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03 Mai 2010

Hexenstunde


Mit zehn Jahren war ich im Harz auf Klassenfahrt und hab Tiere gefüttert, Talsperren angeschaut, Höhlen besucht und bin natürlich auf den Brocken gefahren, um dort den Brockenhexen zu begegnen. Hat aber nicht geklappt. Jetzt war ich wieder da. Diesmal nicht auf Klassenfahrt, aber die Stimmung war ähnlich. Aufgeregt im Zug, mit vollgepackter Tasche, aufbleiben, solange man will und essen, was man will. Klar, dass kann ich sonst ja auch, aber zu zweit isses doch schöner. Egal. Ich wollte jetzt endlich mal sehen, was ich mir seit der vierten Klasse vorgestellt habe. Einen Platz mit einem fünf Meter hohen Holzschiethaufen (ahh..daher kommt das mit dem Scheiterhaufen! Das hat jetzt aber lange gedauert, eh ich das verstanden habe), der mit Sonnenuntergang entzündet wird. Darum viele Menschen, verkleidet als Hexen die wie die Wilden drum rumtanzen. Dabei jede Menge zu essen und zu trinken. Und Dudelsäcke. Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin. Aber: Dudelsäcke. Und gegen Mitternacht ist das Feuer derart runtergebrannt, dass man mit einem gekonnten Hüpfer in den Mai springt. So dachte ich mir das. Ja, dachte. Aber eigentlich isses so: Man hat zwei Varianten (und beide habe ich mitgemacht). Entweder man kommt abends um neun, stiefelt auf den Berg hoch, ist vom Weg völlig verschwitzt und zahlt 12 Euro Eintritt. Dafür sieht man dann ein unspektakuläres 50 cm Feuer und 2 Stunden eine Lasershow, für die die Veranstalter anscheinend ihr letztes Hemd gegeben haben. Dazu: Techno. Wobei ich dachte, den gibt’s nicht mehr. Aber zum Laser, der eigentlich massenweise epileptische Anfälle verursachen müsste, auch bei sonst gesunden Menschen, passts. Aber der Laser nicht zu Walpurgis. Schade. Finde ich. Thema verfehlt. Sechs, setzen. Die andere Alternative ist: Man geht halb elf los und bewegt sich Richtung einer laut Radioansager „großen Veranstaltung mit Hunderttausend Gästen“. Aber halb elf ist für die hiesigen dörfischen Verhältnisse spät. So spät, dass man auf der Straße angehalten wird, weil die Leute, schon gut dabei, denken, man wäre ihr Auto, was sie abholen kommt. Als wäre man der Knight Industries Two Thousand. So spät, dass der Typ am Kassenhäuschen schon einpackt und einem zu verstehen gibt, das man nu auch ohne Eintritt reinkommt. Was gut so ist. Erwartet einen drinnen doch nur ein Entertainmentpärchen um die 50, das in Begleitung eines Keyboards Texte absingt. Das Ganze in einem Waldstück, in dem an jeden Baum lebensgroße Hexen an die Bäume genagelt sind und unter denen ein entsprechend kleines Feuer lodert, um welches kleine Kinder, die in der Stadt schon längst im Bett hätten sein müssen, rumrennen. Und regelmäßig auf meine Füße treten. Fazit: Morgen versuchen wir unser eigenes Feuer. Und wenn man jetzt denkt: die im Harz, die wissen, wie man ein Feuer legt, da täuscht man sich auch. Nach drei Stunden mit wedelnder Pappe in der Hand hat man die Würste (vegetarisch natürlich) auf den Grill versetzt, gebraten und verschlungen. Den Appetit auf Fisch, den man bekommt, weil man mittlerweile selber riecht wie eine geräucherte Makrele, unterdrückt man. Aber aufgeben ist nicht drin und wir werfen alles rein, was helfen könnte. Sogar die Idee brennender Kerzen, steht im Raum. Für ein Dreißigsekundenfeuer von überraschendem Ausmaß sorgt letzen Endes aber nur eins: der Weihnachtsbaum vom vorigen Jahr! Daran freuen wir uns, begeben uns dann unter die Dusche und lassen die angekohlten Würste von Nachbars Katze holen.
Für mich hab ich gelernt nicht mehr das zu verlangen, was die Gegend verspricht: Ein Harzer muss nicht zündeln, ein Bayer keine Weißwürschte kochen können und ein Kölner keine Regenbogenflagge im Fenster haben. Trotzdem kann man schöne Tage haben, sich heimisch und wie ein Kind auf dem Trampolin frei fühlen.

Titel: Hexenstunde
Autor: Anne Rice
Verlag: Goldmann
Preis: € 12,00

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Nun, nicht müssen aber können und vor allem dürfen. Und (Regenbogen-)Farbe im Leben resp. Fenster schadet nie ;-)
Hoffe, dir gehts gut!!
LG, Franzi

seleneos hat gesagt…

Ja, ein bisschen Farbe schadet nie. ;)

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