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09 Mai 2010

Das Blaue vom Himmel über dem Atlantik


Panik. Ich steh am Geldautomaten und finde alles in meiner übergroßen Mädchentasche, nur meine Maestro-Karte nicht. Hinter mir eine nervöse Menschenschlange. Es kann nicht sein, dass ich die verloren hab. Ich bleib stehen und wühl weiter rum. Lipgloss, Schlüssel, alte Fahrscheine. Keine Karte. Dafür einen Zeigefinger auf der Schulter und die Frage, ob ich noch lange sinnlos rumstehen möchte. Möchte ich nicht. Ich möchte meine Karte. Hab doch noch nie was verloren. Jetzt das erste Mal. „Kopp un Arsch eins.“ würde die Oma sagen. Hm. Die Frau am Schalter schaut mich auch an, als wär ich die Erste, der das jemals passiert ist. „Sind se sich sicher?“
„Klar, ich hab ja noch nie was verloren. Die muss mir jemand geklaut haben!“ Gut. Nicht realistisch. Wer klaut aus einem Portemonnaie nur die Ec-Karte? Obwohl. Ist bei mir möglich. Hab ja grundsätzlich nie Bargeld dabei, damit ich es nicht ausgebe. Das klappt aber nicht, wenn ihr es wissen wollt. Hab nämlich den, für manche unausstehlichen, Tick entwickelt die Karte nicht zu benutzen, wenn ich was kaufen müsste, was weniger als zehn Euro kostet. Führt meistens dazu, dass ich noch sinnlos was in den Einkaufswagen packe, nur um über die Grenze zu kommen. Meistens Kaugummi.
„Das kost aber siebn Euro.“
„Hm.“
„Guggn se doch zu Haus nochma, ob se nich da irgndwo rumliegt!“ Und was wenn nicht.
„Und was, wenn nicht? Was wenn mir jemand die Karte aus der Tasche gezogen hat und mit meinem gerade draufgekommenen Gehalt einen drauf machen geht? Was dann? Wer bezahlt mir das? Hä?“
„Na da müssense dann selber für grad stehen, is ja wo klar.“
Na danke. Was bringen mir gesparte sieben Euro, wenn die dann auch mit verbraten werden? Gut. Dann sperren. Deprimierend. Normalerweise würd ich mir jetzt Duschgel kaufen. Das heitert mich immer auf. Geht nicht. Hab kein Bargeld. Würde eh nicht gehen. Unter zehn Euro. Was anderes brauch ich nicht. War gestern erst in der Drogerie. Mist. Normalerweise würd ich mir das jetzt auch kaufen lassen. Aber.

Er ist auf dem Weg zum Flughafen. Der Bus fällt heute ausnahmsweise aus. Ein Anruf bei der Taxizentrale bringt die Erkenntnis, dass Autos auch nicht schneller sind als Busse. Fünfundzwanzig Minuten. Super. Da ist der nächste Bus zweimal da. Und der Zug zweimal weg. Und das Flugzeug auch. 1.200,00 Euro. Ppffhhh. Das bekommt man sicher in einer Schadensersatzklage wieder rein. Den Anpfiff vom Chef nicht. Den bekommt man ab. Super. Regt sich auf und vergisst, dass Feiertag ist. Nur Glück rettet den Hintern. Ein Taxi fährt vorbei und hält auf Winken sogar an. Nimmt einen auch mit. Zug noch bekommen. Flugzeug auch. Gepäckabgabe, Sicherheitszone Eingang, Sicherheitszone Kontrolle, Gate. Überall Schlangen. Warten. Aufs warten. Woanders. In der Luft. Mit Tabletten und E-Nummern im Bauch. 1.500,00 Meter über der Erde. Beim Ankommen die falsche Hand auf den Scanner gelegt. Keine gute Idee. Müde.

Ich muss zur Freundin. Trotzig sein, wegen der verlorenen Karte. Und schmollen. Ich lasse mich trösten. Und verwöhnen. Mit üppigen und wundervollen Essen. Und Schuhen. Irre, geht’s mir gut.

