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01 Juni 2011

Die Überläuferin


Umziehen ist wirklich anstrengend. Das soll hier mal festgestellt werden. Und gleich am Anfang, damit wir es hinter uns haben, auch ein überflüssiger Wortwitz: Umziehen- ja vor allem für Männer. Warum laufen sie sonst ständig mit völlig verfleckten Hosen und Hemden rum, ohne sich dafür zu schämen? So, der musste leider sein. Die Doppeldeutigkeit ist mir als Erstes eingefallen, als ich dachte, ich müsse von meinem Umzug berichten. Und ich hab mich wirklich sehr darüber gefreut, dass ich drauf gekommen bin. Dann ist mir aber eingefallen, dass da kein guter Witz rauskommt. Dass er sogar schlecht ist. Das passiert mir manchmal. Oder auch öfter. In der Öffentlichkeit geb ich mir dann aber meist die größte Mühe, einfach nichts zu sagen. Das hab ich ehrlich auch jetzt versucht. Und zwei Tage auf meinen Bildschirm geschaut. Und immer nur gedacht: „Umziehen … hihi … Männer können das nicht. Hihi ... Die tragen lieber eine Woche ihren Ketchupfleck spazieren ... hihi…“ Schlimm ist das, sag ich euch. Wenn man so was nicht aus dem Kopf bekommt. Und man wegen seines Dauergrinsens angestarrt wird, als wäre man irre. Dabei will man gerade das verhindern, in dem man die Klappe hält. Ich sitz zwar jetzt in einer Wohnung, die nur noch einen Küchenschrank beherbergt, sodass nur der mich anstarren könnte, was mich eigentlich nicht stören würde, aber ich komm über das virtuelle weiße Blatt nicht hinweg, ohne den Umzugswitz loszuwerden. Deswegen der ganze Quatsch jetzt. Hach was für eine Rücküberleitung. Ja, ich sitz in einer fast leeren Wohnung. Ich muss sie übergeben (und an dieser Stelle spare ich mir jeglichen doppeldeutigen Witz, jaha!) und bis hierher war es ein schwieriger Weg. Da fängt man ja schon Monate vorher an, sich drauf vorzubereiten. Mindestens ein halbes Jahr. Da sitzt man dann in seiner Wohnung und wartet. Darauf das einem einfällt, wie man das am besten organisiert. Mit dem Packen. Ach nee vorher Kartons besorgen, dann erst packen. Was packt man ein. Schmeißt man das, was nicht rein passt dann weg. Was ist mit den Schränken, die nicht in die Mülltonne passen. Lass ich die von der Stadt abholen. Nein, die Entscheidung ist schnell getroffen, das lass ich nicht. Das hab ich ja erst mit meiner kleinen durchgesessenen Couch gemacht. Und als die Stadt dann mit ihrer großen Quetsche ankam (als ob eine Stadt ankommen könnte! Sagen wir deshalb lieber: Als dann der große LKW, welcher im Eigentum der Stadt stand und sicher noch steht, auf Bestellung vorbeigefahren kam) und die kleine Couch hochgehievt hatte und aufladen wollte, hat die kleine Couch ganz vorwurfsvoll und leidend angefangen zu quietschen. Das ertrag ich nicht nochmal. Also muss es eine andere Lösung geben. Welche ist noch ungeklärt. Muss einem auch noch alles einfallen. Dann muss man drüber nachdenken, wen man verpflichten kann einem die Kartons zu tragen. Da die viel zu voll gepackt und dementsprechend schwer sein werden, kann man das ja schließlich nicht allein machen. Also eigentlich kann man das nicht nur nicht alleine machen, sondern gar nicht. Wer ist einem also einen Gefallen schuldig. Wem hab ich mal einen Gefallen getan, den ich jetzt zurückfordern kann. Allein darüber nachzudenken, nimmt mehrere Wochen in Anspruch. Jetzt rächt es sich, dass man immer so kreativ war im Ausreden suchen. „Ach, da kann ich leider nicht, da helf ich schon dem örtlichen Umweltverband nen Fluss zu entgradigen, da kann ich leider nicht zum tapezieren kommen!“ Ach verdammt, malern muss man ja auch noch. Die Kaffeeflecken an den Wänden kann man nicht als normalen Gebrauch durchgehen lassen. Das Überlegen jedenfalls kostet einem gute fünf Monate. Dann braucht man noch gut drei Wochen um Gefallen zu verteilen, an Leute, die man gut gebrauchen kann. Ganz egal, ob Freunde, Bekannte, Verwandte, Nachbarn und die Frau an der Kasse den Gefallen wollen. Ich koch gerne mal ein vegetarisches Drei-Gänge-Menu für sie, bringe unaufgefordert ein paar gesunde Kleinigkeiten aus dem Bio-Supermarkt mit oder helfe beim Bewerbungen schreiben (du musst doch dann nicht samstags arbeiten, oder). Ich harke auch gern den Garten und sortiere das auf den Kompost, was wie Unkraut ausschaut oder ich zerlege ein paar alte Sachen aus Nachbars Keller in seine Einzelteile und nehme sie gleich mit zum Sperrmüll. Kein Problem. Wie der Schrank sollte noch genutzt werden? Das alte hässliche Ding, im Ernst? Seid doch lieber froh, dass ihr ihn los seid! Wie ihr habt Angst vorm EHEC-Virus? So ein bisschen Gurke und Salat wird nicht schaden, das ist doch gesund! Während man dann