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15 April 2012

In der Schwebe


„Das können kleine Kinder, das kann ich auch. Das können kleine Kinder, das kann ich auch! DAS KÖNNEN KLEINE KINDER, DAS KANN ICH AUCH!“ So spreche im mir seit zehn Minuten selber Mut zu und hoffe, dass es durch die ständige Wiederholung auch irgendwann wahr wird. Das mit dem auch können. Statt mich von der Stelle zu bewegen, sitze ich aber seit eben jenen zehn Minuten in einem Turmfenster fest. Dem einzigen Turmfenster, das tief genug ist, um mich, meinen Rucksack und mein Stativ aufzunehmen. Dem einzigen Turmfenster überhaupt, das sich in 38 Metern einer sich in die Höhe kringelnden Tortendeckchenwendeltreppe zeigt. Tortendeckchenwendeltreppe, so tauf ich sie. Denn so sieht sie aus. Wie ein dünnes Blatt Papier, mit wahnsinnig vielen eingestanzten Blumenmustern. Nur das irgendjemand in der Mitte ein Loch reingeschnitten und den Rest ein bisschen in sich gedreht hat. Und ehrlich- schön sieht das aus. Von unten. Da denkt man noch „Wohow, das ist Kunst!“ und freut sich über die schicken Schnörkel, das einfallende Licht und die Schraubenatmosphäre. Als ob man ganz tief drinnen wär, im Heim der Schnecke und nur schnell hochflitzen müsste, um die Fühler ausstrecken zu können. Also flitze ich los und achte nicht auf die bleichen Gesichter, die mir entgegentorkeln. Ich flitze zehn Stufen. Dann werde ich langsamer und laufe die nächsten zehn. Dann geh ich und letztlich krieche ich nur noch und setze zitternd einen Fuß vor den anderen. So weiche Knie hatte ich noch nie. Denn jetzt kommt die Erkenntnis. Das sind Löcher in den Stufen. Durch die kann man durchgucken. In die Tiefe. Und das geht’s runter. Und das Geländer ist auch nur so ein zartes Pflänzchen, das könnte mich nicht halten. Und in der Wand ist nichts, nicht mal ein paar alte Zementbröckel an denen ich mich festhalten könnte. Nur glatte schöne weiße Wand. Und dann merke ich, dass die eine oder andere Stufe ersetzt wurde. Durch glatte Eisenplatten ohne Löcher. Und ich frage mich: Wie hat man wohl rausgefunden, dass diese Platten nicht mehr sicher sind? Und dann sehe ich es: das Turmfenster. Und verschwinde darin. Und rede stoisch auf mich ein. Und beobachte Menschen. Und sehe erst jetzt, dass neun von zehn mit dem gleichen Enthusiasmus wie ich die Treppe hochstürzen, aber bereits nach vier Metern merken: „Nee, das würd nüscht!“ Die sind klüger als ich. Die fangen den Scheiß gar nicht erst an. Was eine ziemliche Einsamkeit für mich zur Folge hat. Es kommt eine ganze Weile niemand vorbei, der mich mitnehmen könnte. Denn irgendwie will ich jetzt erst recht nach oben, hab aber noch keine Ahnung wie. Wenn ich auf allen Vieren gehe, bin ich nur noch näher an den Löchern dran. Hüpfen geht nicht, da meine Beine weich wie Butte und schwer wie Blei zeitgleich sind. Und ich muss irgendwie drauf achten, dass ich meine Hände nicht brauche, denn die sind mittlerweile so nass, dass sie vom Geländer rutschen. „Sie müssen immer nach oben schauen und starr gerade aus gehen, dann klappt es. Und denken Sie an die Aussicht, die lohnt sich.“ höre ich da von einer Frau, die plötzlich vor mir steht. „Ähm wie bitte, was sagen Sie?“ „Sie müssen einfach irgendwo oben einen Punkt fixieren, dann schaffen Sie es auch nach oben.“ „Noch mal Entschuldigung, aber was?“ „Na Sie reden die ganze Zeit so vor sich hin, da wollte ich Ihnen einen Tipp geben, wie es klappt. Mir jedenfalls hat es geholfen!“Ach herrje, rede ich so laut? Muss ich wohl, denn kurz danach kommt eine Frau beim Runterlaufen an mir vorbei und meint lachend zu mir: „Und ich dachte schon es liegt am Alter, dass ich so eine Angst hatte. Beruhigend zu sehen, dass es Ihnen auch so geht!“Okay, ich muss hier weg. Jetzt. Hoch. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Den Rat befolgend hefte ich meinen Blick auf ein kleines Eisenkreuz in der Wand und komme langsam aber immerhin irgendwann oben an. Mein Rucksack fühlt sich 50 Kilo schwerer an und ich müsste dringend duschen, nachdem ich die letzet Stufe hinter mich gebracht habe. Aber ich bin stolz auf mich. Genauso wie die drei anderen Erwachsenen mit den sieben Kindern, die hier oben stehen und nach einem kurzen Blick auf die Aussicht nur noch wieder runter wollen.

Der Titel ist gemopst bei Tess Gerritsen

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