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20 Oktober 2011

Vor mir der Tag und hinter mir die Nacht

Erster Arbeitstag. Mein Postfach wird geweckt. 03:20 Uhr. Eine E-Mail kommt rein. Betreff: Prüfung. Verschlafen entziffert mein Postfach die ersten Zeilen. Es ist noch gar nicht richtig wach. Das kennen wir ja alle, keiner ist um diese Zeit „richtig wach“. Eher „gar nicht wach“. Mein Postfach ist pflichtbewusst, es nimmt die Nachricht entgegen, erkennt deren Wichtigkeit und holt auch gleich mein Handy aus dem Tiefschlaf, damit dieses, wie ihm aufgetragen, furchtbar laut piepen kann, wenn irgendwas „reinkommt“. Nur fiepen ist bei mir allerdings eher ein niedlicher Versuch. Daher fängt Iggy Pop irgendwann an, mir ins Ohr zu schreien. La-la-la-la-la-la-la-la-la-we love monster men. Das hat schon zu verrückten Träumen geführt. Wenn das Lied gespielt wird, währen dich schlafe. Mittlerweile weckt es mich auch ab und zu auf. Vorgestern zum Beispiel. Da weckte mich das lalalalalala auf. Und das Telefon blinkte fleißig dazu. Eine E-Mail also. Nachts um kurz nach viertel vier. Das würde hier im Übrigen keiner verstehen, ich hab um kurz nach viertel vier eine E-Mail bekommen. Da würde ich alle verrückt machen. Fünf nach 03:00 Uhr c.t. vielleicht noch, aber nicht um kurz nach viertel vier. Dann eher korrekt: 03:20 Uhr. Also ich hab um 03.20 Uhr eine E-Mail bekommen. Betreff: Prüfung. Inhalt: „Sehr geehrte Frau Mitarbeiterin, könnten Sie bitte morgen 10 Uhr die Klausur zum Thema Philosophie, Soziologie und Geschichte schreiben lassen und dann auch schnellst möglich kontrollieren? Ein paar Fragen und einen kleinen Überblick sind im Anhang. LG“. Punkt. Das wars. Was? Im Ernst? Was meint der denn mit Morgen? Heute morgen oder morgen morgen? Das hab ich doch noch nie verstanden. Morgen im Sinne von: Gehen sie jetzt nochmal schlafen und dann morgen, also quasi heut oder morgen im Sinne von: Ich weiß, dass Sie jetzt im Gegensatz zu mir schlafen und deswegen morgen morgen? Hach. Das macht mich verrückt. Wie bekomm ich das raus? Allein sicher nicht. Zu aufgeregt. Ich weiß - Freund wecken. „Du, bist du wach“ ruf ich und schüttel leicht an der Schulter. „Du bist du wach und kannst mir helfen? Hallo? Haallooo? Nein wir müssen noch nicht aufstehen. Kannst dich gleich nochmal umdrehen. Aber kannst du mir erst helfen? Bitte? Biiiittttte!?“ Ein lang gezogenes Bitte und ein Augenklimpern klappt ja meistens ganz gut, aber da ist es tags und ich seh nicht so zerknietscht aus, wie ein Haufen Knete der erst wieder glatt gestrichen werden muss. Da kommt das dann charmant rüber. Da kleine Frau ja Hilfe vom großen Mann braucht. Jetzt siehts eher aus wie „Verrückte Alte schmeißt Mann aus dem Bett“. Die Bild würde das sicher so betiteln. Und groß Skandal in irgendeine Ecke schreiben. Ach was, ich mach schon wieder einen Elefanten. Er ist jedenfalls gnädig und hilft mir doch. Seufzt zwar dabei, liest, verleiert leicht die Augen beim Zurückreichen des Telefons und meint beim Umdrehen nur: Man, da steh doch nen Datum bei. Ach gucke mal, tatsächlich. Da unten beim Anhang. Hui, da bin ich ja beruhigt, da habe ich also einen ganzen Tag um mich ins Thema Philosophie, Soziologie und Geschichte einzulesen. Na das wird ja reichen. Mit Sicherheit. Sicher. Ganz sicher.
30 Stunden später. Ich stehe vor verschlossenen Türen und erinnere mich an die Aussage der Verwaltung: Hier funktioniert alles automatisch. Wobei ich mit Verwaltung nicht die Verwaltung im Sinne von dem Haus sondern im Sinne vom Gesicht, das drin sitzt, meine. Und dieses Gesicht mit automatisch, das es hier keine Schlüssel oder dergleichen gibt, sondern alle Türen von der Zentrale geöffnet und geschlossen werden. Das macht mir ein bisschen Angst. Da darf ein kleiner Rechner entscheiden, ob ich hier rein darf oder nicht. Der heißt sicher Skynet. Und will irgendwann die Weltherrschaft an sich reißen. Muhahaha. Aber doch noch nicht jetzt. Nicht heute. Ich versuch verzweifelt, diensttreu wie man bereits jetzt schon ist, das Problem zu lösen. Was dann so aussieht:
Ich (gehetzt, in der Verwaltung): „Die Tür geht nicht auf. Noch nicht. Öffnet die erst ab einer bestimmten Zeit?“
Er (gelassen): „Nein. Sollte auf sein. Aber die Technik funktioniert schon seit ein paar Tagen nicht mehr.“ Ja, so ist das bei Skynet, ganz langsam kommt es an die Macht, bis es uns eines Tages überrumpelt. „Drücken sie mal auf den Rollstuhlbuzzer, damit kann man die Technik oft reinlegen.“
Ich renn zurück zur Tür. Der Kampf mit der Tür beginnt. Such den Buzzer. Find den Buzzer. Drück den Buzzer. Nichts bewegt sich. Skynet hat dazu gelernt. Ich renn zurück. In hohen Hacken.