damit beschäftigt ist, Leuten eine großartige Hilfe zu sein, merkt man irgendwann panisch, dass es noch so Sachen gibt, wie: Telefon, Strom, Internet, Post. Man fängt an zu rotieren und Kündigungsfristen verbraucherfreundlich auszulegen. Der Internetanbieter geht da sogar direkt mit, kappt die Verbindung sofort und lässt sich nur noch für € 2,70 die Minute auf ein Gespräch ein. Man wägt ab und wagt ein „30-Tage-ohne Internet“-Experiment. Hält dieses aber nur einen Tag aus. Dann überkommen einen unvorhergesehene Entzugserscheinungen, man wird nervös, kribbelig und kratz an Nachbars Tür. Man muss doch nur noch einmal schnell die E-Mails checken, nur einmal kurz auf facebook vorbeischauen und ganz ganz ganz bestimmt nur noch einmal gucken, wie das Wetter morgen wird. Man löst den hart erkämpften Gefallen beim genervten Nachbarn vorzeitig doch anders ein: kostenloser W-lan-zutritt für einen Grillabend. Mist. Das war anders geplant.
Dann fällt einem noch ein: Und was ist mit einem Auto? Verdammt, man kann die Leute das Zeug nicht 450 Kilometer weit schleppen lassen. Jedenfalls nicht an einem Tag. Das geht doch nicht, wer macht denn so was? Ein Auto muss her. Und ein Fahrer. Einer, der ein Wochenende mal eben komplett entbehren kann. Denn da man selber gerade mal einen Kleinwagen bei 50 km/h sicher fahren kann, kommt man nicht in Frage. Und das man einen LKW-Führerschein noch schnell in drei Wochen runter reißt, das traut man sich dann doch nicht zu. Kostet ja auch alles wieder Geld.
In der letzten Woche dann endlich kommt man dazu, seine benötigten grob geschätzten zehn Kartons zu füllen. Und dann damit, nochmal loszufahren und noch dreißig Kartons nachzukaufen. Und dann damit zu merken, dass man ganz schön viele Bücher hat. Hui, der das tragen muss tut einem jetzt schon Leid. Kleidung, Geschirr, ein paar wenige Putzmittel, ein paar wenige Pflanzen und ein bisschen Kamerazubehör werden wahllos in die letzten acht Kartons und zwei Koffer verpackt. Und auf denen sitzt man dann, am letzten Abend. Das Einzige was noch steht ist die Küche, die leider den Zonk gezogen hat und hier bleiben muss.
Der Tag des Umzuges selber wird dann wieder etwas angenehmer. Bis auf das Aufstehen um halb sechs in der Früh. Wann hat man das denn zuletzt getan? Ich vertrag das nicht. Das merken auch die ersten Helfer die einen begrüßen mit: „Man du musst echt mal wieder ordentlich schlafen, schau dir doch nur mal deine riesigen Augenringe an!“ Und schon hat man die gefunden,der die Bücherkisten schleppen müssen. Auch vom Rest sammelt man die getätigten Gefallen ein, schließt die Tür auf, öffnet den Umzugswagen und verdrückt sich, mit dem Hinweis sich um Essen und Getränke zu kümmern. Für das braucht man dann gut zwei Stunden. Weil ja Samstag ist, die Läden ziemlich voll sind und man auch überhaupt nicht so gut zu Fuß ist und ja nicht so viel tragen kann. Dann gibt man jedem ein Brötchen in die Hand, klopft jedem dankend auf die Schulter und macht sich mit dem gepackten Wagen aus dem Staub. Das Gleiche dann auch in der neuen Wohnung. Damit ist der Umzug an sich geschafft. Yeha. Toll haste das vorbereitet, denkt man dann. Und klopft sich selber auch ein bisschen auf die Schulter. Gut, die, die die Taktik durchschaut haben, machen das Ganze nicht ganz ohne murren mit und entschuldigen sich dann beim Schulterklopfen für das faustgroße Loch in der Wand der neuen Wohnung, welches leider nicht zu verhindern war, ebenso wie für den Karton Geschirr der leider direkt aus dem Wagen gefallen ist. Aber da kann man nix machen.
Ein bisschen Wehmut kommt erst am Tag danach auf. Wenn man weiße Farbe über Kaffee- und Fettflecken malert, den Feuermeldern ein letztes Mal Futter gibt, man die Küchenmöbel wieder millimetergenau in die Küche manövrieren muss, um den Fugendreck nicht so auffallen zu lassen, man sich vom eingebrannten Keramikring auf der Herdplatte verabschiedet und man das Kaugummi mit den Fingernägeln vom verdellten Balkon kratzt. Hach, was hat man nicht alles mitgemacht hier. Und wenn man jetzt noch erfährt, dass über einem eine Nudistin eingezogen ist, das Treppenhaus zeitweise per Webcam überwacht wurde und der Wasserschaden im Haus letztens nichts mit einer ausgelaufenen Waschmaschine zu tun hatte, sonder mit dem heimlichen Halten eines Hundes, der die Wohnung nie verlassen durfte und daher eine Ecke in der Wohnung bekam, hach dann kommt man nicht drum rum zu bedauern, dass das alles hier noch so viel Potenzial gehabt hätte. Da hätte doch noch die einer oder andere Geschichte bei rauskommen können.

Der Titel ist geborgt bei Monika Maron

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