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26 Januar 2011

Totentanz


Wenn ich mich heut an meinen Laptop setzten und die Tasten anschlagen würde, dann käme nur ein weinerlicher und vor Selbstmitleid triefender Text raus. Ein Text, indem ich mich mit ausdehnender Präzision darüber auslassen würde, dass die Welt nun mal nicht die meine ist. Dass sie Wochen hat, in denen sie beharrlich auf mir herumtritt. Mit festem Schuhwerk und Kaugummi an der Sohle. Damit der Dreck nicht so schnell wieder abgeht. Und jeder erkennen kann: Hey, die hats aber erwischt. Und völlig zu Recht würde ich jammern. Denn selten hat jemand so viel Pech wie ich. Ich. Ich, die ich gerade in meiner warmen Wohnung auf der neuen Couch sitze. Ich werde von meinem alten Sofa vorwurfsvoll angeschaut. Mein altes, lange so geliebtes Sofa, das jetzt im Schneeregen unter meinem Fenster auf dem Gehweg steht. Ganz durchnässt und mittlerweile mutterseelenallein. Ich hatte noch Stuhl und Lampe danebengestellt, doch beide wurden mittlerweile adoptiert. Nur mein Sofa, dass will zu niemand anderen. Nur zurück zu mir. Und ich habs auf die Straße gestellt. Das schlechte Gewissen plagt mich. Erst recht seitdem ich weiß, dass ich es dem sicheren Tod ausgeliefert habe. „Das wird gleich geschreddert!“ Herrje, was hab ich getan? Würde ich mehr Gewicht tragen können, ich schwöre, ich würde es wieder in die Wohnung zerren, damit es nicht so einsam ist. Irgendwo wäre mit Sicherheit noch Platz. Aber ich bekomm nicht einmal eine Büchse Mais auf. Geschweige denn ein sechzig-Kilo-Sofa vom Fleck. Es bleibt mir nichts übrig. Ich muss auf der neuen Couch sitzen bleiben und warten. Warten, bis es hell wird. Warten, bis der Transporter kommt und es zum Reißwolf fährt, das arme Sofa. Ist mittlerweile sicher schon in tausend kleine Teile geteilt, während ich immer noch auf meiner Couch sitze. Sitze, ohne Rückenschmerzen zu bekommen. Ohne dreißig Zentimeter nach unten zu sacken. Ohne die Knie einziehen zu müssen, um drauf zu passen. Aber mit ein bisschen Wehmut. Da passiert es mir doch ganz recht. Ganz recht, dass ich in den ersten Kackhaufen trete, der auf der Straße liegt, als ich das erste Mal wieder nach draußen geh. Ganz recht, dass ich dann wie ein wütender kleiner Zwerg den Fuß hinter mir her über das Streugut schleifen muss, um den Geruch aus dem Profil zu bekommen. Ganz recht, dass ich meine ec-Karte in lauter Gedankenschweiferei wer weiß wo liegen lasse um dann kleinlaut zum Sperren der Karte zur Bankmitarbeiterin zu gehen und dort mit Namen angesprochen und gefragt zu werden: „Na, was haben sie denn diesmal gemacht?“ Ganz recht, dass der Chef sagt, er habe genug von der hervorragenden Arbeit, die ich tag täglich abliefere und ich solle mir einen anderen Job suchen. Ganz recht, dass meine Vermieterin die Miete um zwanzig Prozent hochsetzt. Immerhin habe ich eine neue Couch. Das Wohnen wird dadurch deutlich im Wert gesteigert. Ganz recht. Ganz recht.
Ganz recht, ich sollte mich heut nicht vor den Laptop auf meine Couch setzen. So was will doch keiner wissen. Wie gut, dass ich mich zurückhalten kann. Was würden die Leute sonst denken.

Titel: Totentanz
Autor: James Herbert

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