Ich: „Nein, der Buzzer funktioniert nicht mehr. Da muss unbedingt jetzt ganz schnell ne andere Lösung her.“
Er (immer noch gelassen): „Gut dann probieren Sie es doch mal mit der Kreditkarte hier.“
Ich guck doof, aber nehm die Karte mit. Steck sie zwischen Tür und elektronischen Sicherheitsschlitz (was weiß ich, wie das Ding heißt) und die Tür ist offen. Tataaa! Feiert mich. Ich kann Türen knacken. Yeah. Bleibt noch genug Zeit meinen Raum zu suchen. Hui, gleich der erste und größte Hörsaal isses. Um so viele Menschen soll ich mich also kümmern. Okaayyy…. Ruhe bewahren. Toilette suchen. Schön die schweißnassen Hände mit eiskaltem Wasser waschen, da geht’s schon wieder besser. Ich komm raus und sehe was? Die Tür ist zu. Draußen ein Wartender. Ich lass ihn rein, geh dabei selbst raus, die Tür fällt ins Schloss und ist was? Geschlossen. Und der Trick mit der Kreditkarte klappt nicht nochmal. Scheiß kluges Techniksystem. Ich renn also wieder zurück. Immer noch in hohen Hacken. Mittlerweile tuts ein bisschen weh.
Ich (keuchend, die Haare stehen zu allen Seiten ab): „Das mit der Karte hat geklappt, aber nur einmal.“
Er (leicht genervt): „Gut ich komm mit und schau mir das mal an.“
Wir hetzen beide zurück zur Skynettür. Geht nicht auf. Nicht mit Rütteln, nicht mit Buzzer, nicht mit Kreditkarte. Na so was. Ist ja nicht so, als hätte ich das gesagt. Gut, dass der eine Wartende schon drin ist und sich amüsiert. Er kann wenigstens was Sinnvolles tun und die Tür noch von innen aufmachen. Danach muss, wie in den alten Zeiten auch, ein Stuhl zwischen die Tür und den Türrahmen gestellt werden. Das funktioniert erstmal. Überhaupt, ich mag die alten Zeiten. Aus denen hab ich noch so kluge Erinnerungen mitgebracht, wie: Alufolie an die Antenne und schon ist der Empfang wieder da (Ätsch bätsch Kabelfernsehen, dich braucht gar keiner!), frische Melisse aus dem Garten und schon sind die Bauchzwicken weg (muhaha viel zu teurer Apothekentee) oder … na gut,, so viele kluge Ratschläge hab ich nicht parat. Ich war ja auch noch sehr klein, in der guten alten Zeit. Da konnte ich mir noch nicht so viel merken. Aber die Kreditkarte hat geholfen und der Stuhl tut seinen Dienst jetzt auch. Zehn Minuten sind es noch bis zum Veranstaltungsbeginn. Der Wartende hat inzwischen gemerkt, dass er falsch ist, und ist wieder gegangen und ich bin wieder allein allein. Neun Minuten noch und jetzt acht. Gleich Sieben. Immer noch niemand in Sicht. Was tun? Peinlicherweise fällt mir nur eins ein. Ich renn zurück.
Ich (völlig aufgelöst): „Den Raum, den hab ich aber nicht zufällig verwechselt?“
Er: „Nein sie standen schon vorm Richtigen.“
Ich renn zurück, kletter über den Stuhl und schau auf die Uhr. Punkt zehn Uhr. Immernoch gähnende Leere. Ich warte. Drei Minuten. Fünf. Zehn. Jemand kommt. Einer. Aber immerhin. Ich freu mich. Die ersten zwei Sätze zeigen: Er erwartet hier etwas ganz anderes. Eine Vorlesung. Hmpf. Da kann was nicht stimmen. Was tu ich? Am liebsten würd ich mir die Schuhe ausziehen. Die Füße bluten schon. Aber was bleibt? Ich renn zurück.
Ich (mittlerweile völlig am Ende): „Da wurden wirklich keine Räume verwechselt. Denn da ist niemand. Nur einer. Und der will was ganz Anderes.“
Er (hat jetzt Mitleid, tippt in den Computer und sucht): „Nein, wirklich keine Verwechselung.“
Ich kehre niedergeschlagen zurück. Schick den Wartenden nach Hause, hier findet heut keine Veranstaltung statt. In keiner Weise. Ich kletter erneut über den Stuhl, geh in den Hörsaal und lösche das Licht. Den Chef informier ich kurz telefonisch über diese Pleite, hole meine Tasche und rutsche auf einer riesigen Pfütze aus. Herrlich, niemand da, aber eine Pfütze mitten im Raum. Die kommt ja nicht von irgendwoher. Sondern. Aus meiner Tasche. Meine Wasserfalsche ist ausgelaufen. Und da lässt sich nicht mehr viel retten. Mein Portemonnaie ist sacknass, das Geld und die Fahrscheine müssen erst irgendwo trocken. Die Klausurunterlagen sind zu nichts mehr zu gebrauchen. Hat es doch, was Gutes das niemand gekommen ist. Denn das wär ja peinlich gewesen, in der ersten Woche gleich so ein Ding. Haha. Wisst ihr was, was solls. Ich nehm den Stuhl aus der Tür und geh nach Hause.

Der Titel ist geborgt bei Jakob Hein

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich mag deine Geschichten :-)

Dieses Mal hat sich ein kleiner Tippfehler eingeschlichen: Du meinst sicher fünf nach 3.00 c.t. (nicht nach "s.t.") :-)

seleneos hat gesagt…

au ja, das stimmt. Wird sofort und unverzüglich geändert! Vielen Dank (für beides!)

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