Search

Pages

13 Juli 2011

Der rasende Foxley


Auto fahren macht mir manchmal ziemliche Angst. Deutsche Autofahrer sind ja auch bekannt für ihre Aggressivität. Lichthupen, Drängeln und runtergelassene Fensterscheiben mit plötzlichem Runterbremsen, nur um den Fahrer im anderen Pkw plötzlich wüst beschimpfen zu können. Genau das hab ich jetzt auch mal erlebt- so richtig live. Aus der ersten Reihe. Aber wir sind alle erwachsen, man kann sich am Riemen reißen, denkt man. Nix da. Die nächste rote Ampel wird genutzt, die Fahrertür aufgerissen und ein Herr um die vierzig sprintet wutentbrannt heraus, auf den Wagen direkt vor mir zu. Aus diesem Wagen wiederum, hetzt ein etwa achtzehnjähriger Bursche hinaus und wie im CERN Teilchenbeschleuniger, rammen die Zwei aufeinander.
„Was solln das du halbe Portion?“ „Ich ne halbe Portion? Guck dich doch an du Opa!“
Das war das ganze Gespräch und es folgt ein beherzter Griff des Opas an die Kehle der halben Portion. Und es wird gewürgt. So. Was geht einem jetzt durch den Kopf? Man sollte dazwischen gehen, den Streit schlichten, dazwischen gehen (ich geh doch nicht da dazwischen!), Hilfe rufen, dazwischen gehen (ganz bestimmt geh ich da nicht dazwischen), Zivilcourage zeigen und dazwischen gehen. Nein, nie im Leben geh ich da dazwischen. Ich mache etwas ganz anderes, Logisches. Ich gehe hinter dem Armaturenbrett in Deckung. Kopf zwischen die Knie und stillhalten. Hui, gut gemacht, jetzt kann man dich erstmal nicht mehr sehen. Und jetzt? Wie geht’s jetzt weiter. Ich muss doch schauen, was passiert. Irgendwie. Ich mein, was wenn mich die Polizei fragt, was ich gesehen habe? Soll ich sagen: „Meine Füße, Herr Wachtmeister!“ Das geht nicht. Das ist peinlich. Vor allem für jemanden, dem man die letzten Jahre beigebracht hat, dass dass strafbar ist. Nicht das Füße angucken, aber das dumm rumstehen und nix Sinnvolles beitragen. Ich kram erstmal in meiner Handtasche und schau ob mir dabei was einfällt. Da sind Schlüssel (die ich sonst komischerweise immer als Letztes finde), Kaugummis, verdammt viele Einkaufszettel, Lipgloss, Kopfschmerztabletten, Geldbeutel, eine kleine Wasserflasche, Kekse, Kreislauftropfen und ein Cuttermesser. Hm. Rein theoretisch könnte das helfen. Rein theoretisch ist das auch erlaubt, so eine Nothilfe mit einer Waffe. Aber wenn die Gaffer die drum rum stehen und auch nichts machen, nachher was falsch interpretieren, wenn ich mit einem Werkzeug dazwischen renn und dem „Opa“ damit erstmal kampfunfähig mache, oder was wahrscheinlicher ist, unheimlich irritiere und damit vorerst ablenke, dann endet das am Ende mit einer Anzeige wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Das hatte ich doch erst. Das ist also auch noch viel zu gefährlich. Aber warte mal, was ist denn da noch? Ach guck mal, da ist ja auch noch mein Handy in der Tasche. Hatte gar nicht gemerkt, dass ich das noch reingeworfen habe. Na, wenn das keine Gelegenheit ist. Ich mache also Folgendes: Kamera an, Hand nach oben halten und den Auslöser dauerhaft gedrückt halten. Auf die Idee, damit die Polizei zu rufen, bin ich irgendwie nicht gekommen. Hm. Aber am Ende auch nicht soo schlimm. Denn das alles vorbei ist, hab ich gemerkt, als es hinter mir zu hupen anfing. Ein Blick auf das runtergeholte Handy zeigt, das die Ampel mittlerweile auf Grün geschaltet hat und von den zwei Fahrern vor mir längst nichts mehr zu sehen ist, außer, dass sich irgendwo hundert Meter geradeaus, zwei Wagen ein Rennen leisten. Das könnten sie sein. Ich kann also beruhigt wieder hochkommen und meinen Weg fortfahren. Als Erinnerung habe ich jetzt ein paar Fotos auf meinem Telefon, aus denen ich ein Daumenkino zaubern könnte. Und dieses würde die Geschichte zweier Männer zeigen, die sich würgen, Faustschläge austeilen, sich gegenseitig auf meine Motorhaube werfen (das hab ich in meinen Gedanken gar nicht gehört), beim Umschalten der Ampel auf Gelb beide nach vorne starren und sich dann eiligst wieder in ihre Wagen begeben, um ihren Weg mit quietschenden Reifen nebeneinander fahrend weiter fortzusetzen.

Der Titel ist geborgt bei Roald Dahl

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen