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16 März 2013

Der fliegende Koffer



Ich dachte ich werde nervös, wenn ich beim Arzt sitze und mir eine Impfung nach der nächsten in den Arm jagen lasse. Eine gegen Leberschnupfen, eine gegen Hepatitis B, eine gegen Zeckenbisse. Stattdessen bekomme ich unerwartet ein paar Tage frei, da mein Immunsystem mit der vollen Ladung überfordert ist und die Führung auf die Couch übernimmt. Das nimmt mir ein paar Tage ab, an denen ich mich fragen könnte, ob das eigentlich alles gut überlegt war, als ich entschieden habe, den Arbeitsplatz zu verlegen. Oder ob aus einer Schnapsidee langsam eine Realität wird, die irgendwie unpassend erscheint. Unpassend, weil ich Flugangst habe, enge Räume eher weniger mag und kurzzeitig katatonisch werde, wenn ich jemandem auf Englisch erklären soll, wie der Colaautomat funktioniert. Aber gegen Flugangst kann man sich behandeln lassen, in engen Räumen kann man sich Platz verschaffen und die englische Sprache – nun ja, man kann sie improven.
Ich dachte ich werde nervös, wenn ich ein halbes Leben in einen Koffer stopfen muss, den ich dann auch selber tragen können soll. Stattdessen bestelle ich den Sperrmüll und sortier aus. Warum kleckern, wenn man glotzen kann. Ganze Schränke und Tische kommen raus. Damit es aufgeräumter ist, wenn ich wieder nach Hause komme. Und was wichtig ist und mit muss, ist eigentlich sowieso klar. Die liebsten Kameras, das standfesteste Stativ und die flutschigsten Stricknadeln.
Ich dachte ich werde nervös, wenn ich meinen Büroschlüssel abgebe und Instruktionen zum Blumengießen gebe. Stattdessen freue ich mich über eine sinnvolle Untervermietung meines Wasserkochers und einen Arbeitsplatz mit Sicht auf den Indischen Ozean. Der digitale Aktenordner wird gepackt und in die Hosentasche gesteckt sowie Blumensamen mit hohem Kraftaufwand im noch gefrorenen Erdboden versengt.
Ich dachte ich werde nervös, wenn ich im Flugzeug sitze und mich von Luftlöchern durchschütteln lasse. Stattdessen wäge ich ab, welche Umstiegserfahrung skurriler war: die Nutzung eines Zuges, um möglichst zügig von Gate zu Gate zu kommen oder das Rennen mit 25 Kilo auf dem Rücken zunächst zum Gepäckband und dann zur Sicherheitskontrolle, damit ich dann, ohne Schuhe an den Füßen und mit dem Gürtel noch in der Hand, mit rutschender Hose zum letzten Flugaufruf komme.
Ich dachte, ich werde nervös, wenn ich merke, dass ich in der ersten Nacht vergessen habe, die Wohnungstür zu zumachen. Stattdessen schlafe ich wie ein Stein und wache am nächsten Morgen mit dem Meeresrauschen vor der Tür auf, trinke Kaffee bei 25 Grad auf dem Balkon und beobachte Grashüpfer von der Größe meiner Faust. Alles ist in Ordnung. Ich bin zufrieden. Ich bin da. Südafrika.

Titel ist gemopst bei Hans Christian Andersen

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