Search

Pages

19 Juli 2011

Worst ever


„Guten Morgen, ich hätte gerne vier von den Schrippen hier vorn!“ träller ich der Bäckerin entgegen. „Wollen Sie nicht lieber fünf von den Dunklen hier hinten? Die sind heut im Angebot. Nur € 1,80 für fünf Stück!“ Na gut überredet. „Na gut, überredet. Dann bitte fünf von den Dunklen da hinten!“ „Von denen hab ich aber leider nur noch zwei Stück da.“ Hm. Lustig. Okay. „Gut, dann nehm ich dann doch wieder fünf von den hellen Schrippen hier vorn!“ „Tut mir leid, aber die sind dann nicht im Angebot!“ Wenn das anderen passiert, das der Kopf nicht ganz dabei ist, dann findet man das noch charmant. Man schmunzelt in sich hinein, findet es niedlich, und freut sich insgeheim ein kleines bisschen. Man kennt das ja selber nur zu gut. Man ist mit den Gedanken komplett woanders, im Urlaub (Nur noch vier Wochen, dann biste hier weg!), auf der letzten Sommerfete (Hätt ich das letzte Bier nicht mehr trinken sollen?), beim Stecker des Bügeleisens (Ich hab es ausgemacht, ganz bestimmt. Oder? Nicht? Doch! Oder? Hach, hoffentlich fährt hier heut kein Feuerwehrauto vorbei, sonst schieb ich Panik!). Irgendwo, nur nicht beim Gegenüber. Dennoch redet man und fragt sich erst danach, was eigentlich. Ein Grund, warum ich es gern vermeide, ein Gespräch anzufangen. Beim Pizza bestellen zum Beispiel. Das geht mittlerweile ja ganz praktisch übers Internet. Da hat man eine Seite vor sich, mit vielen bunten Bildern und noch viel mehr Zahlen. Und da kann man dann wählen ob klein, mittel, groß, family, mit oder ohne Extrazutaten, klassisch oder extravagant, bringen oder holen, mit Getränk oder ohne, Sonderangebot oder vielleicht doch einen Auflauf? Rein theoretisch also hat man unendlich Zeit, sich was Passendes zu suchen und nebenher mit den Gedanken zu schweifen. Man muss ja niemandem zuhören. Und die Tastatur auf dem Läppi ist geduldig. Der ist es egal, ob ich mich jetzt oder erst in einer halben Stunde entscheide. Rein theoretisch. Rein praktisch ist es aber so, dass ich ungeduldig bin. Und der festen Überzeugung multitaskingfähig zu sein. Also seh ich die Bilder und denke: alles klar!, tippe hastig das ein, was mir logisch erscheint und lasse mir dann meine Bestellung bestätigen. Nach zehn Minuten weiteren Rumschweifens, schau ich mir die Bestätigung auch mal an, und wunder mich, warum ich mir eine Familienpizza Funghi mit Gehacktem und Gorgonzola bestellt habe. Hach! Hargh! Klasse. Muss ich also doch das Telefon in die Hand nehmen und drum betteln, das die Bestellung jetzt noch abgeändert wird. Und wie erklärt man das, das man so ziemlich alles an seiner Bestellung falsch gemacht hat: Größe. Sorte. Extrazutaten. Was muss der sich an der anderen Leitung denken? Naja gut, aber das sind Momente, die noch ein wenig witzig sind, Charmant vielleicht. Wenigstens bringt man andere zum Lachen. Richtig mistig wird’s aber dann, wenn es um Leben und Tod geht. Jetzt spitzt ihr die Ohren, ja auch das kommt vor. Und das kann richtig unangenehm werden. Und zwar dann, wenn man über das Wochenende nicht zu Hause ist und man die Nachbarin seit Tagen belegt hat, sie möge doch bitte bitte bitte Sorge dafür tragen, dass die drei kleinen Haustiere, die einem die Bude verdrecken, stets mit Futter versorgt sind. Und wenn sie sich dann dazu bereit erklärt hat, will man keine weiteren Umstände machen und sagt: „Nein, nein. Die Tür lass ich einfach offen, da können se immer mal einfach reinschauen. Wenn irgendwas ist, leg ich meine Handynummer neben den Stall!“ Und die schreibt man dann auch, umgeben von „tausend mal Dankeschön!!!