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28 März 2011

Der Andere


Ein Feld. Noch unbestellt. Ein paar Krähen hocken drauf und picken nach ein paar übrig gebliebenen Samen. Am Feldrand weit im Westen steht eine kleine Gruppe von Menschen, die ihre Modellflugzeuge im Kreis fliegen lassen. Man hört nur ab und an das Motorengeräusch zwischen dem Vogelgezwitscher. Querfeldein läuft eine Frau mit Ihrem Hund. Ohne Leine, auf die besteht hier niemand. Es ist schön ruhig. Man kann den Hund frei stromern und seine Gedanken frei schweifen lassen. Frische Frühlingsluft einatmen und mit Sandalen auf aufgetaute Erde treten. Je näher die Dame dem Feldrand kommt, desto mehr fällt ihr eine bunte Figur auf. Zuerst nur ein Farbklecks am Horizont. Die Frau hat keine Brille auf. Sie wird neugierig. Große rote, grüne und gelbe Punkte kann sie erkennen. Fiffi, der Hund, ist schon vorausgeeilt. Auch er will wissen, was es dazu entdecken gibt. Die Frau stolpert Fiffi hinterher. Erst als sie vor dem bunten Etwas steht, dieses sie anspricht und einen „Schönen guten Tag, die Dame!“ wünscht, kann sie erkennen, was sie vor sich hat. Da sitzt einer kerzengerade auf einem winzig kleinen Holzhocker, bekleidet mit bunten aufgeblasenen Luftballons und starrt auf das Feld. Das ist unheimlich. Wo hier sonst nie was los ist. Selbst zu Silvester verirren sich hier höchsten zwei Menschen hin, um die Aussicht zu genießen. Aber sonst. Nix. Sie zerrt an Fiffis Halsband. Fiffi jedoch freut sich und möchte den Mann auf dem Holzhocker gern gleich in sein Revier aufnehmen und als solches markieren. Es folgt ein kurzes Gerangel, ein leises Jaulen und das Frauchen hat Fiffi im Griff. Beide gehen nun schnellen Schrittes hinter dem Luftballonmenschen den Berg hinab in Richtung Auto. Es ist nicht weit. Vielleicht zweihundert Meter. Aber schon nach einem Zehntel des Weges treffen sie auf eine weitere komische Gestalt. Sie stolpern beinahe über sie. Denn diese liegt auf dem Bauch im hohen Gras versteckt. Das Einzige was man erkennen kann ist das große schwarze Zielfernrohr, welches sie in der Hand hält. Und womit sie auf die Luftballons oben am Feldrand zielt. Klack! Sie drückt ab. Klack, klack, klack. Und der Mann, der die Luftballons trägt steht jetzt langsam auf und fängt dann plötzlich an wie ein Irrer über Feld und Wiese zu rennen. Die Frau nimmt Fiffi jetzt lieber auf den Arm und rennt den Rest des Weges. Ich möchte noch aufstehen (jetzt wo ich sie erst bemerkt habe), meine Krücken schnappen und ich hinterherhumpeln, um die Situation aufzulösen, aber da ist sie schon im Wagen, hat den Gang eingelegt und eine Staubwolke hinter sich gelassen.
Ehrlich gesagt, mich plagt das schlechte Gewissen. Verschrecken wollt ich niemanden. Ich hätte auch nicht gedacht, dass das so skurril ausschaut, dass die Leute Reißaus nehmen. Und deswegen hol ich direkt Luft bei der nächsten Person, die keine zehn Minuten später an uns vorbei schleicht, und setze gleich zu einer Erklärung an. Diese kommt mir mit einer Rechtfertigung seinerseits aber zuvor: „Entschuldigung, dass ich derart neugierig bin, aber ich bin vom Theater und ich bin zufällig gerade auf der Suche nach kreativen Köpfen, die mit mir zusammenarbeiten wollen und auf Tour gehen würden!“ Na dem Himmel sei Dank, es gibt noch Menschen, die uns normal finden!

Titel is geborgt bei Bernhard Schlink

2 Kommentare:

Chris H. hat gesagt…

Normal? Du? Klaro! Voll normal! :-)

LG

seleneos hat gesagt…

Irre ich mich, oder höre ich da ein klein wenig, kaum wahrnehmbare Ironie heraus... ?

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