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02 Februar 2010

Lauter ehrbare Leichen


Da lieg ich nun mit dem Rücken auf dem Teppich, wie ein Buch, dass keiner mehr lesen will. Und warum? Weil es bequem ist? Nein. Ich habe das meinem genetischen Defekt zu verdanken, der mich zeitweise zu einer Invalidin macht. Dass ich nicht mehr in der Lage bin, mal bei Olympia eine Medaille zu holen, weiß ich, seit ich nach einem halben Jahr Handballtraining keinen Schritt mehr gehen, und der Doktor mir nach sämtlichen möglichen Operationen nur verkünden konnte: das mit dem Sport, das wird nix mehr. Schwimmen und Rad fahren, dass is noch okay, aber alles andere kann ich mir in die Haare schmieren. Na gut, ich hab mich arrangiert. Nur klappt es momentan öfters nicht mal mit dem normalen Stehen. Ein irres, beängstigendes Gefühl, wenn einem im Stand der Fuß wegbricht. Rumms und man liegt quer auf dem Teppich. Ab dem Oberschenkel abwärts: kein Gefühl. Drei Wiederaufstehversuche zeigen keinen Erfolg. Mein tipping point: mein Knie! Es zwingt mich auf dem Boden liegen zu bleiben und darauf zu warten, dass das Gefühl wieder kommt. Die Blase ist dabei fast am Platzen und die Tischkante grinst mich doof an. Die Sau. Fast hätte sie mich erwischt und mir ein Auge ausgestochen. Was dann passiert wäre, kann ich mir gut ausmalen. Quälend langsam verblutet wär ich. Niemand hätte es mitbekommen, bis der Geruch die Nachbarn stutzig gemacht hätte: Das kann nicht nur von den toten Pflanzen kommen. Naja, sind wir mal ehrlich, so wissen wir das das Leben endlich ist, seit dem der Hund den man hatte erschossen und die Katze von Nachbars Groll totgeprügelt wurde. Mit dem kleinen Bündel wurden da sogleich die guten Hoffnungen begraben. Ab da wissen wir, dass alles Gute und Schlechte ein Ende nehmen wird, aber wahrnehmen werden wir es deshalb noch lange nicht. Mit Absicht wird es zwanghaft mit Lineal und schwarzen Edding aus dem Kopf gestrichen. Bis man sich in solch einer Lage befindet, wie ich im Moment. Dann fragt man sich, was eigentlich passiert wäre, hätte einen der Tisch erwischt. Und ich wäre kein guter Jurist, wäre ich nicht, nachdem der Fuß wieder mit Leben behaucht war, anstatt aufs Klo zu meinen Gesetzen gegangen, um der Frage auf den Grund zu gehen. Denn auch der Tod wird hier in 39 Paragrafen geregelt. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass man in einem Flugzeug stirbt und nach der Landung noch identifizierbar ist. Grundsätzlich also ein feines Gesetz, weil es gerade auch die wichtigen Dinge regelt, nämlich die, bei denen es ums Geld geht. Dass Friedhofsunterhaltung nichts mit einem jährlich wiederkehrenden Zirkus zu tun hat, sondern immense Kosten nach sich zieht, kann man erahnen. Nur muss ich jetzt meinen Großeltern, als ältesten meiner Verwandten erklären, dass sie für den Spaß aufkommen müssen. Und dass auch dann, wenn man von mir nur einen Kopf oder Rumpf findet, denn auch das ist eine Leiche im juristischen Sinne (ganz im Gegenteil zu einem Neugeborenen unter 500 Gramm, was noch nicht geatmet hat- die können zu medizinischen, pharmazeutischen oder wissenschaftlichen Zwecken verwendet werden oder in einer Sammelbestattung „würdig bestattet“ werden ... menschlich sind Gesetze eben nicht), jedenfalls dann, wenn der Tod durch einen Arzt festgestellt wurde. Und das ist immer nötig, es sei denn, man ist ein Skelett, bei dem man sehen kann, dass keine Lebenszeichen mehr vorliegen. Wie will man da auch den Puls messen. Leichen ausgraben ist nicht erlaubt steht daneben und die Beerdigung selbst, das geht nur als Feuer- oder Erdbestattung auf Friedhöfen. Mehr nicht. Dabei waren meine beiden Favoriten bisher entweder die ökologische Variante der Schockeinfrierung und Zerstoßung oder die, dass man meine Asche zu einem Diamanten presst. Damit der Nachwelt was Schönes hinterlassen wird. Wobei ich mir da jetzt erstmal Gedanken machen muss, wie es dann mit der Pfändbarkeit wäre …

Titel: Lauter ehrbare Leichen
Autor: Maggie Gibson
Verlag: Ullstein tb
Preis: € 7,70


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