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13 Juni 2011

Die amtliche Führungspersönlichkeit


Hm. Schreib was drüber, haben sie gesagt. Lass es am Papier aus, haben sie gesagt. Das ist sicher witzig, haben sie gesagt. Aber ich kann dem Ganzen nichts abgewinnen. Nichts Witziges jedenfalls. Auch nicht beim genauen unter die Lupe nehmen und mit dem Zudrücken aller Hühner- und Fettaugen. Niemals. Nichts. Gar nichts. Ich wüsste jedenfalls nicht, was daran lustig sein soll, wenn man am ersten Tag nach dem Umzug auf dem Amt sitzt und eine Nummer in der Hand hat, die der rot leuchtenden an der Wand um dreißig Stellen hinterher hängt. Und man einen Ausblick auf drei von vier geschlossenen Schaltern hat. Und das Klischee schlechthin neben einem sitzt: dick und hungrig, schlecht riechend und gelaunt, fettige Haare und Hände sowie Kleidung, die vor Dreck steht. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man auch zwei Wölbungen zwischen den Fettschichten, die Brüste darstellen könnten. Es ist also eine Frau. Und an der Hand hat sie ihren geschätzt siebzehnjährigen Sohn. Und sie ist schlecht gelaunt. Denn sie ist, wie gesagt, hungrig und kann nicht damit leben, hier nicht die Präferenz zu sein. „Man, das kanns doch hier nicht sein, ich hab Kohldampf verdammt!“ schreit sie die Uhr an, die immerhin schon 09: 45 Uhr anzeigt. Entweder sie ist gerade aufgestanden und hat noch nicht gefrühstückt, oder sie ist verdammt früh aufgestanden und es handelt sich hier um den Mittagshunger. „Man Mudder, dann lass uns doch hier abhaun und zu Mäckes gehn.“ „Man Kerl, wir müssn doch noch unser Hartz abholen!“ „Na dann wartn wer ebnd, gehn dann zum Amt un essen dann örst!“ „Ey weißt du wie spät das wird? Ich hab jetzt Hunger! Ich will zu Mäckes. Und zwar zuerst. Dann musses Hartz ebnd warten!“ „Okay.“ „Ja klar is das okay, sicher ist das okay. Das machen wir jetzt auch so. Wir gehen erst zu Mäckes!“ Ich fand das nicht lustig. Eher penetrant. Was ich auch nicht lustig fand, war der Aufruf meiner Nummer 68 Minuten später an den einzigen offenen Schalter 2. Und den Hinweis, dass ich hier so erstmal falsch bin. Ich müsse erst von Amt A und B die Scheine 38, 39 etc. und pp. ausfüllen lassen. Und gar nicht lustig fand ich, dass ich das dann auch noch gemacht habe, erneut eine Nummer ziehen musste, erneut 56 Nummern vor mir abwarten musste und dann beim Aufruf eine neue Nummer bekommen musste, mit der ich zum anderen Sachbearbeiter verwiesen wurde. Und gar nicht lustig fand ich, dass der mich dann direkt zur dicken Frau mit Hunger schicken wollte, um mit der die gleichen Maßnahmen zu vollziehen. Warum, meine berechtigte Frage, wie ich finde. Na ganz einfach, die Antwort. „Wir wollen hier ja verhindern, dass das Sozialsystem ausgenutzt wird und deswegen müssen ehemalige Obdachlose, Ex-Sträflinge und Hochschulabsolventen erstmal Maßnahmen absolvieren. Regale einräumen zum Beispiel!“ Mein Einwand, dass ich hier erstmal zum Vorstellen bin und ich noch gar nicht weiß, ob ich einen Antrag stellen will, wird beiseite gewischt. Immerhin muss ich aus der Statistik. Das ist oberstes Gebot. Und da es für meinen Studiengang eh keine freien Stellen gibt, oder je geben wird, bleibt nur: Regale einräumen! Das ist natürlich völlig verständlich und überaus nachvollziehbar. Zumal ich den Vergleich mit den Ex-Sträflingen auch sehr gut finde. Treffend. Ich lag dem System in den letzten 8 Jahren ja genauso auf der Tasche wie diese und habe keine Sozialabgaben gezahlt. Mensch, jetzt wo sie das sagen. Damit hätten wir das geklärt. Bleibt nur noch ein Problem, dass ich nicht in der Lage bin, Arbeiten zu erledigen, bei denen ich länger als 30 Minuten stehen muss. Da hätte ich das Problem, das ich auf kurz oder lang im Rollstuhl lande. Gäbs da was anderes als Regale einräumen? Nein, gibt es nicht? Und was machen wir da? Durchziehen oder Krankschreiben lassen? Aha. Für erstmal einen Monat. Aha. Tolle Lösung! Aber kollidiert das nicht mit der Pflicht 98 Bewerbungen pro Woche zu schreiben? Und kollidiert das nicht mit meinem Versicherungsvertrag, wenn ich dann zu einem Bewerbungsgespräch gehe? Schon komisch, oder? Und meine ärztliche Bescheinigung reicht nicht. Hm. Na da haben wir ein Problem. Wie das ist nicht unser einziges Problem? Wie bitte? Ja ich wohne mit jemandem zusammen und ja der hat eine halbe Stelle. Wie, die reicht nicht? Wie ich soll ihm ausrichten, er soll sich gefälligst noch nen Nebenjob suchen, um mich durchzufüttern. Das wird er aber nich so pralle finden, die restliche Zeit is ja zum promovieren gedacht. Wie das ist egal? Das ist nur eine Fortbildung, und damit sein Bier? Aha. Ihr hättet uns also alle beide am liebsten hier zum Regale einräumen und Unkraut zupfen, als uns auf Dauer hier raus zu bekommen? Das ist ja interessant. Und so … plausibel. Toll. Soviel zu meinem ersten lustigen Tag. Hat lange gedauert den zu verarbeiten. Und den Entschluss wachsen zu lassen, erstmal von Zwieback und Tee zu leben, solang es eben geht.

Der Titel ist geborgt bei Horst Evers

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