Search

Pages

23 März 2010

Der gemalte Kuss


Wenn die „Fortune“ der Meinung ist, dass der Kühlschrank oder die Boing 707 zu den wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts gehören, stimme ich nicht ganz überein. Ohne Flugzeuge komme ich aus, und ohne einen Kühlschrank, wenn ich ehrlich bin, auch. Das Einzige, was mein Kühlschrank zur Zeit regelmäßig sieht, sind Bio-Eier die nie rausgeholt werden, sondern immer nur schlecht werden. Aber wo ich übereinstimme, ist bei der Aussage, dass auch der Post-it eine der bedeutsamsten Schöpfungen ist. Denn der hat nicht nur meinen Schreibtisch, sondern auch meine Handtasche, meine Bücher und meinen Kühlschrank erobert. Hach, sieh mal, da hat mein Kühlschrank ja plötzlich doch einen Zweck. Klebezettelhalter also. Die Magnete gucken bekümmert. Fühlen sich jetzt wohl degradiert. Traurig. Ich geh schnell in die Küche und drücke das, was ich grad finde unter die Magnete. Überraschungseifigur mit komischen langen Papierohren, Kopfsalatblätter, Socke, bei der die Zweite fehlt. So, jetzt hab ich kein schlechtes Gewissen mehr und kann weiter ein Loblied auf Klebezettel singen. Die sind nämlich viel handlicher und in größerer Menge tragbar, als meine geliebten Schilder. Die ich natürlich nicht aufgeben werde. Viel zu oft ergibt sich die Möglichkeit, welche zu verteilen. Wenn ich bei der Verteilung der Sitzungsschichten gefragt werde, ob ich einen Namen habe zum Beispiel. Dann gibt’s ein kleines Aufklappschild auf den Schreibtisch mit der Aufschrift: „Ich stelle gern Fragen, die ich mir eigentlich selbst beantworten kann. Warum?“ Dann haben sie erstmal was zu tun. Nachdenken. Und lassen mich kurzzeitig zufrieden. So.
Aber Klebezettel…. hach..Klebezettel!!! So herrlich vielseitig.
Man stelle sich vor, man sitzt in der Verhandlung. Vor sich einen Junkie, der in seiner Bewährungszeit fleißig Straftaten sammelt. Warum auch nicht? Es wachsen ja so viele, schön verschieden Bunte im Strafgesetzbuch. Warum mit einer zufrieden geben. Nehmen wir einen ganzen Strauß voll. Und dann erzählen wir einfach, dass alles, aber wirklich alles reine Beschaffungskriminalität war. Aber jetzt, ja jetzt sind wir wieder clean. Von was? Ach nur von Heroin. Nen kalten Entzug hat man geschafft. Schon wieder. Und diesmal ganz allein. Deswegen sind wir jetzt über die Straftaten hinweg. Ja ganz ehrlich und geschworen. Wunderbar, so einfach geht das. In dem Moment nehm ich meine Klebezettel, bapp ihm einen auf die Stirn und schreib drauf: „Guten Tag- ich bin der erste Mensch der auf eigene Faust und völlig allein einen kalten Entzug geschafft hat! Tschakka!“ Und dann bau ich einen Glaskasten um ihn rum, hiev ihn auf eine Schubkarre und liefer ihn ans Hollywood Guinness Museum.
Oder der Polizist, der seinen Hund nicht anleint, weil anleinen irgendwie total totalitär wär, wie bei Hitler eben. Das geht nicht. Das lässt sich ein Deutscher nicht sagen, meint er. Ein Deutscher entscheidet selbst, wann und wo er die Leine nimmt. Nämlich zum Beispiel dann, wenn der Stadtbeamte einen Bußgeldbescheid ausstellen will. Wegen Nichtanleinens. Dann nimmt er sie. Und zieht dem Stadtbeamten mal ordentlich eins über die Mütze. Bis der Karabiner im Auge hängen bleibt. Hier zieh ich zwei Klebezettel. „Ja, ich möchte den totalen Krieg!“ und „Hallöchen, ich bin verzaubert!“ Bapp! Rauf auf die Stirn!
Oder der Nazi, der natürlich kein Nazi ist und am Todestag von Hess nur zufällig bei der Spontandemo anwesend ist und gar keine Ahnung davon hat, dass das Ding um seinem Hals ein SS-Totenkopf ist. Ich meine, sowas bekommt man ja nach dem Johnny-Depp-Piraten-Wahn in jedem Spielzeuggeschäft. Aha. Zettel raus. Was schreiben wir drauf? „Out of order“ denk ich, reicht.
Oder der Alkoholiker, der nachdem er aus seinem 2,3 ‰-Rausch wieder aufgewacht ist nun merkt, dass er in seinem Suff die beste Freundin angezeigt hat. Nur weil sie ihm ne Flasche rüber gezogen hat. Hach! Lappalie. Hat er eigentlich eh nicht gemerkt, also, die Schmerzen. Und es sich jetzt mit der Freundin zu vermiesen ist echt nicht schön. Mit wem dann täglich die 10-15 Bier kippen. Von daher: jetzt alles fein runterreden. Ach, war das n Werkzeug, mit der sie auf mich losging? Hmm….“Wenn schon trinken, dann doch wenigstens soviel, dass ich danach in den Tiefschlaf falle“ find ich passt. Ich weiß ja, ist eine Krankheit. Und ich nehme die auch ernst und das eben Gesagte daher zurück. Trotzdem ein Zettel. Und mindestens „Alkohol trübt die Sinneswahrnehmung“ drauf schreiben.
Oder die Frau aus dem Hintergrund, die einem einfach mal sagt, dass man einen guten Job macht. Die bekommt keinen Spruch sondern einen dicken Kuss auf den Post- it. Und eigentlich möchte ich sie gerne mitnehmen. Jemand der einem unaufgefordert erklärt, dass man das, was man macht, gut macht, kann man immer gebrauchen.

Titel: Der gemalte Kuss
Autor: Elizabeth Hickey
Verlag: Bvt
Preis: € 10,50

0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen