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29 Juni 2011

Der Mistkäfer


Was sagt man zu einem Bewerbungsgespräch, das dreieinhalb Stunden in Anspruch nimmt? Ich wusste es erstmal nicht, ich bin erstmal im Bus eingeschlafen. Das ist man einfach nicht mehr gewohnt, jemandem so lang zu folgen. Da haut es einem einfach um. Trotz der Horde jubelnder Kinder, die sich über den Schulschluss freuen, ratzt man 70 Minuten weg und merkt es erst an der Endhaltestelle. Mit Schlafstriemen im Gesicht versucht man sich in der noch immer fremden Stadt zu orientieren, findet irgendwann sein Fahrrad und fährt im Schneckentempo nach Hause. Selbst das erfordert höchste Konzentration, denn falsches Fahren wird hier hoch bestraft. Bei rot Fahren kostet einen zwar nicht den Lappen, aber immerhin 45 €. Jemanden zu behindern ist mit 10 € schon billiger. Nur freihändig fahren ist mit fünf Euro ein echtes Schnäppchen, aber das ist von mir nicht zu erwarten. Ich fall gern mal um, selbst wenn ich beide Hände am Lenker habe. Gern, damit es besonders dämlich aussieht, beim Bremsen neben einer frischen Pfütze. Ich hab schon viele Hosen damit eingesaut. Deswegen brauch ich alle meine Gehirnzellen um Füße, Beine, Arme und Hände koordinativ auf die Reihe zu bekommen. Auch wenn das heißt, von Omas und Kindern mit Stützrädern überholt zu werden. Hauptsache ich komme an. Und wenn ich dann auf dem Sofa sitze, da frag ich mich: Ja was war das jetzt eigentlich. Dreieinhalb Stunden. Was hat der gute Mann mir erzählt. Die Erinnerung kommt nur schleppend zurück. Da war was von Zukunftsplanung, Kanzleiübernahme, zweiten Frühling, einem geschenkten Auto, einem sittenwidrigen Gehalt, fürs Erste, viel Kaffee, dem eigenen Büro und dem Namen auf dem Kanzleischild. Und da war noch was. Bisher drei Frauen und ein Mann in der Kanzlei. Er sucht nur Frauen. Hübsche Frauen. Welche, die noch in den Kinderschuhen stecken. In den Beruflichen, natürlich nur in den Beruflichen. Ich sei da perfekt. Passt ja alles. Die eineinhalb Jahre Berufserfahrung, die ich mitbringe, zählen ja nicht. Das wären nur Milchbubis gewesen, für die ich tätig war. Welche, die vom Leben noch nicht viel erlebt haben. Nicht so viel wie er. Jedenfalls. Hach, was hab ich für ein Glück. Ich treff stets die Richtigen. Als ob ich einen Magneten in der Tasche hätte, der auf Idioten, Sexisten und Chauvinisten reagiert. Ich muss den loswerden. Echt jetzt. Weil, irgendwann platz ich da mal. Noch hab ich dir Ruhe, mir mein Telefon zu nehmen, anzurufen und traurigerweise abzusagen. Und kann selbst dann noch freundlich bleiben, wenn die Antwort lautet: „Na wennse meinen sie bekommen, was Besseres angeboten, dann versuchen sies ruhig!“. Ich könne aber jederzeit wieder ankommen, wenn ich dann keine Arbeit finde. Na schönen Dank! Da geh ich lieber Flaschen sammeln!

Der Titel ist geborgt bei Hans Christian Andersen

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