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04 Oktober 2011

Schwein


Ich gehe jetzt wieder zur Schule. Das Schicksal hat es entschieden. Vorgenommen hatte ich es mir schon lange. Man kann gut und gerne von Monaten reden, in denen ich diese Entscheidung vor mir hergeschoben habe. Warum? Man hat ja Angst sich zu blamieren. Und was sollen die anderen denken, wenn man was Falsches sagt. Ist ja peinlich, wenn man was nicht weiß, was sonst jeder weiß. Wenn man dann rot anläuft, weil man sich das zu Herzen nimmt. Und denkt: Jetzt geht die Welt unter. Nein, besser: Ich versinke in ihr. Also habe ich die Anmeldung immer wieder vorsätzlich vergessen. Es kann ja sein, dass schon alle Plätze voll sind, wenn ich mich dann wirklich anmelden will. War aber nicht so. Am letzten Tag der Anmeldung, am Tag der ersten Unterrichtseinheit war noch frei: ein Platz. Mist, verdammter. Da hab ich ja wirklich Glück gehabt. Ich geh jetzt also wieder zur Schule. Abends von sechs bis acht.
Der einzige Mann in unserer Klasse ist 72 Jahre alt und der Lehrer. Die Qualifikation für seine Tätigkeit: zwei Jahre als Stahlarbeit in den USA. Sein Hobby: Reisen. Das nimmt er ernst. Jedes Wochenende fährt er 1800 Kilometer mit dem Zug. Um sich zu entspannen. Mir fiele etwas anderes ein, wenn ich Rentner wäre und mich entspannen wollte: Aus dem Fenster gucken, Enten füttern, Suppe kochen. Aber nicht: Unterricht geben und am Wochenende zweimal 11 Stunden im Zug verbringen. Aber mittlerweile denke ich, nicht nur er fährt gerne Zug. Rentner überhaupt. Und manchmal sind die schlimmer als eine Bande 14-Jähriger. Auf meiner letzten Heimfahrt saßen vor mir sieben Ömchen, die eine Frauenreise unternommen haben. Hach und da gabs viel zu tratschen: von den einzig wahren WMF-Töpfchen über Udo Lindenberg bis hin zu: Handys. Die hatten sie sich nämlich erst geleistet. Und um zu zeigen, was die alles können, was haben sie da wohl gemacht? Jawohl- sie haben sich gegenseitig ihre Klingeltöne vorgespielt. Fünfzehn Minuten lang. Aber egal. Meine Klasse. Meine Klasse besteht sonst aus: mir und: 15 Hausfrauen. Anfangs aus: mir und: 15 Hausfrauen und: einer wirklichen Schülerin, aber die bleibt zwischenzeitlich zu Hause, da sie sich irgendwie fehl am Platze fühlt. Ich nicht. Ich fühl mich irgendwie wohl. Immerhin war ich die letzten drei Monaten auch eine von Ihnen. Eine die zu Hause bleibt, frühs die Küchenarbeit macht, mittags eine Serie schaut, nachmittags putzt, was gerade anfällt und abends das Essen auf den Tisch stellt, wenn der Mann nach Hause kommt. Ich kann also noch mitreden, wenn es um die Hochzeit des Jahres bei Rote Rosen/ In aller Freundschaft/ Sturm der Liebe oder das beste Mittel zum Teppich reinigen geht. Da werden Probleme besprochen, die nicht unterschätzt werden dürfen. Das mit dem Teppich reinigen ist gar nicht so leicht, wie gedacht- nix mit Vanish drauf und dann absaugen. Nein. Da hatten die neu gewonnenen Freundinnen einen besseren Tipp. Und jetzt, da der Wohnzimmerteppich nach vier Tagen nicht mehr gewellt ist wie die Pappe vom neu gekauften Ölradiator und nicht mehr riecht wie der Dünger für die Palme auf dem Balkon, ja, da ist er wieder sauber. Und was ich gegen muffige Waschmaschinengerüche mache, habe ich jetzt auch raus. Auch sonst- nur lustige Sachen, die man dort hört. Zum Beispiel, dass man Niveadosen sammeln kann. Oder Schweine. Und das man von den Schweinen so circa dreitausend zu Hause rum stehen haben kann. Um sie anschauen zu können, mit Ihnen reden zu können und sie lieb haben zu können. So lieb, dass man nicht eine Nacht weg möchte von zu Hause. Nicht mal, wenn der Ehemann sich schon seit zwanzig Jahren wünscht, einmal London sehen zu können. Nicht mal dann. Entweder er fährt allein, oder er bleibt daheim. Bei dreitausend Schweinen. Das arme Schwein.

Der Titel ist geborgt bei Roald Dahl

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