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03 Dezember 2011

Der graue Alltag der Revolution

Mein Telefon blinkt. Schon wieder. Mittlerweile bin ich daran gewohnt. Es löst keine Schweißausbrüche mehr aus. Langsam bekomme ich Routine. Ich halte achtundvierzig Minuten lange Gespräche mit Kollegen aus, die ich noch nicht mal kenne und habe gelernt viele Gedanken die ich dabei habe („Man, wie oft willst du das noch wiederholen?“, „Boah, is jetzt nicht dein Ernst, dass du mir erzählst, du seist unheimlich klug, denkst aber Erfurt läge in Sachsen Anhalt- hast du sie noch alle?“, „Echt, halt jetzt die Klappe, leg auf, geh weg, ich mag nicht mehr!“) bei mir zu behalten und dabei freundlich „Aha“ zu sagen und nebenbei meine E-Mails zu checken. Alles ganz easy jetzt. Auf Durchzug schalten muss gelernt werden, geht aber einfacher als man denkt. Also befürchte ich eigentlich nichts, wenn das Telefon blinkt. Im Gegenteil. Der Anruf jetzt, der kommt aus der Heimat. Da kann nichts passieren. Da wohnen nur gute Menschen. Bis auf zwei. So groß ist die Problemzone Ost eigentlich gar nicht. Aber, die Begrüßung von der fremden Stimme erfolgt dennoch recht kühl:
„Sagen Sie mal, wie siehts denn aus? Bezahlen Sie auch mal ihre Rechnungen?“
Die Frau ist aus allen Wolken auf mich drauf gefallen. Ich bin kurz platt wie eine Briefmarke. Muss mich sammeln. Die E-Mails beiseitelegen und mich konzentrieren.
„Schönen guten Morgen, mit wem spreche ich denn bitte?“
„Mit ihrer Buchhandlung!“
„Aha. Und bei Ihnen werden nicht alle Rechnungen beglichen?“
„Ja, und zwar von Ihnen!“
„Tatsächlich? Von mir? Was sollte ich denn bezahlen?“
„Na die Bücher, die wir an Sie geschickt haben. Das waren in den letzten drei Monaten zwei Stück.“
„Aha. Ich hab hier zwei Lieferungen von Ihnen, die sind allerdings seit (ich bin wieder in der Lage nebenbei im Internet zu surfen und schaue meine Konotbewegungen nach) – hier haben wir es – vier Wochen und drei Tagen bezahlt. Ich schulde Ihnen nichts.“
„Doch doch doch. Und ob sie das tun. Von den zwei Lieferungen rede ich nicht. Da sind die Zahlungen eingegangen. Vielmehr von den anderen zweien.“
„Welche anderen „zweien“?“
„Na denen von denen in den letzten drei Monaten!“
„Für sie gern noch mal. Die Zwei sind beglichen!“
„Nein.“
„Doch!“
„Nein.“
„Doch.“
Das zieht sich jetzt ein paar Minuten hin. Dann denk ich mir aber, es wär mal an der Zeit zu zeigen, dass ich noch mehr Wörter kann.
„Anders gefragt- wie lang bin ich bei Ihnen Kundin?“
„Seit acht Jahren!“
„Aha. Und in der Zeit hab ich wie viele Rechnungen offen gelassen?“
„Ganz klar- zwei. Die von den letzten drei Monaten!“
„Jetzt hören Sie doch mal damit auf und bleiben ernsthaft. Außer diesen angeblichen zwei Lieferungen also keine in den letzten acht Jahren. Ich finde das spricht schon sehr für mich!“ „Nein, die Letzten wurden nicht bezahlt!“ Sie nennt mir sicherheitshalber die Sendungen, um die es geht.
„Gute Frau, dass, was sie mir da nennen ist, bei mir nie angekommen!“
„Na und? Zurück zu uns ist es auch nicht gekommen! Also bezahlen sie bitte die Rechnungen!“ „Ähm, wenn die Lieferung nicht bei mir ist, dann auch nicht die dazu gehörige Rechnung. Das ist nachvollziehbar, oder?“
„Mir egal, bezahlen Sie die Rechnungen. Und die Mahngebühren. Sie halten es ja nicht mal für nötig auf Mahnungen zu reagieren. Also kommt dass natürlich noch dazu.“
„Okay gute Frau. Wissen sie, was sie mir das geschickt haben?“
„Gesetzbücher.“
„Aha. Worauf könnte das wohl schließen? … Richtig. Sie können mich hier nicht verarschen!“
„Na aber die Rechnungen, die sind nicht beglichen.“
„Mir doch Hupe. Ich bin doch nicht da um ihre mangelnde Buchhaltungsleistung auszugleichen.“ Tut … da hat sie einfach aufgelegt. So was. Ich bin doch nicht etwa zu weit gegangen. Dabei war ich doch noch sachte. Da wär noch was drin gewesen. Zu viele haben in den letzten Wochen gedacht, die können mich veralbern: Zum Beispiel der potenzielle Arbeitgeber, der mich wegen zu schlechter wissenschaftlichen Leistungen abwürgt mit „sie haben ja noch nicht mal nen VB“. Und den hab ich ja wohl doch. Das hab ich ihn dann auch an den Kopf geworfen. Mit dem Hinweis, man möge bitte zeitgleich auch beachten, dass ich nicht im Wünsch-dir-was-Land Hessen oder Kauf-dir-ein-Exmanen-Land Hamburg studiert habe. Oder mein Telefonanbieter, der mir mal völlig ohne Berechnungsgrundlage 70 € auf die Rechnung schlägt. Die ich nach einer Kündigung mit Pauken und Trompeten zurückhabe. Oder … Das Telefon klingelt erneut. Nummer aus der Heimat. Erneut.
„Was denn noch?“
„Ja also wir haben uns jetzt entschieden, wir schicken Ihnen das noch mal zu!“
„Ach was?“
„Ja also aber ich möchte auch betonen, dass das eine reine Kulanz von uns ist. Also das wir Ihnen die Ware noch mal schicken. Immerhin können Sie nicht nachweisen, dass die Ware nicht bei Ihnen angekommen ist. Das müssen Sie ja auch mal beachten!“
„Ich muss bitte was? Ich glaub hier platzt gleich der Mond! Das ist Kulanz? Das nennen sie Kulanz, dass ich nur die Dinge bezahlen muss, die ich auch erhalte? Schon mal was von Schickschuld gehört? Von Gefahrtragung? Von unbestellt zugesendeten Waren? Von unlauteren Wettbewerb? Von Verbraucherschutz? Vom Gesetz so im Allgemeinen?“
Tut tut tut. Tut tut tut. Wieder aufgelegt.

Der Titel ist gemopst bei Horst Evers

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