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26 April 2013

Alle sieben Wellen



Bald ist Halbzeit. Und ich kann immer noch nicht glauben, dass ich am anderen Ende der Welt sitze. Vielmehr suche ich nach den Holzstützen hinter der vermeintlichen Kulisse. Es ist unfassbar, wie mich dieses Land aus der Bahn wirft. Morgens wache ich auf, weil mich die bereits jetzt rot glühende Sonne an der Nase kitzelt, und das Erste was ich sehe ist der Ozean. Ein gut riechender, salzig schmeckender und funkelnd glitzender Ozean, den ich nicht mehr hergeben will. Der mir freigiebig seine größten Schätze zeigt und mich mit kunstvollen Küsten lockt, mich aber auch gewalttätig in die Tiefe drückt und dabei gefühlte Minuten lang atemlos macht. Der Freiheit verspricht und doch immer wieder zurück kommt. Zu diesem Land voll von verrückten, bunten, liebenswerten, offenen Menschen. Voll verrückter, bunter, fremdartiger, neugieriger Tiere. Voll von schwindelerregenden Bergen, schwindelerregenden Brücken und schwindelerregenden Dünen. Frei von TÜV, Pudelmützen und Elektronikfachgeschäften. Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, dass ich auch zurückkommen möchte, da ich momentan noch nicht daran denken mag, überhaupt gehen zu müssen. Auch wenn natürlich nicht alles perfekt ist. Die Sicherheitsbedenken lassen sich nicht von der Hand weisen. Im Dunkeln zu Hause sein zu müssen, trifft mich nicht allzu hart. Nicht ordentlich Fahrrad fahren zu können hingegen schon. Der Verschleiß an Fahrrädern und deren Zusatzteilen ist sehr hoch. Von drei Fahrrädern und vier Schlössern wurden bereits zwei Schlösser und ein Rad geklaut, was einen sehr langen und temporeichen Fußmarsch in der Abenddämmerung zur Folge hatte. Beim zweiten Rad konnte man den ersten, zweiten und dritten Platten noch verkraften, aussetzende Bremsen am Berg hingegen nicht. Das dritte Rad leidet darunter regelmäßig die Pedale zu verlieren, da es an passenden Muttern zur Befestigung mangelt. Ich könnte es in Betracht ziehen zu Fuß zu gehen, was aber an zu großen Distanzen und daran scheitert, als deutsche Juristin und damit als mögliches Raubziel sofort erkannt zu werden. Ich kann es nicht mehr an meinen Fingern abzählen, wir oft ich diesbezüglich schon identifiziert wurde. Und vor allem wie schnell. Im Durchschnitt liegt die Quote unter einer Minute. Das hat irgendwie was Deprimierendes, weil ich mir bisher immer erfolgreich eingeredet habe eben kein Stereotyp zu sein. Die Möglichkeit sich den ersten eigenen Wagen anzuschaffen scheitert am Geld, was ich mittlerweile ja allen, das heißt eigentlich dem einen, Fahrradhändler vor Ort in den Rachen geworfen habe. Und so radel ich vorerst weiter mit einem Pedal durch die Stadt und werde meinem Ruf als „crazy bicycle lady“ gerecht. Der andere anzusprechende, nicht so perfekte Punkt ist eigentlich selbst verschuldet und betrifft das Essen. Als auf Milchprodukte allergisch reagierende Vegetarierin hat man es nicht leicht. Denn die Menschen hier lieben zwei Sachen: Fleisch und Milch. So sehr, dass am Quängelregal der Kassen neben Snickers und Zuckerbonbons auch ein umfangreiches Sortiment an Trockenfleisch hängt. So sehr, dass man beim Bäcker scharf darauf achten muss keine mit Nierchen gefüllten Teilchen zu erwischen. So sehr, dass sich vorm Besuch eines Restaurants die Frage lohnt, ob überhaupt eine Speise ohne Tier auf dem Plan steht. So sehr, dass es hier mehr KFCs als Tankstellen gibt. Aber dem Fleischwahn kann man noch entgehen. Mit der Milch, da wird’s schon schwieriger. Da fällt der morgendliche Kaffee weg, es sei denn, man steigt endlich mal auf die Männervariante um und trinkt schwarz. Ebenso hat man auf Butter, Käse, Joghurt, Quark, Brötchen und vor allem Schokolade zu verzichten, von denen man zu Hause prima Ersatzprodukte gewöhnt war. Ehrliche, unverarbeitete Lebensmittel gibt es kaum. Selbst Reis, Couscous und Frühstücksflocken gibt es nur in verarbeiteter Form und natürlich mit extra Laktose zugesetzt. Ist man jetzt noch pingelig, was das extrem süße Essen angeht, umfasst der Verzicht auch Fruchtsäfte, Ketchup und Marmeladen. Da bleibt nicht allzu viel für den Küchentisch. Mein Speiseplan besteht daher aus gekochten Haferflocken, einer Unmenge an Eiern und Senf, Nudeln, Roibuschtee, Knäckebrot, roten Bohnen, weißen Bohnen, grünen Bohnen sowie dem Obst und Gemüse, was es gerade gibt. Wobei man sich auch daran gewöhnen muss, dass „was es gerade gibt“ auch so gemeint ist. Jeden Tag das gleiche Angebot wie bei uns ist halt nicht drin. Aber ehrlich gesagt, dieser Ozean, dieses Land, das wiegt das alles mit links wieder auf.

Der Titel ist gemopst bei Daniel Glattauer

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