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13 Januar 2011

Die Glocke


Ein Fiepen. Ein lautes Fiepen. Ein Fiepen, das fast so laut und unerträglich ist, wie das Schrillen unseres Feuermelders. Aber nur fast. Unser Feuermelder ist eher noch ein bisschen vergleichbar mit einem Baby: Er ist unersättlich und schreit immer mitten in der Nacht. Unersättlich, weil er uns die Haare vom Kopf frisst. In den letzten zwölf Monaten musste ich mit Sicherheit schon neun neun Volt Blöcke kaufen, damit er wieder Ruhe gibt. Gut, niedlich ist er ja, wenn er dann zufrieden und mampfend an der Decke hängt. Aber er raubt mir den letzten Nerv, wenn ihm um 02:32 Uhr einfällt, man möge ihm jetzt was zu Futtern geben. Denn dann legt er los. Lärmend, durchdringend, in einer wahnsinnigen Tonhöhe. Und ich fall vor lauter Schreck aus dem Bett. Und mein Herz rast, während ich auf dem Boden liege. Ich will mich aufraffen, mich um das Problemkind kümmern. Aber ich sehe mich vor einem Problem. Unsere Decken sind sicher drei Meter hoch. Ich messe selber im Höchstfall die Hälfte. Ich bin ein Zwerg, die Wohnung ein Riese. Fass einem Riesen mal an die Stirn. Kurzum: Während die Fütterung die letzten acht Male immer vom Mitbewohner vorgenommen wurde, kam ich nie auf die Idee, dass ich das auch mal können sollen müsste. Diese fehlende Überlegung bricht mir jetzt bald das Genick. Da wildes Rumhüpfen in der Wohnung nicht hilft, fange ich an mitten in der Nacht die Möbel durch die Wohnung zu schieben und zu prüfen, was groß und stark genug ist, um mich zu halten. Couchtisch ist zu klein. Hocker zu wackelig. Schreibtisch zu schwer, um ihn mehr als dreißig Zentimeter zu verschieben. Gewonnen hat am Ende das seit Wochen leer stehende Weinregal. Yeah. Es ist jetzt also 02:56 Uhr, ich stehe im Schlafanzug im ausgekühlten Wohnzimmer, bin mittlerweile hellwach und deswegen stocksauer. Ich möchte ihn elendiglich verhungern lassen. Wären da nicht die Nachbarn, die das schon mal mitgemacht haben. Damals, vor vier Monaten, als ich im Urlaub war. Damals, als niemand da war, um den kleinen Quälgeist zu nähren. Damals, als im Haus zwei Nächte lang keiner ein Auge zu bekommen hat.
Aber wie gesagt, ganz so ist das Fiepen hier jetzt nicht. Nicht so laut, dafür aber begleitet von einem charmanten roten Blinken. Und von Menschen, die einen mittlerweile unverblümt anstarren. Ich stehe im Schuhladen und die geplante Shoppingtour ist kein Vergnügen mehr. Der Schuhladen ist der vierte Laden und in jedem Laden, den ich bis hierher besucht habe, ging der Alarm los, als ich zur Ladentür hineinging. Jetzt also im fünften Geschäft. Die gleiche Geschichte:
„Haben sie irgendwo was gekauft, wo Sicherheitsetiketten dran sin?“
„Ich war nur in der Drogerie!“
„Na dann legen sie die Sachen hier mal auf den Scanner und wir schauen, woran es liegt!“ „Aber das sind doch nur Sachen aus der Drogerie …!“
„Ja, aber irgendwo ran muss es ja liegen!“
Okay. Was ist in der Tasche? Womit fang ich an? Kaugummis. Auf den Scanner damit. Kein Alarm. Die sind es nicht. Was hab ich noch? Tampons. Fiept nicht. Kondome. Fiepen nicht. Warum war ich ausgerechnet als Erstes in der Drogerie? Zahnspangenreiniger. Fiepen nicht. Anti-Pickel, -Aging, -Schuppenzeug. Fiept nicht, fiept nicht, fiept nicht. Sehr schön. Nachdem ich jetzt sämtliche Schönheitsprobleme auf dem Ladentisch ausgebreitet habe, haben mich die Verkäufer in den anderen Läden in Ruhe gelassen und gemeint, dann muss es wohl am Alarmgerät liegen. Nicht so diese Dame hier.
„So, dann gehen sie bitte mal ohne Tasche durch die Alarmtür!“
Fiepen.
„Dann mal bitte ohne Jacke!“
Fiept. Und meine Fans sammeln sich um den Laden. Man sieht es ihren gierigen Augen an, wie sie sich freuen, dass jemand vermeintlich auf frischer Tat ertappt wurde und dafür mal so richtig schön gedemütigt wird.
„Na gut, dann bitte nochmal ohne Pullover!“
Jetzt geht’s aber los. Ohne Pullover. Ich hörs wohl nicht!
„Okay ist der Pullover vielleicht vom C und A?“
„Ja, aber der is sicher schon über nen Jahr alt, der ist sicher nicht geklaut!“
„Ach hab ichs mir doch fast gedacht. Es ist immer C und A!“
„Bitte was?“
„Ja die haben einen versteckten Sicherheitscode im Waschzettelchen. Der aktiviert sich nach ein paar Mal waschen wieder. Kommense her, ich schneid ihnen das besser gleich raus!“ sagt sie, als wärs ne faule Stelle auf einem Apfel. Aber gut, ich weiß jetzt nicht mehr, ob ich den Pulli auch bei vierzig Grad waschen kann, dafür aber, wo ich mit Sicherheit nicht mehr einkaufen geh.

Titel: Die Glocke
Autor: Hans Christian Andersen

3 Kommentare:

Henne hat gesagt…

Oh, was ist denn hier los? Neue Optik... Das wirkt irgendwie so nüchtern?! Aber nicht schlechter.... ;-) Viele Grüße

seleneos hat gesagt…

Das Bunte musste weg und was klassisches her. Gut, wenns nicht schlechter ist... :D... klingt, als würde das nicht mehr gehen

Henne hat gesagt…

So war´s nicht gemeint.... ;-9

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