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24 Mai 2010

Märchen aus dem vergessenen Schrank


Man kann über Nachbarn ja sagen, was man will. Aber zu reden hat man immer was. Man kann prima hinter vorgehaltener Hand tuscheln, wenn zum zweiten Mal die Polizei im Hause ist und den Trennungsstreit im Dachgeschoss zu schlichten versucht. Man kann sich seinen Teil denken, wenn der Hund vom Erdgeschoss demonstrativ eine Windel umgebunden bekommt, sobald er eine Pfote auf den Hof setzt. Und man kann glauben, dass der Typ von nebenan, der einem immer die Pakete annimmt, den Tag über nichts zu tun zu haben scheint. Bis man ihn abends in der Kneipe trifft, er einem die Rechnung bringt und man überlegt, welches Trinkgeld denn jetzt angemessen ist. So richtig zum Aufregen aber, und das immer wieder, ist die Musik/der Krach, der im Hause (Lady Gaga), auf dem Balkon (Störkraft) und dem Hof (Matthias Reim) läuft. Mit dem Wochenende auf dem Balkon wird es demnach nichts, und man kann die neue lieb gewonnene Heimat nur ertragen, wenn man aus ihr flüchtet, oder sich mit Musik im Ohr auf die Couch verkriecht. Zugegeben. So ein Gehör ist doch was Feines. Merk ich, wenn die Lieder durch die Lakritzschnur ins Ohr surren und die Synapsen episodische Assoziationen wecken, indem sie Eimer mit kaltem Wasser ausschütten und einen in eine andere Zeit verschieben. Da landet man in Dresden, am noch unbebauten Elbufer. Auf dem gemütlichsten Balkon Jenas. Bei einem Spaziergang zum ins Wasser fallenden Strandfest. Mit einer weißen Porzellantasse in der Hand in Leipzigs Straßen. Oder oder oder. Ich find das irre, was das Gehirn da mit einem macht. Zumal in den meisten Fällen, Lied und Moment sich nie getroffen haben. Sie mussten sich also Fragen wie „Was zieh ich heut bloß an?“ und „Was, wenn ich ihm nicht gefalle?“ gar nicht erst stellen, sondern wurden wie Rezeptzutaten einfach zusammengeworfen, um am Ende ein Drei-Sterne-Gericht zu schaffen. Der Kopf im Ruhezustand ordnet die Dateien neu. Wahnsinn. Mit der Erkenntnis im Schädel werde ich mir tatsächlich einen Soundtrack zusammenstellen, damit man mir den, im Falle das ich im Leben zu viele Frühstücksbrote in Alufolie eingewickelt hatte, vorspielen kann und ich mich so an die vom Kopf ausgewählten wichtigsten Momente noch erinnern kann.

Titel: Märchen aus dem vergessenen Schrank
Autor: Susanne Spöndlin
Verlag: Fouque Literaturverlag
Preis: € 11,80

2 Kommentare:

Der Kunzler hat gesagt…

Die Einleitung mit den lustigen Nachbarn, hat mich doch direkt mal inspiriert, was über meine Nachbarn zu schreiben. Ach und ich habe ne Idee...

seleneos hat gesagt…

uh ja...über deine Nachbarn gibts auch immer so schicke Geschichten! :D

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