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10 August 2008

"Eine sonderbare Geschichte"

Im Zug. Vor mir ein Mitfünfziger. Füllig. Freundlich. Lächelt mich an. Schon eine halbe Ewigkeit. Will wohl ein Gespräch erzwingen. Nicht mit mir, mein Freund. Ich starre stur in mein Buch und bekomme von all dem nichts mit. Wenn man nur fest daran glaubt, dass man hier allein ist, ist man das auch. Jawohl! … … „Ole oleoleoleole…der Frank wird heiraten, ole“…Ich seh sie nicht, aber ich weiß, sie sind da. Junggesellen. Mitten am Tag. Im Zug. In meinem Abteil! Es reicht nicht, dass ihr mir jeden Samstag über den Weg lauft und um einen letzten Kuss, eine kleine Spende oder sonst einen Kram bittet und euch auch nicht durch mein Angebaffe dazu bringen lasst mich endlich in Ruhe zu lassen- nein, jetzt also auch im Zug. Mit den ewig gleichen unheimlich kreativen XL-mit-super-lustigen-Sprüchen-drauf-Massenshirt wie „Ab morgen komm ich an die Leine“ oder „Ich hab lebenslänglich“ (macht der Job solche Shirts zu drucken glücklich?) kommt ihr mir immer und immer wieder total happy entgegen und feiert. Und das bei einer steigenden Scheidungsrate. Großartig. An dieser Stelle: an alle mir ans Herz gewachsene: sollt ich auf die Idee kommen zu heiraten- und das mein ich jetzt ganz im Ernst- kommt nicht auf so eine Scheißidee! Wirklich ich mach da nicht mit. Ich schick euch mit euren Klopfern, Brautschleiern und sonstigen Happykram allein los. Könnt ihr ohne mich machen.

„Sehr geehrte Fahrgäste, in kürze erreichen wir Weimarr„ (nich aufregen, das doppelter R dient der Veranschaulichung der überdeutlichen Aussprache die bei dieser Art Sprechgesängen gern verwendet wird) donnert es von oben. Widerstand zwecklos will mir die Ansagerin wohl verdeutlichen. Gut, ich pack das Buch weg. Nützt eh nüscht. Ich bin ja eh die Einzige, die hier ihre Ruhe will. Merk ich sofort, da nebenan zwei gut betuchte aber anscheinend gelangweilte Rentnerinnen sitzen, die die völlig unverhoffte Ansage jetzt nutzen um endlich ein Gespräch anzufangen. Denn ich weiß jetzt, dass es total praktisch für ihr schlechtes Gehör, mit dem wohl beide gestraft sind, ist, dass die Frau hinter dem Mikro endlich mal laut und deutlich spricht, denn sonst weiß man nie, wo man aussteigen muss…klar. Der Zug hält ja auch jede Woche woanders. Das gesamte Abteil hört gespannt zu. Ich frag mich warum. Der Halt in Weimarr führt dazu, dass ein Pärchen, beide um die 25, zusteigt, vollbepackt mit Koffern, Tüten und Rucksack. Na, ob das nicht mehr sind, als die erlaubten 20 Kilo im Flugzeug? Denn zum Flughafen solls ja offensichtlich gehen. Kaum den Sitzplatz vor mir eingenommen und wieder Luft geholt, wird das Monte ausgepackt und in sich reingeschaufelt. Is ja ne "gesunde" Zwischenmahlzeit und gibt’s jetzt glücklicherweise auch im großen 100g-Pack. Wir fahren los. Noch 15 Minuten und dann is alles vorbei, tröst ich mich. Doch jetzt kommt noch der panische Rucksacktourist reingerannt.

„Sorry, aber das is doch der Zug nach Göttingen?“

„Ja“, raunt es ihm entgegen.

„Ach…gut, ich dacht schon…weil ja ein Abteil abgetrennt wird und woanders hinfährt.“

Es ist unheimlich, wie schnell doch die Farbe aus einem Gesicht weichen kann. Aber das Pärchen mir gegenüber beweist es- es dauert keine Sekunde.

„Wie? Woanders hin? Wer hat das gesagt?“

„Na das Zugpersonal.“

„Wann?“ Der Monte wird zunehmend nervöser gelöffelt.