“ auf einen großen Zettel und legt ihn genau dahin: in die Wohnung, neben den Stall. Dann schnappt man sich seinen Koffer und rennt zum Bus, man ist ja wie immer schon recht spät dran. Am Bahnhof holt man sich bei der schon lieb gewonnenen, oben erwähnten Bäckerin, ein paar Schrippen, die gerade nicht im Angebot sind, und setzt sich in den Zug. Hach ist das schön, die vorbei fahrende Landschaft, freut man sich und stopft sich ein Brötchen in den Mund. Und dann, genau dann, wenn ein Umkehren quasi nicht mehr möglich ist, dann kommen Zweifel den Nacken hochgekrochen. Und die flüstern so was wie: Warte mal, du hast doch nicht die Wohnungstür abgeschlossen? Hast du nicht, oder? Du hast doch extra gesagt, das machst du nicht. Aber den Schlüssel hast du erst im Bus in die Tasche gesteckt, wie sonst auch. Wie gewohnt. Wo warst du mit deinen Gedanken denn schon wieder? Hat sich das gelohnt? Verdammt. Du hast die verflixte Tür abgeschlossen. Und schon hat man Bilder im Kopf, von drei qualvoll verhungerten Fellknäueln. Und davon, wie sie vorher vergebens nach Futter gequiekt haben. Bleiben einem also zwei Möglichkeiten: Erstens, beim nächsten Halt in einer Stunde auszusteigen, den Zug zurücknehmen, die Tür aufschließen und den nächsten Zug nehmen und dabei hundertzwanzig Euro in den Sand zu setzen. Zweitens: Die Nachbarin anrufen und ihr sagen, sie solle nach der Tür gucken und bei Bedarf eintreten oder einen Schlüsseldienst holen. Nicht unbedingt günstiger, wenn man deren Wochenendtarife bedenkt und dann noch die ewig zu ertragende Nachkarrerei der Nachbarin. Aber irgendwie auch nicht so umständlich, wie eine Rückfahrt. Also entscheidet man sich für die zweite Alternative. Zückt das Handy und merkt: Da war was. Du bräuchtest eine Telefonnummer. Die hast du nicht. Ah, naja, sie hat ja deine, könnte man denken, da wird sie schon anrufen, wenn was ist. Aber lustigerweise liegt die Nummer „für alle Fälle“ gerade nicht für diesen Fall in der Wohnung. Da hat man ja wieder bestens mitgedacht. Gut. Klasse. Großes Kino! Was nun? Notbremse ziehen, zurück trampen oder sich notgedrungen neue Tiere anschaffen? Ich wollte ja schon immer mal eine Katze haben. Die sollen sich selber Futter beschaffen können und auch reinlich sein. Eigentlich wie geschaffen für mich. Aber kann man eigentlich auch nicht bringen. Wie klingt denn das? „Ja ich hatte die halt irgendwie vergessen und erst gemerkt, dass was nicht stimmt, als es so ruhig in der Wohnung war!“ Das geht nicht. Also Lösung suchen! Die Lösung steckt im Läppi und im zufälligerweise mitgenommenen Internetstick. Es gibt ja ein Telefonbuch! Yeah! Wie cool ist das denn? Also Läppi an, Stick rein und die Örtlichen Seiten öffnen. Und dann nur noch schnell Tanja … Tanja.. Tanja … ja wie hieß sie denn? Was hat sie gesagt, als sie sich vorgestellt hat? Müller, Meier, Schmidt? Bachstelze, Rauch, Takatuka? Verdammt hör doch endlich mal zu, wenn Leute mit dir reden! Dann sitzt du nicht immer so schnell in der Klemme! Hoach, das regt einen auf, wenn man sich selbst am meisten nervt! Man möchte den blinkenden, wartenden Cursor anschreien, dass er einen nicht so hetzen solle, so fällt einem auch nicht ein, was sie damals gesagt hat. Oder was auf ihrem Briefkasten steht, der direkt neben meinem hängt. Hach, warte. Briefkasten! Ich weiß, wo sie wohnt! Neben mir nämlich. Das heißt, ich weiß ihre Adresse! Ich Held! Wenn ich die jetzt hier eingebe, direkt neben Tanja, dann müsste doch eigentlich … tatsächlich! Da steht der ganze Name. Und: die Telefonnummer! Es lebe das Internet mit der Datensammelei! Es leben meine Meerschweine!

Der Titel ist geborgt bei Horst Evers

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen