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14 März 2011

Der vollkommene Schmerz


Wenn ich ein Hund wäre, ich schwöre man müsste mich erschießen. So sehr leide ich. Der wirklich erste schöne Frühlingstag mit den ersten schönen Frühlingsgefühlen ist dahin. Und er hatte wirklich das Potenzial ein ganz großer zu werden. Aber die grüne Frühlingswiese mit kleinen Krokussen und Schneeglöckchen lass ich jetzt links liegen. Und rechts. Und vor mir. Und hinter mir. Ich lieg nämlich mittendrin, in der Wiese. Nicht auf einer Picknickdecke. Sondern auf der Schnauze. Und kann mich keinen Zentimeter rühren. Im Rücken drückt das noch leicht verdorrte Gras vom letzten Jahr durch das neu gekaufte Baumwollstrickjäckchen. Auf meinen Händen krabbeln mittlerweile kleine Käfer und die Ameisen haben auf ihr anscheinend eine Abkürzung gefunden. Mein Fuß wird kalt. Den Schuh hab ich verloren. Als ich taumelnd vor Übermut den Berg hinuntergerannt bin. Den Campingstuhl in der Hand, den Wind im Rücken und die Flausen im Kopf. Aber die Füße waren noch im Winterschlaf, völlig gewöhnt an die Couch und überfordert mit Geschwindigkeit und Koordination. Vor allem der Linke ist langsam geworden und schaffte es nach den ersten drei Schritten nicht mehr rechtzeitig vor den Rechten zu kommen. Er blieb hängen. Der ganze Körper folgte und flog nach vorne. Die Hände wussten nicht, wie sie reagieren sollen. Sie wollten ans Knie fassen, um es zu schützen, aber ach, da war ja noch der Campingstuhl in der Hand. Also führt ihre Unwissenheit zum Sturz des Knies auf das hölzerne Kreuz des Hockers. Ka-Boom. Ein Schmerz durchzieht den ganzen Körper und in einem Bruchteil von Sekunden sehe ich nicht mein bisheriges Leben vor meinem Auge ablaufen sondern das Zukünftige. Und das findet laut diesem Sekundenbruchteil in einem Rollstuhl statt. Da bin ich mir sicher. Die Kniescheibe jedenfalls freuts. Endlich kommt sie mal raus und kann sich die Umgebung ansehen. Immer nur gerade aus starren ist ja auch nicht die Welt. Man muss auch wissen, was rechts und links von einem vor sich geht. Reisen erweitert den Horizont. Hat sie ja recht. Also lass ich ihr noch ein bisschen den Spaß.
So, jetzt is aber gut. Bevor hier die Dämmerung über mir einbricht, muss ein Ruck durch diesen Körper gehen. Bein einmal mit Vollgas durchdrücken, links und rechts n bissl ruckeln und die Scheibe is wieder daheim. Langsam aufrichten, noch eine halbe Stunde auf dem Campingstuhl die untergehende Sonne genießen und dann einen eineinhalb-Stunden-Marsch die zweihundert Meter zum Parkplatz bewältigen. Ich lass mich abholen und nach Hause chauffieren. Dort angekommen ist das Knie schon auf die ordentliche Größe einer kugelrunden Honigmelone angewachsen. Das ist nur eine Prellung! Das ist nur eine PRELLUNG!! Das ist NUR EINE PRELLUNG!!! Ordentlich Eis drauf packen und morgen is alles wieder heile. Gut, das ich für den Notfall immer Eis im Kühlfach habe. Das ess ich jetzt. Und die Kühlakkus nehm ich mit ins Bett. Leg sie unter und auf das Knie. Ungefähr zehn Sekunden, dann: Scheiße ist das kalt! Ich muss wieder aufstehen und zum Ausgleich ne Wärmflasche machen, die ich auch mitnehme. Das Blut muss ja wieder aufgewärmt werden, bevor es beim Herzen ankommt. Denk ich. Find ich logisch.
Am nächsten Morgen merk ich, dass es das nicht war. Die Kühlakkus waren nach zehn Minuten lauwarm, die Beine dafür von der Wärmflasche verbrüht. Herrlich. Und gebracht hats natürlich nichts. Die Honigmelone ist mittlerweile ein Kürbis und stehen ist nicht mehr drin. Wie gut, dass ich schon als Kind nicht laufen konnte und hier noch die Krücken von der letzten OP rumstehen. Mit denen humpel ich jetzt zum Orthopäden.
„Wie bitte? Sie sind beim Berg runter laufen auf einen Holzcampingstuhl geflogen?“
„Ja bin ich!“
„Gestern?“
„Ja gestern?“
„Und sie waren nicht sofort im Krankenhaus weil …?“
„Es mir zu peinlich war!“
„Okay, dann sag ich Ihnen mal gleich, dass das mit Sicherheit keine Prellung ist.“
„Sondern …?“
„Na schauen Se doch mal auf den Bildschirm, das is alles Flüssigkeit da drin!“
„Wo soll die denn hergekommen sein?“
„Na wo kann die schon hergekommen sein? Da is wohl was gerissen, das is alles Blut!“
Schöne Information. N bisschen eklig aber mal gucken, was noch kommt. Okay, ich werd jetzt auf die Pritsche gelegt. Arzt und Schwester desinfizieren alles. Etwas Eisspray aufs Knie, merk ich kaum. Riesenspritze wird aufgezogen und eine Riesennadel reingepresst. Ich wills nicht sehen. Starr an die Decke. Da sollten sie schöne Bilder hinhängen, so wie meine Zahnärztin das macht, damit man sich ablenken kann. Was machen die jetzt? Die binden mich an der Pritsche fest? Is das so gefährlich? Hallo? Ist das so gefährlich?? Oder steht es so schlimm um mich, dass es nicht mehr lohnt und jetzt die noch brauchbaren Organe rausgeholt werden, um sie gewinnbringend an jemanden zu verkaufen, der sie dringend braucht? Hallo? Hallo????? HALLOOO????
Die Nadel oder soll ich sagen der Strohalm, ist im Knie. Und jetzt wird ordentlich an allen Ecken bzw., Rundungen gequetscht, damit auch schön alles rauskommt. Kurzzeitig seh ich Sterne. Ich drück den Kiefer zusammen (die Zahnärztin wird sich ja so was von ärgern, wenn sie sieht, wie viel dann wieder von den Zähnen abgerieben ist) um keinen Laut von mir zu geben. Wenn ich keine Teilnarkose bekomme, wird das seinen Grund haben. Wahrscheinlich den, dass das jedes zehnjährige Kind aushält.
Es riecht jetzt nach Eisen.
„So das muss sie sich jetzt aber angucken!“ sagt er und die Schwester reicht mir eine Nierenschale, halb voll mit Blut. Fein gemacht. Ich würd euch ja auf die Schulter klopfen, aber das ist grad schlecht. Und schon ist die nächste Nadel drin. „Das muss rein, damits heilt.“ reagiert er auf meinen empörten Blick, bindet die Füße los und fährt mit ihnen Rad. Volles Rohr vor und zurück. Ich möchte ihm gern ins Gesicht springen, aber auch das is schlecht und ich verstehe, wozu ich hier angebunden wurde. Clever. „So in zwei Tagen kommen sie wieder und dann wiederholen wir das. Oder operieren.“ Haste Scheiße am Schuh, haste Scheiße am Schuh. Is halt so.

Titel is geborgt bei Ugo Riccarelli

4 Kommentare:

Stadtstaub hat gesagt…

Du machst Sachen ...
Gute Besserung!

seleneos hat gesagt…

ich danke dir! :)

Lila hat gesagt…

Oh Oh... gar nicht schön!
Ich wünsche dir ganz gute Besserung und drücke die Daumen, dass keine OP notwenig ist!

seleneos hat gesagt…

Danke danke! Das wär echt schön,aber sicher is noch nix...

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