Er guckt sich zusammen mit seinem Jetlag tolle Sachen an. Ein weißes Haus und einen großen Pool, durch den Tom Hanks mal gelaufen ist. Aber durchlaufen. Kann jeder. Oder? Sieht jedenfalls so aus, als hätten die hier nen Stück betoniert. Muss ausprobiert werden. Mit den Zehenspitzen voran. Ein Bauchklatscher folgt. War doch nur ne dicke, feste Schlammschicht. Die ist jetzt auf dem Bauch verteilt. Und der Fuß verstaucht. Super. Jetzt haben es alle mitbekommen. Die Touris sind da.

Mir fällt was ein. War doch gestern in der Drogerie. Und hab mir Duschbad gekauft. Ja, war eine schlechte Woche für mich. Kann jetzt nach Kiwi riechen. Das ist schön. Vielleicht liegt meine Karte noch da. Hatte schon mal so ein Glück. Als ich mein ganzes Portemonnaie verloren hab (ja, doch nicht das Erste, was mir für einen Moment entfallen ist), lag es nach zwei Tagen immer noch an der gleichen Stelle unter dem Stuhl im Restaurant. Toll, dass es mit der Sauberkeit dort nicht so gesehen wurde. Vielleicht klappts ja nochmal. Nervös frag ich die Frau an der Kasse. Ja, ne Karte wurde abgegeben. Ne blaue sogar. Hoffnung keimt in mir auf. Ich dränge sie, doch bitte gleich im Tresor nachzuschauen. Der Name stimmt. Ist meiner. Ich freu mich riesig. Und die Frau an der Kasse auch. Drückt mich sogar. Weil ich mich so schön freu, dass man nur mitmachen kann. Jetzt kann ich es der Frau in der Bank aber zeigen:
„Einmal entsperren bitte- die Karte ist wieder da.“ Yeah!
„Ach, doch noch zu Hause gefundn, wa?“
„Nee…die wurde im Laden abgegeben!“
„Bei Haaa und Ämm nach m Shoppn verlorn, wa?“
„Nee!!! Aber da geh ich jetzt hin, also freischalten jetzt. Bitte!“

Der Rückflug ist nicht so einfach. Überall Asche in der Luft. Da sie von rechts kommt, hat sie Vorfahrt. Er muss nen Umweg nehmen. Und sieben Stunden Verspätung in Kauf. Das heißt, Anschlussflug weg, Zug weg, Bus weg. Schon wieder. Nur diesmal nach dreiunddreißig Stunden ohne Schlaf. Wir haben Mitleid und fahren entgegen. Mit einem Kissen auf der Rückbank, zum gleich ins Traumland gehen.

Meine Karte ist wieder da.
Er auch.
Alles ist gut.
Wie immer, am Ende.

Titel: Das Blaue vom Himmel über dem Atlantik
Autor: Emma Braslavsky
Verlag: List
Preis: € 9,95

4 Kommentare:

Der Kunzler hat gesagt…

ich hau mich weg. Wie geil ist das denn? Bitte mehr davon. Bei dem Wetter wie heute ist das wie ein großer Pott Kaffee und Kaffee ist ja praktisch eine Porzellanschale mit Sonnenschein *g*

seleneos hat gesagt…

mehr davon.. das haben wir gerne, sich am Leid der Anderen erfreuen. :D
aber das is sicher drin. vielleicht früher. hoffentlich später. ;)

Franzi.Ska! hat gesagt…

Ui, klingt sehr spannend! Mir stehts auch bald bevor, aber hoffentlich sind die Aschepartikel dann weg aus der Luft. Huch, na so etwas, gerade trifft ein Sonnenstrahl mein Fenster! Denk an dich, Franzi

seleneos hat gesagt…

ui- wo gehts denn hin? Überwindest du dich doch! Mensch, das is ja toll!! Erzähl, erzähl, erzähl!!!
Und: nimm die Kamera mit und mach fleißig Bilder aus dem Fenster!
Drück dich!

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