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09 Dezember 2011

Der Freund und der Fremde

Mir wird immer mal wieder hinterher gesagt, ich sei sozial nicht besonders aktiv, ich würde Menschen aus dem Weg gehen, wo es nur geht und könnte ich es nicht vermeiden, würde ich mich nicht von der Schokoladenseite präsentieren. Absichtlich. In den letzten Wochen habe ich daher mal etwas anderes ausprobiert. Ich habe Menschen getroffen. Viele und mir bis dahin völlig unbekannte Menschen. Große, kleine, junge, alte, hübsche, ja auch hässliche, ganz besonders kluge und eher normal intelligente, gelangweilte, frustrierte, euphorische, erfolgreiche und zufriedene Menschen. Bemerkenswert waren dabei zwei Treffen: eines mit einer Truppe Fotografen (und mir), ein anderes mit einer Gruppe Juristen (und solchen, die es mal werden wollen). Das möchte ich gern vergleichend nebeneinanderstellen.
Bei einem Treffen mit völlig fremden fotobegeisterten Leuten ist es rundweg normal, das man sich duzt und zur Begrüßung erstmal feste umarmt. Man redet sich mit lustigen Kosenamen an, die man nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Kameras gegeben hat. So ist es eigentlich ein Treffen zwischen den Fotografen: Time, Secret, rollendes Auge, Particula, Froillein, Seleneos und Violess sowie den Kameras: Sonny, Cher, Holger, Spinner, Eva und Minotaurus. Two-face konnte ich noch nicht mitbringen, da dieser noch im Schaufenster steht, aber das nächste Mal ist er dabei.
Bei Juristen ist das anders. Da braucht man erstmal drei Tage Vorlauf, um herauszubekommen, wer geduzt und wer gesiezt werden möchte, was nebenbei bemerkt unheimlich schwierig ist, wenn man die Jüngste in der Runde ist und damit nicht das Recht hat mit dem Duzen anzufangen und wer auf seinen Titel besteht. Manche weisen einen dezent mit einem„..und Sie sind noch mal?“ darauf hin, andere schreiben ganz Kerzengeradeaus, das sie auf das Honorativum bestehen. Nachdem man nachgeschlagen hat, was einem damit gesagt sein soll, ist man bei den nächsten Anreden ganz vorsichtig, siezt und bekommt dennoch einen Anpfiff weg, weil man sich ja anscheinend für was Besseres hält. Die persönliche Begrüßung vor Ort: ein förmliches Händeschütteln. Man redet sich mit „Herr“ und „Frau“ an und wird als Dame bezeichnet.
Mit den Fotografen geht man in ein wundervolles Lokal voller einzelner Stühle, Kinder mit Strickpullis und Eltern mit Zahnlücken. Voller schiefer und gerissener Kacheln an den Wänden, die sofort aufgenommen gehören und zwei Wochen später als Kunst käuflich zu erwerben sind. Voller Flyer, Postkarten und Kunst. Ohne Tapete, Tageskarte und Tischdecken. Ohne zweites Besteck, Gardinen und Servietten.
Mit den Juristen geht man zum besten Italiener. Nicht wieder den vom letzten Mal, denn der war unzumutbar. Allein wenn man das Haus betreten hat, mussten einem sofort die schlecht verlegten Teppichleisten ins Auge springen. Die Weinkarte darüber hinaus war desaströs. Und über die Küche den Mantel des Schweigens zu hüllen, war schon des Lob zu viel. Deswegen dieses Mal ein Anderes. Ein Besseres. Mit reservierten Tischen, da man sonst keinen Platz bekommt. Mit frischen Blumen auf den Tischdecken und schweren roten Vorhängen vor den Fenstern. Mit klassischer Musik zur Untermalung. Mit silbernem Besteck. Und Ledersesseln. Und Glastüren. Und einer großen Auswahl an nicht vegetarischen Gerichten. Hier isst man Vorspeisen. Variationen einer Vorspeise heißt das. Luftgetrocknetes Rinderfilet und Parmaschinken. Kalbfleisch und Thunfischcreme. Dazu den besten Rotwein. Und leider zu wenig Brot. Unmöglich, so wenig Brot anzubieten. Zum Hauptmenü gibt es frisches Lamm, Involtini alla genovese oder Scaloppine al vino bianco. Da man sich sonst nichts gönnt, gibt es auch eine Nachspeise. Die Portionen sind ja immer so klein in so edlen Restaurants. Da muss eine Portion Tiramisu hinterher. Und ein doppelter Espresso, ach was sag ich, ein dreifacher. Und damit der Abend noch lustiger wird: ein Gin Tonic.
Mit den Fotografen isst man, was gerade da ist. Rührei. Dazu ein Kaffee und ein Traubensaft. Wer dann noch Hunger hat, der teilt sich nachher eine Donauwelle, die man sich irgendwo auf der Straße besorgt. Aber zum Essen hat man sich ja auch nicht getroffen. Man will quatschen, quasseln, faseln, geigeln, schwafeln, knipsen, lästern, anmerken, helfen, bewerten, belohnen, übereinander stolpern, Zeit in die Länge ziehen und dann gemeinsam totschlagen, lachen, toben, staunen, sich nicht vergessen, Wellen schlagen, verlaufen und nicht wieder raus finden, rote Fäden stricken, über den Tellerrand und den großen Teich gucken und ganz bestimmt wieder sehen.
Juristen reden. Nein nicht einmal das. Sie diskutieren. Über den konkreten Zeitpunkt der Übereignung einer Serviette zum Beispiel. Über den witzigen Versuch eine Kondiktion zu kondizieren. Das muss man sich mal vorstellen. Über die Frage, ob es ein Treu und Glauben auch im Case Law gibt. Und wenn ja, warum das so ist. Oder warum nicht. Über Haakjöringsköd, invitatios, actio libera in causas. Und Eigentum, meins und deins. Und darüber, dass man ziemlich Avantgarde ist. Ungewollt natürlich, aber was kann man dagegen schon tun. Damit ist man gebeutelt. Ein Leben lang. Ein Kreuz, das man zu tragen hat.
Nach dem Essen gehen fotografierende Leute raus. Bei Wind und Wetter. Stolpern über Männer in Schlafsäcken, nehmen ein Bußgeld von 4000 € in Kauf beim Füttern von Möwen (man kann sich ja reinteilen), fragen Darth Vader wies mit den Eroberungszügen so aussieht und laufen ein Stück mit ihm, schauen sich Pampers Babys an, taumeln über die Kirmes und übergeben sich gemeinsam beim „bloß dran denken, man müsste da jetzt rauf“, wischen Rasierschaum von Wänden, fahren schwarz, kaufen ein A.
Was Juristen nach dem Essen machen, kann ich leider nicht beantworten. Um das rauszufinden, hätte ich bleiben müssen. Aber ich hatte die Ausrede schon ausgepackt. Nicht langsam wie man das zu Weihnachten macht, sondern hektisch aufgerissen. Mitten im heiteren Gespräch über Erlaubnistatumstandsirrtümer (meine Güte, mein Word kennt dieses Wortungetüm sogar) ist mir eingefallen, dass ich meinen Zug bekommen muss. Der Letzte heute Abend. Ja leider. Aber das nächste Mal. Ganz sicher. Bestimmt.
Nach dem einen Treffen habe ich den Ruf verrückt, nach dem anderen Treffen, den Ruf militant zu sein. Ich weiß jetzt, was ich werden will, wenn ich mal groß bin. Verrückt.

Der Titel ist geborgt bei Uwe Timm

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