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14 Dezember 2008

"Die Geisterseher"

Seit dem 11. September ist die Angst vor Anschlägen ja weltweit gestiegen. Was sich ja auch hierzulande in der Politik niederschlägt. Da sollen Flugzeuge abgeschossen werden können, in die vorher schon niemand mehr Flüssigkeit mitnehmen durfte. Da sollen Computer ausspioniert werden, da wird in Pressehäuser eingedrungen. Scheiß auf die Grundrechte also. Na ja ist ja alles weit weg denkt man sich dabei. Aber nein nein. Man täuscht sich ja so schnell. Denn gestern war ich wohl mal dran mit dem Staatsfeind sein. Fangen wir von vorn an. Ich bin am Bahnhof, Rucksack und Begleitung dabei. Ich steh grundsätzlich immer am Ende vom Gleis, trotze Schnee und Regen, nur um nicht zwischen all den anderen Reisenden zu stehen, die gerade jetzt zur Adventszeit zugenommen haben (ach, bin ich heut zu Doppeldeutigkeiten ausgelegt). Normalerweise würde ich mich jetzt noch über das Rauchen Letztgenannter aufregen, aber wir haben seit ein paar Wochen eine überaus humane Raucherzone von 1m x 1m am Bahnhof, die auch noch soweit ab vom Schuss eingerichtet wurde, das es anscheinend selbst dem härtesten Kettenraucher vergangen ist, nur wegen einer Zigarette den langen Weg auf sich zu nehmen, sodass unser Bahnhof nun qualmfrei ist. Meine Begleitung raucht jedenfalls nicht und kennt sich hier auch noch nicht so gut aus, also lassen wir kurzerhand unsere Sachen stehen (was soll an diesem zweigleisigen Provinzbahnhof schon passieren?) und gehen ein paar Meter nach vorn, um alles in Augenschein zu nehmen. Und schwupps- schon sind sie da. Drei Männer und eine Frau in Grün. Rätselnd und mit Vorsicht in den Augen um meinen Rucksack und seine Reisetasche geschart. Ich habe keine Ahnung woher die kamen und vor allem so schnell. Also eilen wir zu ihnen. Ob das unsere Taschen seien? Ja ja….klar…die liegen aber höchstens zwei Minuten hier….und wir hatten sie stets im Blick. Aber wer jetzt denkt, dass es hier um die Sorge eines möglichen Diebstahls ginge, der liegt falsch. Nein, denn jetzt klären sie uns lauthals mit der Hand an der Waffe vor allen Anwesenden auf, dass wir anscheinend keine Nachrichten schauen. Immerhin hätten sie jetzt fast den Bahnhof räumen lassen und das Sprengstoffkommando gerufen….auf unsere Kosten versteht sich (mhhhhh….müssen Al Qaida und Co. ein dickes Konto haben, wenn das immer so läuft)…Ich hab also keine Ahnung von der aktuellen prekären Lage was Terror angeht. Halt die Klappe denk ich mir, verschweig deinen Studiengang und vor allem das fortgeschrittene Stadium. Glaubt dir ja eh keiner. Nun den Vortrag haben sie mit finsterer Miene hinter sich gebracht. Sie wollen gehen, nur die Dame hat noch eine Frage: „Was sind denn das für Stöcker?“…Ja…mein Begleiter hatte drei Repliken von Samuraischwertern dabei und versucht dies nun auch zu erklären. Ich möchte wissen, was die denken. Das, wenn die Bombe im Rucksack nicht alle hier erwischt hat, wir den Rest mit den Schwertern niedermachen? Ich muss mir mal Gedanken machen, wie ich auf andere wirke. Bisher hab ich da immer nur „schüchtern“ gehört, aber stimmt, die Selbstmordattentäter waren ja auch fortdauernd „ruhige Menschen, denen man so etwas nie zugetraut hätte“. Ich muss also an meinem Image arbeiten. Na ja, jedenfalls zeigen und überzeugen wir, dass man damit nicht mal einer Blume was zu Leide tun kann, da scharf nun wirklich etwas anderes ist.

„Und was macht ihr damit?“

„Fotos.“ (Und das stimmt wirklich, die Kamera hatte ich dabei.)

„Was? Hier an so einem Öffentlichen Platz?“

Ja klar…Wenn ihr überall Videokameras aufhängen dürft, dann darf ich ja wohl ein paar Bilder machen. Aber das verkneif ich mir dann doch.


Titel: Die Geisterseher

Autor: Kai Meyer

Verlag: Bastei Lübbe

Preis: € 7, 95

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