur Feier des Tages ihre Toilette benutzen reicht irgendwie nicht. Vielleich sollte ich warten, bis es dunkel ist und dann auch mal einen schönen Zettel schreiben. Zum Beispiel: „Die nächsten fünf Tage bitte nicht vor die Tür gehen! Chemieunfall! Erstickungsgefahr!“ oder „Der Hinweis kam leider zu spät. Ihre Mieter haben die Toilette dennoch genutzt. Dies führte zu einer Verunreinigung des Grundwassers in der Umgebung. Bitte kommen sie für den dadurch entstandenen Schaden auf!“ oder „Leider gelang es mir aufgrund der kurzfristigen Information über die Unmöglichkeit der Nutzung der Wohnung nur noch ein Hotelzimmer im hiesigen Fünfsternehotel zu beziehen. Anbei lege ich die Rechnung. Ich bitte um sofortige Begleichung des Betrages. Hochachtungsvoll. Ihre Mieter.“ Warum geizen? Warum nicht alles auf einmal? Heidewitzka, das wird ein Spaß! Mit derlei Hirngespinsten kann ich mich jedenfalls die ersten zehn bis zwölf Kilometer bei Laune halten. Dann merk ich, dass mein Kreislauf das abrupte Aufstehen gar nicht leiden kann und auf der nächsten Parkbank brech ich zusammen. So richtig mit Pauken und Trompeten. Dehydriert und frierend roll ich mich an der Bushaltestelle auf der Bank zusammen und schlaf von einer Sekunde auf die nächste tief und fest ein. Ein anhaltender Bus kann mich hier nicht wecken, da die nur dreimal am Tag hier verkehren. Also hab ich meine Ruhe. Zumindest für fünfzehn Minuten. Dann wach ich starr vor Kälte auf. Der Himmel hat sich zugezogen und es droscht wie aus Kübeln. Meine Beine haben während meiner kurzzeitigen REM-Phase aus dem Bushäusschen rausgeragt, was zur Folge hat, das die Jeans durchgeweicht ist und klatschnass an meinen Knochen klebt. Mittlerweile bin ich wirklich sauer. Auch wenn der Vermieter wahrscheinlich nichts mit dem Wetter zu tun hat, denk ich mittlerweile an Mord. Und die Schlagzeile am nächsten Morgen: „Rentner im eigenen Gurkenbeet erdrosselt aufgefunden“. Die Fantasie geht mit mir durch. Wahrscheinlich habe ich jetzt schon Fieber. Damit mein Oberkörper nicht auch noch nass wird und ich nicht noch eine Grippe riskiere, dreh ich mich nochmal auf der Parkbank um, bis das Unwetter vorübergezogen ist. Das schöne Riffelmuster von der Bank will ich außerdem noch auf der anderen Wange haben. Schlafen kann ich aber nicht mehr. Der Regen drückt die Dämpfe der Umgebung in die Luft. Allem Anschein nach hab ich mich für mein Päuschen in eine Gegend voller Bauernhöfe gelegt, die ihr täglich Brot mit Massentierhaltung verdienen. Es riecht unerträglich nach nassem Futter, altem Schweiß, Tod und Exkrementen. Und ich habe das Gefühl, all das einzuatmen. Ich muss hier weg. Dem Mistwetter zum Trotz hiev ich mich auf mein Rad und maloche noch 10 Kilometer weiter Richtung Westen. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit liegt jetzt bei 7,8 km/h. Immerhin fahr ich mittlerweile auf einer Straße, die irgendwann in ihrem Leben einmal geteert wurde und nicht mehr auf Trampelpfaden. Und irgendwann, nach gefühlten 5 Stunden strande ich mit meinem Rad an einem See. Und da gibt es einen Sandstrand, Kuchen und Holzbänke. Und da scheint tatsächlich die Sonne. Nur über diesem See. Herrlich, ist das schön! Die Wut ist plötzlich verflogen. Ich kauf mir Kuchen, leg mich in den Sand und lass mich trocknen. Vom Zug lass ich mich dann abends wieder nach Hause fahren, denn auch wenn es Handwerk ist, auch das ist irgendwann einmal vorbei.

Der Titel ist geborgt bei Alan Bradley

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