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20 April 2011

"Schön!"


Der Nachteil daran ein Teilzeitkrüppel zu sein ist, dass man ein Krüppel ist. Man kommt mit seinen Gehhilfen zwar irgendwie von A nach B, aber eben nur irgendwie. Ich habe zum Beispiel seitdem die Krücken erneut in mein Leben getreten sind keine einzige Grünphase an den Fußgängerampeln geschafft. Stampfend mit einem Bein steh ich dann in der Mitte der Straße, angehupt von links und rechts, und gebe mir redliche Mühe nicht zu schimpfen wie ein Rohspatz. Dabei ist wirklich alles schlimm. Wenn ich zum Bus rennen will, muss ich jetzt zehn Minuten eher losgehen, um dann schneller zu humpeln, wenn er um die Ecke gefahren kommt und ich noch am Fußgängerüberweg bin. Im Bus muss ich mir Hilfe von Leuten anbieten lassen, die mich siezen („Darf ich Ihnen behilflich sein?“ und das von einem der vielleicht gerade die Zwanzig erreicht hat!) wenn ich versuche meinen Fahrschein aus der Hosentasche zu angeln. Außerdem machen mich die Krücken schizophren. Wenn ich jetzt vor die Tür gehe, packe ich mein Portemonnaie aus. Kein Geld, kein Führerschein, keine EC-Karte. Ich fühle mich als leichtes Opfer. Dabei müsste ich das gar nicht. Beim Aussteigen aus dem Bus hat mir letztens ein Typ eine Krücke weggetreten, damit er schneller aus dem Bus kommt. Da ich schon leicht aggressiv vom erneuten gesiezt werden war, kam die Reaktion wie aus dem Nichts: Die unteren Gumminipsel der anderen Krücke landeten in der Hacke des Jungchens. Und ich konnte zum ersten Mal seit langen ohne Hilfe stehen. Er nicht mehr.
Was ich eigentlich sagen will- es ist zum großen Teil undankbar mit diesen Stützen. Aber Vorteile hats durchaus. Während andere in gekühlten Büros sitzen, Kopiererluft einatmen und bitteren Kaffee trinken müssen, lieg ich bei der Oma im Garten, lass mir die Sonne ins Gesicht und auf die Beine scheinen. Die Beine sehen mittlerweile lustig aus, da eines aufgrund des wochenlangen Rumhängens nur noch aus Knochen und Haut besteht, das andere aber aufgrund wochenlanger Übernutzung wie ein Baumstamm ausschaut. Ich versuche also Strich und Stamm zu bräunen, habe ein Buch in der Hand und hör den Vögeln beim lustigen Zwitschern zu. Bis:
„Hey, ich hab rein zufällig gesehen, dass du heut hier bist, da bin ich einfach mal vorbeigekommen. Ist doch nicht schlimm oder?“ fragt sie und hält dabei ihr frisches Kind auf dem Arm. Ach herrje. Jahrelanges erfolgreiches Aus-dem-Weg-gehen hat jetzt ein Ende. Ich gerate in eine Schockstarre. Sie hält mir eine Hand hin. Okay, damit will sie mir was sagen. Was, verflucht was? Ah. Man schüttelt sich die. Ich soll also meine hinhalten. Gut das war eine Hilfe. Gemacht. Puh, das war knapp. Und jetzt? Soll ich was sagen? Das is nicht fair. Ich kann nicht smalltalken. Wirklich überhaupt nicht. Das hab ich vor ein paar Tagen wieder gemerkt, als mir mein Chef erzählte er werde Papa und ich mit einem gelangweilten „Aha. Schön!“ reagierte. Erst geschlagene vierzig Minuten später, als er mich nach Hause fuhr viel es mir ein: Man gratuliert da ja! Verdammt! Okay, wie komm ich da raus?! Ich muss mir was überlegen. Denke, denke, denke. Und ich hab mir was Dolles einfallen lassen, das klang dann so: “Nicht das Sie denken ich will nicht gratulieren, aber nachdem ich jetzt Fehlgeburten und plötzliche Kindstode bei Bekannten mitbekommen habe, warte ich damit lieber bis alles in trockenen Tüchern is!“. Noch im Sprechen könnt ich mir dafür die Hand auf die Stirn schlagen. Das war schlecht, schlecht, schlecht! Das hab ich nicht gut hinbekommen. Und jetzt hab ich auch noch eine Mutter mit Kind vor mir! Eine neue Mutter. Das Kind ist noch nicht alt. Ahh, ein Kind, ein Thema! Darüber reden Eltern gern! Ein anderes Thema gibt’s für die ja nicht, aus welchen Gründen tut jetzt nichts zu Sache. Das lass ich einfach weg. Das ist die Idee, damit könnt ich anfangen. Also werf ich ein „Wie heißt denn das Kleine?“ in die Stille. Das „das“ fand ich nicht unfreundlich, weil man bei derart kleinen Menschen kein Geschlecht erkennen kann. Kam aber wohl unfreundlich an. „SIE heißt Maria!“ sagt die Muddi scharf. Ach guck einer an, rosa Kleidung. Da hätte man tatsächlich drauf kommen können. Naja. Ich reagiere lieber wie üblich mit „Aha!“ und belass es dabei. Die nächste peinliche halbe Stunde beschränk ich mich darauf Fragen mit „Ja“ und „Nein“ zu beantworten. Und damit einen Vorsatz zu fassen: Nämlich den, demnächst immer Karteikarten bei mir zu haben, die ich mir vorher zurechtgebastelt habe. Gelbe Karten werden Fragekarten, die ich in den schweigsamen Pausen hölzern vorlesen und damit Anschein wecken kann, ich interessiere mich für die Person vor mir. „Wie geht es dir? Ich hoffe gut!?“ „Das ist interessant, erzähl mehr davon!“ Und die blauen Karten werden die Verhaltenskarten. Die les ich natürlich nicht laut vor. Die muss ich dann heimlich anschauen und einfach machen was drauf steht á la „freundlich lächeln“, „nicken“, „Person ansehen“, „Mehr blaue Karten kaufen“. Da das, wie ich mich kenne, nicht reichen wird, werde ich zusätzlich noch ein T-Shirt tragen: „Nimm Rücksicht - sozial anders talentiert!“ Ich hoffe es hilft!

Der Titel is geborgt bei Hans Christian Andersen

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

ich glaube, mit diesen karteikarten hast du eine marktlücke entdeckt! du solltest in großproduktion gehen! ich bestelle dann auch schon mal ein ganzes päckchen davon!

seleneos hat gesagt…

:D Sehr gern! Ich muss mir aber noch ein bisschen mehr einfallen lassen. Mit immer nur "freundlich lächeln und nicken" wird man irgendwann auch komisch angeschaut. Hab ich gemerkt.

Anonym hat gesagt…

Vielleicht auch mal an passender Stelle ein "überraschter Blick und ein ungläubiges 'Ach'"!

seleneos hat gesagt…

Ja herrlich,sowas hat wirklich noch gefehlt!

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