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07 Februar 2011

Hintergedanken eines Überläufers

Ich habe eine Mieterhöhung bekommen. Volle zwanzig Prozent wurden mir drauf geschlagen. Die Begründung: Die gute Gegend, in der ich wohne, rechtfertigt diesen Mietpreis. Vor allem, weil alle wichtigen Geschäfte des täglichen Lebens fußläufig zu erreichen sind. Dazu möchte ich etwas sagen. Mein Wohnzimmer ist zur Straße ausgerichtet. Es ist keine kleine Straße, keine Einbahnstraße und keine Sackgasse. Die Straße ist groß, grau, dreckig. Und vor allem viel befahren. Es ist die Straße, die anscheinend direkt zur Autobahn, zum Krankenhaus, zur Polizei und zur Feuerwehr führt. Wenn ich also ein Mensch wäre, der sehr gerne viele Leute um sich hat und viele Feste feiert, bräuchte ich für die Festtagsbeleuchtung nicht zu sorgen. Die krabbelt im Sekundentakt durch das Fenster über die Tapete. Zwar nur in Blau und Rot, dafür aber völlig kostenlos. Den Nachbarn auf der gegenüberliegenden Seite der Straße mag das in die Hände spielen, mir nicht. Nachbarn. Damit bin ich beim Thema „wichtige Geschäfte des täglichen Lebens“. Ich habe Nachbarn. Zur Straße raus, nebenan und zum Hof raus. Und alle sind bezaubernd, und wenn man einmal erkannt hat, womit sie ihr täglich Brot verdienen, mag man das vielleicht so sehen, mit den Geschäften des täglichen Lebens.
Nummer eins. Die Nachbarn zur Straße raus, gegenüberliegende Seite. Ich muss zugeben, dass ich lange nicht verstanden hab, was das für Leute sind. Den ganzen Tag über sind die Fenster mit Tüchern verhangen. Rot, Lila und Schwarz. Anfangs, mangels anderer Erklärung, dachte ich noch: Meine Güte, vielleicht scheint die Sonne derart drauf (das tut sie eigentlich nur in den Abendstunden), das die Hitze unerträglich ist. Mit der Zeit fiel mir aber auf, dass wenn die Wohnung gelüftet wird, diese bis auf einen Fernseher und ein Bett komplett leer war. Abends fiel durch die Ritzen zwischen Tüchern und Fensterrahmen dann auch immer ein rötliches Licht. Täglich waren andere Männer zu Besuch, bei der Frau mit den schwarzen Haaren die immer mal am Fenster steht und eine Zigarette nach der anderen raucht. In Unterwäsche. Die Männer fahren immer während der üblichen Arbeitszeit in großen schwarzen Wagen vor, verdunkelte Scheiben, gerne mit Diplomatenkennzeichen. Ich lehn mich jetzt vielleicht weit aus dem Fenster, aber ich denke ich weiß, um welches wichtige Geschäft des täglichen Bedarf es sich hierbei handelt.
Nummer zwei. Die Nachbarn rechts (!) neben uns. Ich hab schon von Ihnen erzählt. Groß wie breit, ohne Haare, laute Musik (naja) und einmal wöchentlich Besuch vom cholerischen und alkoholabhängigen Vater. Mittwochs müssen die Fenster geschlossen werden, da an Schlaf sonst nicht zu denken ist. Manchmal kann man wegen Ihnen auch früh nicht schlafen. Nämlich dann, wenn halb sechs Blaulicht durchs Zimmer tanzt und der Blick aus dem Fenster den Anblick auf die Razzia nebenan freigibt. Ein Trupp Polizisten, sechs blaue Fahrzeuge und ein Umzugswagen. Warum der Umzugswagen? fragt man. Tja, 15.000 Produkte in Schwarz Rot Weiß muss man irgendwie wegtransportieren. Und die Computer, mit denen die vertrieben worden auch. Klasse, noch ein Produkt des täglichen Bedarfs. Jedenfalls für diese Straße, in der man sich nur sicher fühlen kann, wenn man mit geputzten Stiefeln unterwegs ist.
Nummer drei. Die Nachbarn hinten zum Hof raus. Das sind eigentlich keine „klassischen“ Nachbarn, weil dort nur ein großer grauer Klotz steht. Ein großer grauer Klotz sieht erstmal harmlos aus. Was soll so ein bisschen Beton mit Schiefer oben drauf einem schon anhaben können? Der kann abends keine Feste feiern, nicht nackich auf dem Balkon sitzen oder mir Zigarettenkippen auf meine Wäsche werfen. Der steht nur rum. Und wie ich eines Abends merke: Der steht rum und dampft. Riesige Wolken pustet er aus einem klitzekleinen Schornstein. Die sind schön bunt und riechen auch so ganz anders. Ganz speziell. Ganz eigen. So wie zwangsläufig auch meine Wäsche, die auf dem Balkon steht, wenn ich mal wieder nicht mitbekommen habe, dass der große graue Klotz seine Maschinen angeworfen hat. Maschinen, die ein lebensnotweniges Gut des täglichen Lebens produzieren. Fäden. Fäden braucht ja nun wirklich jeder. Da kann man nicht schimpfen und „not in my backyard“ schreien. So ein Klotz muss in die Innenstadt. Der gehört nicht ins Gewerbegebiet. Fäden, meine Güte, Fäden muss man immer schnell bekommen können!
Alles in allem wirklich eine grandiose Wohngegend, die ihre zwanzig Prozent Aufschlag wirklich wert sind. Wie sagte noch letztens ein Polizist der mich nachts nach Hause fuhr (warum tut hier nichts zur Sache) und bei dem es mir peinlich war meine Adresse zu nennen: „Keine Sorge, ich hab hier auch mal gewohnt, aber als ich die Leute, die ich abends festgenommen habe, am Morgen danach beim Bäcker getroffen habe, wusste ich, dass ich wegziehen muss!“
In meiner Straße wird jetzt eine Wohnung frei. Interessenten können sich gerne melden. Alle anderen sind herzlich dabei eingeladen die Gegend kennenzulernen, während sie mir beim Umzug helfen.

Titel geborgt bei: Irene Dische

3 Kommentare:

DerKunzler hat gesagt…

Die herannahende Bordellbebauung - das es das tatsächlich gibt...

Krissi hat gesagt…

... nicht zu vergessen sind die Ratten, die einem ganz schnell den Weg auf der Straße kreuzen...

seleneos hat gesagt…

...das ist alles nicht so schlimm, alles halb so wild...(ich muss eine Gegendarstellung vorbereiten)...

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