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15 August 2010

Die Normalen

„Mensch, man sieht dir richtig an, was du studiert hast!“ Das sollte ein Kompliment werden. Ging aber eher nach hinten los und bewirkt nur, dass ich mich für den Rest des Tages in meinem Büro verkrieche und darüber nachdenke, wie ich diesen Eindruck demnächst verhindern kann. Weil, um ehrlich zu sein, das nimmt mich schon mit. Weil ich nicht aussehen mag, wie jemand mit hochstehendem rosa Hemdkragen oder weißen Lederstiefelchen. Denn das ist mein Vorurteil von jemanden, der das Gleiche studiert hat, wie ich. Wobei es ja kein Vorurteil mehr ist. Man hat diese Leute ja täglich gesehen, in der Bibliothek oder der Mensa (in denen ich mich dann auch dementsprechend selten aufgehalten hab). Und nur selten jemanden getroffen, der sich in Turnschuhen und schwarzen Kapuzenpulli genauso wohlgefühlt hat, wie man selbst. Was dazu geführt hat, dass man gerade diese Menschen sofort und auf der Stelle ins Herz schließen musste. Womit ich eigentlich in allen vier Fällen auch richtig lag.
Dennoch führt irgendwann kein Weg vorbei und man muss Pulli und Turnschuhe in die „euch kann ich leider nur noch in der Freizeit tragen“-Ecke verschieben. Anders wird man ja nicht ernst genommen. Wie soll jemand wissen wie man einen Kaufvertrag wieder aufhebt, wenn er es nicht mal schafft, sich von Jeans und Kaugummi im Mund zu trennen. Geht nicht. Ich mag die Überflussgesellschaft voller Vorurteile. Man.  Und so schmoll ich vor mich hin. Bis der Chef gegen Feierabend rein kommt und fragt: „Stink’ ich?“ So. Was soll man antworten, wenn so eine Frage aus heiterem Himmel an den Kopf geworfen wird. Man könnte das alles für einen Schabernack halten, froh und munter auf ihn zugehen, den Arm nach oben reißen und antworten: „Nicht so sehr wie ich!“ Oder man könnte pietätvoll sein, oder es versuchen und leise antworten: „Acht Stunden Arbeit gehen an niemandem spurlos vorbei und ihnen riecht man den Stress hier kaum an.“ Aber man fühlt sich eher, als wäre die harmlose Frage, ein schwerer Ziegelstein, der das Denken für kurze Zeit ausschaltet und die eigene Farbe auf die Gesichtshaut überträgt. Also wird man puterrot ob der unerwarteten Intimität und schüttelt einfach nur wortlos den Kopf, wartet darauf, dass er aus der Tür verschwindet und atmet auf. Noch mal Glück gehabt. Und das wirklich. Denn von draußen hört man nur noch im Gehen den leiser werdenden Kommentar: „Hätte mich auch gewundert, der Kommentar vorhin war doch nicht so ernst gemeint!“ Stink ich? Stinkich? Stinkig? Ahhhhh. Ach so, war das gemeint!

Titel: Die Normalen
Autor: David Gilbert

2 Kommentare:

DerKunzler hat gesagt…

Sei froh, wenn man es dir nur ansieht. Schlimmer ist es, wenn sie dir sagen: Man HÖRT es Ihnen richtig an, was Sie studiert haben...
Ich sag's immer wieder_ studieren versaut den Charakter...

seleneos hat gesagt…

:-) Na, auf den Kommentar warte ich auch noch, aber den bekommt man nicht von Kollegen zu hören, oder jedenfalls tendenziell sinkend... ;)

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