„Na eben, in der Ansage!“

„Was?“ …ja, da hat se wohl doch nich so laut und deutlich gesprochen, wie ich es vernommen hab…

„Scheiße!“

Das ist eindeutig besser als mein Buch, denn jetzt geht’s los: „Na prima! Na das hätte uns aber auch irgendwer sagen können, aber nein. Nu sitzen wir hier. Toll. Große klasse. Immer die Deutsche Bahn…“ Klar, die kann was dafür! Aber gut, nu isse in Fahrt. Der zweite Monte wird aus dem Rucksack geangelt. Ich sollte mal an Zott schreiben- das Werbekonzept gehört umgeändert. Von wegen gesunde Milchmahlzeit für Kinder- der scheint mir doch eher was für gestresste Urlauber zu sein.

Mittlerweile werden die sorgsam einsortierten Gepäckteile wieder aus den verschiedensten Ablagemöglichkeiten zusammengesammelt. Schade, dabei war Mann doch froh, Frau beweisen zu können, dass sich jahrelanges Tetris- zocken und vor dem Pc-rumhängen doch gelohnt hat. Nu isses kaputt- das schöne Kunstwerk. Nutzt nüscht- sie müssen raus, in ein anderes Abteil. Und ich lasse mich zu einer Handlung verleiten, die ich sonst tunlich vermeide- ich stehe fünf Minuten vor Ankunft, punktgleich mit der Ansage „Wir erreichen in kürze Errfurrt“, auf, um mich wie alle anderen die Anderen, die Angst haben der Zug würde weiterfahren ohne sie vorher auszuspucken, vor der Tür zu drängeln. Mittendrin statt nur dabei, sag ich mir. Und auch der Koffer des Pärchens im Rücken wird mit Gelassenheit hingenommen, denn deren grundlosen Schweißausbrüche verbunden mit der kundgegebenen Panik, die Schaffnerin könnte sie nicht mehr in das andere Abteil lassen, hat heut irgendwie eine beruhigende Wirkung auf mich. Und die Vorstellung, dass sich die 1,50m große Schaffnerin wie Steven Seagal vor die Zugtür stellt um eben diesen vor zwei Eindringlingen wie meinem Pärchen zu schützen, zaubert mir ein unverhofftes Lächeln ins Gesicht. Der eigene Stress fällt ab, wenn man anderen bei ihrem beobachten kann. Tolle Erkenntnis. Werd ich mir merken!

Na ja- ein Tag auf Besuch bei der Familie- dann geht es zurück in die Prüfungsvorbereitung nach Jena.

„Ach gucke mal einer an. Wir sind doch auf der Hinfahrt schon zusammen gefahren. Wissense noch?“ fispert es mir von schräg oben entgegen. Im Zug. Vor mir derselbe Mitfünfziger. Immer noch lächelnd. Immer noch freundlich. Das verspricht eine Zugfahrt zu werden.


Titel: Eine sonderbare Geschichte

Autor: Wladyslaw St. Reymont

Verlag: Das Neue Berlin

Preis: auf dem Dachboden gefunden

1 Kommentare:

Franzi.Ska! hat gesagt…

Maus: Herrlich! Hab mich wirklich köstlich amüsiert :-)))) Jaja, wen eine eine Reise tut.. *gg* viele der von dir angesprochenen Sachen sind mir auch schon so oder ähnlich passiert :-) Schreib doch wirklich mal an Zott, würde mich interssieren, was sie dir antowrten!!! Und zu "Weimarr": Ich saß mal im übervollen ICE von München nach Hamburg und kurz vorm Stopp in Saalfeld meinte der Sprecher durchs Mikro: "Umsteigemöglischkeitn in´dn Regionalexpress nach Ärford über Arnstadt, Neudiddndorf..." Neudiddndorf!! Es gab kein Halten mehr, riesen Gelächter :-) Ich glaube, danach haben sie ihn in Vorruhestand geschickt, hab ihn leider nie wieder gehört *g*
Ich drück dich ganz dolle und hoffe auf ein baldiges Wiedersehen(mit Fotoalbum!!!!), Franzi

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