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17 Mai 2010

Die Arbeit der Nacht


Was war ich froh, als ich vor mittlerweile acht Jahren mein Fahrrad bekommen habe. Es durfte natürlich kein Damenrad sein. Und es musste silber sein, durfte keinen Gepäckträger haben (wer braucht das schon?) und sollte unbedingt extra schmale Reifen haben, damit ich extra schnell fahren kann. Heute ist es immer noch mein Rad, sieht aber ganz anders aus. „Aufgemotzt“ wurde es über die Jahre. Und hat jetzt nicht nur einen Gepäckträger, sondern darauf auch ein schickes Körbchen für das viele Bioobst vom Markt. Statt einer kleinen Klingel, die nur seicht „ring, ring“ macht, hat es jetzt ein gedrehtes Horn, das richtig schön möööpt. Und, ganz neu: Der Sattel hat nicht nur einen Regenschutz sondern auch ein kleines Tussitäschchen für Flicken und Kitt. Alles ein bisschen vorsichtiger als früher also. Jetzt sogar auch StVZO zugelassenes Licht. Nutzt aber alles nur geringfügig was. Fahren muss man trotzdem können. Und wissen, dass Straßenbahnschienen keine Freunde von Radfahrern sind. Immerhin aber: Heut komm ich nicht mehr gleich ins Krankenhaus, wenn ich die Rück- mit der Vorderbremse verwechsle. Dafür kommen die Leute aber immer noch auf mich zugerannt und fragen mich, ob ich mir den Kopf gebrochen habe. Und ich will, immer noch, cool sein und antworte erstmal mit „Nö nöhö, alles kein Problem!“ Gut, ich fall heut immerhin nicht gleich um. Blutverlust reicht diesmal dafür nicht aus. Wie gut, dass ich heute einen Helm habe. Der hilft gegen Löcher im Kopf. Faszinierend. Aber ich finde auch einen anderen Grund zum Umfallen. Drama, Baby. Ich schwing mich also erneut aufs Rad, ohne zu merken, dass die Kette rausgesprungen ist. Fahr dementsprechend nicht weit und hau mich gleich nochmal hin. Super. Jetzt kann ich peinlich berührt mein Rad, nach erfolglosem Versuchen die Kette wieder drauf zu ziehen, ganz langsam von der Bühne schieben. Dennoch- ich liebe mein Rad. Es hat einen ganz besonderen Vorteil, den man erst mit der Zeit schätzen lernt. Sein Alter. Niemand außer mir interessiert sich mehr dafür. Und genau das braucht man, wenn man in solch einer prima Gegend wohnt, wo sich nachts um zwei, zwei Etagen unter dem eignen Bett, zwei junge Burschen mit dem Brecheisen am Eingangstor zu schaffen machen. Sich dann auf dem Hof umschauen und feststellen, dass man eigentlich alle Räder mitnehmen und verscherbeln kann. Alle bis auf eins. Bei dem ist der Lack schon ganz bös abgebröckelt. Und es hat nur ein Schutzblech. Die Bremsklötze sind fast abgefahren. Lohnt nicht. Sehr schön. So bin ich die Einzige im Haus, die sich morgens nicht mit der Polizei unterhalten muss und statt dessen gemütlich zur Arbeit radeln kann. Arme Nachbarn. Wieso kauft man sich auch ein 1.600,00 € Rad und stellt es dann neben meins. Obwohl. Was sag ich da? Arme Nachbarn? Bin ich irre? Denn wo ich schon bei der Gegend bin. Die ist so herzlich, dass man sich bei Nichtgefallen gegenseitig Zigarettenkippen auf die Wäsche wirft. Oder sich gegenseitig auf die Türvorleger pinkelt. Mensch Kinders, ich fühl mich hier nicht wohl. Aus dem Alter bin ich doch schon seit einer Weile raus. Und selbst ich hatte mich damals noch cleverer angestellt. Immerhin wurde ich nicht erwischt.

Titel: Die Arbeit der Nacht
Autor: Thomas Glavinic
Verlag: dtv
Preis: € 9,90

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